Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf Sizilien

dunkle Masse kaum erkennbar dastand, dampften wir ins offne Tyrrhenische
Meer hinaus. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, doch die See ruhig, und
da sich im Rauchsalon so gut wie niemand aushielt, so konnte ich mit einem
mir bekannten deutschen Offizier, den ich zufällig an Bord angetroffen hatte,
bei einer Flasche Chicmti ungestört die Aussichten des südafrikanischen Kriegs
erörtern, die er schon damals als nicht sonderlich günstig für die Engländer
ansah. Gegen Mitternacht wurde das Meer etwas bewegt, der Dampfer be¬
gann leicht zu stampfen, was bekanntlich in der Koje (onoosttg.) das Gefühl
giebt, in einer großen Wiege zu liegen, aber er rollte nicht, beruhigte sich auch
wieder, als er sich der sizilianischen Küste näherte, ohne daß wir natürlich von
Ustica oder den Liparischen Inseln, die sonst die Nähe Siziliens verkünden,
etwas zu sehen bekommen hätten, denn es wurde erst gegen sechs Uhr hell.

Als ich um diese Zeit um Deck kam, vom fröhlichen Krähen der erwachenden
Hähne begrüßt, blies eine sehr frische Brise von Westen her über die grau¬
blaue See, der Himmel war frei geworden, und im Osten stand das purpurne
Morgenrot, gerade vor uns aber lag eine mattblaue, langgestreckte, hier und
da zu zackigen Gipfeln aufstrebende Gebirgskette, die Nordküste Siziliens.
Golden stieg die Sonne aus der klaren Flut, unter ihren Strahlen belebten
sich die vor uns liegenden Formen des Landes durch Licht und Schatten; an
Stelle des einförmigen Blau trat, je mehr sich der mit fünfzehn bis sechzehn
Knoten laufende Dampfer der Fusel näherte, ein Helles Grau, und die Bergmassen
begannen sich voneinander zu sondern. Rechts schoben sich das Kap Gallo und
der wundervoll geformte Monte Pellegrino, "das schönste Borgebirge der
Welt," links der Monte Grifone und der Catalfano hervor, alle kahl und
nackt, dazwischen öffnete sich eine weite Bucht, und an ihr begann sich eine
weiße Häusermasse auf dem Hintergrunde eines malerischen blauen Gebirgs-
kranzcs abzuzeichnen, es war Palermo. Dann tauchten der Mastenwald des
Hafens, die Gebäudereihen dahinter auf, und durch die breite Offnung zwischen
den beiden langen Molen hindurchlaufend legte sich der "Marco Polo" um
s/48 Uhr, uach kaum zwölfstündiger Fahrt mitten in dem halbrunden Becken
vor Anker. Boote umdrängten ihn, aber es ging verhältnismäßig ruhig dabei
zu, rasch waren die Zollsörmlichkeiten an der Dogana erledigt, und ein Omnibus
führte uns erst eine lange staubige und verstaubte Allee am Hafen hin, dann
durch enge Gassen nach der Piazza marina zum tresslichen Hotel de France,
vor dem sich, den größten Teil des Platzes bedeckend, die tropisch üppigen
Laubmassen des herrlichen Giardino Garibaldi ausbreiten, überragt von schlanken
Palmen und hohen Koniferen. Wir waren wirklich in Palermo!

Auf den ersten Blick hat Palermo wenig Altertümliches. Denn seinen
baulichen Charakter haben unter spanischer Herrschaft überwiegend das sechzehnte
und siebzehnte Jahrhundert, Renaissance und Barock, bestimmt. Ans dieser
Zeit stammt auch das große, rechtwinklige Straßenkreuz, das mit zwei langen,
schnurgeraden Straßen von Palästen, der Via Macqueda von Norden nach
Süden und dem Cassaro (Corso Vittorio Emmiuele) von Osten nach Westen,


