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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitik

Motive unverkennbar sind, die kleinen Staaten Holland und die Schweiz fürchten
mit ihrer wirtschaftlichen die politische Selbständigkeit zu verlieren und suchen
Anschluß an eine Großmacht, in Deutschland hat der Weltmarkt die agrarischen
und die industriellen Bevölkerungsklassen in scharfen Gegensatz gebracht, der sich
auf die Auffassung der nußern Politik überträgt, und von den Völkern wägt
jedes ab, welchen Wert es der Arbeit des andern beimessen darf, und prüft,
ob die eigne Arbeit auch bei dem andern die entsprechende Wertschätzung finde.
Es giebt kein Kulturvolk mehr, das sich selbst genug ist, die Welt ist von
einem zusammenhängenden Netz wirtschaftlicher Adern umspannt, und wenn
eine der Adern durchschnitten wird, dann leidet unter der Blutung der ganze
Mechanismus. Das macht es auch leicht erklärlich, daß jetzt die weitesten
Volkskreise den Gang der hohen Politik zu belauschen suchen, einige wohl aus
hochgespanntem nationalem Ehrgeiz, die meisten aber aus eigensten wirtschaft¬
lichem Interesse. Die "Altdeutschen" behaupten allerdings, wie das im Reichstag
mehrfach geschehn ist: "Früher kümmerte sich das deutsche Volk nicht um die aus¬
wärtige Politik, weil es wußte, sie sei bei Bismarck in guten Händen; jetzt
müssen die Staatsmänner beaufsichtigt werden." Diese Argumentation ist schon
vom alldeutschen Standpunkt aus verfehlt, denn wenn es zu Bismarcks Zeiten
schon einen Altdeutschen Verband gegeben hätte, so hätte er gerade zu Bismarcks
Vernnnftpolitik in der schärfsten Opposition stehn müssen (wie im ersten Teil
dieses Artikels ausgeführt worden ist). Der wirkliche Grund, daß das deutsche
Volk nun auch Einfluß auf die Führung der auswärtigen Politik zu nehmen
sucht, liegt unzweifelhaft auf wirtschaftlichem Gebiete. Bismarck konnte die
wirtschaftlichen und die politischen Interessen im Inlande wie in: Auslande
noch trennen, in der letzten Zeit seiner Amtswaltung aber auch nur unter
Schädigung der wirtschaftlichen Zukunft. Jetzt ist das gänzlich unmöglich:
man ziehe nur einmal das Verhältnis Deutschlands zu England und Amerika
in Betracht. Als bei der Beratung des Fleischschangesetzes gefragt wurde,
warum der Minister des Auswärtigen nicht zugegen sei, da drückte sich in
diesem Verlangen nach dem Grafen Bülow die sehr richtige Auffassung aus,
daß eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Beziehungen zweier Länder auch
die politischen Verhältnisse berühre, und es war zwar eine ganz hübsche Taktik
der Regierung, den Minister des Innern beim Fleischschaugesetz in den Vorder¬
grund zu schieben -- es fragt sich aber, ob diese Taktik Erfolg haben wird.
Die politische Stellung der deutschen Parteien, die ja längst Jnteressenparteien
geworden sind, zum Auslande ist lediglich aus wirtschaftlichen Motiven, aus
dem Einfluß, den die Weltwirtschaft auf die Volkswirtschaft ausübt, zu er¬
klären, obgleich keine von ihnen es eingesteht, und jede ihre Stellung mit dem
viel mißbrauchten Wort "national" decket: möchte.

