Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ballen, Linnländer, Buren

treten darf. Was beispielsweise das Deutsche Reich betrifft, so würde es solche
ihm aufgepfropften, aber doch völlig mit dein Hauptstamm verwachsenen Neben¬
zweige, die von einer reichen Fülle eigentümlicher Bildungsfrüchte strotzen,
sicher zu schonen wissen. Wein, Hamburg und Bremen englisch wären, so
würden wir uns vielleicht bemühen, ihre Sonderstellung zu beseitigen und sie
mit allen Machtmitteln zu, verdeutschen, denn sie könnten sonst in einem Kriege
mit England eine zweideutige Rolle spielen und würden auch ohne einen solchen
als fremdartige Pfähle mitten in unserm besten Fleisch sitzen. Ähnlich, wenn
mich ohne begründeten Anlaß zu Besorgnissen für die Zukunft, haben zahl¬
reiche Russen die Vesonderheitcu Rigas, Libnus und Nepals angesehen. Würde
aber etwa Holland durch überseeische Verwicklungen gezwungen, in das Deutsche
Reich einzutreten, so blieben ihm seine innere Unabhängigkeit, seine Sprache, seine
Landeskirche, sein Recht für alle Zeiten verbürgt, und kein Deutscher würde
unternehmen, daran zu rütteln. Ein solches Verhältnis würde der bisherigen
Stellung Finnlands zum Zarenreiche entsprechen. Mit vollstem Recht können
wir hier mit einem viel mißbrauchtem Wort Tallehrauds sagen, daß Rußlands
siuuländische Politik uicht bloß ein Verbreche", souderu ein schwerer Fehler ist.
Der sonst so human gesinnte junge Zur ist über die Lage in Finnland schlecht
unterrichtet und wird von gewissenlosen Vertrauensmännern ans das übelste
beraten.

Im rein volkstümliche!! Sinne sind unzweifelhaft die Buren am stärkste",
da sie eine einheitliche, in gleichem Tiegel gegossene, schlackenfreie Masse
bilden. Aber auch Finnland ist durch den häuslichen Zwist zwischen Sveko-
maueil und Fenvmcmen keineswegs in seiner Widerstandskraft geschwächt, denn
dort wiederholt sich das seltne Schauspiel der Schweiz, daß sich grundverschiedne
Nasse", die in gleichem Maße teil an den Rechten und Gutem des Vaterlands
haben, auch in gleichem Maße zu seiner Verteidigung berufen fühlen. Be¬
deutend schlimmer steht es um die Ostseeprovinzen. Trotz aller Anstrengungen
eifriger Landespatrioten, die dortigen nationalen Gegensätze auszugleichen, lebt
kein einheitliches politisches Bewußtsein in der Brust der hochgerichteteu Halb-
göttergestalteu des Giebels und der zu Boden starrende" Karhatidenvölker.
Die baltischen Ritterschaften, die schon in der Schaffung eiues bäurischen
Kleingrundbesitzes einen weitschauenden politischen Blick bekundet haben, hätten
gewiß im Interesse der eignen Zukunft auch Bürgertum und Bauernschaften
gern zur provinziellen Selbstverwaltung herangezogen, wen" die Regierung
ihnen nicht jede Möglichkeit abgeschnitten hätte, die Landesverfassung ans ge¬
schichtlicher Grundlage weiter zu entwickeln. Die Regierung hat es immer
verstanden, sie ins Unrecht zu setze", sie als Vertreter einer starren Ver¬
gangenheit hinzustellen, sich selbst mit allen Ehrenzeichen des Fortschritts, der
zeitgemäßen Verbesserung zu schmücken. Die Letten und Esthen haben mit
ihren gesunden Bauerninstinktcn schließlich wohl erkannt, wie grausam man sie
um der Nase herumgeführt hat. Den untersten Schichten der Deutschen und
der gemischtsprachigen Bevölkerung aber, die nie zur Ausübung öffentlicher


