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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

Mäßigkeit, überall viel Enttäuschung, Entgleisung und Schiffbruch, und ein
gegen früher in bedauerlicher Zunahme begriffnes Hinabsinken von Frauen in
das Proletariat und in das tiefste Elend. Freilich ist diese Erscheinung nicht
neu. Von jeher ist die berufsmäßige Ausübung der Kunst durch Frauen, so¬
wenig an und für sich deren Berechtigung grundsätzlich bestritten werden kann,
für die Bewahrung der Weiblichkeit eine Klippe gewesen. W. H. Riehl hat
in seinen "Kulturgeschichtlichen Briefen" und in der "Familie" die Gefahren
und Auswüchse des Künstlerinnentums mit feinem Verständnis geschildert und
an treffenden geschichtlichen Beispielen zur Anschauung gebracht. Es genügt
hier auf diese nahezu klassische Darstellung zu verweisen. Gegen die Gefahren
der UnWeiblichkeit und Überweiblichkeit künstlerisch thätiger Frauen giebt es
hier noch weniger spezifische Heilmittel als auf den verwandten Gebieten. Nur
in dem Maße, in dem die gute Sitte und die höchste Ehre echter Weiblichkeit
im Hause, in der Schule, in der Erziehung und in der Gesellschaft zur Gel¬
tung und Würdigung gelangt, wird das Weib auch in der Kunst wieder an
die rechte Stelle treten, die ihm zukommt. Auch auf diesem Gebiete aber
zeigen sich Anfänge einer gesunden Reaktion, einer wachsenden Wertung des
Familienlebens und die dämmernde Erkenntnis, daß auch die Künstlerin vor
allem Weib sein und bleiben muß.

In früher ungeahntem Umfange ist in unsrer Zeit den Frauen ein Beruf
erschlossen und wird ihnen ohne Widerspruch zugestanden, der Beruf der
Lehrerin. Kindererziehung und insbesondre Müdchenerziehnng liegt von
vornherein im natürlichen Berufskreise des Weibes. normal freilich ist auch
hier zunächst die Erziehung durch die Frau innerhalb der Familie. Sicherlich
haben auch wir Männer das beste Teil unsrer Erziehung den Frauen und
namentlich unsern Müttern zu verdanken. Aber es ist ein gewaltiger Unter¬
schied, ob diese Erziehung im Rahmen des Hauses und im Kreise der Familie
erfolgt, oder ob die Frau kraft eines besondern Erwerbsbernfs als Lehrerin
in die Öffentlichkeit, in den eigentlichen Schuldienst tritt. Jedoch die Zeit,
wo die Frau im wesentlichen nur innerhalb der Familie erziehend wirkte, ist
leider vorbei. In großen Massen strömen die Frauen in das Lehramt. Man
kann in der That sagen, daß heutzutage "alle häßlichen und nicht allzu reichen
Mädchen," wie Riehl sagt, ja auch zahlreiche hübsche, aber arme Tochter aus
guter Familie Lehrerinnen werden. Der Staat und die Gemeinden stellen in
höhern und niedern Mädchenschulen mit Vorliebe Lehrerinnen ein, vielfach
schon wegen der niedrigern Besoldung, mit der die Lehrerin sich begnügt und
begnügen muß, sich auch begnügen kann, weil sie für eine Familie nicht in
der Weise zu sorgen hat, wie ein verheirateter Lehrer. Ein ungeheurer Strom
von geprüften Lehrerinnen mündet in den Privatschüldienst ein, der zahllosen
Gouvernanten und Erzieherinnen, die in fremden Familien, also wenigstens im
Anschluß, unter Aufsicht und Autorität des Hauses unterrichten, gar nicht zu
gedenken. neuerdings sind diese Privntlehrerinnen auch in die reichsgesetzliche
Alters- und Jnväliditätsversicherung einbezogen. Das Lehrerinnenbildungs-


