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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Großkapital und größeres Deutschland

bestehn einer verhältnismäßigen Armut an beweglichem Großkapital in Deutsch¬
land hin, als auf einen Überfluß, wie wir ihn brauchen, so stellen uns Er¬
scheinungen der allerneusten Zeit direkt ein Armutszeugnis aus. Zunächst
thut das die ihrem Grade nach und namentlich in ihrer Dauer beispiellose Geld¬
knappheit der Gegenwart. Die bimetallistisch-agrarischen Vorwürfe gegen unsre
Währungs- und Bnnkpolitik sind von kompetenter Seite oft und schlagend
genug zurückgewiesen worden; es braucht hier nichts weiter darüber gesagt zu
werden. Seit Jahr und Tag haben die weitsichtigen und zuverlässigen unter
den Vertretern des sogenannten mobilen Großkapitals -- ganz ebenso wie die
Leiter der Reichsbank -- nachdrücklich vor der zunehmenden Überspannung des
Kredits, auf der die neuste Gründungsära sich mehr und mehr aufbaute, gewarnt,
weil wir zu kapitalarm seien, uns solche Ausschreitungen ohne gefährliche Rück¬
schläge erlauben zu dürfen. Das mobile Großkapital hat an sich noch am
meisten Chancen, bei dem Gründungs- und Spekulationsfieber seine Geschäfte zu
machen. Um so mehr fällt seine Stimme hier ins Gewicht. Es hat sie lange
und laut genug erhoben, und nur Narrheit oder böser Wille kann sie nicht
verstehn wollen.

Aber nicht weniger deutlich spricht eine andre Erscheinung, die sich neuer¬
dings zu einem akuten Mißstände zuzuspitzen anfängt. Sie liegt auf einem
unmittelbar in die Weltpolitik hineinragenden Gebiet unsrer Wirtschaftspolitik:
auf dem Gebiet der Kolonialpolitik. Bismarck hat anfangs dem Satz vertraut:
Die Flagge folgt dem Handel. Aber er mußte einsehen, daß wir so zu Kolonien
überhaupt nicht kämen, und deshalb versuchte schon er es mit dem Satze: Der
Handel folgt der Flagge! Heute sind wir im Besitz ausgedehnter Schutz¬
gebiete, die bei energischer und zäher Arbeit reichen und dauernden Gewinn
für unsre Volkswirtschaft versprechen. Die Aufwendungen des Reichs dafür
wachsen von Jahr zu Jahr beträchtlich, aber das deutsche Kapital versagt der
Flagge die Gefolgschaft, während sich das ausländische mehr und mehr heran¬
drängt, um unter unsrer Flagge das Geschüft zu machen. Die Kolonialfrennde
zu Hanse werden darüber nervös und schreien Zeter über die Preisgebung
unsrer schönen Kolonien an die Fremden. Aber deutsches Kapital können sie
mit allem Geschrei nicht an Stelle des ausländischen auftreiben. Es ist natürlich
ganz ausgeschlossen, daß die deutschen Millionäre den fremden das Geschäft über¬
lassen würden, wenn sie es selbst machen könnten. Sie könnens einfach nicht,
denn sie haben es nicht dazu. Mit Sparkassen- und Mündelgeldern läßt sich
nun einmal keine erfolgreiche Kolonialpolitik betreiben. Der Mittelstand mit
seinen im einzelnen bescheidnen Kapitalüberschüssen wird vielleicht für koloniale
Minenaktien n. dergl. gelegentlich erwärmt werden können und dabei gehörig
Haare lassen. Zur Erschließung und nachhaltigen Ausbeutung solcher Kolonien,
wie wir sie haben und nur haben können, ist aber nur ein großes überschießendes
Kapital in den Händen einzelner reicher Leute -- je mehr es siud, desto besser --
geschickt, das lange warten und ein großes Risiko ertragen kann. Ich will
die Frage nicht weiter behandeln, ob das Reich unsre Schutzgebiete dem aus-


