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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

Aussicht auf Erfolg wäre, und daß ein weiterer Widerstand nur die berechtigten
Forderungen ihrer gesetzlichen Obrigkeit vermehren werde. Er antwortete nicht
direkt, aber man konnte deutlich merken, was in ihm vorging. Ich wage mir
natürlich nicht den allergeringsten Einfluß auf die dann zustande gekommne
Lösung der Frage zuzuschreiben, besonders da diese in Görgeis und seiner Ge¬
nossen Jnnerni schon längst bestimmt war; aber ich habe zu dem wie bei jedem
Ungarn warmen und offnen Herzen dieser Männer gesprochen!

Inzwischen war es dunkel geworden, und als wir an den Ort Tenke
kamen, war es elf Uhr. "Hier müssen wir unbedingt Station machen, sagte
ich. Die Pferde können nicht weiter, wir wollen sie nur füttern, dann kann es
wieder vorwärts gehn." Dieser Vorschlag gefiel Pöltenberg nicht; er wünschte,
daß ich hierbliebe und umkehrte, aber ich versicherte ihm, er würde auf dem
weitern Marsche mit unsern Truppen zusammentreffen, die ihn nicht durchlassen
würden.

Wir blieben beim Geistlichen des Orts, aßen reichlich zu Abend, ruhten
aus und schlummerten ein wenig. Plötzlich ging die Thür auf, und mit den
Worten: Herr General, wir können nicht vorwärts; die Brücke ist abgebrannt!
trat Pöltenbergs Wachtmeister ein. Ich wußte, daß wir uns in der Nacht
etwas verirrt hatten und jetzt nicht weiter könnten, die abgebrannte Brücke
aber nur ein Vorwand sei. Ich lächelte, Pöltenberg ebenfalls, und in diesem
Lächeln lag das Zugeständnis, daß er mich hatte vom Wege abführen wollen,
und daß Görgei ihn in der That in Arad erwartete.

Erfreut über das Gelingen meines ersten diplomatischen Auftrags er¬
widerte ich, sein Geheimnis sei von mir längst erraten. Dann lachten wir
herzlich, verabschiedeten uns und drückten uns gegenseitig unwillkürlich fest ans
Herz. Ich befahl meinem Detachement, sich fertig zu machen, und als ich auf
die Treppe trat, um mich weiter zu verabschieden, sah ich meine Husaren eben¬
falls die Ungarn umarmen. Da erschrak ich denn doch, rief den Wachtmeister,
dem streng verboten war, Bekanntschaften zu schließen, und sagte:

Was habt ihr da gemacht?

Entschuldigen . . .

Worüber habt ihr miteinander gesprochen?

Entschuldigen ... sie haben uns vorgeschlagen, zu ihnen überzugehn.

Und was habt ihr ihnen erwidert?

Wir verstehn leider ihre Sprache nicht.

Und das Vaterland, der Eid, der Zar! schrie ich in Hellem Zorn.

Er geriet in Verwirrung und sagte: Sie haben gemeint, wir schlügen uns
so tapfer, daß, wenn sich unsre Truppen mit den ihrigen vereinigten, uns die
ganze Welt gehörte!

Umarmt euch noch einmal, sagte ich, dann aber fort und alles vergessen!

Zu Befehl! --

Wir kamen noch eben in der Dunkelheit nach Großwardein, wo Graf
Rüdiger schon eingetroffen war. Ich berichtete über alle Ereignisse; der Vor-


Grenzboten II 1900 II
Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

Aussicht auf Erfolg wäre, und daß ein weiterer Widerstand nur die berechtigten
Forderungen ihrer gesetzlichen Obrigkeit vermehren werde. Er antwortete nicht
direkt, aber man konnte deutlich merken, was in ihm vorging. Ich wage mir
natürlich nicht den allergeringsten Einfluß auf die dann zustande gekommne
Lösung der Frage zuzuschreiben, besonders da diese in Görgeis und seiner Ge¬
nossen Jnnerni schon längst bestimmt war; aber ich habe zu dem wie bei jedem
Ungarn warmen und offnen Herzen dieser Männer gesprochen!

Inzwischen war es dunkel geworden, und als wir an den Ort Tenke
kamen, war es elf Uhr. „Hier müssen wir unbedingt Station machen, sagte
ich. Die Pferde können nicht weiter, wir wollen sie nur füttern, dann kann es
wieder vorwärts gehn." Dieser Vorschlag gefiel Pöltenberg nicht; er wünschte,
daß ich hierbliebe und umkehrte, aber ich versicherte ihm, er würde auf dem
weitern Marsche mit unsern Truppen zusammentreffen, die ihn nicht durchlassen
würden.

Wir blieben beim Geistlichen des Orts, aßen reichlich zu Abend, ruhten
aus und schlummerten ein wenig. Plötzlich ging die Thür auf, und mit den
Worten: Herr General, wir können nicht vorwärts; die Brücke ist abgebrannt!
trat Pöltenbergs Wachtmeister ein. Ich wußte, daß wir uns in der Nacht
etwas verirrt hatten und jetzt nicht weiter könnten, die abgebrannte Brücke
aber nur ein Vorwand sei. Ich lächelte, Pöltenberg ebenfalls, und in diesem
Lächeln lag das Zugeständnis, daß er mich hatte vom Wege abführen wollen,
und daß Görgei ihn in der That in Arad erwartete.

Erfreut über das Gelingen meines ersten diplomatischen Auftrags er¬
widerte ich, sein Geheimnis sei von mir längst erraten. Dann lachten wir
herzlich, verabschiedeten uns und drückten uns gegenseitig unwillkürlich fest ans
Herz. Ich befahl meinem Detachement, sich fertig zu machen, und als ich auf
die Treppe trat, um mich weiter zu verabschieden, sah ich meine Husaren eben¬
falls die Ungarn umarmen. Da erschrak ich denn doch, rief den Wachtmeister,
dem streng verboten war, Bekanntschaften zu schließen, und sagte:

Was habt ihr da gemacht?

Entschuldigen . . .

Worüber habt ihr miteinander gesprochen?

Entschuldigen ... sie haben uns vorgeschlagen, zu ihnen überzugehn.

Und was habt ihr ihnen erwidert?

Wir verstehn leider ihre Sprache nicht.

Und das Vaterland, der Eid, der Zar! schrie ich in Hellem Zorn.

Er geriet in Verwirrung und sagte: Sie haben gemeint, wir schlügen uns
so tapfer, daß, wenn sich unsre Truppen mit den ihrigen vereinigten, uns die
ganze Welt gehörte!

Umarmt euch noch einmal, sagte ich, dann aber fort und alles vergessen!

Zu Befehl! —

Wir kamen noch eben in der Dunkelheit nach Großwardein, wo Graf
Rüdiger schon eingetroffen war. Ich berichtete über alle Ereignisse; der Vor-


Grenzboten II 1900 II
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/89>, abgerufen am 03.07.2024.