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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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nicht unähnlich dein Verhältnis, worin die Türkei so lange Europa gegen¬
über gestanden hat, die ihrer Zeit auch eine Weltmacht genannt werden konnte,
lind wie leicht der nationale Chauvinismus die rechtlichen und andern Schranken
der Kultur nicht bloß in England, sondern auch in dem Slawentum zu über¬
springen geneigt ist, haben Nur an dem Verfahren gegen die Finnländer und
die Ballen sehen können, worin eine Parallele zu den Vorgängen in Südafrika
klar vor Augen liegt. Aber der russische Chauvinismus billigt das eine und
verdammt das andre, wie es eben dem Machtbewnßtsein, nicht dein Rechts-
bewußtsein paßt. Aspirationen, wie Frankreich sie unter Ludwig XIV. und
Napoleon l. erhoben hat, liegen ganz im Geiste eines Volkes von so wenig
differenzierten Körper wie des russischen, eines Staats von so rücksichtsloser
Ausnutzung der Volkskraft an Mensche" und Gütern, und einer Kirche, die
von demselben Geist des staatliche" Beamtentums erfüllt ist. Diese Macht in
Schranken zu halten ist ein Bedürfnis für das englisch-indische Kaiserreich und
ein Lebensbedürfnis für das Europa der alten Kultur. Ohne England geriete
an diesem Pnnkte das Gleichgewicht Europas leicht ius Schwanken; hier,
gegenüber dem Slawentum, decken sich die Interessen des Kontinents und
Englands, oder richtiger Europas und der von europäische" Staaten in Asien
beherrschten Kvlonialländer. Denn wie England zur See, in Australien, in
Afrika monopolisierend vorgeht, so Rußland in Asien. Europa hat nach beiden
Seiten große Interessen zu verteidige". Es handelt sich hente nicht mehr um
ein Gleichgewicht der europäischen Kontiuentalstaateu untereinander, sonder"
um das Gleichgewicht zwischen Europa als Ganzem und den Weltmächten
Großbritannien und Rußland. Europa hat wirtschaftliche Lebensinteressen, die
es gegen beide verteidigen muß, wobei es sich abwechselnd mit der einen und
der andern der beide" Weltmächte in Überei"stimm""g finde" wird.

Keiner der europäische"! Kvntineutalstaateu kann daran denken, sich für
einen ohne Koalitionen zu führende" Seekrieg mit dem heutigen Euglnud vor¬
zubereiten, der die maritime Übermacht dieses Staates zu brechen bezweckte.
Auch Frankreich, auch nach der Vermehrung seiner Flotte mit Aufwand der jüngst
bewilligten 900 Millionen Franke", ist England nicht zur See gewachsen.
Und England läßt die Hände ja nicht im Schoß, es wird sich nicht über¬
flügeln lassen von irgend einer Macht. Wenn Dentschlnnd ein Schiff baut,
wird England ihrer zwei bauen, und so bleibt es beim alten. ^ oorsirirs
oarLiüre et- cisini.

Inzwischen haben uns vertrauenswürdige Fachmänner dargelegt, daß für
den Seekrieg die Menge der Kriegsschiffe, die ein Staat hat, weniger aus¬
schlaggebend ist als die Zahl der Regimenter in einem Landkriege. Auch im
Landkriege findet die Menge der für die Schlacht zu verweudendeu Truppe"
eine Grenze in der Möglichkeit, sie an einem Pnnkte zu konzentrieren. Wenn
man sich vorstellt, daß Deutschland etwa mit Rußland in einen Krieg geriete,
wo auf jeder Seite je eine Million Soldaten zur Schlacht gebracht werden
sollten, so scheint es unmöglich zu sein, daß diese zwei Heere trotz aller Eisen-


nicht unähnlich dein Verhältnis, worin die Türkei so lange Europa gegen¬
über gestanden hat, die ihrer Zeit auch eine Weltmacht genannt werden konnte,
lind wie leicht der nationale Chauvinismus die rechtlichen und andern Schranken
der Kultur nicht bloß in England, sondern auch in dem Slawentum zu über¬
springen geneigt ist, haben Nur an dem Verfahren gegen die Finnländer und
die Ballen sehen können, worin eine Parallele zu den Vorgängen in Südafrika
klar vor Augen liegt. Aber der russische Chauvinismus billigt das eine und
verdammt das andre, wie es eben dem Machtbewnßtsein, nicht dein Rechts-
bewußtsein paßt. Aspirationen, wie Frankreich sie unter Ludwig XIV. und
Napoleon l. erhoben hat, liegen ganz im Geiste eines Volkes von so wenig
differenzierten Körper wie des russischen, eines Staats von so rücksichtsloser
Ausnutzung der Volkskraft an Mensche» und Gütern, und einer Kirche, die
von demselben Geist des staatliche« Beamtentums erfüllt ist. Diese Macht in
Schranken zu halten ist ein Bedürfnis für das englisch-indische Kaiserreich und
ein Lebensbedürfnis für das Europa der alten Kultur. Ohne England geriete
an diesem Pnnkte das Gleichgewicht Europas leicht ius Schwanken; hier,
gegenüber dem Slawentum, decken sich die Interessen des Kontinents und
Englands, oder richtiger Europas und der von europäische« Staaten in Asien
beherrschten Kvlonialländer. Denn wie England zur See, in Australien, in
Afrika monopolisierend vorgeht, so Rußland in Asien. Europa hat nach beiden
Seiten große Interessen zu verteidige». Es handelt sich hente nicht mehr um
ein Gleichgewicht der europäischen Kontiuentalstaateu untereinander, sonder»
um das Gleichgewicht zwischen Europa als Ganzem und den Weltmächten
Großbritannien und Rußland. Europa hat wirtschaftliche Lebensinteressen, die
es gegen beide verteidigen muß, wobei es sich abwechselnd mit der einen und
der andern der beide» Weltmächte in Überei»stimm»»g finde» wird.

