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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Preußische Könige und die Sozialpolitik

kurrenz stehende Privatgeschäfte, nicht Staatsindustrien, zu erziehn, denen manche
staatliche Hilfe zu teil wurde, denen zahlreiche, besonders sozialpolitische
Schranken im öffentlichen Interesse gezogen waren, die aber auf eigne Gefahr
einkaufen, produzieren und verkaufen sollten.

Die Meister, die wenigstens teilweise eigne Stühle, in der Regel zwei
bis vier gehn ließen und von der Arbeit ihrer Gesellen einen kleinen Vorteil
hatten, wollte man durchaus als selbständige Mittelglieder zwischen den Ver¬
legern und deu Gesellen erhalten; die Forderung, daß auch der Fabrikant und
Verleger, wie der Meister, uicht über vier Stühle haben dürfe, wies man zwar
ab, aber man hielt am Prinzip fest, daß auch der größere Fabriknut auf je
vier Stühle einen Meister halten müsse, und daß der Verleger und der Meister
nnr gelernte zünftige Kräfte am Webstuhl beschäftigen dürfe, während ander¬
wärts damals die Frauenarbeit im Interesse geringrer Löhne schon sehr um¬
fangreich angewandt wurde. Der einzelne Meister sollte gleichzeitig nur für
einen Verleger arbeiten; beide Teile wurden an eine zweimonatige Kündigung
und an eine gemalt vorgeschriebne schriftliche Abrechnung gebunden; das gänz¬
liche Verbot aller Vorschüsse ließ sich nicht aufrecht erhalten, wohl aber der
Rechtsgrundsatz der Unpfändbarkeit des Stuhls und aller Gerätschaften. Der
Allstritt aus dem Verhältnis zu einem Verleger mußte durch einen Ent¬
lassungsschein bezeugt werden. Auf vier Stühle durfte immer nur ein Lehr¬
ling gehalten werden, was ebenso wichtig war für die Erhaltung guter Löhne,
als die Ausschließung unzüuftiger Arbeiter. Das Lehrlingsverhältnis war
genau geordnet, sodaß eine gute Ansbildung der Leute gesichert war. Meister
und Gesellen standen sich mit dem Recht einer vierzehntägiger Kündigung
gegenüber. Für die große Zahl unzüuftiger Hilfskräfte, die Wicklerinnen und
Spulerinnen, die Ziehjungen an dem Zngstuhl, hatte man erst vierwöchige,
später sechsmonatige Kündigung eingeführt, um auch dieses Verhältnis möglichst
dauernd zu machen. Die Verleger wie die Meister waren mit dem Reglement
aus leicht begreiflichen Gründen niemals ganz zufrieden. Aber es ist zweifel¬
los, daß es ein ebenso wirksames Mittel zur Erzwingung solider Ware und
solider Geschäftsgewohnheiten war, wie die Stellung des Königs, des fünften
Departements und der Manufakturkommission in den sozialen Streitigkeiten
diese Hausindustrie zwar zu etwas teurerer Produktion zwang, aber auch zu
menschlicher Behaudlung der Arbeitskräfte.

Die Frage der Herabdrückung des Arbeitslohns, der Zulassung von Frauen-
uud Kinderarbeit, der beliebigen Arbeitercntlassnng ist von 1766 bis 1806 in
steigendem Maße in den Vordergrund getreten. Das Wachstum der Industrie
war auch damals immer erkauft durch starke Schwankungen des Absatzes, wobei
das Stillestehn von Dutzenden, ja Hunderten voll Stühlen für kürzere Zeit in
Frage kam. Die Konkurrenz mit Lyon wurde zeitweise trotz des Einfuhr¬
verbots äußerst drückend, weil in den Zeiten, wo Absatz lind Handel in Frank¬
reich stockten, die französischen Waren durch ihre Spottpreise den Schmuggel
immer neu belebten. Die allmähliche Einschränkung der Bonifikation, der Pri-


Preußische Könige und die Sozialpolitik

kurrenz stehende Privatgeschäfte, nicht Staatsindustrien, zu erziehn, denen manche
staatliche Hilfe zu teil wurde, denen zahlreiche, besonders sozialpolitische
Schranken im öffentlichen Interesse gezogen waren, die aber auf eigne Gefahr
einkaufen, produzieren und verkaufen sollten.

