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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

zu einem anständigen und der Natur des Weibes entsprechenden Erwerbe aus¬
schauen.

Vor allen Dingen ist hier die Thatsache festzustellen, daß in der zweiten
Hälfte des letzten Jahrhunderts eine Erweiterung der Berufsthätigkeiten für
Frauen der hier in Betracht kommenden Klaffen schon in ganz erheblichem
Umfange eingetreten ist. Es ist überhaupt nützlich, auf diesem Gebiete nicht
deduktiv zu operieren, sondern induktiv von den erforschten Thatsachen aus die
allgemeinen Folgerungen zu ziehn. Lassen wir es zunächst einmal dahingestellt
sein, ob und inwieweit die mehr oder weniger der Familie entrückte Berufs¬
arbeit der Frauen richtig oder unrichtig, weiblich oder unweiblich ist, die Not
hat thatsächlich dahin geführt, ganze Scharen von Frauen und Mädchen in
Berufe hineinzudrängen, an die früher keine Frau als für sie geeignet nur
von ferne gedacht hatte. Wir haben Frauen in der kaufmännischen Buch¬
führung, Frauen als Verkäuferinnen, als Rechnungs- und Kassenführerinnen,
Frauen an der Schreibmaschine, Frauen als Kontoristinnen und Korrespon-
deutinncu, Frauen im Eisenbahn-, Post- und Telegraphendienst, kurz in einer ge¬
waltigen Zahl von allerlei Stellungen, die in früherer Zeit ausschließlich oder fast
ausschließlich zum Patrimonium der Männer gehörten. Man mag es beklagen,
daß diese Frauen der Familie und ihrem natürlichen Berufe entzogen werden,
aber die Thatsache selbst ist da und läßt sich nicht künstlich und durch staat¬
lichen Zwang rückgängig machen. Und überall, wo dieser Berufsdienst der
Frauen nicht allzu aufreibend ist, wo er das edlere weibliche Empfinden nicht
direkt verletzt, da wird man ihn als Zuflucht der unversorgten, einzeln stehenden
Frauen und Mädchen -- wenigstens als notwendiges Übel -- gelten lassen
müssen. Es ist deshalb nichts dagegen zu sagen, daß auch für die fach¬
mäßige Vorbildung von Frauen für solchen Dienst entsprechende Veranstaltungen
getroffen werden. Denn es handelt sich hier um eine Zuflucht für diese Frauen
vor der ihnen sonst drohenden Verarmung und Not. Behält man das im
Auge, so wird man den Humanitären Veranstaltungen für die planmäßige Aus¬
bildung solcher weiblichen Berussarbeiterinnen nicht Berechtigung und Aner¬
kennung versagen dürfen. Es sei nur an die großartige und der weiblichen
Not gegenüber unendlich segensreiche Wirksamkeit der in dieser Richtung thä¬
tigen Vereine, wie beispielsweise des Lettevereins in Berlin, erinnert.

Nicht minder groß und alles in frühern Zeiten in dieser Richtung da¬
gewesene weit überflügelnd ist der auf gleiche Ursachen zurückzuführende Zu-
drang weiblicher Kräfte zu den künstlerischen Berufen. Hier üben die in ein¬
zelnen Fällen ganz unverhältnismäßig gesteigerten Honorare eine verstärkte
Anziehungskraft. Freilich birgt schon dieses Jagen nach verhältnismäßig mühe¬
los zu erwerbenden Reichtum schwere sittliche Gefahren in sich. Die soziale
und wirtschaftliche Gefahr aber erscheint um so größer, als in den weitaus
meisten Fällen die bitterste Enttäuschung eintritt. Das gilt von allen Zweigen
der Kunst, der dramatischen und der bildenden nicht minder als von der
Musik und der Poesie. Überall Überfüllung, überall ein Überfluß von Mittel-


Zur Frauenfrage

zu einem anständigen und der Natur des Weibes entsprechenden Erwerbe aus¬
schauen.

Vor allen Dingen ist hier die Thatsache festzustellen, daß in der zweiten
Hälfte des letzten Jahrhunderts eine Erweiterung der Berufsthätigkeiten für
Frauen der hier in Betracht kommenden Klaffen schon in ganz erheblichem
Umfange eingetreten ist. Es ist überhaupt nützlich, auf diesem Gebiete nicht
deduktiv zu operieren, sondern induktiv von den erforschten Thatsachen aus die
allgemeinen Folgerungen zu ziehn. Lassen wir es zunächst einmal dahingestellt
sein, ob und inwieweit die mehr oder weniger der Familie entrückte Berufs¬
arbeit der Frauen richtig oder unrichtig, weiblich oder unweiblich ist, die Not
hat thatsächlich dahin geführt, ganze Scharen von Frauen und Mädchen in
Berufe hineinzudrängen, an die früher keine Frau als für sie geeignet nur
von ferne gedacht hatte. Wir haben Frauen in der kaufmännischen Buch¬
führung, Frauen als Verkäuferinnen, als Rechnungs- und Kassenführerinnen,
Frauen an der Schreibmaschine, Frauen als Kontoristinnen und Korrespon-
deutinncu, Frauen im Eisenbahn-, Post- und Telegraphendienst, kurz in einer ge¬
waltigen Zahl von allerlei Stellungen, die in früherer Zeit ausschließlich oder fast
ausschließlich zum Patrimonium der Männer gehörten. Man mag es beklagen,
daß diese Frauen der Familie und ihrem natürlichen Berufe entzogen werden,
aber die Thatsache selbst ist da und läßt sich nicht künstlich und durch staat¬
lichen Zwang rückgängig machen. Und überall, wo dieser Berufsdienst der
Frauen nicht allzu aufreibend ist, wo er das edlere weibliche Empfinden nicht
direkt verletzt, da wird man ihn als Zuflucht der unversorgten, einzeln stehenden
Frauen und Mädchen — wenigstens als notwendiges Übel — gelten lassen
müssen. Es ist deshalb nichts dagegen zu sagen, daß auch für die fach¬
mäßige Vorbildung von Frauen für solchen Dienst entsprechende Veranstaltungen
getroffen werden. Denn es handelt sich hier um eine Zuflucht für diese Frauen
vor der ihnen sonst drohenden Verarmung und Not. Behält man das im
Auge, so wird man den Humanitären Veranstaltungen für die planmäßige Aus¬
bildung solcher weiblichen Berussarbeiterinnen nicht Berechtigung und Aner¬
kennung versagen dürfen. Es sei nur an die großartige und der weiblichen
Not gegenüber unendlich segensreiche Wirksamkeit der in dieser Richtung thä¬
tigen Vereine, wie beispielsweise des Lettevereins in Berlin, erinnert.

