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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^8^9

gesetzte schalt und lobte -- der gutherzige Mann erinnerte sich, auch einmal
jung gewesen zu sein.

Um zu erklären, was eigentlich Görgei veranlaßte, die Rettung seines
Vaterlands nicht mehr in einer Fortsetzung des Kriegs, sondern in friedlichen
Mitteln zu suchen und in dieser Absicht Parlamentäre zu senden, will ich einige
Worte über sein Verhältnis zu Kossuth und zum Ministerium der Aufständischen
sagen, durch deren unentschlossene und verkehrte Schritte er in eine wahrhaft
verzweifelte Lage geraten war. Charaktere wie der Kossuths, eines Revolu¬
tionärs und Republikaners, und der Görgeis, eines monarchisch gesinnten
Mannes mit Gedanken an die Selbständigkeit nur Ungarns, konnten nicht
zusammengehn. Der erste war ein politischer Schwärmer, mit Ansprüchen auf
die Eigenschaften eines Staatsmanns; dabei ein Poet. Der andre dagegen
der geschickteste und praktischste Mann von der Welt. Kossuth war machtliebend,
eigennützig und verschlagen und benutzte alle Mittel zur Erreichung seiner ehr¬
geizigen Pläne. Görgei handelte immer und überall ritterlich, offen, mit wahr¬
hafter Vornehmheit und iiumerwährender Begeisterung für das, was er als
nützlich und rühmlich für sein Vaterland erkannt hatte. Kossuth opferte alles
seiner grenzenlosen Eigenliebe und seinem Ehrgeiz; er wußte selbst in der Ver¬
bannung nicht, als er, sein Leben lang zu leiden und sich zu quälen verdammt,
vom Fluche seines Volks verfolgt wurde -- selbst da verstand er nicht, seine
Gedanken zu bändigen. Görgei brachte seine Eigenliebe dem Wohlergehn des
Vaterlands zum Opfer, und wenn er früher danach gestrebt hatte, die höchste
Macht zu erreichen, so war er doch sofort bereit, sie mit voller Überzeugung
wieder aus der Hand zu geben, als kein andres Mittel zum Heil und Wohl
Ungarns mehr möglich war, eines Landes, das die Kurzsichtigkeit Kossuths
und seiner Anhänger an den Rand des Verderbens gebracht hatte. Görgeis
Triebfeder war wirklich Selbstaufopferung; denn obgleich er wußte, daß man
ihn beschimpfen und einen Verräter nennen würde, vertraute er dennoch auf
die Gerechtigkeit seiner Sache und die Gottes und der Menschen, die ihn später
erkannt und richtig beurteilt haben. Görgei wäre ein Verräter gewesen, wenn
er sich, wie es hieß, verkauft hätte; er wäre es ebenso gewesen, wenn er sich,
unter Aufopferung der Armee, um die Erhaltung seines Lebens bemüht hätte;
aber in dem Briefe an den Grafen Rüdiger gab er sich als Ersten preis, unter
der Bedingung, daß seine Waffenbrüder gerettet würden. Er wäre schließlich
ein Verräter gewesen, wenn er irgend welche Garantien für seine persönliche
Sicherheit gefordert hätte; aber er verzichtete auf alle Vorschläge, die man ihm
gemacht hatte, und kehrte mit reinem, ruhigem Gewissen in seine frühere bescheidne
Stellung zurück, in der er sich ausschließlich der Wissenschaft widmete, bis fort¬
währende Satiren, Lügen und Verleumdungen ihn, der vom Schauplatz öffent¬
licher Thätigkeit abgetreten war, nachdem endlich seine Geduld erschöpft war,
zwangen, in schönen Memoiren sein wunderbares, prächtiges, vornehmes Innere
zu offenbaren. Zu dem oben erwähnten moralischen Impuls kamen bei Görgei
noch materielle Beweggründe hinzu.


Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^8^9

gesetzte schalt und lobte — der gutherzige Mann erinnerte sich, auch einmal
jung gewesen zu sein.

Um zu erklären, was eigentlich Görgei veranlaßte, die Rettung seines
Vaterlands nicht mehr in einer Fortsetzung des Kriegs, sondern in friedlichen
Mitteln zu suchen und in dieser Absicht Parlamentäre zu senden, will ich einige
Worte über sein Verhältnis zu Kossuth und zum Ministerium der Aufständischen
sagen, durch deren unentschlossene und verkehrte Schritte er in eine wahrhaft
verzweifelte Lage geraten war. Charaktere wie der Kossuths, eines Revolu¬
tionärs und Republikaners, und der Görgeis, eines monarchisch gesinnten
Mannes mit Gedanken an die Selbständigkeit nur Ungarns, konnten nicht
zusammengehn. Der erste war ein politischer Schwärmer, mit Ansprüchen auf
die Eigenschaften eines Staatsmanns; dabei ein Poet. Der andre dagegen
der geschickteste und praktischste Mann von der Welt. Kossuth war machtliebend,
eigennützig und verschlagen und benutzte alle Mittel zur Erreichung seiner ehr¬
geizigen Pläne. Görgei handelte immer und überall ritterlich, offen, mit wahr¬
hafter Vornehmheit und iiumerwährender Begeisterung für das, was er als
nützlich und rühmlich für sein Vaterland erkannt hatte. Kossuth opferte alles
seiner grenzenlosen Eigenliebe und seinem Ehrgeiz; er wußte selbst in der Ver¬
bannung nicht, als er, sein Leben lang zu leiden und sich zu quälen verdammt,
vom Fluche seines Volks verfolgt wurde — selbst da verstand er nicht, seine
Gedanken zu bändigen. Görgei brachte seine Eigenliebe dem Wohlergehn des
Vaterlands zum Opfer, und wenn er früher danach gestrebt hatte, die höchste
Macht zu erreichen, so war er doch sofort bereit, sie mit voller Überzeugung
wieder aus der Hand zu geben, als kein andres Mittel zum Heil und Wohl
Ungarns mehr möglich war, eines Landes, das die Kurzsichtigkeit Kossuths
und seiner Anhänger an den Rand des Verderbens gebracht hatte. Görgeis
Triebfeder war wirklich Selbstaufopferung; denn obgleich er wußte, daß man
ihn beschimpfen und einen Verräter nennen würde, vertraute er dennoch auf
die Gerechtigkeit seiner Sache und die Gottes und der Menschen, die ihn später
erkannt und richtig beurteilt haben. Görgei wäre ein Verräter gewesen, wenn
er sich, wie es hieß, verkauft hätte; er wäre es ebenso gewesen, wenn er sich,
unter Aufopferung der Armee, um die Erhaltung seines Lebens bemüht hätte;
aber in dem Briefe an den Grafen Rüdiger gab er sich als Ersten preis, unter
der Bedingung, daß seine Waffenbrüder gerettet würden. Er wäre schließlich
ein Verräter gewesen, wenn er irgend welche Garantien für seine persönliche
Sicherheit gefordert hätte; aber er verzichtete auf alle Vorschläge, die man ihm
gemacht hatte, und kehrte mit reinem, ruhigem Gewissen in seine frühere bescheidne
Stellung zurück, in der er sich ausschließlich der Wissenschaft widmete, bis fort¬
währende Satiren, Lügen und Verleumdungen ihn, der vom Schauplatz öffent¬
licher Thätigkeit abgetreten war, nachdem endlich seine Geduld erschöpft war,
zwangen, in schönen Memoiren sein wunderbares, prächtiges, vornehmes Innere
zu offenbaren. Zu dem oben erwähnten moralischen Impuls kamen bei Görgei
noch materielle Beweggründe hinzu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/90>, abgerufen am 03.07.2024.