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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Preußische Könige und die Sozialpolitik

Sowohl die Tuchindnstrie wie die Seidenindustric beruhten auf dem Ver¬
lagssysteme, beide beschäftigten Hunderte kleiner Meister als Hausiudustriellc.
Für die Tuchkompagnie war die Schwierigkeit die, von den vielen einzelnen
Tuchmachern, die im Lande zerstreut wohnten, die erforderliche Menge von
Tücher pünktlich zu erhalten und dabei gleichmäßige Stoffe, die deu in
Rußland von der Armeeverwnltung, für die die meisten Tuchlicfcruugen
erfolgten, gestellten Bedingungen entsprachen. Die Verhandlungen mit den
Tuchmachern waren, schreibt Schmoller, sehr schwierig. Die zahlreichen, teil¬
weise bitter armen Leute sahen im Tuchhändler und Kaufiunuu an sich deu
Blutegel, der sie aussauge. Und das war nicht bloß ihre Meinung; sie war
allgemein verbreitet und nach Lage und Entwicklung der Geschäftsverhältnisse
nicht unberechtigt; sie reichte bis hinauf zum König und veranlaßte diesen
wiederholt zu ärgerlichen Äußerungen über die Kompagnie. Die Tuchmacher
waren gewöhnt, nicht in Geld, sondern in schlechten Waren bezahlt zu werden;
nur zu oft mußten sie in der Not zu Spottpreisen losschlagen. Die großen
Bestellungen der Kompagnie suchten sie darum selbstverständlich zur Erzielung
guter Preise zu benutzen. Die Abschlüsse, die mit ihnen gemacht wurden,
wurden aber oft unpünktlich ausgeführt. Die Zünfte der Tuchmacher weigerten
sich, als Zünfte Abschlüsse zu machen, man blieb also meist auf die einzelnen
Meister angewiesen. Ein weitrer Übelstand ergab sich daraus, daß die Tuch¬
macher die Wolle selbst einkaufen mußten, daher in die Gefahr unlohnender
Arbeit kamen, als die Wollpreise stiegen, die Kompagnie aber kaum höhere
Preise für die Fabrikate zahlen wollte. Aus all dem ergaben sich im ge¬
schäftlichen Verkehr zwischen der Kompagnie und den Tuchmachern große
Schwierigkeiten, bei denen die Steuerräte und Magistrate eingriffen, und zwar
oft ganz energisch. Die Walter, Färber und Tnchbereiter wurden zur Liefe¬
rung guter Arbeit angehalten, und als die Kontraktcrfüllungen ausblieben,
ging man so weit, militärische Exekution gegen säumige, nachlässige Tuchmacher
einzuleiten, so z. B. 1725 durch eine Ordre an deu Kommandanten der
Festung Driesen.

Andrerseits griffen die Behörden aber auch zu Gunsten der Tuchmacher
gegen die Kompagnie ein, so bei der Bemessung der Preise. "Wo wir die
amtlichen Organe in die Preisverhandlungcn eingreifen sehen, ist es eher zu
Gunsten der Tuchmacher als der Kompagnie. So ist es derselbe Kriegsrat
Reinhard, der die unbotmäßigen Tuchmacher aus Spandau in die Karre schicken
will, der es 1725 in Nenrnppin durchsetzt, daß sie für den größern Teil ihrer
Tücher 9 Thaler statt 8^ erhalten. Die dauernde Beschäftigung der kleinen
Meister zu billigen Bedingungen, die Beseitigung ihrer Not ist einer der
leitenden Gesichtspunkte bei allen Entschlüssen des Generaldircktoriums und
allen Handlungen der Steuerräte." Der König, wie gesagt, war der Kompagnie
gegenüber immer sehr zurückhaltend, zum Teil, weil er größere geschäftliche
Erfolge von ihr erhofft hatte, zum Teil beruhte sein Mißtrauen aber auch,
wie Schmoller sagt, "ans dem ganz richtigen königlichen Instinkte, die Partei


