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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Golmieau über das klassische Altertum

die körperlichen Rasseneigcntümlichkeiten bestimmt, so ist es nicht wahrscheinlich,
daß er ohne allen Einfluß auf die geistigen bleiben sollte; nimmt man doch
ganz allgemein an, daß die Bewohner der Weingegenden von lebhafter":
Temperament seien als die Biertrinker. Ohne Zweifel ist also die Rassen-
Verschiedenheit eine der Ursachen historischer Veränderungen, und zwar eine
der wichtigsten, aber die einzige ist sie nicht, und Gobinenn irrt, wenn er glaubt,
er erst habe den Grund gelegt zur wahren Weltgeschichte. Indem er alle ge¬
schichtlichen Wandlungen auf eine einzige Ursache zurückführt, die sich in zwei
spaltet: die ursprüngliche Unveränderlichkeit des Rassencharakters und seine
Veränderung durch Mischungen, alle andern Ursachen aber beiseite läßt oder
ausdrücklich für unwirksam erklärt, muß seine Geschichtsdarstellung ebenso will¬
kürliche Geschichtskoustruktiou genannt werden wie z, B. die von Karl Marx,
wenn er auch als Forscher hoch über Marx steht, der seine Behauptung mit
ein paar dürftigen Thatsachen zu beweisen versucht hat, während Gobineau
Berge von Beweismaterial aufhäuft.

Der zweite Band hat die Geschichte Asiens vom Standpunkte der reinen
Nassentheorie behandelt, der vorliegende dritte erzählt die Europas bis zur
Völkerwanderung. Wir bleiben bei der hergebrachten Ansicht, daß Europa
und Vorderasien der Schauplatz der Weltgeschichte geworden sind, und daß
Enropa zuletzt die Herrschaft über den Erdball errungen hat, weil die geo¬
graphische Lage und Gestalt dieser Gegenteil der edelsten und kräftigsten Nasse
die günstigsten Bedingungen zur Entfaltung und Bewahrung ihrer Anlage"
dargeboten hat. Nein, sagt Gobineau, Himmelsstrich und Bodengestalt haben
gar nichts zu bedeuten. (In den ersten der Sätze, die wir nachstehend an¬
führen, hat er Recht gegen die ebenso einseitige, nur rohere und plumpere An¬
sicht, daß es die günstige oder ungünstige Handelslage sei, was das Geschick
der Völker bestimme, eine Ansicht, die, auf englischem Boden gewachsen, als
letzte Frucht die materialistische Geschichtskonstruktiou gezeitigt hat.) "Die
Welt hat andre und größere Interessen als die des Handels. Ihre Angelegen¬
heiten regeln sich nicht nach dem Gutdünken der Sekte der Volkswirte. Höhere
Triebfedern als die Gesichtspunkte des Soll und Haben leiten ihre Hand-
lungen, und die Vorsehung hat seit dem Frührot der Zeiten die Gesetze der
sozialen Schwerkraft so eingerichtet, daß der wichtigste Punkt der Erde nicht
notwendig der für Einkauf und Verkauf am günstigsten gelegne zu sein braucht.
Es ist vielmehr der Punkt, an dem in einem gegebnen Augenblicke die reinste,
intelligenteste und stärkste Gruppe von Weißen wohnt. Möchte nun diese
Gruppe durch ein Zusammentreffen von unüberwindlichen politischen Umständen
in den Eisgebieten des Pols oder unter den Feuerstrahlen des Äquators ihren
Wohnsitz haben, immer würde die geistige Welt nach dieser Seite neigen."
Das eben bestreiten wir entschieden; in Grönland wären wir Weißen niemals
geworden, was wir sind, und würden wir durch "unüberwindliche politische
Umstände," etwa durch die Überzahl der Mongolen, dn hinauf gedrängt, so
würden wir entarten und unsern Einfluß verlieren, der freilich schon verloren


Golmieau über das klassische Altertum

die körperlichen Rasseneigcntümlichkeiten bestimmt, so ist es nicht wahrscheinlich,
daß er ohne allen Einfluß auf die geistigen bleiben sollte; nimmt man doch
ganz allgemein an, daß die Bewohner der Weingegenden von lebhafter»:
Temperament seien als die Biertrinker. Ohne Zweifel ist also die Rassen-
Verschiedenheit eine der Ursachen historischer Veränderungen, und zwar eine
der wichtigsten, aber die einzige ist sie nicht, und Gobinenn irrt, wenn er glaubt,
er erst habe den Grund gelegt zur wahren Weltgeschichte. Indem er alle ge¬
schichtlichen Wandlungen auf eine einzige Ursache zurückführt, die sich in zwei
spaltet: die ursprüngliche Unveränderlichkeit des Rassencharakters und seine
Veränderung durch Mischungen, alle andern Ursachen aber beiseite läßt oder
ausdrücklich für unwirksam erklärt, muß seine Geschichtsdarstellung ebenso will¬
kürliche Geschichtskoustruktiou genannt werden wie z, B. die von Karl Marx,
wenn er auch als Forscher hoch über Marx steht, der seine Behauptung mit
ein paar dürftigen Thatsachen zu beweisen versucht hat, während Gobineau
Berge von Beweismaterial aufhäuft.

