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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Uontinentciles und maritimes Gleichgewicht

bahnen aneinander gebracht werden könnten, weil zwei Millionen Menschen
nicht vierundzwanzig Stunden lang in offnem Felde ernährt werden könnten.
Deshalb ist die Furcht vor dem russischen Millionenheere unbegründet. Wenn
Rußland auch drei und fünf Millionen Soldaten hätte, so könnte es doch nie
diese Mengen zugleich für eine Schlacht verwenden. Ebenso ist es nicht
möglich, in einer Seeschlacht eine unbegrenzte Zahl von Schiffen anf einmal
zu verwenden. Hat ein Geschwader die nach den Bedingungen deS Raums
und der Tragfähigkeit der Geschosse mögliche größte taktische Stärke erreicht,
so ist es, so sagt man uns, für jede Seeschlacht ausreichend stark. In der
Seeschlacht kann uns jeder Seite nicht mehr als eine gewisse Anzahl Schiffe
in Thätigkeit kommen. Man kann nicht fünfzig oder hundert der heutigen
Schlachtschiffe zugleich ins Gefecht führe", souderu nur etwa sechzehn. sonach
wird Deutschland durch Schaffung einer Flotte, die den Anforderungen der
taktischen Einheit genügt, mich einem Staate gegenüber zur See kampffähig,
dessen Flotte uns um Schiffszahl weit überlege": ist. Wir können in der Ostsee
oder der Nordsee eine Seeschlacht mit Aussicht auf Erfolg liefern, und daß diese
Möglichkeit von sehr großem Wert für uns ist, wird jeder einsehen, der über¬
haupt sehen Null. Wenn unsre alte Kleinkrämerei in politischen Dingen nus
nicht wiederum einen Streich spielt,") werden nur in einigen Jahren besser
als bisher imstande sein, der durch unsre maritime Schwäche an andre Staaten
herantretenden Versuchung, unsern Handel, unsre Industrie niederzuwerfen,
einen Zügel anzulegen. Rußland, Frankreich werden unsre Küsten nicht mehr
schuhlos finden. England wird sicher, sobald es seinen Handel zu sehr be¬
drängt sieht, den seiner Konkurrenten zuerst angreifen, der ihm wirtschaftlich
am gefährlichsten und im Seekriege am wenigsten gefährlich ist. Das sind
bis jetzt wir Deutschen. Ist Deutschland abgethan, dann käme, nach bemalten
englischen Rezept, Frankreich dran. Nur eine Rücksicht wird sich England in
dieser Beziehung immer auferlegen, nämlich die Erwägung, daß es einmal
Deutschlands gegen Rußland bedürfen könnte. Wäre Rußland nicht Vor¬
häute", so hätten wir wahrscheinlich sehr bald einen Krieg mit England, der
unsre Arbeit von dreißig Jahren vernichten würde. Denn vier sich nicht von
der europäischen Geschichte der letzten dreihundert Jahre hat überzeugen lassen,
der wird doch dem glauben müssen, was er eben jetzt sich abspielen sieht. So
sehr das moralische Ansehen Englands durch diesen Burenkrieg gesunken ist,
so sehr ist die Besorgnis vor weiteren Mißbrauch der Macht durch England
gestiegen. Die Folge ist das Bestreben der Großmächte, ihre Flotten zu
stärken, und das beunruhigende Bewußtwerden des Gegensatzes zwischen den
Interessen des europäischen Kontinents und den englischen.

Indessen drängt England heute mehr als die kontinentalen Haudelsläuder
dazu, einen Ausweg zu suchen. Gegenüber den Seerüstungen der großen Kor-



*) Inzwischen sind wir dieser Sorge in der Hauptsache durch die Beschlüsse des Reichs¬
tags enthoben worden.
Grenzboten II 190V 7l
Uontinentciles und maritimes Gleichgewicht

bahnen aneinander gebracht werden könnten, weil zwei Millionen Menschen
nicht vierundzwanzig Stunden lang in offnem Felde ernährt werden könnten.
Deshalb ist die Furcht vor dem russischen Millionenheere unbegründet. Wenn
Rußland auch drei und fünf Millionen Soldaten hätte, so könnte es doch nie
diese Mengen zugleich für eine Schlacht verwenden. Ebenso ist es nicht
möglich, in einer Seeschlacht eine unbegrenzte Zahl von Schiffen anf einmal
zu verwenden. Hat ein Geschwader die nach den Bedingungen deS Raums
und der Tragfähigkeit der Geschosse mögliche größte taktische Stärke erreicht,
so ist es, so sagt man uns, für jede Seeschlacht ausreichend stark. In der
Seeschlacht kann uns jeder Seite nicht mehr als eine gewisse Anzahl Schiffe
in Thätigkeit kommen. Man kann nicht fünfzig oder hundert der heutigen
Schlachtschiffe zugleich ins Gefecht führe», souderu nur etwa sechzehn. sonach
wird Deutschland durch Schaffung einer Flotte, die den Anforderungen der
taktischen Einheit genügt, mich einem Staate gegenüber zur See kampffähig,
dessen Flotte uns um Schiffszahl weit überlege«: ist. Wir können in der Ostsee
oder der Nordsee eine Seeschlacht mit Aussicht auf Erfolg liefern, und daß diese
Möglichkeit von sehr großem Wert für uns ist, wird jeder einsehen, der über¬
haupt sehen Null. Wenn unsre alte Kleinkrämerei in politischen Dingen nus
nicht wiederum einen Streich spielt,") werden nur in einigen Jahren besser
als bisher imstande sein, der durch unsre maritime Schwäche an andre Staaten
herantretenden Versuchung, unsern Handel, unsre Industrie niederzuwerfen,
einen Zügel anzulegen. Rußland, Frankreich werden unsre Küsten nicht mehr
schuhlos finden. England wird sicher, sobald es seinen Handel zu sehr be¬
drängt sieht, den seiner Konkurrenten zuerst angreifen, der ihm wirtschaftlich
am gefährlichsten und im Seekriege am wenigsten gefährlich ist. Das sind
bis jetzt wir Deutschen. Ist Deutschland abgethan, dann käme, nach bemalten
englischen Rezept, Frankreich dran. Nur eine Rücksicht wird sich England in
dieser Beziehung immer auferlegen, nämlich die Erwägung, daß es einmal
Deutschlands gegen Rußland bedürfen könnte. Wäre Rußland nicht Vor¬
häute», so hätten wir wahrscheinlich sehr bald einen Krieg mit England, der
unsre Arbeit von dreißig Jahren vernichten würde. Denn vier sich nicht von
der europäischen Geschichte der letzten dreihundert Jahre hat überzeugen lassen,
der wird doch dem glauben müssen, was er eben jetzt sich abspielen sieht. So
sehr das moralische Ansehen Englands durch diesen Burenkrieg gesunken ist,
so sehr ist die Besorgnis vor weiteren Mißbrauch der Macht durch England
gestiegen. Die Folge ist das Bestreben der Großmächte, ihre Flotten zu
stärken, und das beunruhigende Bewußtwerden des Gegensatzes zwischen den
Interessen des europäischen Kontinents und den englischen.