Preußische Könige und die Sozialpolitik

Sowohl die Tuchindnstrie wie die Seidenindustric beruhten auf dem Ver¬
lagssysteme, beide beschäftigten Hunderte kleiner Meister als Hausiudustriellc.
Für die Tuchkompagnie war die Schwierigkeit die, von den vielen einzelnen
Tuchmachern, die im Lande zerstreut wohnten, die erforderliche Menge von
Tücher pünktlich zu erhalten und dabei gleichmäßige Stoffe, die deu in
Rußland von der Armeeverwnltung, für die die meisten Tuchlicfcruugen
erfolgten, gestellten Bedingungen entsprachen. Die Verhandlungen mit den
Tuchmachern waren, schreibt Schmoller, sehr schwierig. Die zahlreichen, teil¬
weise bitter armen Leute sahen im Tuchhändler und Kaufiunuu an sich deu
Blutegel, der sie aussauge. Und das war nicht bloß ihre Meinung; sie war
allgemein verbreitet und nach Lage und Entwicklung der Geschäftsverhältnisse
nicht unberechtigt; sie reichte bis hinauf zum König und veranlaßte diesen
wiederholt zu ärgerlichen Äußerungen über die Kompagnie. Die Tuchmacher
waren gewöhnt, nicht in Geld, sondern in schlechten Waren bezahlt zu werden;
nur zu oft mußten sie in der Not zu Spottpreisen losschlagen. Die großen
Bestellungen der Kompagnie suchten sie darum selbstverständlich zur Erzielung
guter Preise zu benutzen. Die Abschlüsse, die mit ihnen gemacht wurden,
wurden aber oft unpünktlich ausgeführt. Die Zünfte der Tuchmacher weigerten
sich, als Zünfte Abschlüsse zu machen, man blieb also meist auf die einzelnen
Meister angewiesen. Ein weitrer Übelstand ergab sich daraus, daß die Tuch¬
macher die Wolle selbst einkaufen mußten, daher in die Gefahr unlohnender
Arbeit kamen, als die Wollpreise stiegen, die Kompagnie aber kaum höhere
Preise für die Fabrikate zahlen wollte. Aus all dem ergaben sich im ge¬
schäftlichen Verkehr zwischen der Kompagnie und den Tuchmachern große
Schwierigkeiten, bei denen die Steuerräte und Magistrate eingriffen, und zwar
oft ganz energisch. Die Walter, Färber und Tnchbereiter wurden zur Liefe¬
rung guter Arbeit angehalten, und als die Kontraktcrfüllungen ausblieben,
ging man so weit, militärische Exekution gegen säumige, nachlässige Tuchmacher
einzuleiten, so z. B. 1725 durch eine Ordre an deu Kommandanten der
Festung Driesen.

Andrerseits griffen die Behörden aber auch zu Gunsten der Tuchmacher
gegen die Kompagnie ein, so bei der Bemessung der Preise. „Wo wir die
amtlichen Organe in die Preisverhandlungcn eingreifen sehen, ist es eher zu
Gunsten der Tuchmacher als der Kompagnie. So ist es derselbe Kriegsrat
Reinhard, der die unbotmäßigen Tuchmacher aus Spandau in die Karre schicken
will, der es 1725 in Nenrnppin durchsetzt, daß sie für den größern Teil ihrer
Tücher 9 Thaler statt 8^ erhalten. Die dauernde Beschäftigung der kleinen
Meister zu billigen Bedingungen, die Beseitigung ihrer Not ist einer der
leitenden Gesichtspunkte bei allen Entschlüssen des Generaldircktoriums und
allen Handlungen der Steuerräte." Der König, wie gesagt, war der Kompagnie
gegenüber immer sehr zurückhaltend, zum Teil, weil er größere geschäftliche
Erfolge von ihr erhofft hatte, zum Teil beruhte sein Mißtrauen aber auch,
wie Schmoller sagt, „ans dem ganz richtigen königlichen Instinkte, die Partei


