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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ibsens romantische Stücke

Diesem Wahnsinnigen gegenüber spielen die edeln unter den Christen, die
Bekenner und Märtyrer, namentlich seine kappadozischen Jugendfreunde, eine
durchaus würdige Rolle und benehmen sich folgerichtig. Beachtet man außerdem,
daß Ibsen auch Wunderbares geschehen läßt, den Apollotempel, dessen Herrlich¬
keit Julian wieder herstellen will, vor seinen Augen einstürzen, seine Blas¬
phemien durch Erdbeben beantworten, seinen Plan, den Galilüer dnrch die
Wiederaufrichtung des Tempels zu Jerusalem Lügen zu strafen, kläglich scheitern
läßt, so könnte man sich versucht fühlen, das Drama für ein Tendenzstück im
Dienste der christlichen Apologetik zu halten. Wenn Ibsen auf den Effekt ver¬
zichtet, mit dem berühmten: "Galiläer, du hast gesiegt!" zuschließen, so scheint
er es nur zu dem Zweck gethan zu haben, Julians Niederlage noch kräftiger
hervorzuheben. Denn in den Minuten zwischen diesem Ausruf und seinen?
Verscheiden pflegt ihn die fromme Makrina, des großen Vasilius Schwester,
und Julian äußert, die Seinen über seinen Tod tröstend: "Lehrt uns nicht
die Weisheit, daß die höchste Seligkeit an das Leben der Seele, nicht an das
des Körpers gebunden ist? Darin haben die Galiläer recht, obschon -- doch
darüber wollen wir nicht reden. ..."

Man müßte glauben, Ibsen habe lehren wollen, daß das Christentum,
trotz der Jämmerlichkeit der meisten Christen, die wahre und höchste Religion
sei, wenn nicht die Reden des Philosophen und Zauberers Maximos wären.
Die Hauptstelle darin lautet: "Ms Reich des Kaisers und das Reich des
Galiläersj sie werden beide untergehn, aber nicht vergehn. Geht nicht das
Kind unter im Jüngling, und der Jüngling wieder im Mann? Du weißt,
ich habe niemals gebilligt, was du als Kaiser unternommen hast. Du hast
den Jüngling wieder zum Kinde umschaffen wollen. Des Fleisches Reich ist
vom Reiche des Geistes verschlungen. Aber das Reich des Geistes ist nicht
das abschließende, gleichwie es der Jüngling nicht ist. Dn hast den Jüngling
hindern wollen, zu wachsen -- hindern, Mann zu werden. O du Thor, der
du das Schwert gegen das Werdende gezogen hast, gegen das dritte Reich,
wo der Zweiseitige herrschen soll!" Der Zweiseitige, damit ist gemeint, einmal
der Gott-Kaiser oder Kaiser-Gott, und zum andern: Logos im Pan, Pan im
Logos. Die Weissagung dieses uralten und in jedem Zeitalter wieder jungen
Reichs -- Utopia hat es der kluge englische Kanzler getauft -- würde man
für die eigentliche Absicht Ibsens halten, wenn nicht Maximos, der dem Julian
unmittelbar vor seinem Tode den Sieg verheißt, zuguderletzt als Lügenprophet
dastünde, und wenn nicht das dritte Reich zum erstenmal in einer widerlichen
Gespensterszenc erwähnt würde, wo Julian mit Kain und Judas Jschariot zu
Tische sitzt, und ihm die Aussicht eröffnet wird, daß er die dritte Inkarnation
des Geistes dieser beiden sein werde. Für Ibsen soll nach Ansicht einiger
die Lebensfrage gelautet haben: christliche Entsagung oder heidnischer Genuß?
Seines Julians Lebensfrage ist das so wenig wie die des historischen. Julian
ist hier wie dort zeitlebens ein Entsagender: halb Stoiker, halb Cyniker. Was
ihn vom Christentum abstößt ist nicht die Entsagung, die ja weder von der


