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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Blute und der Vorfall der holländischen Seemacht

die seinige vermehrte, wie dessen Handel lind Schiffahrt es svgcir aus den
wichtigsten Erwerbszweigen zu verdrängen begann, wie dann auch Frankreich
und andre Staateil durch Zolltarife und Ausfuhrverbote auf Rohstoffe seinem
Handel, seiner Industrie und Schiffahrt Schlag auf Schlag zufügten, wie Frank¬
reich seinen Allsprüchen auf die souveräne Beherrschung des Mittelmeers Nach¬
druck verlieh, wie Ostsee- und Mittelmecrmüchte seinen Verkehr schädigten. Und
doch wußte man es sehr gut, daß die Niederlande unmöglich weiterbestehn
konnten, wenn ihrer Flagge nicht die Achtung des Allslands, ihrem Handel
nicht die auswärtigen Absatz- und Bezugsländer gewahrt blieben!.

Die politische Geltung der Niederlande war in unaufhaltsamem Verfall.
Als mit dem Tode Wilhelms von Ormiien die Union mit England zerriß,
da klammerten sie sich gleichwohl ängstlich an die Freundschaft Englands, um
in englischem Schutze Störungen ihres Handels durch andre Mächte zu ver>
meiden. Immer kläglicher ließ man die Wehrkraft des Landes verfallen, ja
1757 brachte es der Staatsrat der Union über sich, ein Gutachten abzugeben,
das dahin ging, daß die Republik ihre Kriegsflotte auflösen und es den Kauf-
fahrern überlassen solle, sich selbst zu schützen. Der sinkenden politischen und
militärischen Bedeutung der Niederlande folgte allmählich, aber unabwendbar
der Verlust des Handels auf dem Fuße. Wie sollte sich auch das Vertrauen
in eine Schiffahrt erhalten, auf deren Beschirmung der Staat selber verzichtete!
Dagegen zeigte sich England in stetig wachsendem Maße imstande, seine
Handelsflotten mit den auch im achtzehnten Jahrhundert noch unentbehrlichen
starken Cvnvois zu Versehen. Jetzt zeigten die Niederlande in ihrer haltlosen
selbstgeschaffnen Schwäche die größten Sympathien für die Ausbildung eines
Seerechts, wovon sie in den Zeiten ihrer eignen Seeherrschaft nie viel hatten
wissen wollen. Immer lebhafter suchten sie dem Grundsatze: Frei Schiff, frei
Gut Geltung zu verschaffen. Aber vergeblich: weil die Niederlande ihren
Wünschen und Ansprüchen nicht mehr mit gewappneter Faust Nachdruck zu
geben wagten, mußten sie demütig ihr Schicksal aus der Hand der sec-
mächtigen Nationen erwarten und schweigend die Kapereien der Freunde wie
der Feinde dulden.

So begann im Verlaufe des achtzehnten Jahrhunderts der Seehandel,
als sich ihm das Ausland verschloß und der heimische Staat ihm keine Sicher¬
heit und Anerkennung bei den andern Mächten zu erzwingen wagte, die Nieder¬
lande zu fliehen. Hatte sich der holländische Handel zum englischen wie 5:1
Verhalten, so war das Verhältnis hundert Jahre später wie 6:7, und nach
furchtbarem Kriege und nach dem Aufkommen der neuen Maschinengewerbe 1792
nur noch wie 2 : 5. Der Rückgang der Industrie war beispiellos. Die großen
überseeischen Handelskompagnien verfielen infolge der Vcrrottung ihrer Ver¬
waltung, infolge der Konkurrenz der Engländer und der Schutzlosigkeit der
Schiffahrt gegen Kaperei. Der tüchtige Luzae, der 1778 sein Buch über
"Hollands Nykdom" schrieb, nannte als eins der allergrößten Übel, als eine
Hauptursache des Verfalls der holländischen Handelsmacht und Seegewalt die


