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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Blüte und der verfall der hollcmdischeil Seemacht

die beiden Flotten wird das erläutern: Die englische 1653: 131 Linienschiffe,
davon 26 zu 700 bis 200 Mann Besatzung und zu 104 bis 50 Kanonen.
Die holländische 1654: 101 Linienschiffe, davon nur el" einziges mit 120 Manu
und nur 10 zu 50 bis 60 Geschützen. Die englische 1665: 109 Linienschiffe,
davon 50 bis 60 zu 700 bis 200 Mann, 34 zu 100 bis 50 Kanonen, die
holländische 1665: 103 Linienschiffe, davon 63 zu 400 bis 200 Mann, 37 zu
78 bis 50 Kanonen.

Aber die anscheinenden Fortschritte der holländischen Armierung dürfe"
nicht täuschen: von den holländischen Geschützen waren die schwersten zu
36 Pfund sehr spärlich vorhanden, die nächstgrößten von 24 Pfund auch nicht
häufig. Von beiden Sorten verfügte die Flotte nnr über 92 Geschütze. Die
britische Flotte dagegen führte 452 Geschütze zu 42 bis 24 Pfund, dabei
allein 78 zu 42 Pfund!

Wenn die niederländische Flotte in diesen drei Kriegen die See sogar
noch mit Ehren behauptet hat, so dankte die Nation dies der unverwüstlichen,
überlegnen seemännischen Fähigkeit der Mannschaften, wie ihrer Führer Tromp
und de Ruyter. Aber gleichwohl wurde die Leistungsfähigkeit des Volkes er¬
schöpft, und es vermochte nicht, die Versäumnisse im Seewesen nachzuholen
und die Engländer zu zwingen, ihre Forderungen zu mildern. Es mußte die
Navigatiousaktc anerkennen, es mußte der britischen Flagge den Gruß auf den
Meeren zugestehn, es mußte auf seine nordamerikanische Kolonie verzichten.
Trotz der niederländischen Heldenthaten zur See stand es 1674 fest, daß die
erste Seemacht der Welt fortan England hieß.

Als beim Ausbruch des dritten Seekriegs mit England feige Angst die
Unmännlichkeit des kaufmännischen Regiments offenbarte, als Jan de Witt in
kriechender Demut England zu beschwichtigen suchte, da geriet wohl das Volk
in furchtbare Erregung, zerfleischte die beiden Brüder de Witt und rief den
letzten Oranier an die Spitze des Staats. Aber als er 1689 den englischen
Thron bestieg und die Niederlande bis 1702 in eine Union mit ihrem gefähr¬
lichsten Rivalen kamen, erntete nur England die Vorteile davon. Von 1660
bis 1715 verdreifachte sich nahezu die englische Kriegsflotte; die niederländische
zeigte schon 1691 leine Fortschritte gegenüber dem Bestand um regulären Schiffen
in der Kriegszeit, dagegen schon bis 1706 ein Zuruckgehn der großen Linien¬
schiffe zu 94 bis 50 Geschützen von 44 auf 30 Schiffe und der Gesamtbesatznng
der Flotte von 16000 auf 11500 Köpfe. Das war die Antwort auf den Rat
eines Einsichtigen, der noch is69 die Notwendigkeit einer Flotte, die der eng¬
lischen die Stange halten könnte, dringend betont hatte. Resigniert machte
derselbe Mann das Eingeständnis, daß der ganze Handel und Fischfang der
Niederländer von Englands Freundschaft abhänge.

Dahin war es gekommen, so tief gesunken war in wenig Jahrzehnten das
Heldenvolk des spanischen Kriegs, das groß geworden war durch seinen Kampf
um die Herrschaft auf den Meeren. So verständnislos legte es die Hände in
den Schoß, ließ es seine Flotte verfallen und sah zu, wie der englische Rivale


Die Blüte und der verfall der hollcmdischeil Seemacht

die beiden Flotten wird das erläutern: Die englische 1653: 131 Linienschiffe,
davon 26 zu 700 bis 200 Mann Besatzung und zu 104 bis 50 Kanonen.
Die holländische 1654: 101 Linienschiffe, davon nur el» einziges mit 120 Manu
und nur 10 zu 50 bis 60 Geschützen. Die englische 1665: 109 Linienschiffe,
davon 50 bis 60 zu 700 bis 200 Mann, 34 zu 100 bis 50 Kanonen, die
holländische 1665: 103 Linienschiffe, davon 63 zu 400 bis 200 Mann, 37 zu
78 bis 50 Kanonen.

Aber die anscheinenden Fortschritte der holländischen Armierung dürfe»
nicht täuschen: von den holländischen Geschützen waren die schwersten zu
36 Pfund sehr spärlich vorhanden, die nächstgrößten von 24 Pfund auch nicht
häufig. Von beiden Sorten verfügte die Flotte nnr über 92 Geschütze. Die
britische Flotte dagegen führte 452 Geschütze zu 42 bis 24 Pfund, dabei
allein 78 zu 42 Pfund!

Wenn die niederländische Flotte in diesen drei Kriegen die See sogar
noch mit Ehren behauptet hat, so dankte die Nation dies der unverwüstlichen,
überlegnen seemännischen Fähigkeit der Mannschaften, wie ihrer Führer Tromp
und de Ruyter. Aber gleichwohl wurde die Leistungsfähigkeit des Volkes er¬
schöpft, und es vermochte nicht, die Versäumnisse im Seewesen nachzuholen
und die Engländer zu zwingen, ihre Forderungen zu mildern. Es mußte die
Navigatiousaktc anerkennen, es mußte der britischen Flagge den Gruß auf den
Meeren zugestehn, es mußte auf seine nordamerikanische Kolonie verzichten.
Trotz der niederländischen Heldenthaten zur See stand es 1674 fest, daß die
erste Seemacht der Welt fortan England hieß.

