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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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preußische Könige und die Sozialpolitik

vilegieu oder ausschließlichen Prvduktiousberechtiguugeu suchten die Verleger
häufig mit Lohnreduktionen und Arbeiterentlassungen zu beantworten, schon
weil sie wußten, wie empfindlich der König dagegen war. Fast in jedem solchen
Fall wandten sich die Betroffnen an die Behörden oder ein den König selbst;
die Sache wurde untersucht; möglichst suchte man den entlassenen Webern
wieder Arbeit zu schaffen. Als 1775 die Verleger infolge der ermäßigten
Bonifikation die Löhne um 25 Prozent herabsetzten, vermittelte die Manufaktur¬
kommission und setzte durch, daß die Ermäßigung auf 12 Prozent vermindert
wurde. Ähnliches kam wiederholt vor zur Freude der Arbeiter, zum Schmerz
der Verleger. Am einschneidendsten war die Verfügung vom 3. September 1777,
daß kein Unternehmer bei zehn Reichsthaler Strafe einen ausschließlich für ihn
arbeitenden Meister ohne verfassungsmäßige, amtlich gebilligte Ursache entlassen
dürfe, daß bei Maugel an Beschäftigung jeder Meister nur zwei Stühle gehn
lassen dürfe, daß er zuerst die Gesellen, die Soldaten und Ausländer seien,
dann die ledigen und zuletzt die verheirateten, diese aber nnr im äußersten
Notfalle entlassen solle. Jm°Jahre 1784 (15. Oktober) verfügte man, um die
Arbeitslosigkeit zu bannen, daß zwei Jahre lang kein Geselle Meister werden
dürfe. Im Jahre 1800 zahlte mau an die brodlose" Arbeiter aus dem Mauu-
fakturfouds wöchentlich 16 Groschen für deu Maun, 12 für die Frau, 8 für
jedes Kind unter fünfzehn Jahren. Unter Umständen zwang man anch die
Fabriken, entlassenen Arbeitern Wartegelder zu zahle", die die Manufakturkasse
vorschoß, oder ma" erreichte die Wiederanstellung durch irgend welche Ver¬
besserung oder Verlängerung der betreffenden Konzession. Das sind jedenfalls
für die damalige Zeit interessante Versuche, zu einer Versicherung gegen Ar¬
beitslosigkeit zu kommen.

Die allgemeine Bedeutung dieser Gewcrbepolitik Friedrichs des Großen
faßt Schmoller schließlich in die Sätze zusammen: Es handelt sich um die
Gründung einer technisch sehr hochstehenden Industrie auf spröden Boden mit
allen Mitteln konsequenter merkantilistischer Politik; sie sind in solchem Um¬
fang und mit solcher Nachhaltigkeit kaum irgendwo angewandt worden, anch
kaum irgendwo mit einer so genauen allmählichen Anpassung an die konkreten
Verhältnisse. Es handelt sich um eine Hausindustrie, die teilweise schon zur
Fabrikverfassuug übergegangen ist, in der aber die Arbeiter durch Zunftrecht,
Reglement und staatliche Inspektion geschützt werden; es handelt sich um eine
für den großen innerstaatlichen wie auswärtigen Markt arbeitende Industrie,
deren Unternehmer und Verleger die denkbar schwierigste Stellung haben, trotz
aller Staatsunterstützung und alles Schutzes mit einer starken Konkurrenz, mit
den Wechselfällen der Konjunktur, mit deu schwierigsten technischen und kauf¬
männischen Aufgaben zu ringen haben. Und es war nicht das geringste Verdienst
der Fridericianischen Politik, daß sie immer mit klarem Verständnis auf das
doppelte Ziel hingearbeitet hat, durch staatliche Initiative, staatliche Mittel,
Gesetze und Inspektion eine blühende Industrie zu schaffen, sie aber, sobald es
und soweit es ging, ans eigne Füße zu stellen, lebensfähige Privntunter-


