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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Line neue Theorie des Kölnischen

lachen, weinen oder fluchen wird! Viel Subjektives steckt much in der Dialekt¬
komik. Daß niemand seinen eignen Dialekt komisch findet, scheint darauf hin-
zuweisen, daß Sprachen und Dialekte gar nicht an sich komisch sind, und daß
wir, wenn wir sie komisch finden, uur in den Fehler der Ungebildeten zurück¬
falle", die über alles Fremde und Ungewohnte lachen. Dagegen steht aber
wieder die Erfahrung, daß noch niemand am Lateinischen, Griechischen oder
Italienischen etwas komisch gefunden hat, während uns am Englischen bald
der Klang, bald die Schreibweise (in Wörtern wie burnvlo, ävvinäle, vluinsioick),
bald der Kontrast zwischen Schreibweise und Aussprache (of^vllo -- ssailci) so
komisch anmutet, daß wir die englische Sprache für besonders geeignet für
humoristische Darstellung halten und uns einen Dickens in einer andern Sprache
nicht gut vorstellen können. Auch scheint den deutschen Dialekten die Komik
in verschieduei? Graden eigen zu sein. Der schlesische dürfte den meisten
Deutschen, die gebildeten Schlesier nicht ausgeschlossen, weniger komisch als
einfach häßlich vorkommen, wenigstens in seiner gröbsten Form, die Hanpt-
MMIN für seinen Fuhrmann Henschel gewählt hat. Das Schwäbische klingt
fein, gemütlich und kindlich, und wirkt komisch uur dann, wenn es bei Ge¬
legenheiten gebraucht wird, die Würde, Pathos oder edelste poetische Form,
daher das Hochdeutsche fordern, z. B. wenn in Stuttgart die "Stimme von
oben" ruft: "Ischl gerettet." Dagegen dürfte Edwin Bormanns Sächsisch,
das jn vielleicht nirgends in Sachsen "rein" gesprochen wird, jedermann schon
gleich bei der ersten Zeile und ohne Rücksicht auf den Inhalt komisch finden.
Worauf das nun beruht, auf welcher Gruppierung von Konsonanten und Vo¬
kalen, das müssen einmal sprachgelehrte untersuchen.

Ein Gegenstand endlich, der das Studium lohnte, wäre auch der nach
Ort und Zeit wechselnde Ausdehuungsbereich des Komischen. Das Komische
ist nicht bloß eine Unterhaltung in müßigen Stunden und ein Mittel der Er¬
heiterung für die Verdrießliche"?, sondern es ist eine Weltansicht. Die Welt¬
geschichte ist eine Tragikomödie nicht nur, weil sich in ihr Tragisches und
Komisches gemischt findet, sondern much, weil ihr Tragisches komisch und ihr
Komisches tragisch aufgefaßt werden kann. Es giebt keinen heidnischen und
keinen jüdisch-christlichen Weisen, der nicht die Vergänglichkeit und Wertlosig-
keit aller irdischen Güter und die Nichtigkeit aller irdischen Bestrebungen ge¬
predigt hätte. Wer sich nun ans die Höhe des unbeteiligten Beschauers
hinaufzuschwingen vermag, wer von dort aus sieht, wie so viele nach dem
Höchsten Strebende entweder nichts erreichen oder das Gegenteil von dem Er¬
strebten bewirken, und wie vergänglich auch die wirklichen Erfolge sind, dem
kommen alle Strebenden, alle Größen der Weltgeschichte komisch vor, desto
komischer, mit je größerm Ernste sie ihre als Sisyphusarbeit erscheinende
Lebensarbeit betrieben haben. Andrerseits summieren sich die kleinen Wider¬
wärtigkeiten des Lebens, die, jede einzelne betrachtet, komisch erscheinen, und
üben zusammen eiuen Druck aus, der viele zeitlebens unglücklich macht und
manche zur Verzweiflung treibt, sodaß also das ursprünglich Komische zuletzt