Die Blute und der Vorfall der holländischen Seemacht

die seinige vermehrte, wie dessen Handel lind Schiffahrt es svgcir aus den
wichtigsten Erwerbszweigen zu verdrängen begann, wie dann auch Frankreich
und andre Staateil durch Zolltarife und Ausfuhrverbote auf Rohstoffe seinem
Handel, seiner Industrie und Schiffahrt Schlag auf Schlag zufügten, wie Frank¬
reich seinen Allsprüchen auf die souveräne Beherrschung des Mittelmeers Nach¬
druck verlieh, wie Ostsee- und Mittelmecrmüchte seinen Verkehr schädigten. Und
doch wußte man es sehr gut, daß die Niederlande unmöglich weiterbestehn
konnten, wenn ihrer Flagge nicht die Achtung des Allslands, ihrem Handel
nicht die auswärtigen Absatz- und Bezugsländer gewahrt blieben!.

Die politische Geltung der Niederlande war in unaufhaltsamem Verfall.
Als mit dem Tode Wilhelms von Ormiien die Union mit England zerriß,
da klammerten sie sich gleichwohl ängstlich an die Freundschaft Englands, um
in englischem Schutze Störungen ihres Handels durch andre Mächte zu ver>
meiden. Immer kläglicher ließ man die Wehrkraft des Landes verfallen, ja
1757 brachte es der Staatsrat der Union über sich, ein Gutachten abzugeben,
das dahin ging, daß die Republik ihre Kriegsflotte auflösen und es den Kauf-
fahrern überlassen solle, sich selbst zu schützen. Der sinkenden politischen und
militärischen Bedeutung der Niederlande folgte allmählich, aber unabwendbar
der Verlust des Handels auf dem Fuße. Wie sollte sich auch das Vertrauen
in eine Schiffahrt erhalten, auf deren Beschirmung der Staat selber verzichtete!
Dagegen zeigte sich England in stetig wachsendem Maße imstande, seine
Handelsflotten mit den auch im achtzehnten Jahrhundert noch unentbehrlichen
starken Cvnvois zu Versehen. Jetzt zeigten die Niederlande in ihrer haltlosen
selbstgeschaffnen Schwäche die größten Sympathien für die Ausbildung eines
Seerechts, wovon sie in den Zeiten ihrer eignen Seeherrschaft nie viel hatten
wissen wollen. Immer lebhafter suchten sie dem Grundsatze: Frei Schiff, frei
Gut Geltung zu verschaffen. Aber vergeblich: weil die Niederlande ihren
Wünschen und Ansprüchen nicht mehr mit gewappneter Faust Nachdruck zu
geben wagten, mußten sie demütig ihr Schicksal aus der Hand der sec-
mächtigen Nationen erwarten und schweigend die Kapereien der Freunde wie
der Feinde dulden.

So begann im Verlaufe des achtzehnten Jahrhunderts der Seehandel,
als sich ihm das Ausland verschloß und der heimische Staat ihm keine Sicher¬
heit und Anerkennung bei den andern Mächten zu erzwingen wagte, die Nieder¬
lande zu fliehen. Hatte sich der holländische Handel zum englischen wie 5:1
Verhalten, so war das Verhältnis hundert Jahre später wie 6:7, und nach
furchtbarem Kriege und nach dem Aufkommen der neuen Maschinengewerbe 1792
nur noch wie 2 : 5. Der Rückgang der Industrie war beispiellos. Die großen
überseeischen Handelskompagnien verfielen infolge der Vcrrottung ihrer Ver¬
waltung, infolge der Konkurrenz der Engländer und der Schutzlosigkeit der
Schiffahrt gegen Kaperei. Der tüchtige Luzae, der 1778 sein Buch über
„Hollands Nykdom" schrieb, nannte als eins der allergrößten Übel, als eine
Hauptursache des Verfalls der holländischen Handelsmacht und Seegewalt die


