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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitik

Bismarck zu mißbrauchen. Während Vismarck doch seine Erfolge durch seine
realpolitische Auffassung der Dinge, durch seine Kunst, sich politisch nach der
Decke zu strecken, errang, haben diese Schwärmer ihrem Idol die Gabe bei¬
gegeben, mit dem Kopf durch die Wand andrer Interessen zu können, und
glauben nicht, daß es für ihr Wünschen ein Hindernis im Vollbringen geben
könne. Es gab schon einmal in Preußen derartige Phantasten, die in der
Begeisterung für das Vergangne die Fortschritte der Gegenwart verachteten
und ihrem Vaterlande ein Jena bereiteten. Man kann Politiker, die mit
Wahnvorstellungen behaftet sind, nicht als staatsmännisch nutzbringend an¬
erkennen, man darf einer Gruppe, die dem alten deutschen Fehler verfallen ist,
für gute Ziele falsche Mittel zu verwenden -- ein Fehler, der die Begründung
des Reichs um ein Menschenalter hinausgeschoben hat --, keinen ernsten Ein¬
fluß auf die dornenvolle Leitung der auswärtigen Politik einräumen. Wenn
in Armeekreisen gern mit dem Säbel gerasselt wird, wenn Offiziere die Diplo¬
matie überhasten wollen, dann ist das erklärlich, denn der kriegerische Ehrgeiz
gehört zu den Berufspflichten des Soldaten. Aber tadelnswert ist es, wenn sich
akademische Kreise, denen ja doch auch die Tagesschriftsteller zumeist angehören,
aus ihrer Kenntnis der Geschichte heraus uicht zu diplomatischem Instinkt
erzogen haben. In Deutschland ist der akademische Stand von jeher der Führer
in nationalen Dingen gewesen: wie er allen voran die Idee der deutschen Ein¬
heit hegte und um ihretwillen litt, so ist von ihm auch die Idee des "größern
Deutschlands" zuerst und mit besonderm Eifer verfochten worden. Das hat
bei der idealen Begeisternngsfühigkeit und Gründlichkeit des gebildeten Deutschen
das Gute gehabt, daß sich die theoretische Erkenntnis von der Notwendigkeit
der deutschen Expansionspolitik überaus schnell verbreitet hat, es hat aber auch
den Nachteil gehabt, daß viel Theorie und falsche Theorie mit unterlief, und
das studieren über das Probieren gesetzt wurde. Es ist erstaunlich, wie viel
Sonderbarkeiten gerade in den national führenden Kreisen über die auswärtige
Politik ausgekramt werden und worden sind. Der Akademiker steht dem prak¬
tischen Leben fern und hat darum nicht den rechten Begriff, wie hart sich im
Raume die Gedanken stoßen, wie schwer in der Welt Wünschen und Vollbringen
zu vereinigen ist. In einem Berliner Blatt fand sich aus diesen Kreisen bei
der Beschlagnahme deutscher Schiffe eine Zuschrift, in der die Regierung fast
des Landesverrats bezichtigt wurde, weil sie nicht sofort alle englischen Schiffe
mit Beschlag belegt hatte. Und was ist in der Samvafrage gesündigt worden!
