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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Großkapital und größeres Deutschland

schien. Dann aber dürfte sich das Großkapital, wo es ihm nicht gelungen ist,
die Effekten bald ins Publikum zu bringen, dabei ganz gehörig festgelegt
haben. Das Ende vom Liede wird jedenfalls eine große Schwächung des
mobilen Kapitals für längere Zeit sein, auch wenn wir um einen ernstlichen
Krach herumkommen.

Und ist etwa unser Geschüft in ausländischen Staats-, Kommuual- und
Eisenbahnpapieren so gut gewesen? Wir sind schon seit langer Zeit Gläubiger¬
staat in diesem Sinne, und man hält noch jetzt vielfach diesen Zweig des Aus¬
landsgeschäfts für den anständigsten und vornehmsten bei den Banken. Schöne,
glänzende, ausländische Orden und Titel bringt es den Bankchefs freilich ein
wie kein andres, und die Emissionsfirmen haben es wohl auch bisher meist
verstanden, sich selbst vor Verlust zu schützen und hübsche Gewinne einzu¬
streichen. Aber die Verluste, die das Nationalvermögen an Portugiesen,
Griechen, Spaniern, Argentiniern und andern exotischen Zinspapieren erlitten
hat, haben doch allmählich eine Höhe erreicht, die das Risiko bei dem Geschäft
in schroffem Mißverhältnis zu der Höhe des Zinsfußes zeigt. Leider hat die
Regierung wiederholt aus politischen Gründen solche Geschäfte gern gesehen
und zu ihnen angeregt, ohne in der Lage zu sein, die Schuldnerstaaten, wenn
sie nicht zahlen wollen, zum Einhalten ihrer Verpflichtung zu zwingen, oder
die deutschen Emissionshnuser regreßpflichtig zu macheu. Man kann ihr nur
dringend raten, das nicht mehr zu thun, im Gegenteil alles aufzubieten, um
das Publikum vorsichtiger zu machen. Es fehlt ja auch in allerneuster Zeit
nicht an Versuchen, den Deutschen immer mehr Geld für diese Zwecke aus der
Tasche zu locken, mit 5 Prozent, wo 10 Prozent noch lange keine ausreichende
Nisikoprämie für uns wären.

Auch an die agrarische Misere ist zu erinnern, die doch auch noch andre
dunkle Punkte aufweist, als die von der herrschenden wirtschaftspolitischen
Richtung im agrarkapitalistischen Interesse allein betonten und stark über¬
triebnen. Wir sind jetzt, dank dem unverständigen Eifer, die Bodenpreise auf
einer übertriebnen Höhe zu halten lind dem landwirtschaftlichen Unternehmer
die unumgänglich notwendigen Abschreibungen zu ersparen, in die geradezu
ungeheuerliche Lage gekonunen, daß unsre Landwirtschaft am teuersten produziert
und unsre Nichtlandwirte das teuerste Brot essen in der ganzen Welt. Trotz¬
dem rentiert unser Landwirtschnftsbetrieb nahezu am kläglichsten, trotz des
Rückgangs des Zinsfußes und der fortgeschrittnen, über alles gepriesenen In¬
tensität. Viele Milliarden des Nationalkapitals sind dadurch künstlich festgelegt
und thatsächlich vergeudet worden. Man muß freilich darauf rechnen, als
Feind der Landwirtschaft verschrieen zu werden, wenn man ans diese verkehrte
Politik hinweist, aber gerade als ehrlicher Freund einer gesunden, konservativ
wirtschaftenden Landbevölkerung hat man die Pflicht dazu. Diese Politik
ruiniert das Land, weil gerade sie das kapitalistische Interesse einseitig über¬
treibt und dabei kurzsichtig ist und nicht rechnen kann.

Deutet so die Geschichte unsrer Volkswirtschaft viel mehr auf das Fort-


Großkapital und größeres Deutschland

schien. Dann aber dürfte sich das Großkapital, wo es ihm nicht gelungen ist,
die Effekten bald ins Publikum zu bringen, dabei ganz gehörig festgelegt
haben. Das Ende vom Liede wird jedenfalls eine große Schwächung des
mobilen Kapitals für längere Zeit sein, auch wenn wir um einen ernstlichen
Krach herumkommen.

Und ist etwa unser Geschüft in ausländischen Staats-, Kommuual- und
Eisenbahnpapieren so gut gewesen? Wir sind schon seit langer Zeit Gläubiger¬
staat in diesem Sinne, und man hält noch jetzt vielfach diesen Zweig des Aus¬
landsgeschäfts für den anständigsten und vornehmsten bei den Banken. Schöne,
glänzende, ausländische Orden und Titel bringt es den Bankchefs freilich ein
wie kein andres, und die Emissionsfirmen haben es wohl auch bisher meist
verstanden, sich selbst vor Verlust zu schützen und hübsche Gewinne einzu¬
streichen. Aber die Verluste, die das Nationalvermögen an Portugiesen,
Griechen, Spaniern, Argentiniern und andern exotischen Zinspapieren erlitten
hat, haben doch allmählich eine Höhe erreicht, die das Risiko bei dem Geschäft
in schroffem Mißverhältnis zu der Höhe des Zinsfußes zeigt. Leider hat die
Regierung wiederholt aus politischen Gründen solche Geschäfte gern gesehen
und zu ihnen angeregt, ohne in der Lage zu sein, die Schuldnerstaaten, wenn
sie nicht zahlen wollen, zum Einhalten ihrer Verpflichtung zu zwingen, oder
die deutschen Emissionshnuser regreßpflichtig zu macheu. Man kann ihr nur
dringend raten, das nicht mehr zu thun, im Gegenteil alles aufzubieten, um
das Publikum vorsichtiger zu machen. Es fehlt ja auch in allerneuster Zeit
nicht an Versuchen, den Deutschen immer mehr Geld für diese Zwecke aus der
Tasche zu locken, mit 5 Prozent, wo 10 Prozent noch lange keine ausreichende
Nisikoprämie für uns wären.