Line neue Theorie des Kölnischen

lachen, weinen oder fluchen wird! Viel Subjektives steckt much in der Dialekt¬
komik. Daß niemand seinen eignen Dialekt komisch findet, scheint darauf hin-
zuweisen, daß Sprachen und Dialekte gar nicht an sich komisch sind, und daß
wir, wenn wir sie komisch finden, uur in den Fehler der Ungebildeten zurück¬
falle«, die über alles Fremde und Ungewohnte lachen. Dagegen steht aber
wieder die Erfahrung, daß noch niemand am Lateinischen, Griechischen oder
Italienischen etwas komisch gefunden hat, während uns am Englischen bald
der Klang, bald die Schreibweise (in Wörtern wie burnvlo, ävvinäle, vluinsioick),
bald der Kontrast zwischen Schreibweise und Aussprache (of^vllo — ssailci) so
komisch anmutet, daß wir die englische Sprache für besonders geeignet für
humoristische Darstellung halten und uns einen Dickens in einer andern Sprache
nicht gut vorstellen können. Auch scheint den deutschen Dialekten die Komik
in verschieduei? Graden eigen zu sein. Der schlesische dürfte den meisten
Deutschen, die gebildeten Schlesier nicht ausgeschlossen, weniger komisch als
einfach häßlich vorkommen, wenigstens in seiner gröbsten Form, die Hanpt-
MMIN für seinen Fuhrmann Henschel gewählt hat. Das Schwäbische klingt
fein, gemütlich und kindlich, und wirkt komisch uur dann, wenn es bei Ge¬
legenheiten gebraucht wird, die Würde, Pathos oder edelste poetische Form,
daher das Hochdeutsche fordern, z. B. wenn in Stuttgart die „Stimme von
oben" ruft: „Ischl gerettet." Dagegen dürfte Edwin Bormanns Sächsisch,
das jn vielleicht nirgends in Sachsen „rein" gesprochen wird, jedermann schon
gleich bei der ersten Zeile und ohne Rücksicht auf den Inhalt komisch finden.
Worauf das nun beruht, auf welcher Gruppierung von Konsonanten und Vo¬
kalen, das müssen einmal sprachgelehrte untersuchen.

Ein Gegenstand endlich, der das Studium lohnte, wäre auch der nach
Ort und Zeit wechselnde Ausdehuungsbereich des Komischen. Das Komische
ist nicht bloß eine Unterhaltung in müßigen Stunden und ein Mittel der Er¬
heiterung für die Verdrießliche«?, sondern es ist eine Weltansicht. Die Welt¬
geschichte ist eine Tragikomödie nicht nur, weil sich in ihr Tragisches und
Komisches gemischt findet, sondern much, weil ihr Tragisches komisch und ihr
Komisches tragisch aufgefaßt werden kann. Es giebt keinen heidnischen und
keinen jüdisch-christlichen Weisen, der nicht die Vergänglichkeit und Wertlosig-
keit aller irdischen Güter und die Nichtigkeit aller irdischen Bestrebungen ge¬
predigt hätte. Wer sich nun ans die Höhe des unbeteiligten Beschauers
hinaufzuschwingen vermag, wer von dort aus sieht, wie so viele nach dem
Höchsten Strebende entweder nichts erreichen oder das Gegenteil von dem Er¬
strebten bewirken, und wie vergänglich auch die wirklichen Erfolge sind, dem
kommen alle Strebenden, alle Größen der Weltgeschichte komisch vor, desto
komischer, mit je größerm Ernste sie ihre als Sisyphusarbeit erscheinende
Lebensarbeit betrieben haben. Andrerseits summieren sich die kleinen Wider¬
wärtigkeiten des Lebens, die, jede einzelne betrachtet, komisch erscheinen, und
üben zusammen eiuen Druck aus, der viele zeitlebens unglücklich macht und
manche zur Verzweiflung treibt, sodaß also das ursprünglich Komische zuletzt