Nehmen wir ein Beispiel aus dein Leben. Ein deutscher Tuchfabrikant
hat eine große Warenlieferung nach China übernommen und hat seinen Betrieb
darauf eingerichtet. Da bricht zwischen Japan und China Krieg ans, dem
Kunden des Fabrikanten in China wird dadurch das Absatzgebiet verschlossen,


Die deutsche Weltpolitik

Motive unverkennbar sind, die kleinen Staaten Holland und die Schweiz fürchten
mit ihrer wirtschaftlichen die politische Selbständigkeit zu verlieren und suchen
Anschluß an eine Großmacht, in Deutschland hat der Weltmarkt die agrarischen
und die industriellen Bevölkerungsklassen in scharfen Gegensatz gebracht, der sich
auf die Auffassung der nußern Politik überträgt, und von den Völkern wägt
jedes ab, welchen Wert es der Arbeit des andern beimessen darf, und prüft,
ob die eigne Arbeit auch bei dem andern die entsprechende Wertschätzung finde.
Es giebt kein Kulturvolk mehr, das sich selbst genug ist, die Welt ist von
einem zusammenhängenden Netz wirtschaftlicher Adern umspannt, und wenn
eine der Adern durchschnitten wird, dann leidet unter der Blutung der ganze
Mechanismus. Das macht es auch leicht erklärlich, daß jetzt die weitesten
Volkskreise den Gang der hohen Politik zu belauschen suchen, einige wohl aus
hochgespanntem nationalem Ehrgeiz, die meisten aber aus eigensten wirtschaft¬
lichem Interesse. Die „Altdeutschen" behaupten allerdings, wie das im Reichstag
mehrfach geschehn ist: „Früher kümmerte sich das deutsche Volk nicht um die aus¬
wärtige Politik, weil es wußte, sie sei bei Bismarck in guten Händen; jetzt
müssen die Staatsmänner beaufsichtigt werden." Diese Argumentation ist schon
vom alldeutschen Standpunkt aus verfehlt, denn wenn es zu Bismarcks Zeiten
schon einen Altdeutschen Verband gegeben hätte, so hätte er gerade zu Bismarcks
Vernnnftpolitik in der schärfsten Opposition stehn müssen (wie im ersten Teil
dieses Artikels ausgeführt worden ist). Der wirkliche Grund, daß das deutsche
Volk nun auch Einfluß auf die Führung der auswärtigen Politik zu nehmen
sucht, liegt unzweifelhaft auf wirtschaftlichem Gebiete. Bismarck konnte die
wirtschaftlichen und die politischen Interessen im Inlande wie in: Auslande
noch trennen, in der letzten Zeit seiner Amtswaltung aber auch nur unter
Schädigung der wirtschaftlichen Zukunft. Jetzt ist das gänzlich unmöglich:
man ziehe nur einmal das Verhältnis Deutschlands zu England und Amerika
in Betracht. Als bei der Beratung des Fleischschangesetzes gefragt wurde,
warum der Minister des Auswärtigen nicht zugegen sei, da drückte sich in
diesem Verlangen nach dem Grafen Bülow die sehr richtige Auffassung aus,
daß eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Beziehungen zweier Länder auch
die politischen Verhältnisse berühre, und es war zwar eine ganz hübsche Taktik
der Regierung, den Minister des Innern beim Fleischschaugesetz in den Vorder¬
grund zu schieben — es fragt sich aber, ob diese Taktik Erfolg haben wird.
Die politische Stellung der deutschen Parteien, die ja längst Jnteressenparteien
geworden sind, zum Auslande ist lediglich aus wirtschaftlichen Motiven, aus
dem Einfluß, den die Weltwirtschaft auf die Volkswirtschaft ausübt, zu er¬
klären, obgleich keine von ihnen es eingesteht, und jede ihre Stellung mit dem
viel mißbrauchten Wort „national" decket: möchte.

Nehmen wir ein Beispiel aus dein Leben. Ein deutscher Tuchfabrikant
hat eine große Warenlieferung nach China übernommen und hat seinen Betrieb
darauf eingerichtet. Da bricht zwischen Japan und China Krieg ans, dem
Kunden des Fabrikanten in China wird dadurch das Absatzgebiet verschlossen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/68>, abgerufen am 03.07.2024.