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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitik

Sache richten und nicht gegen die Person des Diplomaten, dessen Schritte ja
niemand kennt. Es ist aber leider noch immer ein Kennzeichen der deutschen
Volkspolitik, daß sie dein Staatsmann in den Rücken fällt, statt ihn zu stärken,
daß sie ihn vor dem Auslande erniedrigt, statt ihm Vertrauen auszusprechen
und ihn auf diese Weise anzuspornen. Allerdings beschränkt sich diese persönlich
gehässige Kritik auf Kreise, deren Absichten durchsichtig sind. Eine scharf
nationale Partei ist bei uns eine besondre Notwendigkeit nach außen und nach
innen, aber diese Partei muß, soll sie in Wahrheit fördernd für das nationale
Wohl sein, die Sprache dem Verstände anpassen, sie muß die Grenze des Er¬
reichbaren kennen, nur dadurch kann sie sich Ansehen und Gehör verschaffen.
Für den Staatsmann ist eine solche Partei von ungeheuerm Werte, weil er
sich bei Verhandlungen dieser Partei bedienen kann, um höhere Forderungen
durchzudrücken. Aber dann darf eine solche Partei weder einseitig sein, noch
sich durch ganz verschwommne Anschauungen und überschwängliche Phrasen
lächerlich machen, wie das die Führer des Altdeutschen Verbands leider erreicht
haben. Der Deutsche ist im allgemeinen ein ruhiger und langsamer Denker,
er wird nicht, wie der Romane, durch Phrasen hingerissen. Darum konnten
auch unsre Staatsmänner Realpolitik treiben, während die französischen Staats¬
männer unter dem Druck ihres prestigelüsternen Volks einer Politik der Nadel¬
stiche anheimfallen, die nur Faschodas bringt. Es ist dringend notwendig, daß
sich die chauvinistische Partei Deutschlands, der Altdeutsche Verband, mausert:
er würde eine durchaus zeitgemäße und beachtete Gruppe im deutschen Partei¬
leben werden. Man muß diese doch wenigstens ehrliche nationale Gruppe
streng von den Politikern sondern, die im Bunde der Landwirte ihr Unwesen
treiben, dessen Chauvinismus nicht im weltpolitischen Feuer erglüht ist, sondern
auf wirtschaftlicher Selbstsucht beruht. Die Verstimmung, die die auswärtige
Politik des Grafen Caprivi in weiten Kreisen erregt hat, benutzten damals die
Agrarier, um unter der Maske von kouragierten Kolonialpolitikern ihre Sonder¬
interessen zu verfolgen, und dasselbe Ziel verfolgen sie jetzt, indem sie der
Leitung der auswärtigen Politik Schwäche gegen das Ausland vorwerfen, ob¬
gleich doch die Thatsachen diese Kritik glänzend widerlegt haben. Die agra¬
rische "öffentliche Meinung" über die deutsche auswärtige Politik kann also
nicht als nationale Kritik angesehen werden, weil sie aus egoistischen und
pnrteitaktischen Gründen gefärbt ist. Es ist aber unzweifelhaft, daß durch der¬
artige falsche Lehren dem deutschen Volke kein wahrhaft nationaler Sinn an¬
erzogen werden kann.

Für Deutschland kann nur eine Politik national genannt werden, nämlich
die der Mäßigung und Berücksichtigung der gegebnen Verhältnisse und der vor-
handnen Machtmittel, und unsre Staatsmänner dürfen sich von diesem Wege,
den Bismarck realpolitisch nannte, auch nicht abdrängen lassen durch allerhand
Geschelte, das unter dem Deckmantel nationaler Gesinnung schmählichen Eigen¬
nutz befriedigen möchte. Die geographische Lage Deutschlands, die ungeklärten
innerpolitischen Verhältnisse, seine dualistische Wirtschaftsform zwingen ge-


Die deutsche Weltpolitik

Sache richten und nicht gegen die Person des Diplomaten, dessen Schritte ja
niemand kennt. Es ist aber leider noch immer ein Kennzeichen der deutschen
Volkspolitik, daß sie dein Staatsmann in den Rücken fällt, statt ihn zu stärken,
daß sie ihn vor dem Auslande erniedrigt, statt ihm Vertrauen auszusprechen
und ihn auf diese Weise anzuspornen. Allerdings beschränkt sich diese persönlich
gehässige Kritik auf Kreise, deren Absichten durchsichtig sind. Eine scharf
nationale Partei ist bei uns eine besondre Notwendigkeit nach außen und nach
innen, aber diese Partei muß, soll sie in Wahrheit fördernd für das nationale
Wohl sein, die Sprache dem Verstände anpassen, sie muß die Grenze des Er¬
reichbaren kennen, nur dadurch kann sie sich Ansehen und Gehör verschaffen.
Für den Staatsmann ist eine solche Partei von ungeheuerm Werte, weil er
sich bei Verhandlungen dieser Partei bedienen kann, um höhere Forderungen
durchzudrücken. Aber dann darf eine solche Partei weder einseitig sein, noch
sich durch ganz verschwommne Anschauungen und überschwängliche Phrasen
lächerlich machen, wie das die Führer des Altdeutschen Verbands leider erreicht
haben. Der Deutsche ist im allgemeinen ein ruhiger und langsamer Denker,
er wird nicht, wie der Romane, durch Phrasen hingerissen. Darum konnten
auch unsre Staatsmänner Realpolitik treiben, während die französischen Staats¬
männer unter dem Druck ihres prestigelüsternen Volks einer Politik der Nadel¬
stiche anheimfallen, die nur Faschodas bringt. Es ist dringend notwendig, daß
sich die chauvinistische Partei Deutschlands, der Altdeutsche Verband, mausert:
er würde eine durchaus zeitgemäße und beachtete Gruppe im deutschen Partei¬
leben werden. Man muß diese doch wenigstens ehrliche nationale Gruppe
streng von den Politikern sondern, die im Bunde der Landwirte ihr Unwesen
treiben, dessen Chauvinismus nicht im weltpolitischen Feuer erglüht ist, sondern
auf wirtschaftlicher Selbstsucht beruht. Die Verstimmung, die die auswärtige
Politik des Grafen Caprivi in weiten Kreisen erregt hat, benutzten damals die
Agrarier, um unter der Maske von kouragierten Kolonialpolitikern ihre Sonder¬
interessen zu verfolgen, und dasselbe Ziel verfolgen sie jetzt, indem sie der
Leitung der auswärtigen Politik Schwäche gegen das Ausland vorwerfen, ob¬
gleich doch die Thatsachen diese Kritik glänzend widerlegt haben. Die agra¬
rische „öffentliche Meinung" über die deutsche auswärtige Politik kann also
nicht als nationale Kritik angesehen werden, weil sie aus egoistischen und
pnrteitaktischen Gründen gefärbt ist. Es ist aber unzweifelhaft, daß durch der¬
artige falsche Lehren dem deutschen Volke kein wahrhaft nationaler Sinn an¬
erzogen werden kann.

