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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Preußische Könige und die Sozialpolitik

richtenden preußischen Kontribution; er halt den Kredit Berlins in Hamburg
und Amsterdam aufrecht, er bürgt für ein andres Berliner Haus, nur im Inter¬
esse des Berliner Kredits, und verliert dabei 150000 Reichsthaler; zuletzt hat
die schwere langdauernde Handelskrisis der Jahre 1763 bis 1767 ihm selbst
Vermögen und Stellung geraubt; aber er bleibt einer der bedeutsamsten Be¬
gründer des Berliner Handels und der Berliner Industrie; er war für den
König von 1749 bis 1763 wohl die wichtigste Autorität in Sachen der Seiden¬
industrie.

Auch die Seidenindustrie hat nicht frühzeitig zur zentralisierten ge¬
schlossenen Betriebsform geführt, sie ist bis heute teilweise Hausindustrie ge¬
blieben; in Brandenburg stand eine freie kaufmännische Verlegerschaft den nach
und uach zünftig organisierten Meistern nud Gesellen gegenüber, und zwar
waren die Berliner Verleger meist jüdische und französische Kleinhändler, die
für den technischen Teil des Betriebs Werkmeister zur Seite hatten. "Unter
den Meistern und Gesellen waren im Anfang die zugewanderten, in der Seiden¬
weberei oder sonstigen Technik erfahrnen, ebenso unentbehrlich als der Zahl
nach überwiegend; es waren darunter zahlreiche geschickte, aber wenige moralisch
tadellose, viele unordentliche, auch gewiß viele geringe Elemente. Neben ihnen
stellten die ältern Kolonistenfamilien manche brauchbare Kraft; in der zweiten
Generation überwogen die einheimischen Arbeitskräfte, die solider und tüch¬
tiger als die fremden, wohl aber noch etwas weniger leistungsfähig waren."

Die Mittel, die der König anwandte, um bei möglichster Förderung der
Industrie doch zugleich eine leidliche Lage der Arbeiter zu erzielen, schildert
Schmoller etwa wie folgt: Die Beziehungen der Verleger zu den Meistern und
dieser zu den Gesellen hatten sich zuerst so entwickelt, wie es den Gewohn¬
heiten der Zugewanderten entsprach, bei Streitigkeiten griff die Verwaltung
nach bestem Wissen und nach den Umstünden ein; aber gegenüber den stündigen
Klagen über allzu hohe Löhne, Veruntreuungen des Materials, Abspeustig-
machen der Meister und Gesellen genügte das bald nicht mehr, und so wurde
deun im März 1766 ein Reglement erlassen zur zünftigen Organisation der
Sammet- und Seidenwirker in Berlin und zur Einsetzung einer Manufaktur¬
kommission. Das Reglement sah von der beabsichtigten Lohnregulierung ab;
in dieser Frage vermittelten die Regierung oder die Mannfakturkommission aber
später verschiedne male. Es regelte die Beziehungen der Beteiligten im Sinne
loyaler, gegenseitiger Rücksichtnahme und schützte den Verleger gegen Verun¬
treuung und Kontraktbruch, die Weber aber gegen plötzliche Brotlosigkeit und
rücksichtslose Ausbeutung. Konkurrenz im Innern sollte in gewissen Grenzen
besteh" bleiben; die von außen hatte man allmählich durch Accisenerhöhung
und Einfuhrverbote zurückgedrängt, die Industrie im Inlande zwar gefördert
mit Konzessionen, Unterstützungen, Darlehen, mit der Verpflichtung, eine be¬
stimmte Anzahl Stühle im einzelnen Unternehmen gehn zu lassen, aber all-
mühlich sollten die Konzessionen und Privilegien beschränkt oder aufgehoben
werden. Kurz, das Ziel der Politik war leistungsfähige, in lebendiger Kor-


Preußische Könige und die Sozialpolitik

richtenden preußischen Kontribution; er halt den Kredit Berlins in Hamburg
und Amsterdam aufrecht, er bürgt für ein andres Berliner Haus, nur im Inter¬
esse des Berliner Kredits, und verliert dabei 150000 Reichsthaler; zuletzt hat
die schwere langdauernde Handelskrisis der Jahre 1763 bis 1767 ihm selbst
Vermögen und Stellung geraubt; aber er bleibt einer der bedeutsamsten Be¬
gründer des Berliner Handels und der Berliner Industrie; er war für den
König von 1749 bis 1763 wohl die wichtigste Autorität in Sachen der Seiden¬
industrie.

Auch die Seidenindustrie hat nicht frühzeitig zur zentralisierten ge¬
schlossenen Betriebsform geführt, sie ist bis heute teilweise Hausindustrie ge¬
blieben; in Brandenburg stand eine freie kaufmännische Verlegerschaft den nach
und uach zünftig organisierten Meistern nud Gesellen gegenüber, und zwar
waren die Berliner Verleger meist jüdische und französische Kleinhändler, die
für den technischen Teil des Betriebs Werkmeister zur Seite hatten. „Unter
den Meistern und Gesellen waren im Anfang die zugewanderten, in der Seiden¬
weberei oder sonstigen Technik erfahrnen, ebenso unentbehrlich als der Zahl
nach überwiegend; es waren darunter zahlreiche geschickte, aber wenige moralisch
tadellose, viele unordentliche, auch gewiß viele geringe Elemente. Neben ihnen
stellten die ältern Kolonistenfamilien manche brauchbare Kraft; in der zweiten
Generation überwogen die einheimischen Arbeitskräfte, die solider und tüch¬
tiger als die fremden, wohl aber noch etwas weniger leistungsfähig waren."