Zur Frauenfrage

Mäßigkeit, überall viel Enttäuschung, Entgleisung und Schiffbruch, und ein
gegen früher in bedauerlicher Zunahme begriffnes Hinabsinken von Frauen in
das Proletariat und in das tiefste Elend. Freilich ist diese Erscheinung nicht
neu. Von jeher ist die berufsmäßige Ausübung der Kunst durch Frauen, so¬
wenig an und für sich deren Berechtigung grundsätzlich bestritten werden kann,
für die Bewahrung der Weiblichkeit eine Klippe gewesen. W. H. Riehl hat
in seinen „Kulturgeschichtlichen Briefen" und in der „Familie" die Gefahren
und Auswüchse des Künstlerinnentums mit feinem Verständnis geschildert und
an treffenden geschichtlichen Beispielen zur Anschauung gebracht. Es genügt
hier auf diese nahezu klassische Darstellung zu verweisen. Gegen die Gefahren
der UnWeiblichkeit und Überweiblichkeit künstlerisch thätiger Frauen giebt es
hier noch weniger spezifische Heilmittel als auf den verwandten Gebieten. Nur
in dem Maße, in dem die gute Sitte und die höchste Ehre echter Weiblichkeit
im Hause, in der Schule, in der Erziehung und in der Gesellschaft zur Gel¬
tung und Würdigung gelangt, wird das Weib auch in der Kunst wieder an
die rechte Stelle treten, die ihm zukommt. Auch auf diesem Gebiete aber
zeigen sich Anfänge einer gesunden Reaktion, einer wachsenden Wertung des
Familienlebens und die dämmernde Erkenntnis, daß auch die Künstlerin vor
allem Weib sein und bleiben muß.

In früher ungeahntem Umfange ist in unsrer Zeit den Frauen ein Beruf
erschlossen und wird ihnen ohne Widerspruch zugestanden, der Beruf der
Lehrerin. Kindererziehung und insbesondre Müdchenerziehnng liegt von
vornherein im natürlichen Berufskreise des Weibes. normal freilich ist auch
hier zunächst die Erziehung durch die Frau innerhalb der Familie. Sicherlich
haben auch wir Männer das beste Teil unsrer Erziehung den Frauen und
namentlich unsern Müttern zu verdanken. Aber es ist ein gewaltiger Unter¬
schied, ob diese Erziehung im Rahmen des Hauses und im Kreise der Familie
erfolgt, oder ob die Frau kraft eines besondern Erwerbsbernfs als Lehrerin
in die Öffentlichkeit, in den eigentlichen Schuldienst tritt. Jedoch die Zeit,
wo die Frau im wesentlichen nur innerhalb der Familie erziehend wirkte, ist
leider vorbei. In großen Massen strömen die Frauen in das Lehramt. Man
kann in der That sagen, daß heutzutage „alle häßlichen und nicht allzu reichen
Mädchen," wie Riehl sagt, ja auch zahlreiche hübsche, aber arme Tochter aus
guter Familie Lehrerinnen werden. Der Staat und die Gemeinden stellen in
höhern und niedern Mädchenschulen mit Vorliebe Lehrerinnen ein, vielfach
schon wegen der niedrigern Besoldung, mit der die Lehrerin sich begnügt und
begnügen muß, sich auch begnügen kann, weil sie für eine Familie nicht in
der Weise zu sorgen hat, wie ein verheirateter Lehrer. Ein ungeheurer Strom
von geprüften Lehrerinnen mündet in den Privatschüldienst ein, der zahllosen
Gouvernanten und Erzieherinnen, die in fremden Familien, also wenigstens im
Anschluß, unter Aufsicht und Autorität des Hauses unterrichten, gar nicht zu
gedenken. neuerdings sind diese Privntlehrerinnen auch in die reichsgesetzliche
Alters- und Jnväliditätsversicherung einbezogen. Das Lehrerinnenbildungs-