Man verlangte alles Ernstes einen Seekrieg, ohne zu bedenken, daß er jetzt,
solange unsre Waffen noch nicht genügend in stand gesetzt sind, wohl das Ende
unsers Seehandels gewesen wäre, ganz zu schweigen von der nutzlosen Preis¬
gabe unsrer Seemannschaften. Diese Unbesonnenheit findet sich vor allem in
den Kreisen des Altdeutschen Verbands. Man kann privaten Kreisen ein ge¬
wisses Temperament in der Beurteilung auswärtiger Dinge nicht nehmen, es
schadet auch nichts, wenn der scharfe Ton der Flöte einsichtiger Überredung
der Diplomatie nachhilft; aber dann muß sich die scharfe Sprache gegen die


Die deutsche Weltpolitik

Bismarck zu mißbrauchen. Während Vismarck doch seine Erfolge durch seine
realpolitische Auffassung der Dinge, durch seine Kunst, sich politisch nach der
Decke zu strecken, errang, haben diese Schwärmer ihrem Idol die Gabe bei¬
gegeben, mit dem Kopf durch die Wand andrer Interessen zu können, und
glauben nicht, daß es für ihr Wünschen ein Hindernis im Vollbringen geben
könne. Es gab schon einmal in Preußen derartige Phantasten, die in der
Begeisterung für das Vergangne die Fortschritte der Gegenwart verachteten
und ihrem Vaterlande ein Jena bereiteten. Man kann Politiker, die mit
Wahnvorstellungen behaftet sind, nicht als staatsmännisch nutzbringend an¬
erkennen, man darf einer Gruppe, die dem alten deutschen Fehler verfallen ist,
für gute Ziele falsche Mittel zu verwenden — ein Fehler, der die Begründung
des Reichs um ein Menschenalter hinausgeschoben hat —, keinen ernsten Ein¬
fluß auf die dornenvolle Leitung der auswärtigen Politik einräumen. Wenn
in Armeekreisen gern mit dem Säbel gerasselt wird, wenn Offiziere die Diplo¬
matie überhasten wollen, dann ist das erklärlich, denn der kriegerische Ehrgeiz
gehört zu den Berufspflichten des Soldaten. Aber tadelnswert ist es, wenn sich
akademische Kreise, denen ja doch auch die Tagesschriftsteller zumeist angehören,
aus ihrer Kenntnis der Geschichte heraus uicht zu diplomatischem Instinkt
erzogen haben. In Deutschland ist der akademische Stand von jeher der Führer
in nationalen Dingen gewesen: wie er allen voran die Idee der deutschen Ein¬
heit hegte und um ihretwillen litt, so ist von ihm auch die Idee des „größern
Deutschlands" zuerst und mit besonderm Eifer verfochten worden. Das hat
bei der idealen Begeisternngsfühigkeit und Gründlichkeit des gebildeten Deutschen
das Gute gehabt, daß sich die theoretische Erkenntnis von der Notwendigkeit
der deutschen Expansionspolitik überaus schnell verbreitet hat, es hat aber auch
den Nachteil gehabt, daß viel Theorie und falsche Theorie mit unterlief, und
das studieren über das Probieren gesetzt wurde. Es ist erstaunlich, wie viel
Sonderbarkeiten gerade in den national führenden Kreisen über die auswärtige
Politik ausgekramt werden und worden sind. Der Akademiker steht dem prak¬
tischen Leben fern und hat darum nicht den rechten Begriff, wie hart sich im
Raume die Gedanken stoßen, wie schwer in der Welt Wünschen und Vollbringen
zu vereinigen ist. In einem Berliner Blatt fand sich aus diesen Kreisen bei
der Beschlagnahme deutscher Schiffe eine Zuschrift, in der die Regierung fast
des Landesverrats bezichtigt wurde, weil sie nicht sofort alle englischen Schiffe
mit Beschlag belegt hatte. Und was ist in der Samvafrage gesündigt worden!
