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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Frage in Ungarns Gstinark

Dunesdors in der Nähe der Schäßbnrger Feste besonders hart trafen, hatten
1660 die Bewohner auf zwölf Haushaltungen hinuntergebracht. In unmittel-
barer Nähe fiel 1662 die Entscheidung zwischen Kreuz und Halbmond. Da
an Sachsen Maugel war, wurden Walachei, ans den Ruf des Schäßbnrger
Nntes deu Sachsen zugesellt. Heute sind ans einer Handvoll 1200 geworden,
aus den Sachsen nur 361, freilich ein kräftiges, stnrkgliedriges Geschlecht voller
Opfermut.

Das Einzelbild ist zu verallgemeinern. Die Rumänen verdrängen langsam
die Sachsen ans dein Bezirk. Die meisten sind unglaublich ärmlich, freilich
a"es bedürfnislos -- man sagt, sie nährten sich von den Feldfrüchten der
Sachsen. Aber es giebt auch außerordentlich reiche Familien, die sich Grund
und Boden ankaufen, mich für die Kirche, und dnrch ihre Bolkszahl kommen
sie immer mehr in den Besitz der Selbstverivaltimgsstellen. Biele sächsische
Gemeinden sind ganz, andre halb rumänisch geworden.

Dabei sind sie, wenn auch heute noch keine wissenschaftliche Konkurrenz,
doch eine bildungsfähige Nasse; am Eingang des großen rumänischen Quartiers
in Kronstäbe von rein dörflichen, Charakter erhebt sich stolz das rumänische
Gymnasium. Seine rumänische Intelligenz, wurde mir gesagt, bezöge das
Königreich Rumänien ans Siebenbürgen. Man hat den Eindruck, daß sie
von den Sachsen lernen, bis sie so stark geworden sind, sich gegen sie zu
wenden. Im ganzen eine unheimliche Macht, die sicher eine Rolle spielen
wird bei der Lösung der Znkunftsfragen. Was wird sie für die Sachsen be¬
deuten?

Jeder wird begreifen, daß sich uus immer dringender die dritte Frage
aus Herz legte: Wodurch kau" der deutsche Charakter, die deutsche Kultur
unsrer braven Stammesgenossen hier bewahrt bleiben? Darüber noch ein
kurzes Wort. ,

,
Erstlich haben die allgemeinen Verhältnisse doch einige Lichtblicke, die ich
bisher verschwiegen habe.

Auch das Magyarisiereu hat seine Grenze. Wirklich sind die Magharen
nicht nnr in der Minderheit -- das ist unbestreitbar --, sondern machen nnr
ein Drittel der Bevölkerung ans, sechs Millionen, der Rest sind Juden und
Deutsche, die ihren Ruinen magharisiert haben und nach diesem äußerliche"
Maßstab als Magyaren gezählt siud. Nun sind aber doch nicht nnr die
Sachsen voll Nationalgefühls. In viel clemeutarcrer Form, aber eben deshalb
um so leidenschaftlicher und gefährlicher ist das Nationalgefühl bei den andern,
roheren nichtmagynrischen Völkern Ungarns erwacht. Daß die Kroaten und
Serben einen wahrhaft glühenden Haß auf ihre Bedränger geworfen haben,
einen Haß, der den gegen die Deutschen weit übersteigt, ist bekannt. Weniger
bekannt, aber vor kurzem erst vom Ministerpräsidenten Koloman Szell im Reichs¬
tage*) als eine betrübende Thatsache bestätigt ist das Anwachsen der slowa-



Sitzung vom 9. Februar 1900.
Die deutsche Frage in Ungarns Gstinark

Dunesdors in der Nähe der Schäßbnrger Feste besonders hart trafen, hatten
1660 die Bewohner auf zwölf Haushaltungen hinuntergebracht. In unmittel-
barer Nähe fiel 1662 die Entscheidung zwischen Kreuz und Halbmond. Da
an Sachsen Maugel war, wurden Walachei, ans den Ruf des Schäßbnrger
Nntes deu Sachsen zugesellt. Heute sind ans einer Handvoll 1200 geworden,
aus den Sachsen nur 361, freilich ein kräftiges, stnrkgliedriges Geschlecht voller
Opfermut.

Das Einzelbild ist zu verallgemeinern. Die Rumänen verdrängen langsam
die Sachsen ans dein Bezirk. Die meisten sind unglaublich ärmlich, freilich
a»es bedürfnislos — man sagt, sie nährten sich von den Feldfrüchten der
Sachsen. Aber es giebt auch außerordentlich reiche Familien, die sich Grund
und Boden ankaufen, mich für die Kirche, und dnrch ihre Bolkszahl kommen
sie immer mehr in den Besitz der Selbstverivaltimgsstellen. Biele sächsische
Gemeinden sind ganz, andre halb rumänisch geworden.

Dabei sind sie, wenn auch heute noch keine wissenschaftliche Konkurrenz,
doch eine bildungsfähige Nasse; am Eingang des großen rumänischen Quartiers
in Kronstäbe von rein dörflichen, Charakter erhebt sich stolz das rumänische
Gymnasium. Seine rumänische Intelligenz, wurde mir gesagt, bezöge das
Königreich Rumänien ans Siebenbürgen. Man hat den Eindruck, daß sie
von den Sachsen lernen, bis sie so stark geworden sind, sich gegen sie zu
wenden. Im ganzen eine unheimliche Macht, die sicher eine Rolle spielen
wird bei der Lösung der Znkunftsfragen. Was wird sie für die Sachsen be¬
deuten?