Die Mittel, die der König anwandte, um bei möglichster Förderung der
Industrie doch zugleich eine leidliche Lage der Arbeiter zu erzielen, schildert
Schmoller etwa wie folgt: Die Beziehungen der Verleger zu den Meistern und
dieser zu den Gesellen hatten sich zuerst so entwickelt, wie es den Gewohn¬
heiten der Zugewanderten entsprach, bei Streitigkeiten griff die Verwaltung
nach bestem Wissen und nach den Umstünden ein; aber gegenüber den stündigen
Klagen über allzu hohe Löhne, Veruntreuungen des Materials, Abspeustig-
machen der Meister und Gesellen genügte das bald nicht mehr, und so wurde
deun im März 1766 ein Reglement erlassen zur zünftigen Organisation der
Sammet- und Seidenwirker in Berlin und zur Einsetzung einer Manufaktur¬
kommission. Das Reglement sah von der beabsichtigten Lohnregulierung ab;
in dieser Frage vermittelten die Regierung oder die Mannfakturkommission aber
später verschiedne male. Es regelte die Beziehungen der Beteiligten im Sinne
loyaler, gegenseitiger Rücksichtnahme und schützte den Verleger gegen Verun¬
treuung und Kontraktbruch, die Weber aber gegen plötzliche Brotlosigkeit und
rücksichtslose Ausbeutung. Konkurrenz im Innern sollte in gewissen Grenzen
besteh» bleiben; die von außen hatte man allmählich durch Accisenerhöhung
und Einfuhrverbote zurückgedrängt, die Industrie im Inlande zwar gefördert
mit Konzessionen, Unterstützungen, Darlehen, mit der Verpflichtung, eine be¬
stimmte Anzahl Stühle im einzelnen Unternehmen gehn zu lassen, aber all-
mühlich sollten die Konzessionen und Privilegien beschränkt oder aufgehoben
werden. Kurz, das Ziel der Politik war leistungsfähige, in lebendiger Kor-


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[0631] Preußische Könige und die Sozialpolitik richtenden preußischen Kontribution; er halt den Kredit Berlins in Hamburg und Amsterdam aufrecht, er bürgt für ein andres Berliner Haus, nur im Inter¬ esse des Berliner Kredits, und verliert dabei 150000 Reichsthaler; zuletzt hat die schwere langdauernde Handelskrisis der Jahre 1763 bis 1767 ihm selbst Vermögen und Stellung geraubt; aber er bleibt einer der bedeutsamsten Be¬ gründer des Berliner Handels und der Berliner Industrie; er war für den König von 1749 bis 1763 wohl die wichtigste Autorität in Sachen der Seiden¬ industrie. Auch die Seidenindustrie hat nicht frühzeitig zur zentralisierten ge¬ schlossenen Betriebsform geführt, sie ist bis heute teilweise Hausindustrie ge¬ blieben; in Brandenburg stand eine freie kaufmännische Verlegerschaft den nach und uach zünftig organisierten Meistern nud Gesellen gegenüber, und zwar waren die Berliner Verleger meist jüdische und französische Kleinhändler, die für den technischen Teil des Betriebs Werkmeister zur Seite hatten. „Unter den Meistern und Gesellen waren im Anfang die zugewanderten, in der Seiden¬ weberei oder sonstigen Technik erfahrnen, ebenso unentbehrlich als der Zahl nach überwiegend; es waren darunter zahlreiche geschickte, aber wenige moralisch tadellose, viele unordentliche, auch gewiß viele geringe Elemente. Neben ihnen stellten die ältern Kolonistenfamilien manche brauchbare Kraft; in der zweiten Generation überwogen die einheimischen Arbeitskräfte, die solider und tüch¬ tiger als die fremden, wohl aber noch etwas weniger leistungsfähig waren." Die Mittel, die der König anwandte, um bei möglichster Förderung der Industrie doch zugleich eine leidliche Lage der Arbeiter zu erzielen, schildert Schmoller etwa wie folgt: Die Beziehungen der Verleger zu den Meistern und dieser zu den Gesellen hatten sich zuerst so entwickelt, wie es den Gewohn¬ heiten der Zugewanderten entsprach, bei Streitigkeiten griff die Verwaltung nach bestem Wissen und nach den Umstünden ein; aber gegenüber den stündigen Klagen über allzu hohe Löhne, Veruntreuungen des Materials, Abspeustig- machen der Meister und Gesellen genügte das bald nicht mehr, und so wurde deun im März 1766 ein Reglement erlassen zur zünftigen Organisation der Sammet- und Seidenwirker in Berlin und zur Einsetzung einer Manufaktur¬ kommission. Das Reglement sah von der beabsichtigten Lohnregulierung ab; in dieser Frage vermittelten die Regierung oder die Mannfakturkommission aber später verschiedne male. Es regelte die Beziehungen der Beteiligten im Sinne loyaler, gegenseitiger Rücksichtnahme und schützte den Verleger gegen Verun¬ treuung und Kontraktbruch, die Weber aber gegen plötzliche Brotlosigkeit und rücksichtslose Ausbeutung. Konkurrenz im Innern sollte in gewissen Grenzen besteh» bleiben; die von außen hatte man allmählich durch Accisenerhöhung und Einfuhrverbote zurückgedrängt, die Industrie im Inlande zwar gefördert mit Konzessionen, Unterstützungen, Darlehen, mit der Verpflichtung, eine be¬ stimmte Anzahl Stühle im einzelnen Unternehmen gehn zu lassen, aber all- mühlich sollten die Konzessionen und Privilegien beschränkt oder aufgehoben werden. Kurz, das Ziel der Politik war leistungsfähige, in lebendiger Kor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/631>, abgerufen am 03.07.2024.