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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

von der Porta Felice am Hafen bis zur Poren nuova, der ehemaligen Haupt¬
straße der arabischen Altstadt M Hahr, d. i. Schloß), das alte Gassengewinkel
durchschneidet. Nicht Paläste eines stolzen, reichen, bürgerlichen Pntriziats
aber erheben sich an diesen Platzen und Straßen, sondern Bauten der Könige,
der Kirche, des feudalen Adels, der Chiaramonti, der Sclafani, der Serradifalco,
und aus dein Mittelalter stammen nur wenige davon, wie der ehemalige Palazzo
Chiaramonti an der Piazza Marina, der später erst den spanischen Vizekönigen,
dann der Inquisition diente und jetzt Sitz des obersten Gerichtshofs (?Uig,?20
nisi, lÄbuimli) ist, und der Palazzo Selafani an der Piazza Vittoria, jetzt
Kaserne, beide gotische Bauten aus dem vierzehnten Jahrhundert, Ganz barock
sind manche Plätze: die Quattro Carli an der Kreuzung der beiden Haupt¬
straßen in? Mittelpunkte der Stadt, mit fast überreichen Säulen- und Statuen¬
schmuck an den Palästen der vier Ecken, und die anstoßende Piazza Pretoria
vor dein Rathause Muuieipio) mit einem kolossalen Brunnen von 1575, um
dessen riesiges kreisrundes Marmorbecken die Köpfe der verschiedensten Tiere,
eine wahre Menagerie, und zahlreiche höchst lebendige Götter- und Nymphen¬
gestalten im Kreise gruppiert sind, endlich die kleine Piazza Bologni mit einem
Standbilde Karls V., das den Deutschen plötzlich daran erinnert, daß der
Herrscher, der dem deutschen Nationalgeiste so feindselig gegenüber getreten ist,
als König von Spanien auch über Sizilien geboten hat. Demselben sieb¬
zehnten Jahrhundert gehört die größte Kirche Palermos an, San Domenico,
ein mächtiger Bnrockbau, der 12V00 Menschen fassen kann, das Pantheon der
Palermitaner mit zahlreichen Grabdenkmälern bedeutender Männer, ebenso die
in der Nähe gelegne Kirche dell' Olivella, ein prachtvoller Marmorbau des
ausgehöhlten Klosters der Philippiner.

Doch aus dieser modernen Umgebung ragen hie und da seltsame Gebäude
auf, die einer andern Welt zu entstammen scheinen und auf italienischem Boden
nirgends ihresgleichen haben, bald so orientalisch, daß man in Kairo oder
Damaskus zu/ sein glaubt, bald ein merkwürdiges Gemisch morgenländischer
und nordeuropüischer Bestandteile. Denn auf diesem Boden, den einst die
Römer den semitischen Karthagern in heißem Kampfe abgewannen, haben sich
im Mittelalter die mannigfachsten Kulturen gekreuzt und verbunden. Über
zweihundert Jahre lang, von 831 bis 1072, herrschten hier arabische Emire
wie in Sevilla und Cordova, Tunis und Kairo, und arabische Dichter feierten
in entzückten Versen die Reize Palermos, wie sie für Granada schwärmten.
Dann fiel Palermo mit der ganzen Insel in die Hände blonder nordischer Er¬
obrer, der französierten Normannen, die sie mit Süditalien zu einem absoluten
Königreiche verbanden, den Zusammenhang mit Afrika aufs neue zerreißend,
den mit der Apenninenhalbinsel abermals herstellend. Als ihre Erben zogen
1194 die Hohenstaufen in Palermo ein, bis nach dem tragischen Untergange
des hochbegabten Stammes und der kurzen Herrschaft der französischen Anjous
(1266 bis 1282) die Aragonesen wieder das Erbe der Hohenstaufen antraten
und Sizilien mit Spanien in Verbindung setzten. Diese vier Jahrhunderte


