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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

träglich sein. Es ist ja auch nicht zu leugnen, daß einer treuen und geschickten
Lehrerin aus dem Verkehr mit den ihr anvertrauten Kindern tiefe und reine
Freuden erwachsen, daß ihr von den Kindern auch wieder Frische und Er-
quickung zuströmt, und daß das Bewußtsein gewissenhafter Pflichterfüllung bei
der Frau vielleicht noch mehr Freudigkeit und Stärkung wirkt, als bei dem
Manne. Aber es kommt doch auch bei ihr -- und bei ihr noch früher als
bei dem Manne -- die Zeit des Müdewerdens, der Kräfteabnahme, des Nach-
lassens der thatkräftigen Leistung und der Lehrerfolge. Kein Wunder, daß so
viele Lehrerinnen, wenn sie erst in die vierzig oder gar fünfzig kommen, den
Eindruck der Müdigkeit und des vorzeitigen Verbrauchtseins machen. Und
wenn die Lehrerin nicht das Glück hat oder es nicht versteht, innigen Familien¬
anschluß zu finden, so ist für sie nach jahrelangen Berufsmühen die Gefahr,
dem Rost einer wenig anmutigen Altjüngferlichkeit mit einem Stich ins Komische
und Lächerliche zu verfallen, weit größer, als für die in einer Familie nützlich
wirkende, unverheiratet gebliebne alte Tante.

Schon aus diesen Gründen kann man der von den Lehrerinnenvereinen
vielfach vertretnen Losung "Erziehung der Frau nur durch die Frau" nicht
beipflichten. Die ausschließliche Erziehung der weiblichen Jugend durch Berufs¬
lehrerinnen hat ihre Schattenseiten und führt leicht zu einer Einseitigkeit, aus
der für die Erziehung der künftigen Mütter unsers Volks recht bedenkliche
Folgen erwachsen können. Es ist bei aller Anerkennung, die das Lehrgeschick,
die Ausdauer, Tüchtigkeit, Berufstreue, Opferfähigkeit und Opferwilligkeit zahl¬
reicher Lehrerinnen verdient, dringend zu wünschen, daß die weibliche Lehr- und
Erziehungsthätigkeit auch in Zukunft von Männern, d. h. von tüchtigen Lehrern
ergänzt werde. Die Unterrichts- und die Gemeindeverwaltungen fühlen das
auch ganz richtig heraus und haben vielfach schon jetzt die Augen offen, um
hier das richtige Verhältnis aufrecht zu halten oder wiederherzustellen. Ge¬
schieht das, so mag befähigten Mädchen das Lehrfach immerhin offen bleiben.

Damit sind wir schon in den Mittelpunkt der modernen Frauenfrage, in
das Gebiet der Mädchenerziehung überhaupt und der Erziehung von Töchtern
der gebildeten Volksklassen insbesondre hinübergetreten. Auf diesem Gebiete
ist der Kampf am heftigsten entbrannt. Es handelt sich dabei in erster Reihe
um die höhern Mädchenschulen und im Anschluß daran um die vielumstrittnen
Müdchengymnasien und um die Zulassung der Frauen zur Universität und zu
den Berufsarten, die akademische Studien zur Voraussetzung haben.

Leopold Schefer hat einmal gesagt:


Eh alle Kraft nicht an das Weib gesetzt wird,
Sind aller Völker Schätze weggeworfen.

Das ist zwar nach Dichterart einigermaßen superlativisch ausgedrückt. Wahr
aber ist der Gedanke, daß das Weib und seine Erziehung für die Wohlfahrt
und die Kultur eines Volks mindestens ebenso, ja in gewisser Hinsicht noch
entschiedncr ins Gewicht fällt, wie die Erziehung und die Bildung des Mannes.
Gute Mütter gute Söhne, schlechte Mütter schlechte Söhne. Das ist durch-


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träglich sein. Es ist ja auch nicht zu leugnen, daß einer treuen und geschickten
Lehrerin aus dem Verkehr mit den ihr anvertrauten Kindern tiefe und reine
Freuden erwachsen, daß ihr von den Kindern auch wieder Frische und Er-
quickung zuströmt, und daß das Bewußtsein gewissenhafter Pflichterfüllung bei
der Frau vielleicht noch mehr Freudigkeit und Stärkung wirkt, als bei dem
Manne. Aber es kommt doch auch bei ihr — und bei ihr noch früher als
bei dem Manne — die Zeit des Müdewerdens, der Kräfteabnahme, des Nach-
lassens der thatkräftigen Leistung und der Lehrerfolge. Kein Wunder, daß so
viele Lehrerinnen, wenn sie erst in die vierzig oder gar fünfzig kommen, den
Eindruck der Müdigkeit und des vorzeitigen Verbrauchtseins machen. Und
wenn die Lehrerin nicht das Glück hat oder es nicht versteht, innigen Familien¬
anschluß zu finden, so ist für sie nach jahrelangen Berufsmühen die Gefahr,
dem Rost einer wenig anmutigen Altjüngferlichkeit mit einem Stich ins Komische
und Lächerliche zu verfallen, weit größer, als für die in einer Familie nützlich
wirkende, unverheiratet gebliebne alte Tante.