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[0629] Preußische Könige und die Sozialpolitik Sowohl die Tuchindnstrie wie die Seidenindustric beruhten auf dem Ver¬ lagssysteme, beide beschäftigten Hunderte kleiner Meister als Hausiudustriellc. Für die Tuchkompagnie war die Schwierigkeit die, von den vielen einzelnen Tuchmachern, die im Lande zerstreut wohnten, die erforderliche Menge von Tücher pünktlich zu erhalten und dabei gleichmäßige Stoffe, die deu in Rußland von der Armeeverwnltung, für die die meisten Tuchlicfcruugen erfolgten, gestellten Bedingungen entsprachen. Die Verhandlungen mit den Tuchmachern waren, schreibt Schmoller, sehr schwierig. Die zahlreichen, teil¬ weise bitter armen Leute sahen im Tuchhändler und Kaufiunuu an sich deu Blutegel, der sie aussauge. Und das war nicht bloß ihre Meinung; sie war allgemein verbreitet und nach Lage und Entwicklung der Geschäftsverhältnisse nicht unberechtigt; sie reichte bis hinauf zum König und veranlaßte diesen wiederholt zu ärgerlichen Äußerungen über die Kompagnie. Die Tuchmacher waren gewöhnt, nicht in Geld, sondern in schlechten Waren bezahlt zu werden; nur zu oft mußten sie in der Not zu Spottpreisen losschlagen. Die großen Bestellungen der Kompagnie suchten sie darum selbstverständlich zur Erzielung guter Preise zu benutzen. Die Abschlüsse, die mit ihnen gemacht wurden, wurden aber oft unpünktlich ausgeführt. Die Zünfte der Tuchmacher weigerten sich, als Zünfte Abschlüsse zu machen, man blieb also meist auf die einzelnen Meister angewiesen. Ein weitrer Übelstand ergab sich daraus, daß die Tuch¬ macher die Wolle selbst einkaufen mußten, daher in die Gefahr unlohnender Arbeit kamen, als die Wollpreise stiegen, die Kompagnie aber kaum höhere Preise für die Fabrikate zahlen wollte. Aus all dem ergaben sich im ge¬ schäftlichen Verkehr zwischen der Kompagnie und den Tuchmachern große Schwierigkeiten, bei denen die Steuerräte und Magistrate eingriffen, und zwar oft ganz energisch. Die Walter, Färber und Tnchbereiter wurden zur Liefe¬ rung guter Arbeit angehalten, und als die Kontraktcrfüllungen ausblieben, ging man so weit, militärische Exekution gegen säumige, nachlässige Tuchmacher einzuleiten, so z. B. 1725 durch eine Ordre an deu Kommandanten der Festung Driesen. Andrerseits griffen die Behörden aber auch zu Gunsten der Tuchmacher gegen die Kompagnie ein, so bei der Bemessung der Preise. „Wo wir die amtlichen Organe in die Preisverhandlungcn eingreifen sehen, ist es eher zu Gunsten der Tuchmacher als der Kompagnie. So ist es derselbe Kriegsrat Reinhard, der die unbotmäßigen Tuchmacher aus Spandau in die Karre schicken will, der es 1725 in Nenrnppin durchsetzt, daß sie für den größern Teil ihrer Tücher 9 Thaler statt 8^ erhalten. Die dauernde Beschäftigung der kleinen Meister zu billigen Bedingungen, die Beseitigung ihrer Not ist einer der leitenden Gesichtspunkte bei allen Entschlüssen des Generaldircktoriums und allen Handlungen der Steuerräte." Der König, wie gesagt, war der Kompagnie gegenüber immer sehr zurückhaltend, zum Teil, weil er größere geschäftliche Erfolge von ihr erhofft hatte, zum Teil beruhte sein Mißtrauen aber auch, wie Schmoller sagt, „ans dem ganz richtigen königlichen Instinkte, die Partei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/629>, abgerufen am 01.10.2024.