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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Sie deutsche weltxolitik

Mäßigung und Zurückhaltung, die die bis dahin gebräuchliche Prestige- und
Eifersuchtspolitik ablöste, und damit eine gewisse Ruhe und Stetigkeit in die
bis dahin von Nervosität und Sprunghaftigkeit erfüllten internationalen Be¬
ziehungen brachte, war schon in der Praxis durch die Lage des Deutschen Reichs
geboten. Es galt den mißtrauischen Nachbarn die Beruhigung zu schaffen, daß
die neue Macht einen friedlichen Charakter trage, und es scheint, daß diese
Absicht gelungen ist. Es zweifelt wohl, niemand mehr daran, daß der Deutsche
sein Schwert scharf erhält, weil er möglichst lange mit bösen Nachbarn in
Frieden leben möchte. Die neue Methode der Diplomatie hat ihren Erfinder
überlebt; sie bestand ihre Feuertaufe dank der diplomatischen Kunst Bismnrcks,
als sich bei der deutsch-französischen Auseinandersetzung Österreich, Nußland
und England geneigt zeigten, die Metternichschen Grundsätze weiterzuführen.
Und in allen Kriegen, die seit jenen Nuhmestagen deutscher Waffen und
deutscher Diplomatie gefochten sind, hat sich der Bismarckische Grundsatz be¬
hauptet: wenigstens in diplomatischen Kreisen, denn die Einmischungsbestrebungen
sind sonderbarerweise von den Diplomaten auf die Völker, die meist unter jener
litten, übergegangen. Während die Verantwortliche Diplomatie aller Staaten
mit kalter Ruhe die Ereignisse des spanisch-amerikanischen und jetzt des süd¬
afrikanischen Kriegs beobachtete und es nicht für gerechtfertigt hielt, den Grundsatz
der Neutralität zu verletzen, Hetzen unverantwortliche Gefühlspolitiker in fast
allen Ländern ihre Diplomatie auf. Wir sehen so eine vollkommne Wandlung
in den Erscheinungsformen der auswärtigen Politik: ein nervöses Volk und
eine kalte Diplomatie, eine Volkspolitik als Stachel der Kabiuettspvlitik; die
Eifersucht der Höfe abgelöst von der naiven Prestigesucht der Völker: Alar-
misten, Jiugos, Chauvinisten, Panslawisten, Nationalisten rasseln mit dem Säbel,
der Diplomat winkt ab; die ehrgeizigen lärmenden Fürsten und Staatsmänner
sind durch ehrgeizige lärmende Volkspolitiker ersetzt. Und wie die erste Volks¬
diplomatie, die der französischen Revolutionszeit, sofort eine Ära der Kriege
brachte, so möchte man fast fürchten, daß die modernen Völker -- wenigstens
ihrem äußern Gebaren nach zu urteilen -- die Kriegsfackel in Permanenz
erklären würden, wenn die ernste Entscheidung ihnen zustünde und nicht den
Kabinetten -- was jetzt als Glück erscheint --; aber es wird ja nichts so heiß
gegessen, wie gekocht, und so hat denn auch ein Menschenalter des Friedens
gelehrt, daß die hohe Politik jetzt nicht von vorübergehenden Volksstimmnngen
und Gefühlen beeinflußt wird.

Beides, die aufgeregte Teilnahme des Volks an der auswärtigen Politik
und die besonnene Haltung der Diplomatie stammt aus derselben Quelle,
nämlich dem Vorherrschen der wirtschaftlichen Rücksichten. Vor einigen Jahren
bezeichnete der österreichische Minister des Äußern, Graf Agenor Goluchowski,
die Handelspolitik als die Politik der Zukunft. Dieses Wort ist schnell wahr
geworden, die Handelspolitik ist schon die Politik der Gegenwart. Wir sehen,
wie der Weltmarkt die innere und die änßere Politik der Völker verquickt. In
England und Nordamerika regt sich der Imperialismus, dessen wirtschaftliche