Auf Sizilien

dunkle Masse kaum erkennbar dastand, dampften wir ins offne Tyrrhenische
Meer hinaus. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, doch die See ruhig, und
da sich im Rauchsalon so gut wie niemand aushielt, so konnte ich mit einem
mir bekannten deutschen Offizier, den ich zufällig an Bord angetroffen hatte,
bei einer Flasche Chicmti ungestört die Aussichten des südafrikanischen Kriegs
erörtern, die er schon damals als nicht sonderlich günstig für die Engländer
ansah. Gegen Mitternacht wurde das Meer etwas bewegt, der Dampfer be¬
gann leicht zu stampfen, was bekanntlich in der Koje (onoosttg.) das Gefühl
giebt, in einer großen Wiege zu liegen, aber er rollte nicht, beruhigte sich auch
wieder, als er sich der sizilianischen Küste näherte, ohne daß wir natürlich von
Ustica oder den Liparischen Inseln, die sonst die Nähe Siziliens verkünden,
etwas zu sehen bekommen hätten, denn es wurde erst gegen sechs Uhr hell.

Als ich um diese Zeit um Deck kam, vom fröhlichen Krähen der erwachenden
Hähne begrüßt, blies eine sehr frische Brise von Westen her über die grau¬
blaue See, der Himmel war frei geworden, und im Osten stand das purpurne
Morgenrot, gerade vor uns aber lag eine mattblaue, langgestreckte, hier und
da zu zackigen Gipfeln aufstrebende Gebirgskette, die Nordküste Siziliens.
Golden stieg die Sonne aus der klaren Flut, unter ihren Strahlen belebten
sich die vor uns liegenden Formen des Landes durch Licht und Schatten; an
Stelle des einförmigen Blau trat, je mehr sich der mit fünfzehn bis sechzehn
Knoten laufende Dampfer der Fusel näherte, ein Helles Grau, und die Bergmassen
begannen sich voneinander zu sondern. Rechts schoben sich das Kap Gallo und
der wundervoll geformte Monte Pellegrino, „das schönste Borgebirge der
Welt," links der Monte Grifone und der Catalfano hervor, alle kahl und
nackt, dazwischen öffnete sich eine weite Bucht, und an ihr begann sich eine
weiße Häusermasse auf dem Hintergrunde eines malerischen blauen Gebirgs-
kranzcs abzuzeichnen, es war Palermo. Dann tauchten der Mastenwald des
Hafens, die Gebäudereihen dahinter auf, und durch die breite Offnung zwischen
den beiden langen Molen hindurchlaufend legte sich der „Marco Polo" um
s/48 Uhr, uach kaum zwölfstündiger Fahrt mitten in dem halbrunden Becken
vor Anker. Boote umdrängten ihn, aber es ging verhältnismäßig ruhig dabei
zu, rasch waren die Zollsörmlichkeiten an der Dogana erledigt, und ein Omnibus
führte uns erst eine lange staubige und verstaubte Allee am Hafen hin, dann
durch enge Gassen nach der Piazza marina zum tresslichen Hotel de France,
vor dem sich, den größten Teil des Platzes bedeckend, die tropisch üppigen
Laubmassen des herrlichen Giardino Garibaldi ausbreiten, überragt von schlanken
Palmen und hohen Koniferen. Wir waren wirklich in Palermo!