Für Deutschland kann nur eine Politik national genannt werden, nämlich
die der Mäßigung und Berücksichtigung der gegebnen Verhältnisse und der vor-
handnen Machtmittel, und unsre Staatsmänner dürfen sich von diesem Wege,
den Bismarck realpolitisch nannte, auch nicht abdrängen lassen durch allerhand
Geschelte, das unter dem Deckmantel nationaler Gesinnung schmählichen Eigen¬
nutz befriedigen möchte. Die geographische Lage Deutschlands, die ungeklärten
innerpolitischen Verhältnisse, seine dualistische Wirtschaftsform zwingen ge-


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[0072] Die deutsche Weltpolitik Sache richten und nicht gegen die Person des Diplomaten, dessen Schritte ja niemand kennt. Es ist aber leider noch immer ein Kennzeichen der deutschen Volkspolitik, daß sie dein Staatsmann in den Rücken fällt, statt ihn zu stärken, daß sie ihn vor dem Auslande erniedrigt, statt ihm Vertrauen auszusprechen und ihn auf diese Weise anzuspornen. Allerdings beschränkt sich diese persönlich gehässige Kritik auf Kreise, deren Absichten durchsichtig sind. Eine scharf nationale Partei ist bei uns eine besondre Notwendigkeit nach außen und nach innen, aber diese Partei muß, soll sie in Wahrheit fördernd für das nationale Wohl sein, die Sprache dem Verstände anpassen, sie muß die Grenze des Er¬ reichbaren kennen, nur dadurch kann sie sich Ansehen und Gehör verschaffen. Für den Staatsmann ist eine solche Partei von ungeheuerm Werte, weil er sich bei Verhandlungen dieser Partei bedienen kann, um höhere Forderungen durchzudrücken. Aber dann darf eine solche Partei weder einseitig sein, noch sich durch ganz verschwommne Anschauungen und überschwängliche Phrasen lächerlich machen, wie das die Führer des Altdeutschen Verbands leider erreicht haben. Der Deutsche ist im allgemeinen ein ruhiger und langsamer Denker, er wird nicht, wie der Romane, durch Phrasen hingerissen. Darum konnten auch unsre Staatsmänner Realpolitik treiben, während die französischen Staats¬ männer unter dem Druck ihres prestigelüsternen Volks einer Politik der Nadel¬ stiche anheimfallen, die nur Faschodas bringt. Es ist dringend notwendig, daß sich die chauvinistische Partei Deutschlands, der Altdeutsche Verband, mausert: er würde eine durchaus zeitgemäße und beachtete Gruppe im deutschen Partei¬ leben werden. Man muß diese doch wenigstens ehrliche nationale Gruppe streng von den Politikern sondern, die im Bunde der Landwirte ihr Unwesen treiben, dessen Chauvinismus nicht im weltpolitischen Feuer erglüht ist, sondern auf wirtschaftlicher Selbstsucht beruht. Die Verstimmung, die die auswärtige Politik des Grafen Caprivi in weiten Kreisen erregt hat, benutzten damals die Agrarier, um unter der Maske von kouragierten Kolonialpolitikern ihre Sonder¬ interessen zu verfolgen, und dasselbe Ziel verfolgen sie jetzt, indem sie der Leitung der auswärtigen Politik Schwäche gegen das Ausland vorwerfen, ob¬ gleich doch die Thatsachen diese Kritik glänzend widerlegt haben. Die agra¬ rische „öffentliche Meinung" über die deutsche auswärtige Politik kann also nicht als nationale Kritik angesehen werden, weil sie aus egoistischen und pnrteitaktischen Gründen gefärbt ist. Es ist aber unzweifelhaft, daß durch der¬ artige falsche Lehren dem deutschen Volke kein wahrhaft nationaler Sinn an¬ erzogen werden kann. Für Deutschland kann nur eine Politik national genannt werden, nämlich die der Mäßigung und Berücksichtigung der gegebnen Verhältnisse und der vor- handnen Machtmittel, und unsre Staatsmänner dürfen sich von diesem Wege, den Bismarck realpolitisch nannte, auch nicht abdrängen lassen durch allerhand Geschelte, das unter dem Deckmantel nationaler Gesinnung schmählichen Eigen¬ nutz befriedigen möchte. Die geographische Lage Deutschlands, die ungeklärten innerpolitischen Verhältnisse, seine dualistische Wirtschaftsform zwingen ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/72>, abgerufen am 01.10.2024.