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Mäßigung und Zurückhaltung, die die bis dahin gebräuchliche Prestige- und
Eifersuchtspolitik ablöste, und damit eine gewisse Ruhe und Stetigkeit in die
bis dahin von Nervosität und Sprunghaftigkeit erfüllten internationalen Be¬
ziehungen brachte, war schon in der Praxis durch die Lage des Deutschen Reichs
geboten. Es galt den mißtrauischen Nachbarn die Beruhigung zu schaffen, daß
die neue Macht einen friedlichen Charakter trage, und es scheint, daß diese
Absicht gelungen ist. Es zweifelt wohl, niemand mehr daran, daß der Deutsche
sein Schwert scharf erhält, weil er möglichst lange mit bösen Nachbarn in
Frieden leben möchte. Die neue Methode der Diplomatie hat ihren Erfinder
überlebt; sie bestand ihre Feuertaufe dank der diplomatischen Kunst Bismnrcks,
als sich bei der deutsch-französischen Auseinandersetzung Österreich, Nußland
und England geneigt zeigten, die Metternichschen Grundsätze weiterzuführen.
Und in allen Kriegen, die seit jenen Nuhmestagen deutscher Waffen und
deutscher Diplomatie gefochten sind, hat sich der Bismarckische Grundsatz be¬
hauptet: wenigstens in diplomatischen Kreisen, denn die Einmischungsbestrebungen
sind sonderbarerweise von den Diplomaten auf die Völker, die meist unter jener
litten, übergegangen. Während die Verantwortliche Diplomatie aller Staaten
mit kalter Ruhe die Ereignisse des spanisch-amerikanischen und jetzt des süd¬
afrikanischen Kriegs beobachtete und es nicht für gerechtfertigt hielt, den Grundsatz
der Neutralität zu verletzen, Hetzen unverantwortliche Gefühlspolitiker in fast
allen Ländern ihre Diplomatie auf. Wir sehen so eine vollkommne Wandlung
in den Erscheinungsformen der auswärtigen Politik: ein nervöses Volk und
eine kalte Diplomatie, eine Volkspolitik als Stachel der Kabiuettspvlitik; die
Eifersucht der Höfe abgelöst von der naiven Prestigesucht der Völker: Alar-
misten, Jiugos, Chauvinisten, Panslawisten, Nationalisten rasseln mit dem Säbel,
der Diplomat winkt ab; die ehrgeizigen lärmenden Fürsten und Staatsmänner
sind durch ehrgeizige lärmende Volkspolitiker ersetzt. Und wie die erste Volks¬
diplomatie, die der französischen Revolutionszeit, sofort eine Ära der Kriege
brachte, so möchte man fast fürchten, daß die modernen Völker — wenigstens
ihrem äußern Gebaren nach zu urteilen — die Kriegsfackel in Permanenz
erklären würden, wenn die ernste Entscheidung ihnen zustünde und nicht den
Kabinetten — was jetzt als Glück erscheint --; aber es wird ja nichts so heiß
gegessen, wie gekocht, und so hat denn auch ein Menschenalter des Friedens
gelehrt, daß die hohe Politik jetzt nicht von vorübergehenden Volksstimmnngen
und Gefühlen beeinflußt wird.

Beides, die aufgeregte Teilnahme des Volks an der auswärtigen Politik
und die besonnene Haltung der Diplomatie stammt aus derselben Quelle,
nämlich dem Vorherrschen der wirtschaftlichen Rücksichten. Vor einigen Jahren
bezeichnete der österreichische Minister des Äußern, Graf Agenor Goluchowski,
die Handelspolitik als die Politik der Zukunft. Dieses Wort ist schnell wahr
geworden, die Handelspolitik ist schon die Politik der Gegenwart. Wir sehen,
wie der Weltmarkt die innere und die änßere Politik der Völker verquickt. In
England und Nordamerika regt sich der Imperialismus, dessen wirtschaftliche


