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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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abgeschlossen halten, wenn auch in allen Staaten noch pnrtikularistische Be¬
strebungen gegen'den Einheitsstaat ankämpfen, und sich einige bei den Grenz¬
regulierungen von ihrem Volle abgesprengte Teile gegen die geographische
Notwendigkeit sträuben. Der staatlichen Bethätigung der Volkskraft folgte die
wirtschaftliche. Nachdem die Völker das Haus gebaut hatten, das unter natio¬
nalem Banner die Glieder der Volksfamilie einte, gingen sie mit erhöhtem
Eifer daran, das Feld zu bestellen, das die Speisekammer des Hauses füllen
sollte. Überall in den erstarkten Staaten regte sich gewaltig das wirtschaft¬
liche Leben, und wie einst die Völker bestrebt waren, ihre Hausgrenzen
gegeneinander abzustecken, so erstrebten sie nun dasselbe mit den Arbeitsfeldern:
dem Grundsatz des Nationalstaats trat der der Nationalwirtschaft zur Seite,
dem Errichten das Erhalten, So sehen wir nun die Völker die Mutter Erde
in Arbeitsfelder teilen und sich nach Kräften ihr Teil von der Weltwirtschaft
sichern. Mit dieser nationalen Volks- und Weltwirtschaftspvlitik geht Hand
in Hand das Streben, das über die Welt verstreute Volkstum um die Heimat¬
flagge zu sammeln und dein staatlichen das "größere" Volkstum zuzugefellen,
Bestrebungen, denen zunächst rein wirtschaftliche Tendenzen zu Grunde liegen,
die aber in Zukunft auch politischen Machtzuwachs zu schaffen geeignet sind.

Entsprechend der Entwicklung der Völker hat auch die Diplomatie ihre
Ziele und Mittel ändern müssen. Die absolutistischen Dynastien, die sich mit
dem Staat verwechselten, suchten die nationalen Bestrebungen zurückzubannen,
und da sie ein gemeinsames Interesse hatten, nämlich das dynastische, so mischte
sich die auswärtige Politik der Mächte in die innere Politik der andern Staaten.
Von der heiligen Allianz bis auf Napoleons 111. Tage stand die Diplomatie
unter der Herrschaft der Metternichschen Lehre von der Einmischung und Be¬
vormundung,

Was ursprünglich nur gewollt war, um den "Geist der Empörung" von
den Thronen fernzuhalten, das wurde später ein Mittel zu dem Zweck, den
Nachbarstaat politisch und wirtschaftlich niederzuhalten. Die Metternichsche
Politik fand eifrige Anhänger an Nikolaus I, und Napoleon 111., die die her¬
kömmliche diplomatische Einmischungsthevrie zu einer terroristischen Prestige¬
politik erweiterten. Aber wie die innerpolitischen Grundsätze der heiligen
Allianz in den Revolutionen zu schänden wurden, so stürzten ihre Lehren hin¬
sichtlich der auswärtigen Politik bei Sebastopol, Königgrätz und Sedan zu¬
sammen: Metternichs diplomatische Schule erlag der neuen Lehre, die Bismarck
siegreich in die Welt einführte, dem Grundsatz der unbedingten Neutralität
und der Enthaltung von der Einmischung in die internen Angelegenheiten
fremder Staaten; das sind diplomatische Regeln, wie sie schon das tägliche
Leben als Lebensklugheit empfiehlt. Auf diesem Grundsatz der Objektivität
baute sich allein die Möglichkeit auf, ohne eigne Gefahr die Rolle des ehr¬
lichen Makkers zu übernehmen und als erhellter, nicht sich aufdrängender
Schiedsrichter in internationalen Angelegenheiten den Lohn für die Bemühung
von den beteiligten Parteien einzuheimsen. Die Vismarckische Politik der


abgeschlossen halten, wenn auch in allen Staaten noch pnrtikularistische Be¬
strebungen gegen'den Einheitsstaat ankämpfen, und sich einige bei den Grenz¬
regulierungen von ihrem Volle abgesprengte Teile gegen die geographische
Notwendigkeit sträuben. Der staatlichen Bethätigung der Volkskraft folgte die
wirtschaftliche. Nachdem die Völker das Haus gebaut hatten, das unter natio¬
nalem Banner die Glieder der Volksfamilie einte, gingen sie mit erhöhtem
Eifer daran, das Feld zu bestellen, das die Speisekammer des Hauses füllen
sollte. Überall in den erstarkten Staaten regte sich gewaltig das wirtschaft¬
liche Leben, und wie einst die Völker bestrebt waren, ihre Hausgrenzen
gegeneinander abzustecken, so erstrebten sie nun dasselbe mit den Arbeitsfeldern:
dem Grundsatz des Nationalstaats trat der der Nationalwirtschaft zur Seite,
dem Errichten das Erhalten, So sehen wir nun die Völker die Mutter Erde
in Arbeitsfelder teilen und sich nach Kräften ihr Teil von der Weltwirtschaft
sichern. Mit dieser nationalen Volks- und Weltwirtschaftspvlitik geht Hand
in Hand das Streben, das über die Welt verstreute Volkstum um die Heimat¬
flagge zu sammeln und dein staatlichen das „größere" Volkstum zuzugefellen,
Bestrebungen, denen zunächst rein wirtschaftliche Tendenzen zu Grunde liegen,
die aber in Zukunft auch politischen Machtzuwachs zu schaffen geeignet sind.