Auf den ersten Blick hat Palermo wenig Altertümliches. Denn seinen
baulichen Charakter haben unter spanischer Herrschaft überwiegend das sechzehnte
und siebzehnte Jahrhundert, Renaissance und Barock, bestimmt. Ans dieser
Zeit stammt auch das große, rechtwinklige Straßenkreuz, das mit zwei langen,
schnurgeraden Straßen von Palästen, der Via Macqueda von Norden nach
Süden und dem Cassaro (Corso Vittorio Emmiuele) von Osten nach Westen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290509"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf Sizilien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_379" prev="#ID_378"> dunkle Masse kaum erkennbar dastand, dampften wir ins offne Tyrrhenische<lb/>
Meer hinaus. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, doch die See ruhig, und<lb/>
da sich im Rauchsalon so gut wie niemand aushielt, so konnte ich mit einem<lb/>
mir bekannten deutschen Offizier, den ich zufällig an Bord angetroffen hatte,<lb/>
bei einer Flasche Chicmti ungestört die Aussichten des südafrikanischen Kriegs<lb/>
erörtern, die er schon damals als nicht sonderlich günstig für die Engländer<lb/>
ansah. Gegen Mitternacht wurde das Meer etwas bewegt, der Dampfer be¬<lb/>
gann leicht zu stampfen, was bekanntlich in der Koje (onoosttg.) das Gefühl<lb/>
giebt, in einer großen Wiege zu liegen, aber er rollte nicht, beruhigte sich auch<lb/>
wieder, als er sich der sizilianischen Küste näherte, ohne daß wir natürlich von<lb/>
Ustica oder den Liparischen Inseln, die sonst die Nähe Siziliens verkünden,<lb/>
etwas zu sehen bekommen hätten, denn es wurde erst gegen sechs Uhr hell.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_380"> Als ich um diese Zeit um Deck kam, vom fröhlichen Krähen der erwachenden<lb/>
Hähne begrüßt, blies eine sehr frische Brise von Westen her über die grau¬<lb/>
blaue See, der Himmel war frei geworden, und im Osten stand das purpurne<lb/>
Morgenrot, gerade vor uns aber lag eine mattblaue, langgestreckte, hier und<lb/>
da zu zackigen Gipfeln aufstrebende Gebirgskette, die Nordküste Siziliens.<lb/>
Golden stieg die Sonne aus der klaren Flut, unter ihren Strahlen belebten<lb/>
sich die vor uns liegenden Formen des Landes durch Licht und Schatten; an<lb/>
Stelle des einförmigen Blau trat, je mehr sich der mit fünfzehn bis sechzehn<lb/>
Knoten laufende Dampfer der Fusel näherte, ein Helles Grau, und die Bergmassen<lb/>
begannen sich voneinander zu sondern. Rechts schoben sich das Kap Gallo und<lb/>
der wundervoll geformte Monte Pellegrino, &#x201E;das schönste Borgebirge der<lb/>
Welt," links der Monte Grifone und der Catalfano hervor, alle kahl und<lb/>
nackt, dazwischen öffnete sich eine weite Bucht, und an ihr begann sich eine<lb/>
weiße Häusermasse auf dem Hintergrunde eines malerischen blauen Gebirgs-<lb/>
kranzcs abzuzeichnen, es war Palermo. Dann tauchten der Mastenwald des<lb/>
Hafens, die Gebäudereihen dahinter auf, und durch die breite Offnung zwischen<lb/>
den beiden langen Molen hindurchlaufend legte sich der &#x201E;Marco Polo" um<lb/>
s/48 Uhr, uach kaum zwölfstündiger Fahrt mitten in dem halbrunden Becken<lb/>
vor Anker. Boote umdrängten ihn, aber es ging verhältnismäßig ruhig dabei<lb/>
zu, rasch waren die Zollsörmlichkeiten an der Dogana erledigt, und ein Omnibus<lb/>
führte uns erst eine lange staubige und verstaubte Allee am Hafen hin, dann<lb/>
durch enge Gassen nach der Piazza marina zum tresslichen Hotel de France,<lb/>
vor dem sich, den größten Teil des Platzes bedeckend, die tropisch üppigen<lb/>
Laubmassen des herrlichen Giardino Garibaldi ausbreiten, überragt von schlanken<lb/>
Palmen und hohen Koniferen.  Wir waren wirklich in Palermo!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_381" next="#ID_382"> Auf den ersten Blick hat Palermo wenig Altertümliches. Denn seinen<lb/>
