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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

Solchen Erfahrungen gegenüber setzen die Befürworter des Mädchen-
gymnasiums ein. Tagtäglich, sagen sie, sehen wir, daß die höhere Mädchen¬
schule, wie sie jetzt ist, den Töchtern der gebildeten Familien keine abgeschlossene,
der durchschnittlichen Bildung der Männer gleichwertige Bildung giebt und zu
geben imstande ist. Gilt das schon für die Mehrheit der jungen Mädchen, die
später heiraten oder wenigstens auf Verheiratung rechnen, so ist die Unzu¬
länglichkeit der höhern Mädchenschule nicht nur eine Kalamität, sondern ge¬
radezu eine Grausamkeit gegen die täglich wachsende, große Schar junger
Mädchen, die, weil sie kein Geld haben, nicht auf Verheiratung rechnen können,
die daher von vornherein auf die Ehe verzichten, sich einem lohnenden Er¬
werbsberufe zuwenden, diesen nun aber auch -- sei es aus inneren Drange,
sei es um der Konkurrenz der Männer willen -- ebenso gründlich und wissen¬
schaftlich verstehn und treiben wollen wie die Männer, ganz zu geschweige"
der Frauen, deren natürliche Anlage sie mit besondrer Neigung und Fähigkeit
zu wissenschaftlicher Forschung ausgerüstet hat.

Das klingt ja ziemlich harmlos und plausibel. Es steckt auch eine ge¬
wisse Wahrheit und "leise Gewalt" dahinter, die sich unter der Decke regt.
Wahres und Falsches aber wird dabei so durcheinander gewirbelt, und der
Mangel an durchsichtiger Klarheit hat so viel bestechendes, daß es dringend
not thut, mit nüchternem, gesundem Menschenverstande die von der Macht der
Mode mit schimmerndem Glänze verklärte Forderung nach Mädchenghmnasien
näher zu untersuchen.

Die Freunde des Mädchengymnasiums hüten sich meistens davor, unsre
Forderung, daß das Weib zum Weibe zu erziehn ist, zu bestreiten. Sie be¬
haupten aber, das könne auch dann geschehn, wenn man den Bildungsgang
der Mädchen dem für die gebildeten Männer üblichen annähere oder gleich
gestalte. Jetzt bleibe nicht bloß die sachliche, sondern auch die allgemeine
Bildung der Frauen hinter der der Männer zurück. Schon das widerspreche
der sittlichen Gleichwertigkeit der Frau, die doch allgemein, auch von den Ver¬
tretern der besondern Weiblichkeitserziehung anerkannt werde. Es hindre auch
die Frau der gebildeten Stände, in der Ehe dem Manne das zu sein, was sie
ihm sein solle, die vollwertige Partnerin und Gehilfin in seinem Berufsleben
und in seinen höchsten Lebensinteressen. Geradezu verhängnisvoll aber werde
diese grundsätzlich verschiedenartige weibliche Bildung für die Mädchen, die nicht
in die Ehe treten oder von vornherein nicht ehelich werden wollen, die das
sittliche und ideale und darum vollberechtigte Streben haben, sich der höchsten
menschlichen Bildung zu bemächtigen und in der wissenschaftlichen Arbeit und
Forschung ihre Befriedigung und ihren Lebensinhalt zu suchen, oder die sich
des notwendigen Erwerbs halber einem Berufe widmen wollen, für dessen
Ausübung der Nachweis einer bestimmten akademischen Bildung staatlich ge¬
fordert werde. Und da die Frau nach ihrer intellektuellen Befähigung sehr
wohl imstande sei, alle oder doch einen großen Teil der jetzt ausschließlich von
Männern ausgeübten Berufe mit gleichem oder selbst besseren Erfolge aufzu-


Zur Frauenfrage

Solchen Erfahrungen gegenüber setzen die Befürworter des Mädchen-
gymnasiums ein. Tagtäglich, sagen sie, sehen wir, daß die höhere Mädchen¬
schule, wie sie jetzt ist, den Töchtern der gebildeten Familien keine abgeschlossene,
der durchschnittlichen Bildung der Männer gleichwertige Bildung giebt und zu
geben imstande ist. Gilt das schon für die Mehrheit der jungen Mädchen, die
später heiraten oder wenigstens auf Verheiratung rechnen, so ist die Unzu¬
länglichkeit der höhern Mädchenschule nicht nur eine Kalamität, sondern ge¬
radezu eine Grausamkeit gegen die täglich wachsende, große Schar junger
Mädchen, die, weil sie kein Geld haben, nicht auf Verheiratung rechnen können,
die daher von vornherein auf die Ehe verzichten, sich einem lohnenden Er¬
werbsberufe zuwenden, diesen nun aber auch — sei es aus inneren Drange,
sei es um der Konkurrenz der Männer willen — ebenso gründlich und wissen¬
schaftlich verstehn und treiben wollen wie die Männer, ganz zu geschweige»
der Frauen, deren natürliche Anlage sie mit besondrer Neigung und Fähigkeit
zu wissenschaftlicher Forschung ausgerüstet hat.

Das klingt ja ziemlich harmlos und plausibel. Es steckt auch eine ge¬
wisse Wahrheit und „leise Gewalt" dahinter, die sich unter der Decke regt.
Wahres und Falsches aber wird dabei so durcheinander gewirbelt, und der
Mangel an durchsichtiger Klarheit hat so viel bestechendes, daß es dringend
not thut, mit nüchternem, gesundem Menschenverstande die von der Macht der
Mode mit schimmerndem Glänze verklärte Forderung nach Mädchenghmnasien
näher zu untersuchen.

