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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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zweite noch direktere über Hermannstadt durch den Rotenturmpaß nach Bukarest
gelegt werden. Daß also die Großindustrie, die gleich jenseit der Grenze in
Rumänien unter des Königs Karl persönlicher Initiative und mit sächsischen
Kräften emporgeblüht ist, auch in den sächsischen Städten Wurzel fassen wird,
P mit Sicherheit vorauszusehen. Dann nehmen die Sachsen die Bewegung
am besten von vornherein in die Hand: die Rumänen würden ihnen die Ar¬
beiter, die Sachsen wie drüben im Königreich die Werkmeister und Leiter
stellen, und der im Mittelalter so blühende sächsische Gewerbfleiß würde eine
Auferstehung feiern.

Das sind Unternehmungen äußerer, politischer und materieller Art. Am
wichtigsten ist für den Fortbestand des deutschen Charakters doch die Pflege
der innern Beziehungen in dem ihnen gebliebner Gebiete der Kulturinteressen,
und hier müßte es einfach auf dein betretnen Wege fortfahren, denn daß mau
den rechten eingeschlagen hat, kann kein Zweifel sein. Ein Netz von Vereinen,
in dem die verschiednen Interessen gepflegt werden, hat sich über das ganze
Land ausgebreitet. Der August jedes Jahres sieht die Vereinstage, das "Sachsen¬
fest": da feiern der Verein sächsisch-siebenbürgischer Landeskunde, der Gustav-
Adolf-Verein, die Frauenvereine, deren jedes Dorf einen hat, die landwirt¬
schaftlichen Vereine ihr Jahresfest, und das ganze Sachsenvolk sammelt und
stärkt sich im Gefühle seiner Solidarität und der unzerreißbaren Einheit seiner
deutschen Kultur. Seit sich aber ihre Selbständigkeit ganz in ihre Volks¬
und Landeskirche geflüchtet hat, ist noch mehr wie früher und muß immer mehr
ehr nationales Empfinden verwachsen mit dem innersten Leben ihrer Seele.
Als im vorletzten Jahre in Kronstäbe das Denkmal des Reformators Honterus
enthüllt wurde, ist es ihnen wie eine Erleuchtung gekommen: ihre nationale
Sache ist eine heilige Sache, ist eine Sache des Glaubens. Der Enthusiasmus
bei diesem häuslichen Fest soll noch größer gewesen sein als der, den wir erlebten,
lind diesen Glauben an ihren Fortbestand ihnen erhalten zu haben, als ihnen
die alten Formen zerbrachen, das ist das Hauptverdienst ihres großen Volks¬
führers Teutsch.'

Und können wir gar nichts dabei thun? Politisch -- das ist klar -- gar
nchts. Sozial mehr. Es ist der dringende Wunsch der maßgebenden sächsischen
Kreise, daß sich bei der obengenannten Aktienunternehmung das deutsche Kapital
beteilige. Die Sache ist jüngst im ungarischen Abgeordnetenhause zur öffent-
uchen Diskussion gekommen und von einem inagyarisch-siebenbürgischen Volks¬
vertreter mit Erfolg verteidigt worden: viel lieber sieht man auch ans dieser
Seite reichsdeutschen als österreichischen Einfluß.

Am meisten aber können wir auf dem Gebiete der Kultur thun, und das
'se doch nicht nur moralische Unterstützung. Zwar schon diese, das Zeigen
unsrer Teilnahme, bedeutet ihnen viel. Man hat uns oft gesagt: Sie wissen
gar nicht, wie viel Sie allein durch Ihr Hiersein uns helfen, indem Sie be¬
weisen, daß Deutschland, das große und mächtige, uns nicht vergißt. Wie
weim wäre es ein Leichtes, statt der gewohnten Fahrt in die Alpen oder


Grenzboten II 1900 60

zweite noch direktere über Hermannstadt durch den Rotenturmpaß nach Bukarest
gelegt werden. Daß also die Großindustrie, die gleich jenseit der Grenze in
Rumänien unter des Königs Karl persönlicher Initiative und mit sächsischen
Kräften emporgeblüht ist, auch in den sächsischen Städten Wurzel fassen wird,
P mit Sicherheit vorauszusehen. Dann nehmen die Sachsen die Bewegung
am besten von vornherein in die Hand: die Rumänen würden ihnen die Ar¬
beiter, die Sachsen wie drüben im Königreich die Werkmeister und Leiter
stellen, und der im Mittelalter so blühende sächsische Gewerbfleiß würde eine
Auferstehung feiern.

Das sind Unternehmungen äußerer, politischer und materieller Art. Am
wichtigsten ist für den Fortbestand des deutschen Charakters doch die Pflege
der innern Beziehungen in dem ihnen gebliebner Gebiete der Kulturinteressen,
und hier müßte es einfach auf dein betretnen Wege fortfahren, denn daß mau
den rechten eingeschlagen hat, kann kein Zweifel sein. Ein Netz von Vereinen,
in dem die verschiednen Interessen gepflegt werden, hat sich über das ganze
Land ausgebreitet. Der August jedes Jahres sieht die Vereinstage, das „Sachsen¬
fest": da feiern der Verein sächsisch-siebenbürgischer Landeskunde, der Gustav-
Adolf-Verein, die Frauenvereine, deren jedes Dorf einen hat, die landwirt¬
schaftlichen Vereine ihr Jahresfest, und das ganze Sachsenvolk sammelt und
stärkt sich im Gefühle seiner Solidarität und der unzerreißbaren Einheit seiner
deutschen Kultur. Seit sich aber ihre Selbständigkeit ganz in ihre Volks¬
und Landeskirche geflüchtet hat, ist noch mehr wie früher und muß immer mehr
ehr nationales Empfinden verwachsen mit dem innersten Leben ihrer Seele.
Als im vorletzten Jahre in Kronstäbe das Denkmal des Reformators Honterus
enthüllt wurde, ist es ihnen wie eine Erleuchtung gekommen: ihre nationale
Sache ist eine heilige Sache, ist eine Sache des Glaubens. Der Enthusiasmus
bei diesem häuslichen Fest soll noch größer gewesen sein als der, den wir erlebten,
lind diesen Glauben an ihren Fortbestand ihnen erhalten zu haben, als ihnen
die alten Formen zerbrachen, das ist das Hauptverdienst ihres großen Volks¬
führers Teutsch.'