baulichen Charakter haben unter spanischer Herrschaft überwiegend das sechzehnte<lb/>
und siebzehnte Jahrhundert, Renaissance und Barock, bestimmt. Ans dieser<lb/>
Zeit stammt auch das große, rechtwinklige Straßenkreuz, das mit zwei langen,<lb/>
schnurgeraden Straßen von Palästen, der Via Macqueda von Norden nach<lb/>
Süden und dem Cassaro (Corso Vittorio Emmiuele) von Osten nach Westen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] Auf Sizilien dunkle Masse kaum erkennbar dastand, dampften wir ins offne Tyrrhenische Meer hinaus. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, doch die See ruhig, und da sich im Rauchsalon so gut wie niemand aushielt, so konnte ich mit einem mir bekannten deutschen Offizier, den ich zufällig an Bord angetroffen hatte, bei einer Flasche Chicmti ungestört die Aussichten des südafrikanischen Kriegs erörtern, die er schon damals als nicht sonderlich günstig für die Engländer ansah. Gegen Mitternacht wurde das Meer etwas bewegt, der Dampfer be¬ gann leicht zu stampfen, was bekanntlich in der Koje (onoosttg.) das Gefühl giebt, in einer großen Wiege zu liegen, aber er rollte nicht, beruhigte sich auch wieder, als er sich der sizilianischen Küste näherte, ohne daß wir natürlich von Ustica oder den Liparischen Inseln, die sonst die Nähe Siziliens verkünden, etwas zu sehen bekommen hätten, denn es wurde erst gegen sechs Uhr hell. Als ich um diese Zeit um Deck kam, vom fröhlichen Krähen der erwachenden Hähne begrüßt, blies eine sehr frische Brise von Westen her über die grau¬ blaue See, der Himmel war frei geworden, und im Osten stand das purpurne Morgenrot, gerade vor uns aber lag eine mattblaue, langgestreckte, hier und da zu zackigen Gipfeln aufstrebende Gebirgskette, die Nordküste Siziliens. Golden stieg die Sonne aus der klaren Flut, unter ihren Strahlen belebten sich die vor uns liegenden Formen des Landes durch Licht und Schatten; an Stelle des einförmigen Blau trat, je mehr sich der mit fünfzehn bis sechzehn Knoten laufende Dampfer der Fusel näherte, ein Helles Grau, und die Bergmassen begannen sich voneinander zu sondern. Rechts schoben sich das Kap Gallo und der wundervoll geformte Monte Pellegrino, „das schönste Borgebirge der Welt," links der Monte Grifone und der Catalfano hervor, alle kahl und nackt, dazwischen öffnete sich eine weite Bucht, und an ihr begann sich eine weiße Häusermasse auf dem Hintergrunde eines malerischen blauen Gebirgs- kranzcs abzuzeichnen, es war Palermo. Dann tauchten der Mastenwald des Hafens, die Gebäudereihen dahinter auf, und durch die breite Offnung zwischen den beiden langen Molen hindurchlaufend legte sich der „Marco Polo" um s/48 Uhr, uach kaum zwölfstündiger Fahrt mitten in dem halbrunden Becken vor Anker. Boote umdrängten ihn, aber es ging verhältnismäßig ruhig dabei zu, rasch waren die Zollsörmlichkeiten an der Dogana erledigt, und ein Omnibus führte uns erst eine lange staubige und verstaubte Allee am Hafen hin, dann durch enge Gassen nach der Piazza marina zum tresslichen Hotel de France, vor dem sich, den größten Teil des Platzes bedeckend, die tropisch üppigen Laubmassen des herrlichen Giardino Garibaldi ausbreiten, überragt von schlanken Palmen und hohen Koniferen. Wir waren wirklich in Palermo! Auf den ersten Blick hat Palermo wenig Altertümliches. Denn seinen baulichen Charakter haben unter spanischer Herrschaft überwiegend das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert, Renaissance und Barock, bestimmt. Ans dieser Zeit stammt auch das große, rechtwinklige Straßenkreuz, das mit zwei langen, schnurgeraden Straßen von Palästen, der Via Macqueda von Norden nach Süden und dem Cassaro (Corso Vittorio Emmiuele) von Osten nach Westen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/98>, abgerufen am 03.07.2024.