Die Meister, die wenigstens teilweise eigne Stühle, in der Regel zwei
bis vier gehn ließen und von der Arbeit ihrer Gesellen einen kleinen Vorteil
hatten, wollte man durchaus als selbständige Mittelglieder zwischen den Ver¬
legern und deu Gesellen erhalten; die Forderung, daß auch der Fabrikant und
Verleger, wie der Meister, uicht über vier Stühle haben dürfe, wies man zwar
ab, aber man hielt am Prinzip fest, daß auch der größere Fabriknut auf je
vier Stühle einen Meister halten müsse, und daß der Verleger und der Meister
nnr gelernte zünftige Kräfte am Webstuhl beschäftigen dürfe, während ander¬
wärts damals die Frauenarbeit im Interesse geringrer Löhne schon sehr um¬
fangreich angewandt wurde. Der einzelne Meister sollte gleichzeitig nur für
einen Verleger arbeiten; beide Teile wurden an eine zweimonatige Kündigung
und an eine gemalt vorgeschriebne schriftliche Abrechnung gebunden; das gänz¬
liche Verbot aller Vorschüsse ließ sich nicht aufrecht erhalten, wohl aber der
Rechtsgrundsatz der Unpfändbarkeit des Stuhls und aller Gerätschaften. Der
Allstritt aus dem Verhältnis zu einem Verleger mußte durch einen Ent¬
lassungsschein bezeugt werden. Auf vier Stühle durfte immer nur ein Lehr¬
ling gehalten werden, was ebenso wichtig war für die Erhaltung guter Löhne,
als die Ausschließung unzüuftiger Arbeiter. Das Lehrlingsverhältnis war
genau geordnet, sodaß eine gute Ansbildung der Leute gesichert war. Meister
und Gesellen standen sich mit dem Recht einer vierzehntägiger Kündigung
gegenüber. Für die große Zahl unzüuftiger Hilfskräfte, die Wicklerinnen und
Spulerinnen, die Ziehjungen an dem Zngstuhl, hatte man erst vierwöchige,
später sechsmonatige Kündigung eingeführt, um auch dieses Verhältnis möglichst
dauernd zu machen. Die Verleger wie die Meister waren mit dem Reglement
aus leicht begreiflichen Gründen niemals ganz zufrieden. Aber es ist zweifel¬
los, daß es ein ebenso wirksames Mittel zur Erzwingung solider Ware und
solider Geschäftsgewohnheiten war, wie die Stellung des Königs, des fünften
Departements und der Manufakturkommission in den sozialen Streitigkeiten
diese Hausindustrie zwar zu etwas teurerer Produktion zwang, aber auch zu
menschlicher Behaudlung der Arbeitskräfte.

Die Frage der Herabdrückung des Arbeitslohns, der Zulassung von Frauen-
uud Kinderarbeit, der beliebigen Arbeitercntlassnng ist von 1766 bis 1806 in
steigendem Maße in den Vordergrund getreten. Das Wachstum der Industrie
war auch damals immer erkauft durch starke Schwankungen des Absatzes, wobei
das Stillestehn von Dutzenden, ja Hunderten voll Stühlen für kürzere Zeit in
Frage kam. Die Konkurrenz mit Lyon wurde zeitweise trotz des Einfuhr¬
verbots äußerst drückend, weil in den Zeiten, wo Absatz lind Handel in Frank¬
reich stockten, die französischen Waren durch ihre Spottpreise den Schmuggel
immer neu belebten. Die allmähliche Einschränkung der Bonifikation, der Pri-