Die Freunde des Mädchengymnasiums hüten sich meistens davor, unsre
Forderung, daß das Weib zum Weibe zu erziehn ist, zu bestreiten. Sie be¬
haupten aber, das könne auch dann geschehn, wenn man den Bildungsgang
der Mädchen dem für die gebildeten Männer üblichen annähere oder gleich
gestalte. Jetzt bleibe nicht bloß die sachliche, sondern auch die allgemeine
Bildung der Frauen hinter der der Männer zurück. Schon das widerspreche
der sittlichen Gleichwertigkeit der Frau, die doch allgemein, auch von den Ver¬
tretern der besondern Weiblichkeitserziehung anerkannt werde. Es hindre auch
die Frau der gebildeten Stände, in der Ehe dem Manne das zu sein, was sie
ihm sein solle, die vollwertige Partnerin und Gehilfin in seinem Berufsleben
und in seinen höchsten Lebensinteressen. Geradezu verhängnisvoll aber werde
diese grundsätzlich verschiedenartige weibliche Bildung für die Mädchen, die nicht
in die Ehe treten oder von vornherein nicht ehelich werden wollen, die das
sittliche und ideale und darum vollberechtigte Streben haben, sich der höchsten
menschlichen Bildung zu bemächtigen und in der wissenschaftlichen Arbeit und
Forschung ihre Befriedigung und ihren Lebensinhalt zu suchen, oder die sich
des notwendigen Erwerbs halber einem Berufe widmen wollen, für dessen
Ausübung der Nachweis einer bestimmten akademischen Bildung staatlich ge¬
fordert werde. Und da die Frau nach ihrer intellektuellen Befähigung sehr
wohl imstande sei, alle oder doch einen großen Teil der jetzt ausschließlich von
Männern ausgeübten Berufe mit gleichem oder selbst besseren Erfolge aufzu-


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[0082] Zur Frauenfrage Solchen Erfahrungen gegenüber setzen die Befürworter des Mädchen- gymnasiums ein. Tagtäglich, sagen sie, sehen wir, daß die höhere Mädchen¬ schule, wie sie jetzt ist, den Töchtern der gebildeten Familien keine abgeschlossene, der durchschnittlichen Bildung der Männer gleichwertige Bildung giebt und zu geben imstande ist. Gilt das schon für die Mehrheit der jungen Mädchen, die später heiraten oder wenigstens auf Verheiratung rechnen, so ist die Unzu¬ länglichkeit der höhern Mädchenschule nicht nur eine Kalamität, sondern ge¬ radezu eine Grausamkeit gegen die täglich wachsende, große Schar junger Mädchen, die, weil sie kein Geld haben, nicht auf Verheiratung rechnen können, die daher von vornherein auf die Ehe verzichten, sich einem lohnenden Er¬ werbsberufe zuwenden, diesen nun aber auch — sei es aus inneren Drange, sei es um der Konkurrenz der Männer willen — ebenso gründlich und wissen¬ schaftlich verstehn und treiben wollen wie die Männer, ganz zu geschweige» der Frauen, deren natürliche Anlage sie mit besondrer Neigung und Fähigkeit zu wissenschaftlicher Forschung ausgerüstet hat. Das klingt ja ziemlich harmlos und plausibel. Es steckt auch eine ge¬ wisse Wahrheit und „leise Gewalt" dahinter, die sich unter der Decke regt. Wahres und Falsches aber wird dabei so durcheinander gewirbelt, und der Mangel an durchsichtiger Klarheit hat so viel bestechendes, daß es dringend not thut, mit nüchternem, gesundem Menschenverstande die von der Macht der Mode mit schimmerndem Glänze verklärte Forderung nach Mädchenghmnasien näher zu untersuchen. Die Freunde des Mädchengymnasiums hüten sich meistens davor, unsre Forderung, daß das Weib zum Weibe zu erziehn ist, zu bestreiten. Sie be¬ haupten aber, das könne auch dann geschehn, wenn man den Bildungsgang der Mädchen dem für die gebildeten Männer üblichen annähere oder gleich gestalte. Jetzt bleibe nicht bloß die sachliche, sondern auch die allgemeine Bildung der Frauen hinter der der Männer zurück. Schon das widerspreche der sittlichen Gleichwertigkeit der Frau, die doch allgemein, auch von den Ver¬ tretern der besondern Weiblichkeitserziehung anerkannt werde. Es hindre auch die Frau der gebildeten Stände, in der Ehe dem Manne das zu sein, was sie ihm sein solle, die vollwertige Partnerin und Gehilfin in seinem Berufsleben und in seinen höchsten Lebensinteressen. Geradezu verhängnisvoll aber werde diese grundsätzlich verschiedenartige weibliche Bildung für die Mädchen, die nicht in die Ehe treten oder von vornherein nicht ehelich werden wollen, die das sittliche und ideale und darum vollberechtigte Streben haben, sich der höchsten menschlichen Bildung zu bemächtigen und in der wissenschaftlichen Arbeit und Forschung ihre Befriedigung und ihren Lebensinhalt zu suchen, oder die sich des notwendigen Erwerbs halber einem Berufe widmen wollen, für dessen Ausübung der Nachweis einer bestimmten akademischen Bildung staatlich ge¬ fordert werde. Und da die Frau nach ihrer intellektuellen Befähigung sehr wohl imstande sei, alle oder doch einen großen Teil der jetzt ausschließlich von Männern ausgeübten Berufe mit gleichem oder selbst besseren Erfolge aufzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/82>, abgerufen am 03.07.2024.