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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

den Knabenschulen, und daß auch in den einzelnen Fächern wesentliche Ver¬
schiedenheiten von dem Unterrichte der männlichen Jugend sowohl in der
Methode wie in der Auswahl des Stoffes durch den natürlichen Unterschied
zwischen Mädchen und Knaben und die verschiednen Ziele der Erziehung und
des Unterrichts hervorgerufen werden.

Die sehr naheliegende Frage, ob mit dem Kursus der höhern Mädchen¬
schule die allgemeine weibliche Ausbildung abgeschlossen sein soll, läßt sich in
dieser allgemeinen Fassung nicht mit einem einfachen ja oder nein beantworten.
Das hängt durchaus von den persönlichen, häuslichen und sozialen Verhält¬
nissen der einzelnen Schülerin ab. Wie das fünfzehn- oder sechzehnjährige
Mädchen noch im Wachsen ist, so wird auch die auf der höhern Mädchenschule
erworbne Bildung nicht wie ein fertiges Ausstattungsstück angesehen werden
dürfen. Wenn die höhere Mädchenschule ihren Zweck bei dem einzelnen Mädchen
nur einigermaßen erreicht hat, so wird dieses -- auch unter einfachen Ver¬
hältnissen -- ein starkes Bedürfnis haben, seine Bildung zu erweitern und zu
vertiefen. Wir sehen ja auch, wie die meisten Familien ihre zu Jungfrauen
heranreifenden Töchter nach der Schulzeit noch einmal in ein fremdes Haus
geben, sei es, daß sie die Führung des Haushalts lernen, sei es, daß sie einer
fremden Sprache völlig mächtig werden sollen, sei es auch, daß sie im Verkehr
mit fremden Leuten "sich benehmen" und an den Verhältnissen eines fremden
Haushalts die Vorzüge des elterlichen Hauses empfinden und würdigen lernen
sollen. Dieses Weggeben der Backfische in Pension kann ja für die Ausreifung
der jungen Mädchen, wenn die richtige Pension gefunden wird, von großem
Werte sein. Leider wird aber damit viel Hokuspokus getrieben. Es ist Mode¬
sache geworden, daß ein Mädchen aus gebildeter Familie in einer vornehmen,
womöglich ausländischen Pension gewesen sein muß, und nun suchen die Mütter
vielfach Pensionen für ihre Töchter aus, in denen diese gerade das nicht lernen,
was ihnen am nötigsten wäre, und was sie zu Hause bei der Mutter und von
dieser am besten lernen könnten. Dagegen bringen sie aus der Pension oft
eine Menge unnützer und thörichter Dinge mit, die sie nicht zu lernen brauchen
und viel besser nicht gelernt hätten. Indessen derartigen Verirrungen gegen¬
über hilft bekanntlich kein Predigen. Glücklich das junge Mädchen, das noch
zu rechter Zeit in die reine und natürliche Atmosphäre eines soliden Eltern¬
hauses zurückkehrt. JU jeder größern Stadt wird sich Gelegenheit bieten, für
die weitere Vertiefung der Bildung durch Teilnahme an freien Kursen für
junge Mädchen zu sorgen. Schwindel giebt es natürlich auch bei derartigen
Kursen, und Mütter wie Töchter können bei deren Auswahl -- auch bei gutem
Willen -- recht schwere Mißgriffe machen. Die Sache, sollte man meinen,
wäre für das Leben der Tochter so wichtig, daß sie nur unter Einholung
zuverlässigen pädagogischen Rats erwogen werden dürfte. Aber wie selten ge¬
schieht das! Kein Wunder, wenn dann aus der oberflächlichen Behandlung
der Töchtererziehuug schief gewickelte und auf Schein dressierte Töchter her¬
vorgehn.


Grenzboten II 1900 10
Zur Frauenfrage

den Knabenschulen, und daß auch in den einzelnen Fächern wesentliche Ver¬
schiedenheiten von dem Unterrichte der männlichen Jugend sowohl in der
Methode wie in der Auswahl des Stoffes durch den natürlichen Unterschied
zwischen Mädchen und Knaben und die verschiednen Ziele der Erziehung und
des Unterrichts hervorgerufen werden.