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[0632] Preußische Könige und die Sozialpolitik kurrenz stehende Privatgeschäfte, nicht Staatsindustrien, zu erziehn, denen manche staatliche Hilfe zu teil wurde, denen zahlreiche, besonders sozialpolitische Schranken im öffentlichen Interesse gezogen waren, die aber auf eigne Gefahr einkaufen, produzieren und verkaufen sollten. Die Meister, die wenigstens teilweise eigne Stühle, in der Regel zwei bis vier gehn ließen und von der Arbeit ihrer Gesellen einen kleinen Vorteil hatten, wollte man durchaus als selbständige Mittelglieder zwischen den Ver¬ legern und deu Gesellen erhalten; die Forderung, daß auch der Fabrikant und Verleger, wie der Meister, uicht über vier Stühle haben dürfe, wies man zwar ab, aber man hielt am Prinzip fest, daß auch der größere Fabriknut auf je vier Stühle einen Meister halten müsse, und daß der Verleger und der Meister nnr gelernte zünftige Kräfte am Webstuhl beschäftigen dürfe, während ander¬ wärts damals die Frauenarbeit im Interesse geringrer Löhne schon sehr um¬ fangreich angewandt wurde. Der einzelne Meister sollte gleichzeitig nur für einen Verleger arbeiten; beide Teile wurden an eine zweimonatige Kündigung und an eine gemalt vorgeschriebne schriftliche Abrechnung gebunden; das gänz¬ liche Verbot aller Vorschüsse ließ sich nicht aufrecht erhalten, wohl aber der Rechtsgrundsatz der Unpfändbarkeit des Stuhls und aller Gerätschaften. Der Allstritt aus dem Verhältnis zu einem Verleger mußte durch einen Ent¬ lassungsschein bezeugt werden. Auf vier Stühle durfte immer nur ein Lehr¬ ling gehalten werden, was ebenso wichtig war für die Erhaltung guter Löhne, als die Ausschließung unzüuftiger Arbeiter. Das Lehrlingsverhältnis war genau geordnet, sodaß eine gute Ansbildung der Leute gesichert war. Meister und Gesellen standen sich mit dem Recht einer vierzehntägiger Kündigung gegenüber. Für die große Zahl unzüuftiger Hilfskräfte, die Wicklerinnen und Spulerinnen, die Ziehjungen an dem Zngstuhl, hatte man erst vierwöchige, später sechsmonatige Kündigung eingeführt, um auch dieses Verhältnis möglichst dauernd zu machen. Die Verleger wie die Meister waren mit dem Reglement aus leicht begreiflichen Gründen niemals ganz zufrieden. Aber es ist zweifel¬ los, daß es ein ebenso wirksames Mittel zur Erzwingung solider Ware und solider Geschäftsgewohnheiten war, wie die Stellung des Königs, des fünften Departements und der Manufakturkommission in den sozialen Streitigkeiten diese Hausindustrie zwar zu etwas teurerer Produktion zwang, aber auch zu menschlicher Behaudlung der Arbeitskräfte. Die Frage der Herabdrückung des Arbeitslohns, der Zulassung von Frauen- uud Kinderarbeit, der beliebigen Arbeitercntlassnng ist von 1766 bis 1806 in steigendem Maße in den Vordergrund getreten. Das Wachstum der Industrie war auch damals immer erkauft durch starke Schwankungen des Absatzes, wobei das Stillestehn von Dutzenden, ja Hunderten voll Stühlen für kürzere Zeit in Frage kam. Die Konkurrenz mit Lyon wurde zeitweise trotz des Einfuhr¬ verbots äußerst drückend, weil in den Zeiten, wo Absatz lind Handel in Frank¬ reich stockten, die französischen Waren durch ihre Spottpreise den Schmuggel immer neu belebten. Die allmähliche Einschränkung der Bonifikation, der Pri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/632>, abgerufen am 03.07.2024.