Jeder wird begreifen, daß sich uus immer dringender die dritte Frage
aus Herz legte: Wodurch kau» der deutsche Charakter, die deutsche Kultur
unsrer braven Stammesgenossen hier bewahrt bleiben? Darüber noch ein
kurzes Wort. ,

,
Erstlich haben die allgemeinen Verhältnisse doch einige Lichtblicke, die ich
bisher verschwiegen habe.

Auch das Magyarisiereu hat seine Grenze. Wirklich sind die Magharen
nicht nnr in der Minderheit — das ist unbestreitbar —, sondern machen nnr
ein Drittel der Bevölkerung ans, sechs Millionen, der Rest sind Juden und
Deutsche, die ihren Ruinen magharisiert haben und nach diesem äußerliche»
Maßstab als Magyaren gezählt siud. Nun sind aber doch nicht nnr die
Sachsen voll Nationalgefühls. In viel clemeutarcrer Form, aber eben deshalb
um so leidenschaftlicher und gefährlicher ist das Nationalgefühl bei den andern,
roheren nichtmagynrischen Völkern Ungarns erwacht. Daß die Kroaten und
Serben einen wahrhaft glühenden Haß auf ihre Bedränger geworfen haben,
einen Haß, der den gegen die Deutschen weit übersteigt, ist bekannt. Weniger
bekannt, aber vor kurzem erst vom Ministerpräsidenten Koloman Szell im Reichs¬
tage*) als eine betrübende Thatsache bestätigt ist das Anwachsen der slowa-



Sitzung vom 9. Februar 1900.
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[0477] Die deutsche Frage in Ungarns Gstinark Dunesdors in der Nähe der Schäßbnrger Feste besonders hart trafen, hatten 1660 die Bewohner auf zwölf Haushaltungen hinuntergebracht. In unmittel- barer Nähe fiel 1662 die Entscheidung zwischen Kreuz und Halbmond. Da an Sachsen Maugel war, wurden Walachei, ans den Ruf des Schäßbnrger Nntes deu Sachsen zugesellt. Heute sind ans einer Handvoll 1200 geworden, aus den Sachsen nur 361, freilich ein kräftiges, stnrkgliedriges Geschlecht voller Opfermut. Das Einzelbild ist zu verallgemeinern. Die Rumänen verdrängen langsam die Sachsen ans dein Bezirk. Die meisten sind unglaublich ärmlich, freilich a»es bedürfnislos — man sagt, sie nährten sich von den Feldfrüchten der Sachsen. Aber es giebt auch außerordentlich reiche Familien, die sich Grund und Boden ankaufen, mich für die Kirche, und dnrch ihre Bolkszahl kommen sie immer mehr in den Besitz der Selbstverivaltimgsstellen. Biele sächsische Gemeinden sind ganz, andre halb rumänisch geworden. Dabei sind sie, wenn auch heute noch keine wissenschaftliche Konkurrenz, doch eine bildungsfähige Nasse; am Eingang des großen rumänischen Quartiers in Kronstäbe von rein dörflichen, Charakter erhebt sich stolz das rumänische Gymnasium. Seine rumänische Intelligenz, wurde mir gesagt, bezöge das Königreich Rumänien ans Siebenbürgen. Man hat den Eindruck, daß sie von den Sachsen lernen, bis sie so stark geworden sind, sich gegen sie zu wenden. Im ganzen eine unheimliche Macht, die sicher eine Rolle spielen wird bei der Lösung der Znkunftsfragen. Was wird sie für die Sachsen be¬ deuten? Jeder wird begreifen, daß sich uus immer dringender die dritte Frage aus Herz legte: Wodurch kau» der deutsche Charakter, die deutsche Kultur unsrer braven Stammesgenossen hier bewahrt bleiben? Darüber noch ein kurzes Wort. , , Erstlich haben die allgemeinen Verhältnisse doch einige Lichtblicke, die ich bisher verschwiegen habe. Auch das Magyarisiereu hat seine Grenze. Wirklich sind die Magharen nicht nnr in der Minderheit — das ist unbestreitbar —, sondern machen nnr ein Drittel der Bevölkerung ans, sechs Millionen, der Rest sind Juden und Deutsche, die ihren Ruinen magharisiert haben und nach diesem äußerliche» Maßstab als Magyaren gezählt siud. Nun sind aber doch nicht nnr die Sachsen voll Nationalgefühls. In viel clemeutarcrer Form, aber eben deshalb um so leidenschaftlicher und gefährlicher ist das Nationalgefühl bei den andern, roheren nichtmagynrischen Völkern Ungarns erwacht. Daß die Kroaten und Serben einen wahrhaft glühenden Haß auf ihre Bedränger geworfen haben, einen Haß, der den gegen die Deutschen weit übersteigt, ist bekannt. Weniger bekannt, aber vor kurzem erst vom Ministerpräsidenten Koloman Szell im Reichs¬ tage*) als eine betrübende Thatsache bestätigt ist das Anwachsen der slowa- Sitzung vom 9. Februar 1900.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/477>, abgerufen am 22.07.2024.