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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Geschmacksverirrung im Buchdruck

eine begeisterte Anzeige davon brachte. Der Verfasser dieser Anzeige hatte also
das Buch binnen acht Tagen gelesen, verstanden und verdaut! Ich möchte
jeden Satz dreimal lesen. Nun solltest du aber solche Sätze erst einmal in
gotischen Missalbuchstaben gedruckt sehen! Da kommt man vollends nicht vom
Flecke, saugt immer wieder von vorn an und versteht doch nicht ein Wort.
Und da hilft mich gar keine Übung. Man kann sich durch zwanzig Seiten
hindurchgequält haben, es geht anf der zwanzigsten nicht schneller als auf der
ersten. Unsre ganze heutige Art zu denken, zu schreiben und zu lesen steht
nun einmal in Widerspruch zu dieser mittelalterlichen Schrift, und es ist un¬
begreiflich, wie der Verleger hat aus den Gedanken kommen können, ein wissen¬
schaftliches Werk, das durch seine ganze Art sich auszudrücken, außerdem durch
die Unmasse von Fremdwörtern und Zitaten, mit denen es beschwert ist, ohnehin
an den Leser starke Zumutungen stellt, auch noch mit solcher Schrift zu drucken.
Dergleichen laßt mau sich einmal -- als Scherz -- auf einem Einblattdruck
gefallen: einem Diplom, einer Votivtafel, einer Grundstcinnrkundc, auch auf
einer Speisekarte oder einem Konzertprogramm zu einem fünfhundertjährigeu
Jubiläum; aber ein wissenschaftliches Werk druckt man doch, wenn man ein
Übriges thun und es recht vornehm ausstatten will, mit der schönsten erreich¬
baren modernen Textschrift. Man frage einmal bei Giesecke und Devrient in
Leipzig nach; da kann man lernen, wie man solche Werke drucken muß. Durch
ungewohnte, fremdartige, altertümliche Schrift wird nur die Aufmerksamkeit des
Lesers fort und fort vom Inhalt abgezogen, man wird zerstreut, unruhig und
klappt das Buch endlich ärgerlich zu.

Nun ist freilich diese Wirkung in dem vorliegenden Buche zum Teil eine
Folge der verfehlten Raumverhältnisse, in denen die altertümliche Schrift an¬
gewandt worden ist. Jeder einigermaßen erfahrne Setzer weiß, daß man
nicht für jedes Buchformat und jede Kolumne jede beliebige Schrift verwenden
kann, sondern daß, wenn ein Buchsatz eine ästhetische Befriedigung gewähren,
ein Buch wirklich schön gesetzt sein soll, gewisse Verhältnisse beobachtet sein
müssen zwischen der Schriftgröße, der Höhe der Kolumne, der Breite der Ko¬
lumne (also der Länge der Zeilen) und dein freien Raum zwischen den Zeilen.
Hiervon hat der, der das Buch von Sommerlad gesetzt hat oder so, wie es
aussieht, hat setzen lassen, entweder keine Ahnung gehabt oder keine haben
wollen. Die angewandte Schrift ist für die Kolumne viel zu groß, oder,
was dasselbe sagt, die Kolumne ist für die Schrift viel zu klein; außerdem
ist der Durchschuß zwischen den Zeilen zu schmal. Die Kolumne hat zu wenig
Zeilen, die Zeilen sind zu kurz, und sie stehn auch zu eng an einander. Wenn
ein Buch, mit dieser Schrift gedruckt, einen einigermaßen gefälligen Eindruck
machen sollte, so müßte die Kolumne etwa 33 Centimeter hoch und 20 Centi-
meter breit sein. Dann würde sie eben so viel Zeilen enthalten können, wie
das verglichne Buch (38), und es würden auch eben so viel Silben auf der
Seite stehn können wie dort. Ich will die Zahlen nicht für unfehlbar aus-


Geschmacksverirrung im Buchdruck

eine begeisterte Anzeige davon brachte. Der Verfasser dieser Anzeige hatte also
das Buch binnen acht Tagen gelesen, verstanden und verdaut! Ich möchte
jeden Satz dreimal lesen. Nun solltest du aber solche Sätze erst einmal in
gotischen Missalbuchstaben gedruckt sehen! Da kommt man vollends nicht vom
Flecke, saugt immer wieder von vorn an und versteht doch nicht ein Wort.
Und da hilft mich gar keine Übung. Man kann sich durch zwanzig Seiten
hindurchgequält haben, es geht anf der zwanzigsten nicht schneller als auf der
ersten. Unsre ganze heutige Art zu denken, zu schreiben und zu lesen steht
nun einmal in Widerspruch zu dieser mittelalterlichen Schrift, und es ist un¬
begreiflich, wie der Verleger hat aus den Gedanken kommen können, ein wissen¬
schaftliches Werk, das durch seine ganze Art sich auszudrücken, außerdem durch
die Unmasse von Fremdwörtern und Zitaten, mit denen es beschwert ist, ohnehin
an den Leser starke Zumutungen stellt, auch noch mit solcher Schrift zu drucken.
Dergleichen laßt mau sich einmal — als Scherz — auf einem Einblattdruck
gefallen: einem Diplom, einer Votivtafel, einer Grundstcinnrkundc, auch auf
einer Speisekarte oder einem Konzertprogramm zu einem fünfhundertjährigeu
Jubiläum; aber ein wissenschaftliches Werk druckt man doch, wenn man ein
Übriges thun und es recht vornehm ausstatten will, mit der schönsten erreich¬
baren modernen Textschrift. Man frage einmal bei Giesecke und Devrient in
Leipzig nach; da kann man lernen, wie man solche Werke drucken muß. Durch
ungewohnte, fremdartige, altertümliche Schrift wird nur die Aufmerksamkeit des
Lesers fort und fort vom Inhalt abgezogen, man wird zerstreut, unruhig und
klappt das Buch endlich ärgerlich zu.