Ibsens romantische Stücke

Diesem Wahnsinnigen gegenüber spielen die edeln unter den Christen, die
Bekenner und Märtyrer, namentlich seine kappadozischen Jugendfreunde, eine
durchaus würdige Rolle und benehmen sich folgerichtig. Beachtet man außerdem,
daß Ibsen auch Wunderbares geschehen läßt, den Apollotempel, dessen Herrlich¬
keit Julian wieder herstellen will, vor seinen Augen einstürzen, seine Blas¬
phemien durch Erdbeben beantworten, seinen Plan, den Galilüer dnrch die
Wiederaufrichtung des Tempels zu Jerusalem Lügen zu strafen, kläglich scheitern
läßt, so könnte man sich versucht fühlen, das Drama für ein Tendenzstück im
Dienste der christlichen Apologetik zu halten. Wenn Ibsen auf den Effekt ver¬
zichtet, mit dem berühmten: „Galiläer, du hast gesiegt!" zuschließen, so scheint
er es nur zu dem Zweck gethan zu haben, Julians Niederlage noch kräftiger
hervorzuheben. Denn in den Minuten zwischen diesem Ausruf und seinen?
Verscheiden pflegt ihn die fromme Makrina, des großen Vasilius Schwester,
und Julian äußert, die Seinen über seinen Tod tröstend: „Lehrt uns nicht
die Weisheit, daß die höchste Seligkeit an das Leben der Seele, nicht an das
des Körpers gebunden ist? Darin haben die Galiläer recht, obschon — doch
darüber wollen wir nicht reden. ..."

Man müßte glauben, Ibsen habe lehren wollen, daß das Christentum,
trotz der Jämmerlichkeit der meisten Christen, die wahre und höchste Religion
sei, wenn nicht die Reden des Philosophen und Zauberers Maximos wären.
Die Hauptstelle darin lautet: „Ms Reich des Kaisers und das Reich des
Galiläersj sie werden beide untergehn, aber nicht vergehn. Geht nicht das
Kind unter im Jüngling, und der Jüngling wieder im Mann? Du weißt,
ich habe niemals gebilligt, was du als Kaiser unternommen hast. Du hast
den Jüngling wieder zum Kinde umschaffen wollen. Des Fleisches Reich ist
vom Reiche des Geistes verschlungen. Aber das Reich des Geistes ist nicht
das abschließende, gleichwie es der Jüngling nicht ist. Dn hast den Jüngling
hindern wollen, zu wachsen — hindern, Mann zu werden. O du Thor, der
du das Schwert gegen das Werdende gezogen hast, gegen das dritte Reich,
wo der Zweiseitige herrschen soll!" Der Zweiseitige, damit ist gemeint, einmal
der Gott-Kaiser oder Kaiser-Gott, und zum andern: Logos im Pan, Pan im
Logos. Die Weissagung dieses uralten und in jedem Zeitalter wieder jungen
Reichs — Utopia hat es der kluge englische Kanzler getauft — würde man
für die eigentliche Absicht Ibsens halten, wenn nicht Maximos, der dem Julian
unmittelbar vor seinem Tode den Sieg verheißt, zuguderletzt als Lügenprophet
dastünde, und wenn nicht das dritte Reich zum erstenmal in einer widerlichen
Gespensterszenc erwähnt würde, wo Julian mit Kain und Judas Jschariot zu
Tische sitzt, und ihm die Aussicht eröffnet wird, daß er die dritte Inkarnation
des Geistes dieser beiden sein werde. Für Ibsen soll nach Ansicht einiger
die Lebensfrage gelautet haben: christliche Entsagung oder heidnischer Genuß?
Seines Julians Lebensfrage ist das so wenig wie die des historischen. Julian
ist hier wie dort zeitlebens ein Entsagender: halb Stoiker, halb Cyniker. Was
ihn vom Christentum abstößt ist nicht die Entsagung, die ja weder von der