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[0076] Zur Frauenfrage Mäßigkeit, überall viel Enttäuschung, Entgleisung und Schiffbruch, und ein gegen früher in bedauerlicher Zunahme begriffnes Hinabsinken von Frauen in das Proletariat und in das tiefste Elend. Freilich ist diese Erscheinung nicht neu. Von jeher ist die berufsmäßige Ausübung der Kunst durch Frauen, so¬ wenig an und für sich deren Berechtigung grundsätzlich bestritten werden kann, für die Bewahrung der Weiblichkeit eine Klippe gewesen. W. H. Riehl hat in seinen „Kulturgeschichtlichen Briefen" und in der „Familie" die Gefahren und Auswüchse des Künstlerinnentums mit feinem Verständnis geschildert und an treffenden geschichtlichen Beispielen zur Anschauung gebracht. Es genügt hier auf diese nahezu klassische Darstellung zu verweisen. Gegen die Gefahren der UnWeiblichkeit und Überweiblichkeit künstlerisch thätiger Frauen giebt es hier noch weniger spezifische Heilmittel als auf den verwandten Gebieten. Nur in dem Maße, in dem die gute Sitte und die höchste Ehre echter Weiblichkeit im Hause, in der Schule, in der Erziehung und in der Gesellschaft zur Gel¬ tung und Würdigung gelangt, wird das Weib auch in der Kunst wieder an die rechte Stelle treten, die ihm zukommt. Auch auf diesem Gebiete aber zeigen sich Anfänge einer gesunden Reaktion, einer wachsenden Wertung des Familienlebens und die dämmernde Erkenntnis, daß auch die Künstlerin vor allem Weib sein und bleiben muß. In früher ungeahntem Umfange ist in unsrer Zeit den Frauen ein Beruf erschlossen und wird ihnen ohne Widerspruch zugestanden, der Beruf der Lehrerin. Kindererziehung und insbesondre Müdchenerziehnng liegt von vornherein im natürlichen Berufskreise des Weibes. normal freilich ist auch hier zunächst die Erziehung durch die Frau innerhalb der Familie. Sicherlich haben auch wir Männer das beste Teil unsrer Erziehung den Frauen und namentlich unsern Müttern zu verdanken. Aber es ist ein gewaltiger Unter¬ schied, ob diese Erziehung im Rahmen des Hauses und im Kreise der Familie erfolgt, oder ob die Frau kraft eines besondern Erwerbsbernfs als Lehrerin in die Öffentlichkeit, in den eigentlichen Schuldienst tritt. Jedoch die Zeit, wo die Frau im wesentlichen nur innerhalb der Familie erziehend wirkte, ist leider vorbei. In großen Massen strömen die Frauen in das Lehramt. Man kann in der That sagen, daß heutzutage „alle häßlichen und nicht allzu reichen Mädchen," wie Riehl sagt, ja auch zahlreiche hübsche, aber arme Tochter aus guter Familie Lehrerinnen werden. Der Staat und die Gemeinden stellen in höhern und niedern Mädchenschulen mit Vorliebe Lehrerinnen ein, vielfach schon wegen der niedrigern Besoldung, mit der die Lehrerin sich begnügt und begnügen muß, sich auch begnügen kann, weil sie für eine Familie nicht in der Weise zu sorgen hat, wie ein verheirateter Lehrer. Ein ungeheurer Strom von geprüften Lehrerinnen mündet in den Privatschüldienst ein, der zahllosen Gouvernanten und Erzieherinnen, die in fremden Familien, also wenigstens im Anschluß, unter Aufsicht und Autorität des Hauses unterrichten, gar nicht zu gedenken. neuerdings sind diese Privntlehrerinnen auch in die reichsgesetzliche Alters- und Jnväliditätsversicherung einbezogen. Das Lehrerinnenbildungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/76>, abgerufen am 01.10.2024.