Nun ist freilich diese Wirkung in dem vorliegenden Buche zum Teil eine
Folge der verfehlten Raumverhältnisse, in denen die altertümliche Schrift an¬
gewandt worden ist. Jeder einigermaßen erfahrne Setzer weiß, daß man
nicht für jedes Buchformat und jede Kolumne jede beliebige Schrift verwenden
kann, sondern daß, wenn ein Buchsatz eine ästhetische Befriedigung gewähren,
ein Buch wirklich schön gesetzt sein soll, gewisse Verhältnisse beobachtet sein
müssen zwischen der Schriftgröße, der Höhe der Kolumne, der Breite der Ko¬
lumne (also der Länge der Zeilen) und dein freien Raum zwischen den Zeilen.
Hiervon hat der, der das Buch von Sommerlad gesetzt hat oder so, wie es
aussieht, hat setzen lassen, entweder keine Ahnung gehabt oder keine haben
wollen. Die angewandte Schrift ist für die Kolumne viel zu groß, oder,
was dasselbe sagt, die Kolumne ist für die Schrift viel zu klein; außerdem
ist der Durchschuß zwischen den Zeilen zu schmal. Die Kolumne hat zu wenig
Zeilen, die Zeilen sind zu kurz, und sie stehn auch zu eng an einander. Wenn
ein Buch, mit dieser Schrift gedruckt, einen einigermaßen gefälligen Eindruck
machen sollte, so müßte die Kolumne etwa 33 Centimeter hoch und 20 Centi-
meter breit sein. Dann würde sie eben so viel Zeilen enthalten können, wie
das verglichne Buch (38), und es würden auch eben so viel Silben auf der
Seite stehn können wie dort. Ich will die Zahlen nicht für unfehlbar aus-


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[0493] Geschmacksverirrung im Buchdruck eine begeisterte Anzeige davon brachte. Der Verfasser dieser Anzeige hatte also das Buch binnen acht Tagen gelesen, verstanden und verdaut! Ich möchte jeden Satz dreimal lesen. Nun solltest du aber solche Sätze erst einmal in gotischen Missalbuchstaben gedruckt sehen! Da kommt man vollends nicht vom Flecke, saugt immer wieder von vorn an und versteht doch nicht ein Wort. Und da hilft mich gar keine Übung. Man kann sich durch zwanzig Seiten hindurchgequält haben, es geht anf der zwanzigsten nicht schneller als auf der ersten. Unsre ganze heutige Art zu denken, zu schreiben und zu lesen steht nun einmal in Widerspruch zu dieser mittelalterlichen Schrift, und es ist un¬ begreiflich, wie der Verleger hat aus den Gedanken kommen können, ein wissen¬ schaftliches Werk, das durch seine ganze Art sich auszudrücken, außerdem durch die Unmasse von Fremdwörtern und Zitaten, mit denen es beschwert ist, ohnehin an den Leser starke Zumutungen stellt, auch noch mit solcher Schrift zu drucken. Dergleichen laßt mau sich einmal — als Scherz — auf einem Einblattdruck gefallen: einem Diplom, einer Votivtafel, einer Grundstcinnrkundc, auch auf einer Speisekarte oder einem Konzertprogramm zu einem fünfhundertjährigeu Jubiläum; aber ein wissenschaftliches Werk druckt man doch, wenn man ein Übriges thun und es recht vornehm ausstatten will, mit der schönsten erreich¬ baren modernen Textschrift. Man frage einmal bei Giesecke und Devrient in Leipzig nach; da kann man lernen, wie man solche Werke drucken muß. Durch ungewohnte, fremdartige, altertümliche Schrift wird nur die Aufmerksamkeit des Lesers fort und fort vom Inhalt abgezogen, man wird zerstreut, unruhig und klappt das Buch endlich ärgerlich zu. Nun ist freilich diese Wirkung in dem vorliegenden Buche zum Teil eine Folge der verfehlten Raumverhältnisse, in denen die altertümliche Schrift an¬ gewandt worden ist. Jeder einigermaßen erfahrne Setzer weiß, daß man nicht für jedes Buchformat und jede Kolumne jede beliebige Schrift verwenden kann, sondern daß, wenn ein Buchsatz eine ästhetische Befriedigung gewähren, ein Buch wirklich schön gesetzt sein soll, gewisse Verhältnisse beobachtet sein müssen zwischen der Schriftgröße, der Höhe der Kolumne, der Breite der Ko¬ lumne (also der Länge der Zeilen) und dein freien Raum zwischen den Zeilen. Hiervon hat der, der das Buch von Sommerlad gesetzt hat oder so, wie es aussieht, hat setzen lassen, entweder keine Ahnung gehabt oder keine haben wollen. Die angewandte Schrift ist für die Kolumne viel zu groß, oder, was dasselbe sagt, die Kolumne ist für die Schrift viel zu klein; außerdem ist der Durchschuß zwischen den Zeilen zu schmal. Die Kolumne hat zu wenig Zeilen, die Zeilen sind zu kurz, und sie stehn auch zu eng an einander. Wenn ein Buch, mit dieser Schrift gedruckt, einen einigermaßen gefälligen Eindruck machen sollte, so müßte die Kolumne etwa 33 Centimeter hoch und 20 Centi- meter breit sein. Dann würde sie eben so viel Zeilen enthalten können, wie das verglichne Buch (38), und es würden auch eben so viel Silben auf der Seite stehn können wie dort. Ich will die Zahlen nicht für unfehlbar aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/493>, abgerufen am 01.10.2024.