Großkapital und größeres Deutschland

bestehn einer verhältnismäßigen Armut an beweglichem Großkapital in Deutsch¬
land hin, als auf einen Überfluß, wie wir ihn brauchen, so stellen uns Er¬
scheinungen der allerneusten Zeit direkt ein Armutszeugnis aus. Zunächst
thut das die ihrem Grade nach und namentlich in ihrer Dauer beispiellose Geld¬
knappheit der Gegenwart. Die bimetallistisch-agrarischen Vorwürfe gegen unsre
Währungs- und Bnnkpolitik sind von kompetenter Seite oft und schlagend
genug zurückgewiesen worden; es braucht hier nichts weiter darüber gesagt zu
werden. Seit Jahr und Tag haben die weitsichtigen und zuverlässigen unter
den Vertretern des sogenannten mobilen Großkapitals — ganz ebenso wie die
Leiter der Reichsbank — nachdrücklich vor der zunehmenden Überspannung des
Kredits, auf der die neuste Gründungsära sich mehr und mehr aufbaute, gewarnt,
weil wir zu kapitalarm seien, uns solche Ausschreitungen ohne gefährliche Rück¬
schläge erlauben zu dürfen. Das mobile Großkapital hat an sich noch am
meisten Chancen, bei dem Gründungs- und Spekulationsfieber seine Geschäfte zu
machen. Um so mehr fällt seine Stimme hier ins Gewicht. Es hat sie lange
und laut genug erhoben, und nur Narrheit oder böser Wille kann sie nicht
verstehn wollen.

Aber nicht weniger deutlich spricht eine andre Erscheinung, die sich neuer¬
dings zu einem akuten Mißstände zuzuspitzen anfängt. Sie liegt auf einem
unmittelbar in die Weltpolitik hineinragenden Gebiet unsrer Wirtschaftspolitik:
auf dem Gebiet der Kolonialpolitik. Bismarck hat anfangs dem Satz vertraut:
Die Flagge folgt dem Handel. Aber er mußte einsehen, daß wir so zu Kolonien
überhaupt nicht kämen, und deshalb versuchte schon er es mit dem Satze: Der
Handel folgt der Flagge! Heute sind wir im Besitz ausgedehnter Schutz¬
gebiete, die bei energischer und zäher Arbeit reichen und dauernden Gewinn
für unsre Volkswirtschaft versprechen. Die Aufwendungen des Reichs dafür
wachsen von Jahr zu Jahr beträchtlich, aber das deutsche Kapital versagt der
Flagge die Gefolgschaft, während sich das ausländische mehr und mehr heran¬
drängt, um unter unsrer Flagge das Geschüft zu machen. Die Kolonialfrennde
zu Hanse werden darüber nervös und schreien Zeter über die Preisgebung
unsrer schönen Kolonien an die Fremden. Aber deutsches Kapital können sie
mit allem Geschrei nicht an Stelle des ausländischen auftreiben. Es ist natürlich
ganz ausgeschlossen, daß die deutschen Millionäre den fremden das Geschäft über¬
lassen würden, wenn sie es selbst machen könnten. Sie könnens einfach nicht,
denn sie haben es nicht dazu. Mit Sparkassen- und Mündelgeldern läßt sich
nun einmal keine erfolgreiche Kolonialpolitik betreiben. Der Mittelstand mit
seinen im einzelnen bescheidnen Kapitalüberschüssen wird vielleicht für koloniale
Minenaktien n. dergl. gelegentlich erwärmt werden können und dabei gehörig
Haare lassen. Zur Erschließung und nachhaltigen Ausbeutung solcher Kolonien,
wie wir sie haben und nur haben können, ist aber nur ein großes überschießendes
Kapital in den Händen einzelner reicher Leute — je mehr es siud, desto besser —
geschickt, das lange warten und ein großes Risiko ertragen kann. Ich will
die Frage nicht weiter behandeln, ob das Reich unsre Schutzgebiete dem aus-