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[0588] Line neue Theorie des Kölnischen lachen, weinen oder fluchen wird! Viel Subjektives steckt much in der Dialekt¬ komik. Daß niemand seinen eignen Dialekt komisch findet, scheint darauf hin- zuweisen, daß Sprachen und Dialekte gar nicht an sich komisch sind, und daß wir, wenn wir sie komisch finden, uur in den Fehler der Ungebildeten zurück¬ falle«, die über alles Fremde und Ungewohnte lachen. Dagegen steht aber wieder die Erfahrung, daß noch niemand am Lateinischen, Griechischen oder Italienischen etwas komisch gefunden hat, während uns am Englischen bald der Klang, bald die Schreibweise (in Wörtern wie burnvlo, ävvinäle, vluinsioick), bald der Kontrast zwischen Schreibweise und Aussprache (of^vllo — ssailci) so komisch anmutet, daß wir die englische Sprache für besonders geeignet für humoristische Darstellung halten und uns einen Dickens in einer andern Sprache nicht gut vorstellen können. Auch scheint den deutschen Dialekten die Komik in verschieduei? Graden eigen zu sein. Der schlesische dürfte den meisten Deutschen, die gebildeten Schlesier nicht ausgeschlossen, weniger komisch als einfach häßlich vorkommen, wenigstens in seiner gröbsten Form, die Hanpt- MMIN für seinen Fuhrmann Henschel gewählt hat. Das Schwäbische klingt fein, gemütlich und kindlich, und wirkt komisch uur dann, wenn es bei Ge¬ legenheiten gebraucht wird, die Würde, Pathos oder edelste poetische Form, daher das Hochdeutsche fordern, z. B. wenn in Stuttgart die „Stimme von oben" ruft: „Ischl gerettet." Dagegen dürfte Edwin Bormanns Sächsisch, das jn vielleicht nirgends in Sachsen „rein" gesprochen wird, jedermann schon gleich bei der ersten Zeile und ohne Rücksicht auf den Inhalt komisch finden. Worauf das nun beruht, auf welcher Gruppierung von Konsonanten und Vo¬ kalen, das müssen einmal sprachgelehrte untersuchen. Ein Gegenstand endlich, der das Studium lohnte, wäre auch der nach Ort und Zeit wechselnde Ausdehuungsbereich des Komischen. Das Komische ist nicht bloß eine Unterhaltung in müßigen Stunden und ein Mittel der Er¬ heiterung für die Verdrießliche«?, sondern es ist eine Weltansicht. Die Welt¬ geschichte ist eine Tragikomödie nicht nur, weil sich in ihr Tragisches und Komisches gemischt findet, sondern much, weil ihr Tragisches komisch und ihr Komisches tragisch aufgefaßt werden kann. Es giebt keinen heidnischen und keinen jüdisch-christlichen Weisen, der nicht die Vergänglichkeit und Wertlosig- keit aller irdischen Güter und die Nichtigkeit aller irdischen Bestrebungen ge¬ predigt hätte. Wer sich nun ans die Höhe des unbeteiligten Beschauers hinaufzuschwingen vermag, wer von dort aus sieht, wie so viele nach dem Höchsten Strebende entweder nichts erreichen oder das Gegenteil von dem Er¬ strebten bewirken, und wie vergänglich auch die wirklichen Erfolge sind, dem kommen alle Strebenden, alle Größen der Weltgeschichte komisch vor, desto komischer, mit je größerm Ernste sie ihre als Sisyphusarbeit erscheinende Lebensarbeit betrieben haben. Andrerseits summieren sich die kleinen Wider¬ wärtigkeiten des Lebens, die, jede einzelne betrachtet, komisch erscheinen, und üben zusammen eiuen Druck aus, der viele zeitlebens unglücklich macht und manche zur Verzweiflung treibt, sodaß also das ursprünglich Komische zuletzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/588>, abgerufen am 03.07.2024.