Indessen drängt England heute mehr als die kontinentalen Haudelsläuder
dazu, einen Ausweg zu suchen. Gegenüber den Seerüstungen der großen Kor-



*) Inzwischen sind wir dieser Sorge in der Hauptsache durch die Beschlüsse des Reichs¬
tags enthoben worden.
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[0569] Uontinentciles und maritimes Gleichgewicht bahnen aneinander gebracht werden könnten, weil zwei Millionen Menschen nicht vierundzwanzig Stunden lang in offnem Felde ernährt werden könnten. Deshalb ist die Furcht vor dem russischen Millionenheere unbegründet. Wenn Rußland auch drei und fünf Millionen Soldaten hätte, so könnte es doch nie diese Mengen zugleich für eine Schlacht verwenden. Ebenso ist es nicht möglich, in einer Seeschlacht eine unbegrenzte Zahl von Schiffen anf einmal zu verwenden. Hat ein Geschwader die nach den Bedingungen deS Raums und der Tragfähigkeit der Geschosse mögliche größte taktische Stärke erreicht, so ist es, so sagt man uns, für jede Seeschlacht ausreichend stark. In der Seeschlacht kann uns jeder Seite nicht mehr als eine gewisse Anzahl Schiffe in Thätigkeit kommen. Man kann nicht fünfzig oder hundert der heutigen Schlachtschiffe zugleich ins Gefecht führe», souderu nur etwa sechzehn. sonach wird Deutschland durch Schaffung einer Flotte, die den Anforderungen der taktischen Einheit genügt, mich einem Staate gegenüber zur See kampffähig, dessen Flotte uns um Schiffszahl weit überlege«: ist. Wir können in der Ostsee oder der Nordsee eine Seeschlacht mit Aussicht auf Erfolg liefern, und daß diese Möglichkeit von sehr großem Wert für uns ist, wird jeder einsehen, der über¬ haupt sehen Null. Wenn unsre alte Kleinkrämerei in politischen Dingen nus nicht wiederum einen Streich spielt,") werden nur in einigen Jahren besser als bisher imstande sein, der durch unsre maritime Schwäche an andre Staaten herantretenden Versuchung, unsern Handel, unsre Industrie niederzuwerfen, einen Zügel anzulegen. Rußland, Frankreich werden unsre Küsten nicht mehr schuhlos finden. England wird sicher, sobald es seinen Handel zu sehr be¬ drängt sieht, den seiner Konkurrenten zuerst angreifen, der ihm wirtschaftlich am gefährlichsten und im Seekriege am wenigsten gefährlich ist. Das sind bis jetzt wir Deutschen. Ist Deutschland abgethan, dann käme, nach bemalten englischen Rezept, Frankreich dran. Nur eine Rücksicht wird sich England in dieser Beziehung immer auferlegen, nämlich die Erwägung, daß es einmal Deutschlands gegen Rußland bedürfen könnte. Wäre Rußland nicht Vor¬ häute», so hätten wir wahrscheinlich sehr bald einen Krieg mit England, der unsre Arbeit von dreißig Jahren vernichten würde. Denn vier sich nicht von der europäischen Geschichte der letzten dreihundert Jahre hat überzeugen lassen, der wird doch dem glauben müssen, was er eben jetzt sich abspielen sieht. So sehr das moralische Ansehen Englands durch diesen Burenkrieg gesunken ist, so sehr ist die Besorgnis vor weiteren Mißbrauch der Macht durch England gestiegen. Die Folge ist das Bestreben der Großmächte, ihre Flotten zu stärken, und das beunruhigende Bewußtwerden des Gegensatzes zwischen den Interessen des europäischen Kontinents und den englischen. Indessen drängt England heute mehr als die kontinentalen Haudelsläuder dazu, einen Ausweg zu suchen. Gegenüber den Seerüstungen der großen Kor- *) Inzwischen sind wir dieser Sorge in der Hauptsache durch die Beschlüsse des Reichs¬ tags enthoben worden. Grenzboten II 190V 7l

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/569>, abgerufen am 01.07.2024.