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[0524] Großkapital und größeres Deutschland bestehn einer verhältnismäßigen Armut an beweglichem Großkapital in Deutsch¬ land hin, als auf einen Überfluß, wie wir ihn brauchen, so stellen uns Er¬ scheinungen der allerneusten Zeit direkt ein Armutszeugnis aus. Zunächst thut das die ihrem Grade nach und namentlich in ihrer Dauer beispiellose Geld¬ knappheit der Gegenwart. Die bimetallistisch-agrarischen Vorwürfe gegen unsre Währungs- und Bnnkpolitik sind von kompetenter Seite oft und schlagend genug zurückgewiesen worden; es braucht hier nichts weiter darüber gesagt zu werden. Seit Jahr und Tag haben die weitsichtigen und zuverlässigen unter den Vertretern des sogenannten mobilen Großkapitals — ganz ebenso wie die Leiter der Reichsbank — nachdrücklich vor der zunehmenden Überspannung des Kredits, auf der die neuste Gründungsära sich mehr und mehr aufbaute, gewarnt, weil wir zu kapitalarm seien, uns solche Ausschreitungen ohne gefährliche Rück¬ schläge erlauben zu dürfen. Das mobile Großkapital hat an sich noch am meisten Chancen, bei dem Gründungs- und Spekulationsfieber seine Geschäfte zu machen. Um so mehr fällt seine Stimme hier ins Gewicht. Es hat sie lange und laut genug erhoben, und nur Narrheit oder böser Wille kann sie nicht verstehn wollen. Aber nicht weniger deutlich spricht eine andre Erscheinung, die sich neuer¬ dings zu einem akuten Mißstände zuzuspitzen anfängt. Sie liegt auf einem unmittelbar in die Weltpolitik hineinragenden Gebiet unsrer Wirtschaftspolitik: auf dem Gebiet der Kolonialpolitik. Bismarck hat anfangs dem Satz vertraut: Die Flagge folgt dem Handel. Aber er mußte einsehen, daß wir so zu Kolonien überhaupt nicht kämen, und deshalb versuchte schon er es mit dem Satze: Der Handel folgt der Flagge! Heute sind wir im Besitz ausgedehnter Schutz¬ gebiete, die bei energischer und zäher Arbeit reichen und dauernden Gewinn für unsre Volkswirtschaft versprechen. Die Aufwendungen des Reichs dafür wachsen von Jahr zu Jahr beträchtlich, aber das deutsche Kapital versagt der Flagge die Gefolgschaft, während sich das ausländische mehr und mehr heran¬ drängt, um unter unsrer Flagge das Geschüft zu machen. Die Kolonialfrennde zu Hanse werden darüber nervös und schreien Zeter über die Preisgebung unsrer schönen Kolonien an die Fremden. Aber deutsches Kapital können sie mit allem Geschrei nicht an Stelle des ausländischen auftreiben. Es ist natürlich ganz ausgeschlossen, daß die deutschen Millionäre den fremden das Geschäft über¬ lassen würden, wenn sie es selbst machen könnten. Sie könnens einfach nicht, denn sie haben es nicht dazu. Mit Sparkassen- und Mündelgeldern läßt sich nun einmal keine erfolgreiche Kolonialpolitik betreiben. Der Mittelstand mit seinen im einzelnen bescheidnen Kapitalüberschüssen wird vielleicht für koloniale Minenaktien n. dergl. gelegentlich erwärmt werden können und dabei gehörig Haare lassen. Zur Erschließung und nachhaltigen Ausbeutung solcher Kolonien, wie wir sie haben und nur haben können, ist aber nur ein großes überschießendes Kapital in den Händen einzelner reicher Leute — je mehr es siud, desto besser — geschickt, das lange warten und ein großes Risiko ertragen kann. Ich will die Frage nicht weiter behandeln, ob das Reich unsre Schutzgebiete dem aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/524>, abgerufen am 03.07.2024.