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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

dazu rasselte der Dampfkran, schwere Lasten um Bord nehmend und in den
Bauch des Schiffes versenkend. Denn die Dampfer von Messina nach Neapel
(und Genna) laufen nur zweimal in der Woche; die Ankunft eines dritten
großem, der von Alexandria her eintrifft, hängt zu sehr von Zeit und Um¬
stünden ad, als daß man sicher auf ihn rechnen könnte. Daher drängte sich
alles heute an Bord der "Einen," die, obwohl etwas größer als der "Marco
Polo" (1758 Tonnen), doch weder so neu und elegant, noch mit nur wenig
über 1900 Pferdekraft so schnell ist wie dieser, und es war keine Hoffnung,
diesesmal eine Kabine allein zu behaupten, so angenehm das bei der Aussicht
auf eine unruhige Fahrt gewesen wäre.

Um fünf Uhr heulte die Sirene zum letztenmal, der Dampfer drehte und
glitt langsam aus dem Hafen in die Meerenge hinaus. Da der Himmel stark
bewölkt war, so brach die Dunkelheit rascher herein als sonst, und vor uns
blitzte schon das Blickfetter des Färö auf, doch war die See innerhalb der
Straße noch ruhig und Aussicht auf ein ungestörtes Abendessen, das niemand,
der mit der See einigermaßen vertraut ist, in solcher Lage verschmäht, weil er
weiß, daß das relativ sicherste Mittel gegen das dräuende bleiche Gespenst der
Seekrankheit eine gediegne Mahlzeit ist, und eine solche lieferte die Küche der
"Enna" mit trefflichen Weinen. Die kleine Gesellschaft der ersten Kajüte, die
sich bald nach der Abfahrt unter dem Vorsitze des alten, graubärtigen Kapitäns
zusammenfand, war bunt gemischt, und Italienisch, Deutsch und Englisch
schwirrten durcheinander. Bald allerdings wurde das Behagen etwas verringert,
denn der Tisch zeigte eine merkwürdige Neigung, in die Höhe zu steigen, und eine
große Hängelampe darüber geriet in die schwingende Bewegung eines Pendels,
Wahrnehmungen, die einem der Tischgenossen als Signal galten, zu ver¬
schwinden. Wir waren offenbar schon in der freien See.

Zu sehen war allerdings nichts. Rings alles schwarz, schwarz das Meer,
schwarz der Himmel, von dem uoch ganz nahen Lande keine Spur. Bor uns
im Norden zuckten die Blitze und rollte der Donner, doch zog das Wetter
bald seitwärts ub und sandte uns nur prasselnde Regengüsse. So fuhren wir,
statt in eine klare Vollmondnacht, wie ich gehofft hatte, in eine dunkle, regcn-
und gewitterschwere Sturmnacht hinaus. Eine eisigkalte Tramontana blies von
Steuerbord her und trieb die Spritzwellen über das Schiff, sodaß ein Ver¬
weilen auf Deck nur an der Leeseite und auch hier nur unter dem Schutze
des Kajütenhauses möglich war; die meisten Passagiere waren längst ver¬
schwunden. Zugleich stampfte der Dampfer stark. Am behaglichsten war es
noch in der Mitte hinter dem wärmespendenden Schornstein. Aber endlich
trieben die zunehmende Kälte und wiederholte Regenschauer doch hinunter in
die Kabine, obwohl dort, da sie natürlich an der Außenwand und etwas weit
nach hinten lag, die Bewegungen des Schiffes sich wesentlich fühlbarer machten
mis an Deck. Je weiter es in die offne See hinaus ging, desto heftiger
wurden sie, und zu dem Stampfen gesellte sich bald ein schweres Rollen. Drei
bis vier Stöße derart folgten rasch hintereinander mit zunehmender Heftigkeit
lind verursachten das Gefühl, als ob man bald hoch auf- und tief abwärts,


Auf Sizilien

dazu rasselte der Dampfkran, schwere Lasten um Bord nehmend und in den
Bauch des Schiffes versenkend. Denn die Dampfer von Messina nach Neapel
(und Genna) laufen nur zweimal in der Woche; die Ankunft eines dritten
großem, der von Alexandria her eintrifft, hängt zu sehr von Zeit und Um¬
stünden ad, als daß man sicher auf ihn rechnen könnte. Daher drängte sich
alles heute an Bord der „Einen," die, obwohl etwas größer als der „Marco
Polo" (1758 Tonnen), doch weder so neu und elegant, noch mit nur wenig
über 1900 Pferdekraft so schnell ist wie dieser, und es war keine Hoffnung,
diesesmal eine Kabine allein zu behaupten, so angenehm das bei der Aussicht
auf eine unruhige Fahrt gewesen wäre.

Um fünf Uhr heulte die Sirene zum letztenmal, der Dampfer drehte und
glitt langsam aus dem Hafen in die Meerenge hinaus. Da der Himmel stark
bewölkt war, so brach die Dunkelheit rascher herein als sonst, und vor uns
blitzte schon das Blickfetter des Färö auf, doch war die See innerhalb der
Straße noch ruhig und Aussicht auf ein ungestörtes Abendessen, das niemand,
der mit der See einigermaßen vertraut ist, in solcher Lage verschmäht, weil er
weiß, daß das relativ sicherste Mittel gegen das dräuende bleiche Gespenst der
Seekrankheit eine gediegne Mahlzeit ist, und eine solche lieferte die Küche der
„Enna" mit trefflichen Weinen. Die kleine Gesellschaft der ersten Kajüte, die
sich bald nach der Abfahrt unter dem Vorsitze des alten, graubärtigen Kapitäns
zusammenfand, war bunt gemischt, und Italienisch, Deutsch und Englisch
schwirrten durcheinander. Bald allerdings wurde das Behagen etwas verringert,
denn der Tisch zeigte eine merkwürdige Neigung, in die Höhe zu steigen, und eine
große Hängelampe darüber geriet in die schwingende Bewegung eines Pendels,
Wahrnehmungen, die einem der Tischgenossen als Signal galten, zu ver¬
schwinden. Wir waren offenbar schon in der freien See.