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[0538] Ibsens romantische Stücke Diesem Wahnsinnigen gegenüber spielen die edeln unter den Christen, die Bekenner und Märtyrer, namentlich seine kappadozischen Jugendfreunde, eine durchaus würdige Rolle und benehmen sich folgerichtig. Beachtet man außerdem, daß Ibsen auch Wunderbares geschehen läßt, den Apollotempel, dessen Herrlich¬ keit Julian wieder herstellen will, vor seinen Augen einstürzen, seine Blas¬ phemien durch Erdbeben beantworten, seinen Plan, den Galilüer dnrch die Wiederaufrichtung des Tempels zu Jerusalem Lügen zu strafen, kläglich scheitern läßt, so könnte man sich versucht fühlen, das Drama für ein Tendenzstück im Dienste der christlichen Apologetik zu halten. Wenn Ibsen auf den Effekt ver¬ zichtet, mit dem berühmten: „Galiläer, du hast gesiegt!" zuschließen, so scheint er es nur zu dem Zweck gethan zu haben, Julians Niederlage noch kräftiger hervorzuheben. Denn in den Minuten zwischen diesem Ausruf und seinen? Verscheiden pflegt ihn die fromme Makrina, des großen Vasilius Schwester, und Julian äußert, die Seinen über seinen Tod tröstend: „Lehrt uns nicht die Weisheit, daß die höchste Seligkeit an das Leben der Seele, nicht an das des Körpers gebunden ist? Darin haben die Galiläer recht, obschon — doch darüber wollen wir nicht reden. ..." Man müßte glauben, Ibsen habe lehren wollen, daß das Christentum, trotz der Jämmerlichkeit der meisten Christen, die wahre und höchste Religion sei, wenn nicht die Reden des Philosophen und Zauberers Maximos wären. Die Hauptstelle darin lautet: „Ms Reich des Kaisers und das Reich des Galiläersj sie werden beide untergehn, aber nicht vergehn. Geht nicht das Kind unter im Jüngling, und der Jüngling wieder im Mann? Du weißt, ich habe niemals gebilligt, was du als Kaiser unternommen hast. Du hast den Jüngling wieder zum Kinde umschaffen wollen. Des Fleisches Reich ist vom Reiche des Geistes verschlungen. Aber das Reich des Geistes ist nicht das abschließende, gleichwie es der Jüngling nicht ist. Dn hast den Jüngling hindern wollen, zu wachsen — hindern, Mann zu werden. O du Thor, der du das Schwert gegen das Werdende gezogen hast, gegen das dritte Reich, wo der Zweiseitige herrschen soll!" Der Zweiseitige, damit ist gemeint, einmal der Gott-Kaiser oder Kaiser-Gott, und zum andern: Logos im Pan, Pan im Logos. Die Weissagung dieses uralten und in jedem Zeitalter wieder jungen Reichs — Utopia hat es der kluge englische Kanzler getauft — würde man für die eigentliche Absicht Ibsens halten, wenn nicht Maximos, der dem Julian unmittelbar vor seinem Tode den Sieg verheißt, zuguderletzt als Lügenprophet dastünde, und wenn nicht das dritte Reich zum erstenmal in einer widerlichen Gespensterszenc erwähnt würde, wo Julian mit Kain und Judas Jschariot zu Tische sitzt, und ihm die Aussicht eröffnet wird, daß er die dritte Inkarnation des Geistes dieser beiden sein werde. Für Ibsen soll nach Ansicht einiger die Lebensfrage gelautet haben: christliche Entsagung oder heidnischer Genuß? Seines Julians Lebensfrage ist das so wenig wie die des historischen. Julian ist hier wie dort zeitlebens ein Entsagender: halb Stoiker, halb Cyniker. Was ihn vom Christentum abstößt ist nicht die Entsagung, die ja weder von der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/538>, abgerufen am 22.07.2024.