Man verlangte alles Ernstes einen Seekrieg, ohne zu bedenken, daß er jetzt,
solange unsre Waffen noch nicht genügend in stand gesetzt sind, wohl das Ende
unsers Seehandels gewesen wäre, ganz zu schweigen von der nutzlosen Preis¬
gabe unsrer Seemannschaften. Diese Unbesonnenheit findet sich vor allem in
den Kreisen des Altdeutschen Verbands. Man kann privaten Kreisen ein ge¬
wisses Temperament in der Beurteilung auswärtiger Dinge nicht nehmen, es
schadet auch nichts, wenn der scharfe Ton der Flöte einsichtiger Überredung
der Diplomatie nachhilft; aber dann muß sich die scharfe Sprache gegen die


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[0071] Die deutsche Weltpolitik Bismarck zu mißbrauchen. Während Vismarck doch seine Erfolge durch seine realpolitische Auffassung der Dinge, durch seine Kunst, sich politisch nach der Decke zu strecken, errang, haben diese Schwärmer ihrem Idol die Gabe bei¬ gegeben, mit dem Kopf durch die Wand andrer Interessen zu können, und glauben nicht, daß es für ihr Wünschen ein Hindernis im Vollbringen geben könne. Es gab schon einmal in Preußen derartige Phantasten, die in der Begeisterung für das Vergangne die Fortschritte der Gegenwart verachteten und ihrem Vaterlande ein Jena bereiteten. Man kann Politiker, die mit Wahnvorstellungen behaftet sind, nicht als staatsmännisch nutzbringend an¬ erkennen, man darf einer Gruppe, die dem alten deutschen Fehler verfallen ist, für gute Ziele falsche Mittel zu verwenden — ein Fehler, der die Begründung des Reichs um ein Menschenalter hinausgeschoben hat —, keinen ernsten Ein¬ fluß auf die dornenvolle Leitung der auswärtigen Politik einräumen. Wenn in Armeekreisen gern mit dem Säbel gerasselt wird, wenn Offiziere die Diplo¬ matie überhasten wollen, dann ist das erklärlich, denn der kriegerische Ehrgeiz gehört zu den Berufspflichten des Soldaten. Aber tadelnswert ist es, wenn sich akademische Kreise, denen ja doch auch die Tagesschriftsteller zumeist angehören, aus ihrer Kenntnis der Geschichte heraus uicht zu diplomatischem Instinkt erzogen haben. In Deutschland ist der akademische Stand von jeher der Führer in nationalen Dingen gewesen: wie er allen voran die Idee der deutschen Ein¬ heit hegte und um ihretwillen litt, so ist von ihm auch die Idee des „größern Deutschlands" zuerst und mit besonderm Eifer verfochten worden. Das hat bei der idealen Begeisternngsfühigkeit und Gründlichkeit des gebildeten Deutschen das Gute gehabt, daß sich die theoretische Erkenntnis von der Notwendigkeit der deutschen Expansionspolitik überaus schnell verbreitet hat, es hat aber auch den Nachteil gehabt, daß viel Theorie und falsche Theorie mit unterlief, und das studieren über das Probieren gesetzt wurde. Es ist erstaunlich, wie viel Sonderbarkeiten gerade in den national führenden Kreisen über die auswärtige Politik ausgekramt werden und worden sind. Der Akademiker steht dem prak¬ tischen Leben fern und hat darum nicht den rechten Begriff, wie hart sich im Raume die Gedanken stoßen, wie schwer in der Welt Wünschen und Vollbringen zu vereinigen ist. In einem Berliner Blatt fand sich aus diesen Kreisen bei der Beschlagnahme deutscher Schiffe eine Zuschrift, in der die Regierung fast des Landesverrats bezichtigt wurde, weil sie nicht sofort alle englischen Schiffe mit Beschlag belegt hatte. Und was ist in der Samvafrage gesündigt worden! Man verlangte alles Ernstes einen Seekrieg, ohne zu bedenken, daß er jetzt, solange unsre Waffen noch nicht genügend in stand gesetzt sind, wohl das Ende unsers Seehandels gewesen wäre, ganz zu schweigen von der nutzlosen Preis¬ gabe unsrer Seemannschaften. Diese Unbesonnenheit findet sich vor allem in den Kreisen des Altdeutschen Verbands. Man kann privaten Kreisen ein ge¬ wisses Temperament in der Beurteilung auswärtiger Dinge nicht nehmen, es schadet auch nichts, wenn der scharfe Ton der Flöte einsichtiger Überredung der Diplomatie nachhilft; aber dann muß sich die scharfe Sprache gegen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/71>, abgerufen am 01.10.2024.