Und können wir gar nichts dabei thun? Politisch — das ist klar — gar
nchts. Sozial mehr. Es ist der dringende Wunsch der maßgebenden sächsischen
Kreise, daß sich bei der obengenannten Aktienunternehmung das deutsche Kapital
beteilige. Die Sache ist jüngst im ungarischen Abgeordnetenhause zur öffent-
uchen Diskussion gekommen und von einem inagyarisch-siebenbürgischen Volks¬
vertreter mit Erfolg verteidigt worden: viel lieber sieht man auch ans dieser
Seite reichsdeutschen als österreichischen Einfluß.

Am meisten aber können wir auf dem Gebiete der Kultur thun, und das
'se doch nicht nur moralische Unterstützung. Zwar schon diese, das Zeigen
unsrer Teilnahme, bedeutet ihnen viel. Man hat uns oft gesagt: Sie wissen
gar nicht, wie viel Sie allein durch Ihr Hiersein uns helfen, indem Sie be¬
weisen, daß Deutschland, das große und mächtige, uns nicht vergißt. Wie
weim wäre es ein Leichtes, statt der gewohnten Fahrt in die Alpen oder


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[0481] zweite noch direktere über Hermannstadt durch den Rotenturmpaß nach Bukarest gelegt werden. Daß also die Großindustrie, die gleich jenseit der Grenze in Rumänien unter des Königs Karl persönlicher Initiative und mit sächsischen Kräften emporgeblüht ist, auch in den sächsischen Städten Wurzel fassen wird, P mit Sicherheit vorauszusehen. Dann nehmen die Sachsen die Bewegung am besten von vornherein in die Hand: die Rumänen würden ihnen die Ar¬ beiter, die Sachsen wie drüben im Königreich die Werkmeister und Leiter stellen, und der im Mittelalter so blühende sächsische Gewerbfleiß würde eine Auferstehung feiern. Das sind Unternehmungen äußerer, politischer und materieller Art. Am wichtigsten ist für den Fortbestand des deutschen Charakters doch die Pflege der innern Beziehungen in dem ihnen gebliebner Gebiete der Kulturinteressen, und hier müßte es einfach auf dein betretnen Wege fortfahren, denn daß mau den rechten eingeschlagen hat, kann kein Zweifel sein. Ein Netz von Vereinen, in dem die verschiednen Interessen gepflegt werden, hat sich über das ganze Land ausgebreitet. Der August jedes Jahres sieht die Vereinstage, das „Sachsen¬ fest": da feiern der Verein sächsisch-siebenbürgischer Landeskunde, der Gustav- Adolf-Verein, die Frauenvereine, deren jedes Dorf einen hat, die landwirt¬ schaftlichen Vereine ihr Jahresfest, und das ganze Sachsenvolk sammelt und stärkt sich im Gefühle seiner Solidarität und der unzerreißbaren Einheit seiner deutschen Kultur. Seit sich aber ihre Selbständigkeit ganz in ihre Volks¬ und Landeskirche geflüchtet hat, ist noch mehr wie früher und muß immer mehr ehr nationales Empfinden verwachsen mit dem innersten Leben ihrer Seele. Als im vorletzten Jahre in Kronstäbe das Denkmal des Reformators Honterus enthüllt wurde, ist es ihnen wie eine Erleuchtung gekommen: ihre nationale Sache ist eine heilige Sache, ist eine Sache des Glaubens. Der Enthusiasmus bei diesem häuslichen Fest soll noch größer gewesen sein als der, den wir erlebten, lind diesen Glauben an ihren Fortbestand ihnen erhalten zu haben, als ihnen die alten Formen zerbrachen, das ist das Hauptverdienst ihres großen Volks¬ führers Teutsch.' Und können wir gar nichts dabei thun? Politisch — das ist klar — gar nchts. Sozial mehr. Es ist der dringende Wunsch der maßgebenden sächsischen Kreise, daß sich bei der obengenannten Aktienunternehmung das deutsche Kapital beteilige. Die Sache ist jüngst im ungarischen Abgeordnetenhause zur öffent- uchen Diskussion gekommen und von einem inagyarisch-siebenbürgischen Volks¬ vertreter mit Erfolg verteidigt worden: viel lieber sieht man auch ans dieser Seite reichsdeutschen als österreichischen Einfluß. Am meisten aber können wir auf dem Gebiete der Kultur thun, und das 'se doch nicht nur moralische Unterstützung. Zwar schon diese, das Zeigen unsrer Teilnahme, bedeutet ihnen viel. Man hat uns oft gesagt: Sie wissen gar nicht, wie viel Sie allein durch Ihr Hiersein uns helfen, indem Sie be¬ weisen, daß Deutschland, das große und mächtige, uns nicht vergißt. Wie weim wäre es ein Leichtes, statt der gewohnten Fahrt in die Alpen oder Grenzboten II 1900 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/481>, abgerufen am 03.07.2024.