Die sehr naheliegende Frage, ob mit dem Kursus der höhern Mädchen¬
schule die allgemeine weibliche Ausbildung abgeschlossen sein soll, läßt sich in
dieser allgemeinen Fassung nicht mit einem einfachen ja oder nein beantworten.
Das hängt durchaus von den persönlichen, häuslichen und sozialen Verhält¬
nissen der einzelnen Schülerin ab. Wie das fünfzehn- oder sechzehnjährige
Mädchen noch im Wachsen ist, so wird auch die auf der höhern Mädchenschule
erworbne Bildung nicht wie ein fertiges Ausstattungsstück angesehen werden
dürfen. Wenn die höhere Mädchenschule ihren Zweck bei dem einzelnen Mädchen
nur einigermaßen erreicht hat, so wird dieses — auch unter einfachen Ver¬
hältnissen — ein starkes Bedürfnis haben, seine Bildung zu erweitern und zu
vertiefen. Wir sehen ja auch, wie die meisten Familien ihre zu Jungfrauen
heranreifenden Töchter nach der Schulzeit noch einmal in ein fremdes Haus
geben, sei es, daß sie die Führung des Haushalts lernen, sei es, daß sie einer
fremden Sprache völlig mächtig werden sollen, sei es auch, daß sie im Verkehr
mit fremden Leuten „sich benehmen" und an den Verhältnissen eines fremden
Haushalts die Vorzüge des elterlichen Hauses empfinden und würdigen lernen
sollen. Dieses Weggeben der Backfische in Pension kann ja für die Ausreifung
der jungen Mädchen, wenn die richtige Pension gefunden wird, von großem
Werte sein. Leider wird aber damit viel Hokuspokus getrieben. Es ist Mode¬
sache geworden, daß ein Mädchen aus gebildeter Familie in einer vornehmen,
womöglich ausländischen Pension gewesen sein muß, und nun suchen die Mütter
vielfach Pensionen für ihre Töchter aus, in denen diese gerade das nicht lernen,
was ihnen am nötigsten wäre, und was sie zu Hause bei der Mutter und von
dieser am besten lernen könnten. Dagegen bringen sie aus der Pension oft
eine Menge unnützer und thörichter Dinge mit, die sie nicht zu lernen brauchen
und viel besser nicht gelernt hätten. Indessen derartigen Verirrungen gegen¬
über hilft bekanntlich kein Predigen. Glücklich das junge Mädchen, das noch
zu rechter Zeit in die reine und natürliche Atmosphäre eines soliden Eltern¬
hauses zurückkehrt. JU jeder größern Stadt wird sich Gelegenheit bieten, für
die weitere Vertiefung der Bildung durch Teilnahme an freien Kursen für
junge Mädchen zu sorgen. Schwindel giebt es natürlich auch bei derartigen
Kursen, und Mütter wie Töchter können bei deren Auswahl — auch bei gutem
Willen — recht schwere Mißgriffe machen. Die Sache, sollte man meinen,
wäre für das Leben der Tochter so wichtig, daß sie nur unter Einholung
zuverlässigen pädagogischen Rats erwogen werden dürfte. Aber wie selten ge¬
schieht das! Kein Wunder, wenn dann aus der oberflächlichen Behandlung
der Töchtererziehuug schief gewickelte und auf Schein dressierte Töchter her¬
vorgehn.


Grenzboten II 1900 10
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[0081] Zur Frauenfrage den Knabenschulen, und daß auch in den einzelnen Fächern wesentliche Ver¬ schiedenheiten von dem Unterrichte der männlichen Jugend sowohl in der Methode wie in der Auswahl des Stoffes durch den natürlichen Unterschied zwischen Mädchen und Knaben und die verschiednen Ziele der Erziehung und des Unterrichts hervorgerufen werden. Die sehr naheliegende Frage, ob mit dem Kursus der höhern Mädchen¬ schule die allgemeine weibliche Ausbildung abgeschlossen sein soll, läßt sich in dieser allgemeinen Fassung nicht mit einem einfachen ja oder nein beantworten. Das hängt durchaus von den persönlichen, häuslichen und sozialen Verhält¬ nissen der einzelnen Schülerin ab. Wie das fünfzehn- oder sechzehnjährige Mädchen noch im Wachsen ist, so wird auch die auf der höhern Mädchenschule erworbne Bildung nicht wie ein fertiges Ausstattungsstück angesehen werden dürfen. Wenn die höhere Mädchenschule ihren Zweck bei dem einzelnen Mädchen nur einigermaßen erreicht hat, so wird dieses — auch unter einfachen Ver¬ hältnissen — ein starkes Bedürfnis haben, seine Bildung zu erweitern und zu vertiefen. Wir sehen ja auch, wie die meisten Familien ihre zu Jungfrauen heranreifenden Töchter nach der Schulzeit noch einmal in ein fremdes Haus geben, sei es, daß sie die Führung des Haushalts lernen, sei es, daß sie einer fremden Sprache völlig mächtig werden sollen, sei es auch, daß sie im Verkehr mit fremden Leuten „sich benehmen" und an den Verhältnissen eines fremden Haushalts die Vorzüge des elterlichen Hauses empfinden und würdigen lernen sollen. Dieses Weggeben der Backfische in Pension kann ja für die Ausreifung der jungen Mädchen, wenn die richtige Pension gefunden wird, von großem Werte sein. Leider wird aber damit viel Hokuspokus getrieben. Es ist Mode¬ sache geworden, daß ein Mädchen aus gebildeter Familie in einer vornehmen, womöglich ausländischen Pension gewesen sein muß, und nun suchen die Mütter vielfach Pensionen für ihre Töchter aus, in denen diese gerade das nicht lernen, was ihnen am nötigsten wäre, und was sie zu Hause bei der Mutter und von dieser am besten lernen könnten. Dagegen bringen sie aus der Pension oft eine Menge unnützer und thörichter Dinge mit, die sie nicht zu lernen brauchen und viel besser nicht gelernt hätten. Indessen derartigen Verirrungen gegen¬ über hilft bekanntlich kein Predigen. Glücklich das junge Mädchen, das noch zu rechter Zeit in die reine und natürliche Atmosphäre eines soliden Eltern¬ hauses zurückkehrt. JU jeder größern Stadt wird sich Gelegenheit bieten, für die weitere Vertiefung der Bildung durch Teilnahme an freien Kursen für junge Mädchen zu sorgen. Schwindel giebt es natürlich auch bei derartigen Kursen, und Mütter wie Töchter können bei deren Auswahl — auch bei gutem Willen — recht schwere Mißgriffe machen. Die Sache, sollte man meinen, wäre für das Leben der Tochter so wichtig, daß sie nur unter Einholung zuverlässigen pädagogischen Rats erwogen werden dürfte. Aber wie selten ge¬ schieht das! Kein Wunder, wenn dann aus der oberflächlichen Behandlung der Töchtererziehuug schief gewickelte und auf Schein dressierte Töchter her¬ vorgehn. Grenzboten II 1900 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/81>, abgerufen am 03.07.2024.