Entsprechend der Entwicklung der Völker hat auch die Diplomatie ihre
Ziele und Mittel ändern müssen. Die absolutistischen Dynastien, die sich mit
dem Staat verwechselten, suchten die nationalen Bestrebungen zurückzubannen,
und da sie ein gemeinsames Interesse hatten, nämlich das dynastische, so mischte
sich die auswärtige Politik der Mächte in die innere Politik der andern Staaten.
Von der heiligen Allianz bis auf Napoleons 111. Tage stand die Diplomatie
unter der Herrschaft der Metternichschen Lehre von der Einmischung und Be¬
vormundung,

Was ursprünglich nur gewollt war, um den „Geist der Empörung" von
den Thronen fernzuhalten, das wurde später ein Mittel zu dem Zweck, den
Nachbarstaat politisch und wirtschaftlich niederzuhalten. Die Metternichsche
Politik fand eifrige Anhänger an Nikolaus I, und Napoleon 111., die die her¬
kömmliche diplomatische Einmischungsthevrie zu einer terroristischen Prestige¬
politik erweiterten. Aber wie die innerpolitischen Grundsätze der heiligen
Allianz in den Revolutionen zu schänden wurden, so stürzten ihre Lehren hin¬
sichtlich der auswärtigen Politik bei Sebastopol, Königgrätz und Sedan zu¬
sammen: Metternichs diplomatische Schule erlag der neuen Lehre, die Bismarck
siegreich in die Welt einführte, dem Grundsatz der unbedingten Neutralität
und der Enthaltung von der Einmischung in die internen Angelegenheiten
fremder Staaten; das sind diplomatische Regeln, wie sie schon das tägliche
Leben als Lebensklugheit empfiehlt. Auf diesem Grundsatz der Objektivität
baute sich allein die Möglichkeit auf, ohne eigne Gefahr die Rolle des ehr¬
lichen Makkers zu übernehmen und als erhellter, nicht sich aufdrängender
Schiedsrichter in internationalen Angelegenheiten den Lohn für die Bemühung
von den beteiligten Parteien einzuheimsen. Die Vismarckische Politik der


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[0066] abgeschlossen halten, wenn auch in allen Staaten noch pnrtikularistische Be¬ strebungen gegen'den Einheitsstaat ankämpfen, und sich einige bei den Grenz¬ regulierungen von ihrem Volle abgesprengte Teile gegen die geographische Notwendigkeit sträuben. Der staatlichen Bethätigung der Volkskraft folgte die wirtschaftliche. Nachdem die Völker das Haus gebaut hatten, das unter natio¬ nalem Banner die Glieder der Volksfamilie einte, gingen sie mit erhöhtem Eifer daran, das Feld zu bestellen, das die Speisekammer des Hauses füllen sollte. Überall in den erstarkten Staaten regte sich gewaltig das wirtschaft¬ liche Leben, und wie einst die Völker bestrebt waren, ihre Hausgrenzen gegeneinander abzustecken, so erstrebten sie nun dasselbe mit den Arbeitsfeldern: dem Grundsatz des Nationalstaats trat der der Nationalwirtschaft zur Seite, dem Errichten das Erhalten, So sehen wir nun die Völker die Mutter Erde in Arbeitsfelder teilen und sich nach Kräften ihr Teil von der Weltwirtschaft sichern. Mit dieser nationalen Volks- und Weltwirtschaftspvlitik geht Hand in Hand das Streben, das über die Welt verstreute Volkstum um die Heimat¬ flagge zu sammeln und dein staatlichen das „größere" Volkstum zuzugefellen, Bestrebungen, denen zunächst rein wirtschaftliche Tendenzen zu Grunde liegen, die aber in Zukunft auch politischen Machtzuwachs zu schaffen geeignet sind. Entsprechend der Entwicklung der Völker hat auch die Diplomatie ihre Ziele und Mittel ändern müssen. Die absolutistischen Dynastien, die sich mit dem Staat verwechselten, suchten die nationalen Bestrebungen zurückzubannen, und da sie ein gemeinsames Interesse hatten, nämlich das dynastische, so mischte sich die auswärtige Politik der Mächte in die innere Politik der andern Staaten. Von der heiligen Allianz bis auf Napoleons 111. Tage stand die Diplomatie unter der Herrschaft der Metternichschen Lehre von der Einmischung und Be¬ vormundung, Was ursprünglich nur gewollt war, um den „Geist der Empörung" von den Thronen fernzuhalten, das wurde später ein Mittel zu dem Zweck, den Nachbarstaat politisch und wirtschaftlich niederzuhalten. Die Metternichsche Politik fand eifrige Anhänger an Nikolaus I, und Napoleon 111., die die her¬ kömmliche diplomatische Einmischungsthevrie zu einer terroristischen Prestige¬ politik erweiterten. Aber wie die innerpolitischen Grundsätze der heiligen Allianz in den Revolutionen zu schänden wurden, so stürzten ihre Lehren hin¬ sichtlich der auswärtigen Politik bei Sebastopol, Königgrätz und Sedan zu¬ sammen: Metternichs diplomatische Schule erlag der neuen Lehre, die Bismarck siegreich in die Welt einführte, dem Grundsatz der unbedingten Neutralität und der Enthaltung von der Einmischung in die internen Angelegenheiten fremder Staaten; das sind diplomatische Regeln, wie sie schon das tägliche Leben als Lebensklugheit empfiehlt. Auf diesem Grundsatz der Objektivität baute sich allein die Möglichkeit auf, ohne eigne Gefahr die Rolle des ehr¬ lichen Makkers zu übernehmen und als erhellter, nicht sich aufdrängender Schiedsrichter in internationalen Angelegenheiten den Lohn für die Bemühung von den beteiligten Parteien einzuheimsen. Die Vismarckische Politik der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/66>, abgerufen am 01.07.2024.