Zu sehen war allerdings nichts. Rings alles schwarz, schwarz das Meer,
schwarz der Himmel, von dem uoch ganz nahen Lande keine Spur. Bor uns
im Norden zuckten die Blitze und rollte der Donner, doch zog das Wetter
bald seitwärts ub und sandte uns nur prasselnde Regengüsse. So fuhren wir,
statt in eine klare Vollmondnacht, wie ich gehofft hatte, in eine dunkle, regcn-
und gewitterschwere Sturmnacht hinaus. Eine eisigkalte Tramontana blies von
Steuerbord her und trieb die Spritzwellen über das Schiff, sodaß ein Ver¬
weilen auf Deck nur an der Leeseite und auch hier nur unter dem Schutze
des Kajütenhauses möglich war; die meisten Passagiere waren längst ver¬
schwunden. Zugleich stampfte der Dampfer stark. Am behaglichsten war es
noch in der Mitte hinter dem wärmespendenden Schornstein. Aber endlich
trieben die zunehmende Kälte und wiederholte Regenschauer doch hinunter in
die Kabine, obwohl dort, da sie natürlich an der Außenwand und etwas weit
nach hinten lag, die Bewegungen des Schiffes sich wesentlich fühlbarer machten
mis an Deck. Je weiter es in die offne See hinaus ging, desto heftiger
wurden sie, und zu dem Stampfen gesellte sich bald ein schweres Rollen. Drei
bis vier Stöße derart folgten rasch hintereinander mit zunehmender Heftigkeit
lind verursachten das Gefühl, als ob man bald hoch auf- und tief abwärts,


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[0507] Auf Sizilien dazu rasselte der Dampfkran, schwere Lasten um Bord nehmend und in den Bauch des Schiffes versenkend. Denn die Dampfer von Messina nach Neapel (und Genna) laufen nur zweimal in der Woche; die Ankunft eines dritten großem, der von Alexandria her eintrifft, hängt zu sehr von Zeit und Um¬ stünden ad, als daß man sicher auf ihn rechnen könnte. Daher drängte sich alles heute an Bord der „Einen," die, obwohl etwas größer als der „Marco Polo" (1758 Tonnen), doch weder so neu und elegant, noch mit nur wenig über 1900 Pferdekraft so schnell ist wie dieser, und es war keine Hoffnung, diesesmal eine Kabine allein zu behaupten, so angenehm das bei der Aussicht auf eine unruhige Fahrt gewesen wäre. Um fünf Uhr heulte die Sirene zum letztenmal, der Dampfer drehte und glitt langsam aus dem Hafen in die Meerenge hinaus. Da der Himmel stark bewölkt war, so brach die Dunkelheit rascher herein als sonst, und vor uns blitzte schon das Blickfetter des Färö auf, doch war die See innerhalb der Straße noch ruhig und Aussicht auf ein ungestörtes Abendessen, das niemand, der mit der See einigermaßen vertraut ist, in solcher Lage verschmäht, weil er weiß, daß das relativ sicherste Mittel gegen das dräuende bleiche Gespenst der Seekrankheit eine gediegne Mahlzeit ist, und eine solche lieferte die Küche der „Enna" mit trefflichen Weinen. Die kleine Gesellschaft der ersten Kajüte, die sich bald nach der Abfahrt unter dem Vorsitze des alten, graubärtigen Kapitäns zusammenfand, war bunt gemischt, und Italienisch, Deutsch und Englisch schwirrten durcheinander. Bald allerdings wurde das Behagen etwas verringert, denn der Tisch zeigte eine merkwürdige Neigung, in die Höhe zu steigen, und eine große Hängelampe darüber geriet in die schwingende Bewegung eines Pendels, Wahrnehmungen, die einem der Tischgenossen als Signal galten, zu ver¬ schwinden. Wir waren offenbar schon in der freien See. Zu sehen war allerdings nichts. Rings alles schwarz, schwarz das Meer, schwarz der Himmel, von dem uoch ganz nahen Lande keine Spur. Bor uns im Norden zuckten die Blitze und rollte der Donner, doch zog das Wetter bald seitwärts ub und sandte uns nur prasselnde Regengüsse. So fuhren wir, statt in eine klare Vollmondnacht, wie ich gehofft hatte, in eine dunkle, regcn- und gewitterschwere Sturmnacht hinaus. Eine eisigkalte Tramontana blies von Steuerbord her und trieb die Spritzwellen über das Schiff, sodaß ein Ver¬ weilen auf Deck nur an der Leeseite und auch hier nur unter dem Schutze des Kajütenhauses möglich war; die meisten Passagiere waren längst ver¬ schwunden. Zugleich stampfte der Dampfer stark. Am behaglichsten war es noch in der Mitte hinter dem wärmespendenden Schornstein. Aber endlich trieben die zunehmende Kälte und wiederholte Regenschauer doch hinunter in die Kabine, obwohl dort, da sie natürlich an der Außenwand und etwas weit nach hinten lag, die Bewegungen des Schiffes sich wesentlich fühlbarer machten mis an Deck. Je weiter es in die offne See hinaus ging, desto heftiger wurden sie, und zu dem Stampfen gesellte sich bald ein schweres Rollen. Drei bis vier Stöße derart folgten rasch hintereinander mit zunehmender Heftigkeit lind verursachten das Gefühl, als ob man bald hoch auf- und tief abwärts,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/507>, abgerufen am 22.07.2024.