Ballen, Linnländer, Buren

treten darf. Was beispielsweise das Deutsche Reich betrifft, so würde es solche
ihm aufgepfropften, aber doch völlig mit dein Hauptstamm verwachsenen Neben¬
zweige, die von einer reichen Fülle eigentümlicher Bildungsfrüchte strotzen,
sicher zu schonen wissen. Wein, Hamburg und Bremen englisch wären, so
würden wir uns vielleicht bemühen, ihre Sonderstellung zu beseitigen und sie
mit allen Machtmitteln zu, verdeutschen, denn sie könnten sonst in einem Kriege
mit England eine zweideutige Rolle spielen und würden auch ohne einen solchen
als fremdartige Pfähle mitten in unserm besten Fleisch sitzen. Ähnlich, wenn
mich ohne begründeten Anlaß zu Besorgnissen für die Zukunft, haben zahl¬
reiche Russen die Vesonderheitcu Rigas, Libnus und Nepals angesehen. Würde
aber etwa Holland durch überseeische Verwicklungen gezwungen, in das Deutsche
Reich einzutreten, so blieben ihm seine innere Unabhängigkeit, seine Sprache, seine
Landeskirche, sein Recht für alle Zeiten verbürgt, und kein Deutscher würde
unternehmen, daran zu rütteln. Ein solches Verhältnis würde der bisherigen
Stellung Finnlands zum Zarenreiche entsprechen. Mit vollstem Recht können
wir hier mit einem viel mißbrauchtem Wort Tallehrauds sagen, daß Rußlands
siuuländische Politik uicht bloß ein Verbreche», souderu ein schwerer Fehler ist.
Der sonst so human gesinnte junge Zur ist über die Lage in Finnland schlecht
unterrichtet und wird von gewissenlosen Vertrauensmännern ans das übelste
beraten.

Im rein volkstümliche!! Sinne sind unzweifelhaft die Buren am stärkste»,
da sie eine einheitliche, in gleichem Tiegel gegossene, schlackenfreie Masse
bilden. Aber auch Finnland ist durch den häuslichen Zwist zwischen Sveko-
maueil und Fenvmcmen keineswegs in seiner Widerstandskraft geschwächt, denn
dort wiederholt sich das seltne Schauspiel der Schweiz, daß sich grundverschiedne
Nasse», die in gleichem Maße teil an den Rechten und Gutem des Vaterlands
haben, auch in gleichem Maße zu seiner Verteidigung berufen fühlen. Be¬
deutend schlimmer steht es um die Ostseeprovinzen. Trotz aller Anstrengungen
eifriger Landespatrioten, die dortigen nationalen Gegensätze auszugleichen, lebt
kein einheitliches politisches Bewußtsein in der Brust der hochgerichteteu Halb-
göttergestalteu des Giebels und der zu Boden starrende» Karhatidenvölker.
Die baltischen Ritterschaften, die schon in der Schaffung eiues bäurischen
Kleingrundbesitzes einen weitschauenden politischen Blick bekundet haben, hätten
gewiß im Interesse der eignen Zukunft auch Bürgertum und Bauernschaften
gern zur provinziellen Selbstverwaltung herangezogen, wen» die Regierung
ihnen nicht jede Möglichkeit abgeschnitten hätte, die Landesverfassung ans ge¬
schichtlicher Grundlage weiter zu entwickeln. Die Regierung hat es immer
verstanden, sie ins Unrecht zu setze», sie als Vertreter einer starren Ver¬
gangenheit hinzustellen, sich selbst mit allen Ehrenzeichen des Fortschritts, der
zeitgemäßen Verbesserung zu schmücken. Die Letten und Esthen haben mit
ihren gesunden Bauerninstinktcn schließlich wohl erkannt, wie grausam man sie
um der Nase herumgeführt hat. Den untersten Schichten der Deutschen und
der gemischtsprachigen Bevölkerung aber, die nie zur Ausübung öffentlicher