Auf Sizilien

von der Porta Felice am Hafen bis zur Poren nuova, der ehemaligen Haupt¬
straße der arabischen Altstadt M Hahr, d. i. Schloß), das alte Gassengewinkel
durchschneidet. Nicht Paläste eines stolzen, reichen, bürgerlichen Pntriziats
aber erheben sich an diesen Platzen und Straßen, sondern Bauten der Könige,
der Kirche, des feudalen Adels, der Chiaramonti, der Sclafani, der Serradifalco,
und aus dein Mittelalter stammen nur wenige davon, wie der ehemalige Palazzo
Chiaramonti an der Piazza Marina, der später erst den spanischen Vizekönigen,
dann der Inquisition diente und jetzt Sitz des obersten Gerichtshofs (?Uig,?20
nisi, lÄbuimli) ist, und der Palazzo Selafani an der Piazza Vittoria, jetzt
Kaserne, beide gotische Bauten aus dem vierzehnten Jahrhundert, Ganz barock
sind manche Plätze: die Quattro Carli an der Kreuzung der beiden Haupt¬
straßen in? Mittelpunkte der Stadt, mit fast überreichen Säulen- und Statuen¬
schmuck an den Palästen der vier Ecken, und die anstoßende Piazza Pretoria
vor dein Rathause Muuieipio) mit einem kolossalen Brunnen von 1575, um
dessen riesiges kreisrundes Marmorbecken die Köpfe der verschiedensten Tiere,
eine wahre Menagerie, und zahlreiche höchst lebendige Götter- und Nymphen¬
gestalten im Kreise gruppiert sind, endlich die kleine Piazza Bologni mit einem
Standbilde Karls V., das den Deutschen plötzlich daran erinnert, daß der
Herrscher, der dem deutschen Nationalgeiste so feindselig gegenüber getreten ist,
als König von Spanien auch über Sizilien geboten hat. Demselben sieb¬
zehnten Jahrhundert gehört die größte Kirche Palermos an, San Domenico,
ein mächtiger Bnrockbau, der 12V00 Menschen fassen kann, das Pantheon der
Palermitaner mit zahlreichen Grabdenkmälern bedeutender Männer, ebenso die
in der Nähe gelegne Kirche dell' Olivella, ein prachtvoller Marmorbau des
ausgehöhlten Klosters der Philippiner.

Doch aus dieser modernen Umgebung ragen hie und da seltsame Gebäude
auf, die einer andern Welt zu entstammen scheinen und auf italienischem Boden
nirgends ihresgleichen haben, bald so orientalisch, daß man in Kairo oder
Damaskus zu/ sein glaubt, bald ein merkwürdiges Gemisch morgenländischer
und nordeuropüischer Bestandteile. Denn auf diesem Boden, den einst die
Römer den semitischen Karthagern in heißem Kampfe abgewannen, haben sich
im Mittelalter die mannigfachsten Kulturen gekreuzt und verbunden. Über
zweihundert Jahre lang, von 831 bis 1072, herrschten hier arabische Emire
wie in Sevilla und Cordova, Tunis und Kairo, und arabische Dichter feierten
in entzückten Versen die Reize Palermos, wie sie für Granada schwärmten.
Dann fiel Palermo mit der ganzen Insel in die Hände blonder nordischer Er¬
obrer, der französierten Normannen, die sie mit Süditalien zu einem absoluten
Königreiche verbanden, den Zusammenhang mit Afrika aufs neue zerreißend,
den mit der Apenninenhalbinsel abermals herstellend. Als ihre Erben zogen
1194 die Hohenstaufen in Palermo ein, bis nach dem tragischen Untergange
des hochbegabten Stammes und der kurzen Herrschaft der französischen Anjous
(1266 bis 1282) die Aragonesen wieder das Erbe der Hohenstaufen antraten
und Sizilien mit Spanien in Verbindung setzten. Diese vier Jahrhunderte