Als beim Ausbruch des dritten Seekriegs mit England feige Angst die
Unmännlichkeit des kaufmännischen Regiments offenbarte, als Jan de Witt in
kriechender Demut England zu beschwichtigen suchte, da geriet wohl das Volk
in furchtbare Erregung, zerfleischte die beiden Brüder de Witt und rief den
letzten Oranier an die Spitze des Staats. Aber als er 1689 den englischen
Thron bestieg und die Niederlande bis 1702 in eine Union mit ihrem gefähr¬
lichsten Rivalen kamen, erntete nur England die Vorteile davon. Von 1660
bis 1715 verdreifachte sich nahezu die englische Kriegsflotte; die niederländische
zeigte schon 1691 leine Fortschritte gegenüber dem Bestand um regulären Schiffen
in der Kriegszeit, dagegen schon bis 1706 ein Zuruckgehn der großen Linien¬
schiffe zu 94 bis 50 Geschützen von 44 auf 30 Schiffe und der Gesamtbesatznng
der Flotte von 16000 auf 11500 Köpfe. Das war die Antwort auf den Rat
eines Einsichtigen, der noch is69 die Notwendigkeit einer Flotte, die der eng¬
lischen die Stange halten könnte, dringend betont hatte. Resigniert machte
derselbe Mann das Eingeständnis, daß der ganze Handel und Fischfang der
Niederländer von Englands Freundschaft abhänge.

Dahin war es gekommen, so tief gesunken war in wenig Jahrzehnten das
Heldenvolk des spanischen Kriegs, das groß geworden war durch seinen Kampf
um die Herrschaft auf den Meeren. So verständnislos legte es die Hände in
den Schoß, ließ es seine Flotte verfallen und sah zu, wie der englische Rivale


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[0581] Die Blüte und der verfall der hollcmdischeil Seemacht die beiden Flotten wird das erläutern: Die englische 1653: 131 Linienschiffe, davon 26 zu 700 bis 200 Mann Besatzung und zu 104 bis 50 Kanonen. Die holländische 1654: 101 Linienschiffe, davon nur el» einziges mit 120 Manu und nur 10 zu 50 bis 60 Geschützen. Die englische 1665: 109 Linienschiffe, davon 50 bis 60 zu 700 bis 200 Mann, 34 zu 100 bis 50 Kanonen, die holländische 1665: 103 Linienschiffe, davon 63 zu 400 bis 200 Mann, 37 zu 78 bis 50 Kanonen. Aber die anscheinenden Fortschritte der holländischen Armierung dürfe» nicht täuschen: von den holländischen Geschützen waren die schwersten zu 36 Pfund sehr spärlich vorhanden, die nächstgrößten von 24 Pfund auch nicht häufig. Von beiden Sorten verfügte die Flotte nnr über 92 Geschütze. Die britische Flotte dagegen führte 452 Geschütze zu 42 bis 24 Pfund, dabei allein 78 zu 42 Pfund! Wenn die niederländische Flotte in diesen drei Kriegen die See sogar noch mit Ehren behauptet hat, so dankte die Nation dies der unverwüstlichen, überlegnen seemännischen Fähigkeit der Mannschaften, wie ihrer Führer Tromp und de Ruyter. Aber gleichwohl wurde die Leistungsfähigkeit des Volkes er¬ schöpft, und es vermochte nicht, die Versäumnisse im Seewesen nachzuholen und die Engländer zu zwingen, ihre Forderungen zu mildern. Es mußte die Navigatiousaktc anerkennen, es mußte der britischen Flagge den Gruß auf den Meeren zugestehn, es mußte auf seine nordamerikanische Kolonie verzichten. Trotz der niederländischen Heldenthaten zur See stand es 1674 fest, daß die erste Seemacht der Welt fortan England hieß. Als beim Ausbruch des dritten Seekriegs mit England feige Angst die Unmännlichkeit des kaufmännischen Regiments offenbarte, als Jan de Witt in kriechender Demut England zu beschwichtigen suchte, da geriet wohl das Volk in furchtbare Erregung, zerfleischte die beiden Brüder de Witt und rief den letzten Oranier an die Spitze des Staats. Aber als er 1689 den englischen Thron bestieg und die Niederlande bis 1702 in eine Union mit ihrem gefähr¬ lichsten Rivalen kamen, erntete nur England die Vorteile davon. Von 1660 bis 1715 verdreifachte sich nahezu die englische Kriegsflotte; die niederländische zeigte schon 1691 leine Fortschritte gegenüber dem Bestand um regulären Schiffen in der Kriegszeit, dagegen schon bis 1706 ein Zuruckgehn der großen Linien¬ schiffe zu 94 bis 50 Geschützen von 44 auf 30 Schiffe und der Gesamtbesatznng der Flotte von 16000 auf 11500 Köpfe. Das war die Antwort auf den Rat eines Einsichtigen, der noch is69 die Notwendigkeit einer Flotte, die der eng¬ lischen die Stange halten könnte, dringend betont hatte. Resigniert machte derselbe Mann das Eingeständnis, daß der ganze Handel und Fischfang der Niederländer von Englands Freundschaft abhänge. Dahin war es gekommen, so tief gesunken war in wenig Jahrzehnten das Heldenvolk des spanischen Kriegs, das groß geworden war durch seinen Kampf um die Herrschaft auf den Meeren. So verständnislos legte es die Hände in den Schoß, ließ es seine Flotte verfallen und sah zu, wie der englische Rivale

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/581>, abgerufen am 22.07.2024.