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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Frage in Ungarns Gstniark

dischen Bewegung. Nun aber stehn diese Nationen anders als die Dentschen.
Wahrend die Sachsen nach dem Programm Death, der bei ihnen hohe
Achtung genießt, ehrlich an einer innerlich gefunden auf Gerechtigkeit aufgebauten
Entwicklung des ungarischen Staates mitarbeiten wollen und an eine Ver¬
einigung mit dein Ziele ihrer Sehnsucht, dem Mutterlande Deutschland, nicht
entfernt denken können, schielen die andern Nationalitäten über die Grenzen
hinüber: die slowakische Bewegung ist durch die Tschechen entflammt, die
Serben streben die Vereinigung mit dem Königreich Serbien, und die Rumänen
die mit dein aufblühenden rumänischen Nachbarstaate an. Unter den Sieben¬
bürgen! existiert die Meinung, daß, sowie der jetzige Kaiser die Augen schließt,
die Rumänen in Siebenbürgen losschlagen werden. ^Va rgUnoncl^in vvroimin,
heißt es im alten Sachsenwappen. Sollten die Sachsen unter geänderten
Verhältnissen doch noch einmal berufen werden, den ungarischen Staat
zu verteidigen und so ihre Zufriedenheit ein wertvolles Gut werden wie vor
Zeiten?

Schon ans dem Gesagten sieht man, daß der Magyar von Feinden um¬
ringt ist -- er ist aber überhaupt isoliert, sechs Millionen, also doppelt so
viel wie das Königreich Sachsen Einwohner hat, von einem Stamme, der
Verwandte "ur in den Finnen und den Türken hat, mit einer Sprache, die
wohltönend aber schlechterdings keine Knltursprache ist. Im Handel ist Ungarn,
wenn es sich nicht zur Bedeutungslosigkeit verdammen will, wie politisch ans
den Dreibnnd und die Freundschaft mit dem Dentschen Reiche, in Wirtschaft
und Kultur ans den deutschen Westen angewiesen.

Und diese Verbindung hat doch anch noch nicht aufgehört. Immerhin
besteht doch die staatsrechtliche Verbindung mit Cisleithanien noch, und nament¬
lich durch die kaiserliche Armee geht trotz allem noch ein deutscher Zug.

Die Sachsen dienen in Scharen in der Armee, und an der Tentsch-
feier hielt auch der höchste Vertreter der Armee einen sympathischen Trink-
spruch auf den sächsischen Bischof. Noch hat die Honvedarmee die Artillerie
nicht, nach der sie sich so sehnt, und die Kaiserlichen haben noch das Heft in
der Hand.

Endlich haben, wie es scheint, die Sachsen in Ungarn selbst einen dentschen
Bundesgenossen in den 800000 Schwabe" des Banat gefunden, die ihr Volks-
tniil völlig unversehrt erhalten haben, bisher aber ohne eigentlich nationales
Bewußtsein. Wir sind einer Reihe dieser treuherzigen Menschen in Kronstäbe
begegnet, die gekommen Ware", die landwirtschaftlichen Einrichtungen der sieben-
bürgischen Staimnesgenosscn kennen zu lernen. Die steigende Agitation gegen
alles Nichtmagyarische hat auch diese schiverflüssige Masse in Bewegung ge¬
bracht lind sie in die Erkenntnis mit Gewalt hineingetrieben, daß es hohe,
teuerste Güter sind, die in Gefahr stehn, und die zu verteidigen Pflicht ist,
gerade um des ungarischen Vaterlandes willen. Seit einem halben Jahre ist
die Bewegung stark gewachsen und hat eine gute Vertretung in mehreren
Organen von energisch-deutscher Haltung gefunden.


Die deutsche Frage in Ungarns Gstniark

dischen Bewegung. Nun aber stehn diese Nationen anders als die Dentschen.
Wahrend die Sachsen nach dem Programm Death, der bei ihnen hohe
Achtung genießt, ehrlich an einer innerlich gefunden auf Gerechtigkeit aufgebauten
Entwicklung des ungarischen Staates mitarbeiten wollen und an eine Ver¬
einigung mit dein Ziele ihrer Sehnsucht, dem Mutterlande Deutschland, nicht
entfernt denken können, schielen die andern Nationalitäten über die Grenzen
hinüber: die slowakische Bewegung ist durch die Tschechen entflammt, die
Serben streben die Vereinigung mit dem Königreich Serbien, und die Rumänen
die mit dein aufblühenden rumänischen Nachbarstaate an. Unter den Sieben¬
bürgen! existiert die Meinung, daß, sowie der jetzige Kaiser die Augen schließt,
die Rumänen in Siebenbürgen losschlagen werden. ^Va rgUnoncl^in vvroimin,
heißt es im alten Sachsenwappen. Sollten die Sachsen unter geänderten
Verhältnissen doch noch einmal berufen werden, den ungarischen Staat
zu verteidigen und so ihre Zufriedenheit ein wertvolles Gut werden wie vor
Zeiten?

Schon ans dem Gesagten sieht man, daß der Magyar von Feinden um¬
ringt ist — er ist aber überhaupt isoliert, sechs Millionen, also doppelt so
viel wie das Königreich Sachsen Einwohner hat, von einem Stamme, der
Verwandte »ur in den Finnen und den Türken hat, mit einer Sprache, die
wohltönend aber schlechterdings keine Knltursprache ist. Im Handel ist Ungarn,
wenn es sich nicht zur Bedeutungslosigkeit verdammen will, wie politisch ans
den Dreibnnd und die Freundschaft mit dem Dentschen Reiche, in Wirtschaft
und Kultur ans den deutschen Westen angewiesen.