Auch an die agrarische Misere ist zu erinnern, die doch auch noch andre
dunkle Punkte aufweist, als die von der herrschenden wirtschaftspolitischen
Richtung im agrarkapitalistischen Interesse allein betonten und stark über¬
triebnen. Wir sind jetzt, dank dem unverständigen Eifer, die Bodenpreise auf
einer übertriebnen Höhe zu halten lind dem landwirtschaftlichen Unternehmer
die unumgänglich notwendigen Abschreibungen zu ersparen, in die geradezu
ungeheuerliche Lage gekonunen, daß unsre Landwirtschaft am teuersten produziert
und unsre Nichtlandwirte das teuerste Brot essen in der ganzen Welt. Trotz¬
dem rentiert unser Landwirtschnftsbetrieb nahezu am kläglichsten, trotz des
Rückgangs des Zinsfußes und der fortgeschrittnen, über alles gepriesenen In¬
tensität. Viele Milliarden des Nationalkapitals sind dadurch künstlich festgelegt
und thatsächlich vergeudet worden. Man muß freilich darauf rechnen, als
Feind der Landwirtschaft verschrieen zu werden, wenn man ans diese verkehrte
Politik hinweist, aber gerade als ehrlicher Freund einer gesunden, konservativ
wirtschaftenden Landbevölkerung hat man die Pflicht dazu. Diese Politik
ruiniert das Land, weil gerade sie das kapitalistische Interesse einseitig über¬
treibt und dabei kurzsichtig ist und nicht rechnen kann.

Deutet so die Geschichte unsrer Volkswirtschaft viel mehr auf das Fort-


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[0523] Großkapital und größeres Deutschland schien. Dann aber dürfte sich das Großkapital, wo es ihm nicht gelungen ist, die Effekten bald ins Publikum zu bringen, dabei ganz gehörig festgelegt haben. Das Ende vom Liede wird jedenfalls eine große Schwächung des mobilen Kapitals für längere Zeit sein, auch wenn wir um einen ernstlichen Krach herumkommen. Und ist etwa unser Geschüft in ausländischen Staats-, Kommuual- und Eisenbahnpapieren so gut gewesen? Wir sind schon seit langer Zeit Gläubiger¬ staat in diesem Sinne, und man hält noch jetzt vielfach diesen Zweig des Aus¬ landsgeschäfts für den anständigsten und vornehmsten bei den Banken. Schöne, glänzende, ausländische Orden und Titel bringt es den Bankchefs freilich ein wie kein andres, und die Emissionsfirmen haben es wohl auch bisher meist verstanden, sich selbst vor Verlust zu schützen und hübsche Gewinne einzu¬ streichen. Aber die Verluste, die das Nationalvermögen an Portugiesen, Griechen, Spaniern, Argentiniern und andern exotischen Zinspapieren erlitten hat, haben doch allmählich eine Höhe erreicht, die das Risiko bei dem Geschäft in schroffem Mißverhältnis zu der Höhe des Zinsfußes zeigt. Leider hat die Regierung wiederholt aus politischen Gründen solche Geschäfte gern gesehen und zu ihnen angeregt, ohne in der Lage zu sein, die Schuldnerstaaten, wenn sie nicht zahlen wollen, zum Einhalten ihrer Verpflichtung zu zwingen, oder die deutschen Emissionshnuser regreßpflichtig zu macheu. Man kann ihr nur dringend raten, das nicht mehr zu thun, im Gegenteil alles aufzubieten, um das Publikum vorsichtiger zu machen. Es fehlt ja auch in allerneuster Zeit nicht an Versuchen, den Deutschen immer mehr Geld für diese Zwecke aus der Tasche zu locken, mit 5 Prozent, wo 10 Prozent noch lange keine ausreichende Nisikoprämie für uns wären. Auch an die agrarische Misere ist zu erinnern, die doch auch noch andre dunkle Punkte aufweist, als die von der herrschenden wirtschaftspolitischen Richtung im agrarkapitalistischen Interesse allein betonten und stark über¬ triebnen. Wir sind jetzt, dank dem unverständigen Eifer, die Bodenpreise auf einer übertriebnen Höhe zu halten lind dem landwirtschaftlichen Unternehmer die unumgänglich notwendigen Abschreibungen zu ersparen, in die geradezu ungeheuerliche Lage gekonunen, daß unsre Landwirtschaft am teuersten produziert und unsre Nichtlandwirte das teuerste Brot essen in der ganzen Welt. Trotz¬ dem rentiert unser Landwirtschnftsbetrieb nahezu am kläglichsten, trotz des Rückgangs des Zinsfußes und der fortgeschrittnen, über alles gepriesenen In¬ tensität. Viele Milliarden des Nationalkapitals sind dadurch künstlich festgelegt und thatsächlich vergeudet worden. Man muß freilich darauf rechnen, als Feind der Landwirtschaft verschrieen zu werden, wenn man ans diese verkehrte Politik hinweist, aber gerade als ehrlicher Freund einer gesunden, konservativ wirtschaftenden Landbevölkerung hat man die Pflicht dazu. Diese Politik ruiniert das Land, weil gerade sie das kapitalistische Interesse einseitig über¬ treibt und dabei kurzsichtig ist und nicht rechnen kann. Deutet so die Geschichte unsrer Volkswirtschaft viel mehr auf das Fort-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/523>, abgerufen am 03.07.2024.