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[0067] Sie deutsche weltxolitik Mäßigung und Zurückhaltung, die die bis dahin gebräuchliche Prestige- und Eifersuchtspolitik ablöste, und damit eine gewisse Ruhe und Stetigkeit in die bis dahin von Nervosität und Sprunghaftigkeit erfüllten internationalen Be¬ ziehungen brachte, war schon in der Praxis durch die Lage des Deutschen Reichs geboten. Es galt den mißtrauischen Nachbarn die Beruhigung zu schaffen, daß die neue Macht einen friedlichen Charakter trage, und es scheint, daß diese Absicht gelungen ist. Es zweifelt wohl, niemand mehr daran, daß der Deutsche sein Schwert scharf erhält, weil er möglichst lange mit bösen Nachbarn in Frieden leben möchte. Die neue Methode der Diplomatie hat ihren Erfinder überlebt; sie bestand ihre Feuertaufe dank der diplomatischen Kunst Bismnrcks, als sich bei der deutsch-französischen Auseinandersetzung Österreich, Nußland und England geneigt zeigten, die Metternichschen Grundsätze weiterzuführen. Und in allen Kriegen, die seit jenen Nuhmestagen deutscher Waffen und deutscher Diplomatie gefochten sind, hat sich der Bismarckische Grundsatz be¬ hauptet: wenigstens in diplomatischen Kreisen, denn die Einmischungsbestrebungen sind sonderbarerweise von den Diplomaten auf die Völker, die meist unter jener litten, übergegangen. Während die Verantwortliche Diplomatie aller Staaten mit kalter Ruhe die Ereignisse des spanisch-amerikanischen und jetzt des süd¬ afrikanischen Kriegs beobachtete und es nicht für gerechtfertigt hielt, den Grundsatz der Neutralität zu verletzen, Hetzen unverantwortliche Gefühlspolitiker in fast allen Ländern ihre Diplomatie auf. Wir sehen so eine vollkommne Wandlung in den Erscheinungsformen der auswärtigen Politik: ein nervöses Volk und eine kalte Diplomatie, eine Volkspolitik als Stachel der Kabiuettspvlitik; die Eifersucht der Höfe abgelöst von der naiven Prestigesucht der Völker: Alar- misten, Jiugos, Chauvinisten, Panslawisten, Nationalisten rasseln mit dem Säbel, der Diplomat winkt ab; die ehrgeizigen lärmenden Fürsten und Staatsmänner sind durch ehrgeizige lärmende Volkspolitiker ersetzt. Und wie die erste Volks¬ diplomatie, die der französischen Revolutionszeit, sofort eine Ära der Kriege brachte, so möchte man fast fürchten, daß die modernen Völker — wenigstens ihrem äußern Gebaren nach zu urteilen — die Kriegsfackel in Permanenz erklären würden, wenn die ernste Entscheidung ihnen zustünde und nicht den Kabinetten — was jetzt als Glück erscheint --; aber es wird ja nichts so heiß gegessen, wie gekocht, und so hat denn auch ein Menschenalter des Friedens gelehrt, daß die hohe Politik jetzt nicht von vorübergehenden Volksstimmnngen und Gefühlen beeinflußt wird. Beides, die aufgeregte Teilnahme des Volks an der auswärtigen Politik und die besonnene Haltung der Diplomatie stammt aus derselben Quelle, nämlich dem Vorherrschen der wirtschaftlichen Rücksichten. Vor einigen Jahren bezeichnete der österreichische Minister des Äußern, Graf Agenor Goluchowski, die Handelspolitik als die Politik der Zukunft. Dieses Wort ist schnell wahr geworden, die Handelspolitik ist schon die Politik der Gegenwart. Wir sehen, wie der Weltmarkt die innere und die änßere Politik der Völker verquickt. In England und Nordamerika regt sich der Imperialismus, dessen wirtschaftliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/67>, abgerufen am 03.07.2024.