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[0099] Auf Sizilien von der Porta Felice am Hafen bis zur Poren nuova, der ehemaligen Haupt¬ straße der arabischen Altstadt M Hahr, d. i. Schloß), das alte Gassengewinkel durchschneidet. Nicht Paläste eines stolzen, reichen, bürgerlichen Pntriziats aber erheben sich an diesen Platzen und Straßen, sondern Bauten der Könige, der Kirche, des feudalen Adels, der Chiaramonti, der Sclafani, der Serradifalco, und aus dein Mittelalter stammen nur wenige davon, wie der ehemalige Palazzo Chiaramonti an der Piazza Marina, der später erst den spanischen Vizekönigen, dann der Inquisition diente und jetzt Sitz des obersten Gerichtshofs (?Uig,?20 nisi, lÄbuimli) ist, und der Palazzo Selafani an der Piazza Vittoria, jetzt Kaserne, beide gotische Bauten aus dem vierzehnten Jahrhundert, Ganz barock sind manche Plätze: die Quattro Carli an der Kreuzung der beiden Haupt¬ straßen in? Mittelpunkte der Stadt, mit fast überreichen Säulen- und Statuen¬ schmuck an den Palästen der vier Ecken, und die anstoßende Piazza Pretoria vor dein Rathause Muuieipio) mit einem kolossalen Brunnen von 1575, um dessen riesiges kreisrundes Marmorbecken die Köpfe der verschiedensten Tiere, eine wahre Menagerie, und zahlreiche höchst lebendige Götter- und Nymphen¬ gestalten im Kreise gruppiert sind, endlich die kleine Piazza Bologni mit einem Standbilde Karls V., das den Deutschen plötzlich daran erinnert, daß der Herrscher, der dem deutschen Nationalgeiste so feindselig gegenüber getreten ist, als König von Spanien auch über Sizilien geboten hat. Demselben sieb¬ zehnten Jahrhundert gehört die größte Kirche Palermos an, San Domenico, ein mächtiger Bnrockbau, der 12V00 Menschen fassen kann, das Pantheon der Palermitaner mit zahlreichen Grabdenkmälern bedeutender Männer, ebenso die in der Nähe gelegne Kirche dell' Olivella, ein prachtvoller Marmorbau des ausgehöhlten Klosters der Philippiner. Doch aus dieser modernen Umgebung ragen hie und da seltsame Gebäude auf, die einer andern Welt zu entstammen scheinen und auf italienischem Boden nirgends ihresgleichen haben, bald so orientalisch, daß man in Kairo oder Damaskus zu/ sein glaubt, bald ein merkwürdiges Gemisch morgenländischer und nordeuropüischer Bestandteile. Denn auf diesem Boden, den einst die Römer den semitischen Karthagern in heißem Kampfe abgewannen, haben sich im Mittelalter die mannigfachsten Kulturen gekreuzt und verbunden. Über zweihundert Jahre lang, von 831 bis 1072, herrschten hier arabische Emire wie in Sevilla und Cordova, Tunis und Kairo, und arabische Dichter feierten in entzückten Versen die Reize Palermos, wie sie für Granada schwärmten. Dann fiel Palermo mit der ganzen Insel in die Hände blonder nordischer Er¬ obrer, der französierten Normannen, die sie mit Süditalien zu einem absoluten Königreiche verbanden, den Zusammenhang mit Afrika aufs neue zerreißend, den mit der Apenninenhalbinsel abermals herstellend. Als ihre Erben zogen 1194 die Hohenstaufen in Palermo ein, bis nach dem tragischen Untergange des hochbegabten Stammes und der kurzen Herrschaft der französischen Anjous (1266 bis 1282) die Aragonesen wieder das Erbe der Hohenstaufen antraten und Sizilien mit Spanien in Verbindung setzten. Diese vier Jahrhunderte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/99>, abgerufen am 03.07.2024.