Der zweite Band hat die Geschichte Asiens vom Standpunkte der reinen
Nassentheorie behandelt, der vorliegende dritte erzählt die Europas bis zur
Völkerwanderung. Wir bleiben bei der hergebrachten Ansicht, daß Europa
und Vorderasien der Schauplatz der Weltgeschichte geworden sind, und daß
Enropa zuletzt die Herrschaft über den Erdball errungen hat, weil die geo¬
graphische Lage und Gestalt dieser Gegenteil der edelsten und kräftigsten Nasse
die günstigsten Bedingungen zur Entfaltung und Bewahrung ihrer Anlage»
dargeboten hat. Nein, sagt Gobineau, Himmelsstrich und Bodengestalt haben
gar nichts zu bedeuten. (In den ersten der Sätze, die wir nachstehend an¬
führen, hat er Recht gegen die ebenso einseitige, nur rohere und plumpere An¬
sicht, daß es die günstige oder ungünstige Handelslage sei, was das Geschick
der Völker bestimme, eine Ansicht, die, auf englischem Boden gewachsen, als
letzte Frucht die materialistische Geschichtskonstruktiou gezeitigt hat.) „Die
Welt hat andre und größere Interessen als die des Handels. Ihre Angelegen¬
heiten regeln sich nicht nach dem Gutdünken der Sekte der Volkswirte. Höhere
Triebfedern als die Gesichtspunkte des Soll und Haben leiten ihre Hand-
lungen, und die Vorsehung hat seit dem Frührot der Zeiten die Gesetze der
sozialen Schwerkraft so eingerichtet, daß der wichtigste Punkt der Erde nicht
notwendig der für Einkauf und Verkauf am günstigsten gelegne zu sein braucht.
Es ist vielmehr der Punkt, an dem in einem gegebnen Augenblicke die reinste,
intelligenteste und stärkste Gruppe von Weißen wohnt. Möchte nun diese
Gruppe durch ein Zusammentreffen von unüberwindlichen politischen Umständen
in den Eisgebieten des Pols oder unter den Feuerstrahlen des Äquators ihren
Wohnsitz haben, immer würde die geistige Welt nach dieser Seite neigen."
Das eben bestreiten wir entschieden; in Grönland wären wir Weißen niemals
geworden, was wir sind, und würden wir durch „unüberwindliche politische
Umstände," etwa durch die Überzahl der Mongolen, dn hinauf gedrängt, so
würden wir entarten und unsern Einfluß verlieren, der freilich schon verloren


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[0138] Golmieau über das klassische Altertum die körperlichen Rasseneigcntümlichkeiten bestimmt, so ist es nicht wahrscheinlich, daß er ohne allen Einfluß auf die geistigen bleiben sollte; nimmt man doch ganz allgemein an, daß die Bewohner der Weingegenden von lebhafter»: Temperament seien als die Biertrinker. Ohne Zweifel ist also die Rassen- Verschiedenheit eine der Ursachen historischer Veränderungen, und zwar eine der wichtigsten, aber die einzige ist sie nicht, und Gobinenn irrt, wenn er glaubt, er erst habe den Grund gelegt zur wahren Weltgeschichte. Indem er alle ge¬ schichtlichen Wandlungen auf eine einzige Ursache zurückführt, die sich in zwei spaltet: die ursprüngliche Unveränderlichkeit des Rassencharakters und seine Veränderung durch Mischungen, alle andern Ursachen aber beiseite läßt oder ausdrücklich für unwirksam erklärt, muß seine Geschichtsdarstellung ebenso will¬ kürliche Geschichtskoustruktiou genannt werden wie z, B. die von Karl Marx, wenn er auch als Forscher hoch über Marx steht, der seine Behauptung mit ein paar dürftigen Thatsachen zu beweisen versucht hat, während Gobineau Berge von Beweismaterial aufhäuft. Der zweite Band hat die Geschichte Asiens vom Standpunkte der reinen Nassentheorie behandelt, der vorliegende dritte erzählt die Europas bis zur Völkerwanderung. Wir bleiben bei der hergebrachten Ansicht, daß Europa und Vorderasien der Schauplatz der Weltgeschichte geworden sind, und daß Enropa zuletzt die Herrschaft über den Erdball errungen hat, weil die geo¬ graphische Lage und Gestalt dieser Gegenteil der edelsten und kräftigsten Nasse die günstigsten Bedingungen zur Entfaltung und Bewahrung ihrer Anlage» dargeboten hat. Nein, sagt Gobineau, Himmelsstrich und Bodengestalt haben gar nichts zu bedeuten. (In den ersten der Sätze, die wir nachstehend an¬ führen, hat er Recht gegen die ebenso einseitige, nur rohere und plumpere An¬ sicht, daß es die günstige oder ungünstige Handelslage sei, was das Geschick der Völker bestimme, eine Ansicht, die, auf englischem Boden gewachsen, als letzte Frucht die materialistische Geschichtskonstruktiou gezeitigt hat.) „Die Welt hat andre und größere Interessen als die des Handels. Ihre Angelegen¬ heiten regeln sich nicht nach dem Gutdünken der Sekte der Volkswirte. Höhere Triebfedern als die Gesichtspunkte des Soll und Haben leiten ihre Hand- lungen, und die Vorsehung hat seit dem Frührot der Zeiten die Gesetze der sozialen Schwerkraft so eingerichtet, daß der wichtigste Punkt der Erde nicht notwendig der für Einkauf und Verkauf am günstigsten gelegne zu sein braucht. Es ist vielmehr der Punkt, an dem in einem gegebnen Augenblicke die reinste, intelligenteste und stärkste Gruppe von Weißen wohnt. Möchte nun diese Gruppe durch ein Zusammentreffen von unüberwindlichen politischen Umständen in den Eisgebieten des Pols oder unter den Feuerstrahlen des Äquators ihren Wohnsitz haben, immer würde die geistige Welt nach dieser Seite neigen." Das eben bestreiten wir entschieden; in Grönland wären wir Weißen niemals geworden, was wir sind, und würden wir durch „unüberwindliche politische Umstände," etwa durch die Überzahl der Mongolen, dn hinauf gedrängt, so würden wir entarten und unsern Einfluß verlieren, der freilich schon verloren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/138>, abgerufen am 26.06.2024.