Keiner der europäische»! Kvntineutalstaateu kann daran denken, sich für
einen ohne Koalitionen zu führende« Seekrieg mit dem heutigen Euglnud vor¬
zubereiten, der die maritime Übermacht dieses Staates zu brechen bezweckte.
Auch Frankreich, auch nach der Vermehrung seiner Flotte mit Aufwand der jüngst
bewilligten 900 Millionen Franke», ist England nicht zur See gewachsen.
Und England läßt die Hände ja nicht im Schoß, es wird sich nicht über¬
flügeln lassen von irgend einer Macht. Wenn Dentschlnnd ein Schiff baut,
wird England ihrer zwei bauen, und so bleibt es beim alten. ^ oorsirirs
oarLiüre et- cisini.

Inzwischen haben uns vertrauenswürdige Fachmänner dargelegt, daß für
den Seekrieg die Menge der Kriegsschiffe, die ein Staat hat, weniger aus¬
schlaggebend ist als die Zahl der Regimenter in einem Landkriege. Auch im
Landkriege findet die Menge der für die Schlacht zu verweudendeu Truppe»
eine Grenze in der Möglichkeit, sie an einem Pnnkte zu konzentrieren. Wenn
man sich vorstellt, daß Deutschland etwa mit Rußland in einen Krieg geriete,
wo auf jeder Seite je eine Million Soldaten zur Schlacht gebracht werden
sollten, so scheint es unmöglich zu sein, daß diese zwei Heere trotz aller Eisen-


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[0568] nicht unähnlich dein Verhältnis, worin die Türkei so lange Europa gegen¬ über gestanden hat, die ihrer Zeit auch eine Weltmacht genannt werden konnte, lind wie leicht der nationale Chauvinismus die rechtlichen und andern Schranken der Kultur nicht bloß in England, sondern auch in dem Slawentum zu über¬ springen geneigt ist, haben Nur an dem Verfahren gegen die Finnländer und die Ballen sehen können, worin eine Parallele zu den Vorgängen in Südafrika klar vor Augen liegt. Aber der russische Chauvinismus billigt das eine und verdammt das andre, wie es eben dem Machtbewnßtsein, nicht dein Rechts- bewußtsein paßt. Aspirationen, wie Frankreich sie unter Ludwig XIV. und Napoleon l. erhoben hat, liegen ganz im Geiste eines Volkes von so wenig differenzierten Körper wie des russischen, eines Staats von so rücksichtsloser Ausnutzung der Volkskraft an Mensche» und Gütern, und einer Kirche, die von demselben Geist des staatliche« Beamtentums erfüllt ist. Diese Macht in Schranken zu halten ist ein Bedürfnis für das englisch-indische Kaiserreich und ein Lebensbedürfnis für das Europa der alten Kultur. Ohne England geriete an diesem Pnnkte das Gleichgewicht Europas leicht ius Schwanken; hier, gegenüber dem Slawentum, decken sich die Interessen des Kontinents und Englands, oder richtiger Europas und der von europäische« Staaten in Asien beherrschten Kvlonialländer. Denn wie England zur See, in Australien, in Afrika monopolisierend vorgeht, so Rußland in Asien. Europa hat nach beiden Seiten große Interessen zu verteidige». Es handelt sich hente nicht mehr um ein Gleichgewicht der europäischen Kontiuentalstaateu untereinander, sonder» um das Gleichgewicht zwischen Europa als Ganzem und den Weltmächten Großbritannien und Rußland. Europa hat wirtschaftliche Lebensinteressen, die es gegen beide verteidigen muß, wobei es sich abwechselnd mit der einen und der andern der beide» Weltmächte in Überei»stimm»»g finde» wird. Keiner der europäische»! Kvntineutalstaateu kann daran denken, sich für einen ohne Koalitionen zu führende« Seekrieg mit dem heutigen Euglnud vor¬ zubereiten, der die maritime Übermacht dieses Staates zu brechen bezweckte. Auch Frankreich, auch nach der Vermehrung seiner Flotte mit Aufwand der jüngst bewilligten 900 Millionen Franke», ist England nicht zur See gewachsen. Und England läßt die Hände ja nicht im Schoß, es wird sich nicht über¬ flügeln lassen von irgend einer Macht. Wenn Dentschlnnd ein Schiff baut, wird England ihrer zwei bauen, und so bleibt es beim alten. ^ oorsirirs oarLiüre et- cisini. Inzwischen haben uns vertrauenswürdige Fachmänner dargelegt, daß für den Seekrieg die Menge der Kriegsschiffe, die ein Staat hat, weniger aus¬ schlaggebend ist als die Zahl der Regimenter in einem Landkriege. Auch im Landkriege findet die Menge der für die Schlacht zu verweudendeu Truppe» eine Grenze in der Möglichkeit, sie an einem Pnnkte zu konzentrieren. Wenn man sich vorstellt, daß Deutschland etwa mit Rußland in einen Krieg geriete, wo auf jeder Seite je eine Million Soldaten zur Schlacht gebracht werden sollten, so scheint es unmöglich zu sein, daß diese zwei Heere trotz aller Eisen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/568>, abgerufen am 03.07.2024.