Und diese Verbindung hat doch anch noch nicht aufgehört. Immerhin
besteht doch die staatsrechtliche Verbindung mit Cisleithanien noch, und nament¬
lich durch die kaiserliche Armee geht trotz allem noch ein deutscher Zug.

Die Sachsen dienen in Scharen in der Armee, und an der Tentsch-
feier hielt auch der höchste Vertreter der Armee einen sympathischen Trink-
spruch auf den sächsischen Bischof. Noch hat die Honvedarmee die Artillerie
nicht, nach der sie sich so sehnt, und die Kaiserlichen haben noch das Heft in
der Hand.

Endlich haben, wie es scheint, die Sachsen in Ungarn selbst einen dentschen
Bundesgenossen in den 800000 Schwabe» des Banat gefunden, die ihr Volks-
tniil völlig unversehrt erhalten haben, bisher aber ohne eigentlich nationales
Bewußtsein. Wir sind einer Reihe dieser treuherzigen Menschen in Kronstäbe
begegnet, die gekommen Ware», die landwirtschaftlichen Einrichtungen der sieben-
bürgischen Staimnesgenosscn kennen zu lernen. Die steigende Agitation gegen
alles Nichtmagyarische hat auch diese schiverflüssige Masse in Bewegung ge¬
bracht lind sie in die Erkenntnis mit Gewalt hineingetrieben, daß es hohe,
teuerste Güter sind, die in Gefahr stehn, und die zu verteidigen Pflicht ist,
gerade um des ungarischen Vaterlandes willen. Seit einem halben Jahre ist
die Bewegung stark gewachsen und hat eine gute Vertretung in mehreren
Organen von energisch-deutscher Haltung gefunden.


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[0478] Die deutsche Frage in Ungarns Gstniark dischen Bewegung. Nun aber stehn diese Nationen anders als die Dentschen. Wahrend die Sachsen nach dem Programm Death, der bei ihnen hohe Achtung genießt, ehrlich an einer innerlich gefunden auf Gerechtigkeit aufgebauten Entwicklung des ungarischen Staates mitarbeiten wollen und an eine Ver¬ einigung mit dein Ziele ihrer Sehnsucht, dem Mutterlande Deutschland, nicht entfernt denken können, schielen die andern Nationalitäten über die Grenzen hinüber: die slowakische Bewegung ist durch die Tschechen entflammt, die Serben streben die Vereinigung mit dem Königreich Serbien, und die Rumänen die mit dein aufblühenden rumänischen Nachbarstaate an. Unter den Sieben¬ bürgen! existiert die Meinung, daß, sowie der jetzige Kaiser die Augen schließt, die Rumänen in Siebenbürgen losschlagen werden. ^Va rgUnoncl^in vvroimin, heißt es im alten Sachsenwappen. Sollten die Sachsen unter geänderten Verhältnissen doch noch einmal berufen werden, den ungarischen Staat zu verteidigen und so ihre Zufriedenheit ein wertvolles Gut werden wie vor Zeiten? Schon ans dem Gesagten sieht man, daß der Magyar von Feinden um¬ ringt ist — er ist aber überhaupt isoliert, sechs Millionen, also doppelt so viel wie das Königreich Sachsen Einwohner hat, von einem Stamme, der Verwandte »ur in den Finnen und den Türken hat, mit einer Sprache, die wohltönend aber schlechterdings keine Knltursprache ist. Im Handel ist Ungarn, wenn es sich nicht zur Bedeutungslosigkeit verdammen will, wie politisch ans den Dreibnnd und die Freundschaft mit dem Dentschen Reiche, in Wirtschaft und Kultur ans den deutschen Westen angewiesen. Und diese Verbindung hat doch anch noch nicht aufgehört. Immerhin besteht doch die staatsrechtliche Verbindung mit Cisleithanien noch, und nament¬ lich durch die kaiserliche Armee geht trotz allem noch ein deutscher Zug. Die Sachsen dienen in Scharen in der Armee, und an der Tentsch- feier hielt auch der höchste Vertreter der Armee einen sympathischen Trink- spruch auf den sächsischen Bischof. Noch hat die Honvedarmee die Artillerie nicht, nach der sie sich so sehnt, und die Kaiserlichen haben noch das Heft in der Hand. Endlich haben, wie es scheint, die Sachsen in Ungarn selbst einen dentschen Bundesgenossen in den 800000 Schwabe» des Banat gefunden, die ihr Volks- tniil völlig unversehrt erhalten haben, bisher aber ohne eigentlich nationales Bewußtsein. Wir sind einer Reihe dieser treuherzigen Menschen in Kronstäbe begegnet, die gekommen Ware», die landwirtschaftlichen Einrichtungen der sieben- bürgischen Staimnesgenosscn kennen zu lernen. Die steigende Agitation gegen alles Nichtmagyarische hat auch diese schiverflüssige Masse in Bewegung ge¬ bracht lind sie in die Erkenntnis mit Gewalt hineingetrieben, daß es hohe, teuerste Güter sind, die in Gefahr stehn, und die zu verteidigen Pflicht ist, gerade um des ungarischen Vaterlandes willen. Seit einem halben Jahre ist die Bewegung stark gewachsen und hat eine gute Vertretung in mehreren Organen von energisch-deutscher Haltung gefunden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/478>, abgerufen am 22.07.2024.