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[0582] Die Blute und der Vorfall der holländischen Seemacht die seinige vermehrte, wie dessen Handel lind Schiffahrt es svgcir aus den wichtigsten Erwerbszweigen zu verdrängen begann, wie dann auch Frankreich und andre Staateil durch Zolltarife und Ausfuhrverbote auf Rohstoffe seinem Handel, seiner Industrie und Schiffahrt Schlag auf Schlag zufügten, wie Frank¬ reich seinen Allsprüchen auf die souveräne Beherrschung des Mittelmeers Nach¬ druck verlieh, wie Ostsee- und Mittelmecrmüchte seinen Verkehr schädigten. Und doch wußte man es sehr gut, daß die Niederlande unmöglich weiterbestehn konnten, wenn ihrer Flagge nicht die Achtung des Allslands, ihrem Handel nicht die auswärtigen Absatz- und Bezugsländer gewahrt blieben!. Die politische Geltung der Niederlande war in unaufhaltsamem Verfall. Als mit dem Tode Wilhelms von Ormiien die Union mit England zerriß, da klammerten sie sich gleichwohl ängstlich an die Freundschaft Englands, um in englischem Schutze Störungen ihres Handels durch andre Mächte zu ver> meiden. Immer kläglicher ließ man die Wehrkraft des Landes verfallen, ja 1757 brachte es der Staatsrat der Union über sich, ein Gutachten abzugeben, das dahin ging, daß die Republik ihre Kriegsflotte auflösen und es den Kauf- fahrern überlassen solle, sich selbst zu schützen. Der sinkenden politischen und militärischen Bedeutung der Niederlande folgte allmählich, aber unabwendbar der Verlust des Handels auf dem Fuße. Wie sollte sich auch das Vertrauen in eine Schiffahrt erhalten, auf deren Beschirmung der Staat selber verzichtete! Dagegen zeigte sich England in stetig wachsendem Maße imstande, seine Handelsflotten mit den auch im achtzehnten Jahrhundert noch unentbehrlichen starken Cvnvois zu Versehen. Jetzt zeigten die Niederlande in ihrer haltlosen selbstgeschaffnen Schwäche die größten Sympathien für die Ausbildung eines Seerechts, wovon sie in den Zeiten ihrer eignen Seeherrschaft nie viel hatten wissen wollen. Immer lebhafter suchten sie dem Grundsatze: Frei Schiff, frei Gut Geltung zu verschaffen. Aber vergeblich: weil die Niederlande ihren Wünschen und Ansprüchen nicht mehr mit gewappneter Faust Nachdruck zu geben wagten, mußten sie demütig ihr Schicksal aus der Hand der sec- mächtigen Nationen erwarten und schweigend die Kapereien der Freunde wie der Feinde dulden. So begann im Verlaufe des achtzehnten Jahrhunderts der Seehandel, als sich ihm das Ausland verschloß und der heimische Staat ihm keine Sicher¬ heit und Anerkennung bei den andern Mächten zu erzwingen wagte, die Nieder¬ lande zu fliehen. Hatte sich der holländische Handel zum englischen wie 5:1 Verhalten, so war das Verhältnis hundert Jahre später wie 6:7, und nach furchtbarem Kriege und nach dem Aufkommen der neuen Maschinengewerbe 1792 nur noch wie 2 : 5. Der Rückgang der Industrie war beispiellos. Die großen überseeischen Handelskompagnien verfielen infolge der Vcrrottung ihrer Ver¬ waltung, infolge der Konkurrenz der Engländer und der Schutzlosigkeit der Schiffahrt gegen Kaperei. Der tüchtige Luzae, der 1778 sein Buch über „Hollands Nykdom" schrieb, nannte als eins der allergrößten Übel, als eine Hauptursache des Verfalls der holländischen Handelsmacht und Seegewalt die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/582>, abgerufen am 03.07.2024.