Grenzboten II 190V 79
preußische Könige und die Sozialpolitik

vilegieu oder ausschließlichen Prvduktiousberechtiguugeu suchten die Verleger
häufig mit Lohnreduktionen und Arbeiterentlassungen zu beantworten, schon
weil sie wußten, wie empfindlich der König dagegen war. Fast in jedem solchen
Fall wandten sich die Betroffnen an die Behörden oder ein den König selbst;
die Sache wurde untersucht; möglichst suchte man den entlassenen Webern
wieder Arbeit zu schaffen. Als 1775 die Verleger infolge der ermäßigten
Bonifikation die Löhne um 25 Prozent herabsetzten, vermittelte die Manufaktur¬
kommission und setzte durch, daß die Ermäßigung auf 12 Prozent vermindert
wurde. Ähnliches kam wiederholt vor zur Freude der Arbeiter, zum Schmerz
der Verleger. Am einschneidendsten war die Verfügung vom 3. September 1777,
daß kein Unternehmer bei zehn Reichsthaler Strafe einen ausschließlich für ihn
arbeitenden Meister ohne verfassungsmäßige, amtlich gebilligte Ursache entlassen
dürfe, daß bei Maugel an Beschäftigung jeder Meister nur zwei Stühle gehn
lassen dürfe, daß er zuerst die Gesellen, die Soldaten und Ausländer seien,
dann die ledigen und zuletzt die verheirateten, diese aber nnr im äußersten
Notfalle entlassen solle. Jm°Jahre 1784 (15. Oktober) verfügte man, um die
Arbeitslosigkeit zu bannen, daß zwei Jahre lang kein Geselle Meister werden
dürfe. Im Jahre 1800 zahlte mau an die brodlose» Arbeiter aus dem Mauu-
fakturfouds wöchentlich 16 Groschen für deu Maun, 12 für die Frau, 8 für
jedes Kind unter fünfzehn Jahren. Unter Umständen zwang man anch die
Fabriken, entlassenen Arbeitern Wartegelder zu zahle», die die Manufakturkasse
vorschoß, oder ma» erreichte die Wiederanstellung durch irgend welche Ver¬
besserung oder Verlängerung der betreffenden Konzession. Das sind jedenfalls
für die damalige Zeit interessante Versuche, zu einer Versicherung gegen Ar¬
beitslosigkeit zu kommen.

Die allgemeine Bedeutung dieser Gewcrbepolitik Friedrichs des Großen
faßt Schmoller schließlich in die Sätze zusammen: Es handelt sich um die
Gründung einer technisch sehr hochstehenden Industrie auf spröden Boden mit
allen Mitteln konsequenter merkantilistischer Politik; sie sind in solchem Um¬
fang und mit solcher Nachhaltigkeit kaum irgendwo angewandt worden, anch
kaum irgendwo mit einer so genauen allmählichen Anpassung an die konkreten
Verhältnisse. Es handelt sich um eine Hausindustrie, die teilweise schon zur
Fabrikverfassuug übergegangen ist, in der aber die Arbeiter durch Zunftrecht,
Reglement und staatliche Inspektion geschützt werden; es handelt sich um eine
für den großen innerstaatlichen wie auswärtigen Markt arbeitende Industrie,
deren Unternehmer und Verleger die denkbar schwierigste Stellung haben, trotz
aller Staatsunterstützung und alles Schutzes mit einer starken Konkurrenz, mit
den Wechselfällen der Konjunktur, mit deu schwierigsten technischen und kauf¬
männischen Aufgaben zu ringen haben. Und es war nicht das geringste Verdienst
der Fridericianischen Politik, daß sie immer mit klarem Verständnis auf das
doppelte Ziel hingearbeitet hat, durch staatliche Initiative, staatliche Mittel,
Gesetze und Inspektion eine blühende Industrie zu schaffen, sie aber, sobald es
und soweit es ging, ans eigne Füße zu stellen, lebensfähige Privntunter-