Nicht minder groß und alles in frühern Zeiten in dieser Richtung da¬
gewesene weit überflügelnd ist der auf gleiche Ursachen zurückzuführende Zu-
drang weiblicher Kräfte zu den künstlerischen Berufen. Hier üben die in ein¬
zelnen Fällen ganz unverhältnismäßig gesteigerten Honorare eine verstärkte
Anziehungskraft. Freilich birgt schon dieses Jagen nach verhältnismäßig mühe¬
los zu erwerbenden Reichtum schwere sittliche Gefahren in sich. Die soziale
und wirtschaftliche Gefahr aber erscheint um so größer, als in den weitaus
meisten Fällen die bitterste Enttäuschung eintritt. Das gilt von allen Zweigen
der Kunst, der dramatischen und der bildenden nicht minder als von der
Musik und der Poesie. Überall Überfüllung, überall ein Überfluß von Mittel-


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[0075] Zur Frauenfrage zu einem anständigen und der Natur des Weibes entsprechenden Erwerbe aus¬ schauen. Vor allen Dingen ist hier die Thatsache festzustellen, daß in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine Erweiterung der Berufsthätigkeiten für Frauen der hier in Betracht kommenden Klaffen schon in ganz erheblichem Umfange eingetreten ist. Es ist überhaupt nützlich, auf diesem Gebiete nicht deduktiv zu operieren, sondern induktiv von den erforschten Thatsachen aus die allgemeinen Folgerungen zu ziehn. Lassen wir es zunächst einmal dahingestellt sein, ob und inwieweit die mehr oder weniger der Familie entrückte Berufs¬ arbeit der Frauen richtig oder unrichtig, weiblich oder unweiblich ist, die Not hat thatsächlich dahin geführt, ganze Scharen von Frauen und Mädchen in Berufe hineinzudrängen, an die früher keine Frau als für sie geeignet nur von ferne gedacht hatte. Wir haben Frauen in der kaufmännischen Buch¬ führung, Frauen als Verkäuferinnen, als Rechnungs- und Kassenführerinnen, Frauen an der Schreibmaschine, Frauen als Kontoristinnen und Korrespon- deutinncu, Frauen im Eisenbahn-, Post- und Telegraphendienst, kurz in einer ge¬ waltigen Zahl von allerlei Stellungen, die in früherer Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich zum Patrimonium der Männer gehörten. Man mag es beklagen, daß diese Frauen der Familie und ihrem natürlichen Berufe entzogen werden, aber die Thatsache selbst ist da und läßt sich nicht künstlich und durch staat¬ lichen Zwang rückgängig machen. Und überall, wo dieser Berufsdienst der Frauen nicht allzu aufreibend ist, wo er das edlere weibliche Empfinden nicht direkt verletzt, da wird man ihn als Zuflucht der unversorgten, einzeln stehenden Frauen und Mädchen — wenigstens als notwendiges Übel — gelten lassen müssen. Es ist deshalb nichts dagegen zu sagen, daß auch für die fach¬ mäßige Vorbildung von Frauen für solchen Dienst entsprechende Veranstaltungen getroffen werden. Denn es handelt sich hier um eine Zuflucht für diese Frauen vor der ihnen sonst drohenden Verarmung und Not. Behält man das im Auge, so wird man den Humanitären Veranstaltungen für die planmäßige Aus¬ bildung solcher weiblichen Berussarbeiterinnen nicht Berechtigung und Aner¬ kennung versagen dürfen. Es sei nur an die großartige und der weiblichen Not gegenüber unendlich segensreiche Wirksamkeit der in dieser Richtung thä¬ tigen Vereine, wie beispielsweise des Lettevereins in Berlin, erinnert. Nicht minder groß und alles in frühern Zeiten in dieser Richtung da¬ gewesene weit überflügelnd ist der auf gleiche Ursachen zurückzuführende Zu- drang weiblicher Kräfte zu den künstlerischen Berufen. Hier üben die in ein¬ zelnen Fällen ganz unverhältnismäßig gesteigerten Honorare eine verstärkte Anziehungskraft. Freilich birgt schon dieses Jagen nach verhältnismäßig mühe¬ los zu erwerbenden Reichtum schwere sittliche Gefahren in sich. Die soziale und wirtschaftliche Gefahr aber erscheint um so größer, als in den weitaus meisten Fällen die bitterste Enttäuschung eintritt. Das gilt von allen Zweigen der Kunst, der dramatischen und der bildenden nicht minder als von der Musik und der Poesie. Überall Überfüllung, überall ein Überfluß von Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/75>, abgerufen am 01.07.2024.