Schon aus diesen Gründen kann man der von den Lehrerinnenvereinen
vielfach vertretnen Losung „Erziehung der Frau nur durch die Frau" nicht
beipflichten. Die ausschließliche Erziehung der weiblichen Jugend durch Berufs¬
lehrerinnen hat ihre Schattenseiten und führt leicht zu einer Einseitigkeit, aus
der für die Erziehung der künftigen Mütter unsers Volks recht bedenkliche
Folgen erwachsen können. Es ist bei aller Anerkennung, die das Lehrgeschick,
die Ausdauer, Tüchtigkeit, Berufstreue, Opferfähigkeit und Opferwilligkeit zahl¬
reicher Lehrerinnen verdient, dringend zu wünschen, daß die weibliche Lehr- und
Erziehungsthätigkeit auch in Zukunft von Männern, d. h. von tüchtigen Lehrern
ergänzt werde. Die Unterrichts- und die Gemeindeverwaltungen fühlen das
auch ganz richtig heraus und haben vielfach schon jetzt die Augen offen, um
hier das richtige Verhältnis aufrecht zu halten oder wiederherzustellen. Ge¬
schieht das, so mag befähigten Mädchen das Lehrfach immerhin offen bleiben.

Damit sind wir schon in den Mittelpunkt der modernen Frauenfrage, in
das Gebiet der Mädchenerziehung überhaupt und der Erziehung von Töchtern
der gebildeten Volksklassen insbesondre hinübergetreten. Auf diesem Gebiete
ist der Kampf am heftigsten entbrannt. Es handelt sich dabei in erster Reihe
um die höhern Mädchenschulen und im Anschluß daran um die vielumstrittnen
Müdchengymnasien und um die Zulassung der Frauen zur Universität und zu
den Berufsarten, die akademische Studien zur Voraussetzung haben.

Leopold Schefer hat einmal gesagt:


Eh alle Kraft nicht an das Weib gesetzt wird,
Sind aller Völker Schätze weggeworfen.

Das ist zwar nach Dichterart einigermaßen superlativisch ausgedrückt. Wahr
aber ist der Gedanke, daß das Weib und seine Erziehung für die Wohlfahrt
und die Kultur eines Volks mindestens ebenso, ja in gewisser Hinsicht noch
entschiedncr ins Gewicht fällt, wie die Erziehung und die Bildung des Mannes.
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[0078] Zur Frauenfrage träglich sein. Es ist ja auch nicht zu leugnen, daß einer treuen und geschickten Lehrerin aus dem Verkehr mit den ihr anvertrauten Kindern tiefe und reine Freuden erwachsen, daß ihr von den Kindern auch wieder Frische und Er- quickung zuströmt, und daß das Bewußtsein gewissenhafter Pflichterfüllung bei der Frau vielleicht noch mehr Freudigkeit und Stärkung wirkt, als bei dem Manne. Aber es kommt doch auch bei ihr — und bei ihr noch früher als bei dem Manne — die Zeit des Müdewerdens, der Kräfteabnahme, des Nach- lassens der thatkräftigen Leistung und der Lehrerfolge. Kein Wunder, daß so viele Lehrerinnen, wenn sie erst in die vierzig oder gar fünfzig kommen, den Eindruck der Müdigkeit und des vorzeitigen Verbrauchtseins machen. Und wenn die Lehrerin nicht das Glück hat oder es nicht versteht, innigen Familien¬ anschluß zu finden, so ist für sie nach jahrelangen Berufsmühen die Gefahr, dem Rost einer wenig anmutigen Altjüngferlichkeit mit einem Stich ins Komische und Lächerliche zu verfallen, weit größer, als für die in einer Familie nützlich wirkende, unverheiratet gebliebne alte Tante. Schon aus diesen Gründen kann man der von den Lehrerinnenvereinen vielfach vertretnen Losung „Erziehung der Frau nur durch die Frau" nicht beipflichten. Die ausschließliche Erziehung der weiblichen Jugend durch Berufs¬ lehrerinnen hat ihre Schattenseiten und führt leicht zu einer Einseitigkeit, aus der für die Erziehung der künftigen Mütter unsers Volks recht bedenkliche Folgen erwachsen können. Es ist bei aller Anerkennung, die das Lehrgeschick, die Ausdauer, Tüchtigkeit, Berufstreue, Opferfähigkeit und Opferwilligkeit zahl¬ reicher Lehrerinnen verdient, dringend zu wünschen, daß die weibliche Lehr- und Erziehungsthätigkeit auch in Zukunft von Männern, d. h. von tüchtigen Lehrern ergänzt werde. Die Unterrichts- und die Gemeindeverwaltungen fühlen das auch ganz richtig heraus und haben vielfach schon jetzt die Augen offen, um hier das richtige Verhältnis aufrecht zu halten oder wiederherzustellen. Ge¬ schieht das, so mag befähigten Mädchen das Lehrfach immerhin offen bleiben. Damit sind wir schon in den Mittelpunkt der modernen Frauenfrage, in das Gebiet der Mädchenerziehung überhaupt und der Erziehung von Töchtern der gebildeten Volksklassen insbesondre hinübergetreten. Auf diesem Gebiete ist der Kampf am heftigsten entbrannt. Es handelt sich dabei in erster Reihe um die höhern Mädchenschulen und im Anschluß daran um die vielumstrittnen Müdchengymnasien und um die Zulassung der Frauen zur Universität und zu den Berufsarten, die akademische Studien zur Voraussetzung haben. Leopold Schefer hat einmal gesagt: Eh alle Kraft nicht an das Weib gesetzt wird, Sind aller Völker Schätze weggeworfen. Das ist zwar nach Dichterart einigermaßen superlativisch ausgedrückt. Wahr aber ist der Gedanke, daß das Weib und seine Erziehung für die Wohlfahrt und die Kultur eines Volks mindestens ebenso, ja in gewisser Hinsicht noch entschiedncr ins Gewicht fällt, wie die Erziehung und die Bildung des Mannes. Gute Mütter gute Söhne, schlechte Mütter schlechte Söhne. Das ist durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/78>, abgerufen am 01.10.2024.