Grenzboten II 190V 79
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[0633] preußische Könige und die Sozialpolitik vilegieu oder ausschließlichen Prvduktiousberechtiguugeu suchten die Verleger häufig mit Lohnreduktionen und Arbeiterentlassungen zu beantworten, schon weil sie wußten, wie empfindlich der König dagegen war. Fast in jedem solchen Fall wandten sich die Betroffnen an die Behörden oder ein den König selbst; die Sache wurde untersucht; möglichst suchte man den entlassenen Webern wieder Arbeit zu schaffen. Als 1775 die Verleger infolge der ermäßigten Bonifikation die Löhne um 25 Prozent herabsetzten, vermittelte die Manufaktur¬ kommission und setzte durch, daß die Ermäßigung auf 12 Prozent vermindert wurde. Ähnliches kam wiederholt vor zur Freude der Arbeiter, zum Schmerz der Verleger. Am einschneidendsten war die Verfügung vom 3. September 1777, daß kein Unternehmer bei zehn Reichsthaler Strafe einen ausschließlich für ihn arbeitenden Meister ohne verfassungsmäßige, amtlich gebilligte Ursache entlassen dürfe, daß bei Maugel an Beschäftigung jeder Meister nur zwei Stühle gehn lassen dürfe, daß er zuerst die Gesellen, die Soldaten und Ausländer seien, dann die ledigen und zuletzt die verheirateten, diese aber nnr im äußersten Notfalle entlassen solle. Jm°Jahre 1784 (15. Oktober) verfügte man, um die Arbeitslosigkeit zu bannen, daß zwei Jahre lang kein Geselle Meister werden dürfe. Im Jahre 1800 zahlte mau an die brodlose» Arbeiter aus dem Mauu- fakturfouds wöchentlich 16 Groschen für deu Maun, 12 für die Frau, 8 für jedes Kind unter fünfzehn Jahren. Unter Umständen zwang man anch die Fabriken, entlassenen Arbeitern Wartegelder zu zahle», die die Manufakturkasse vorschoß, oder ma» erreichte die Wiederanstellung durch irgend welche Ver¬ besserung oder Verlängerung der betreffenden Konzession. Das sind jedenfalls für die damalige Zeit interessante Versuche, zu einer Versicherung gegen Ar¬ beitslosigkeit zu kommen. Die allgemeine Bedeutung dieser Gewcrbepolitik Friedrichs des Großen faßt Schmoller schließlich in die Sätze zusammen: Es handelt sich um die Gründung einer technisch sehr hochstehenden Industrie auf spröden Boden mit allen Mitteln konsequenter merkantilistischer Politik; sie sind in solchem Um¬ fang und mit solcher Nachhaltigkeit kaum irgendwo angewandt worden, anch kaum irgendwo mit einer so genauen allmählichen Anpassung an die konkreten Verhältnisse. Es handelt sich um eine Hausindustrie, die teilweise schon zur Fabrikverfassuug übergegangen ist, in der aber die Arbeiter durch Zunftrecht, Reglement und staatliche Inspektion geschützt werden; es handelt sich um eine für den großen innerstaatlichen wie auswärtigen Markt arbeitende Industrie, deren Unternehmer und Verleger die denkbar schwierigste Stellung haben, trotz aller Staatsunterstützung und alles Schutzes mit einer starken Konkurrenz, mit den Wechselfällen der Konjunktur, mit deu schwierigsten technischen und kauf¬ männischen Aufgaben zu ringen haben. Und es war nicht das geringste Verdienst der Fridericianischen Politik, daß sie immer mit klarem Verständnis auf das doppelte Ziel hingearbeitet hat, durch staatliche Initiative, staatliche Mittel, Gesetze und Inspektion eine blühende Industrie zu schaffen, sie aber, sobald es und soweit es ging, ans eigne Füße zu stellen, lebensfähige Privntunter- Grenzboten II 190V 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/633>, abgerufen am 01.07.2024.