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290881"/>
          <fw type="header" place="top"> Ballen, Linnländer, Buren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1591" prev="#ID_1590"> treten darf. Was beispielsweise das Deutsche Reich betrifft, so würde es solche<lb/>
ihm aufgepfropften, aber doch völlig mit dein Hauptstamm verwachsenen Neben¬<lb/>
zweige, die von einer reichen Fülle eigentümlicher Bildungsfrüchte strotzen,<lb/>
sicher zu schonen wissen. Wein, Hamburg und Bremen englisch wären, so<lb/>
würden wir uns vielleicht bemühen, ihre Sonderstellung zu beseitigen und sie<lb/>
mit allen Machtmitteln zu, verdeutschen, denn sie könnten sonst in einem Kriege<lb/>
mit England eine zweideutige Rolle spielen und würden auch ohne einen solchen<lb/>
als fremdartige Pfähle mitten in unserm besten Fleisch sitzen. Ähnlich, wenn<lb/>
mich ohne begründeten Anlaß zu Besorgnissen für die Zukunft, haben zahl¬<lb/>
reiche Russen die Vesonderheitcu Rigas, Libnus und Nepals angesehen. Würde<lb/>
aber etwa Holland durch überseeische Verwicklungen gezwungen, in das Deutsche<lb/>
Reich einzutreten, so blieben ihm seine innere Unabhängigkeit, seine Sprache, seine<lb/>
Landeskirche, sein Recht für alle Zeiten verbürgt, und kein Deutscher würde<lb/>
unternehmen, daran zu rütteln. Ein solches Verhältnis würde der bisherigen<lb/>
Stellung Finnlands zum Zarenreiche entsprechen. Mit vollstem Recht können<lb/>
wir hier mit einem viel mißbrauchtem Wort Tallehrauds sagen, daß Rußlands<lb/>
siuuländische Politik uicht bloß ein Verbreche», souderu ein schwerer Fehler ist.<lb/>
Der sonst so human gesinnte junge Zur ist über die Lage in Finnland schlecht<lb/>
unterrichtet und wird von gewissenlosen Vertrauensmännern ans das übelste<lb/>
beraten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1592" next="#ID_1593"> Im rein volkstümliche!! Sinne sind unzweifelhaft die Buren am stärkste»,<lb/>
da sie eine einheitliche, in gleichem Tiegel gegossene, schlackenfreie Masse<lb/>
bilden. Aber auch Finnland ist durch den häuslichen Zwist zwischen Sveko-<lb/>
maueil und Fenvmcmen keineswegs in seiner Widerstandskraft geschwächt, denn<lb/>
dort wiederholt sich das seltne Schauspiel der Schweiz, daß sich grundverschiedne<lb/>
Nasse», die in gleichem Maße teil an den Rechten und Gutem des Vaterlands<lb/>
haben, auch in gleichem Maße zu seiner Verteidigung berufen fühlen. Be¬<lb/>
deutend schlimmer steht es um die Ostseeprovinzen. Trotz aller Anstrengungen<lb/>
eifriger Landespatrioten, die dortigen nationalen Gegensätze auszugleichen, lebt<lb/>
kein einheitliches politisches Bewußtsein in der Brust der hochgerichteteu Halb-<lb/>
göttergestalteu des Giebels und der zu Boden starrende» Karhatidenvölker.<lb/>
Die baltischen Ritterschaften, die schon in der Schaffung eiues bäurischen<lb/>
Kleingrundbesitzes einen weitschauenden politischen Blick bekundet haben, hätten<lb/>
gewiß im Interesse der eignen Zukunft auch Bürgertum und Bauernschaften<lb/>
gern zur provinziellen Selbstverwaltung herangezogen, wen» die Regierung<lb/>
ihnen nicht jede Möglichkeit abgeschnitten hätte, die Landesverfassung ans ge¬<lb/>
schichtlicher Grundlage weiter zu entwickeln. Die Regierung hat es immer<lb/>
verstanden, sie ins Unrecht zu setze», sie als Vertreter einer starren Ver¬<lb/>
gangenheit hinzustellen, sich selbst mit allen Ehrenzeichen des Fortschritts, der<lb/>
zeitgemäßen Verbesserung zu schmücken. Die Letten und Esthen haben mit<lb/>
ihren gesunden Bauerninstinktcn schließlich wohl erkannt, wie grausam man sie<lb/>
um der Nase herumgeführt hat. Den untersten Schichten der Deutschen und<lb/>
der gemischtsprachigen Bevölkerung aber, die nie zur Ausübung öffentlicher</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0470] Ballen, Linnländer, Buren treten darf. Was beispielsweise das Deutsche Reich betrifft, so würde es solche ihm aufgepfropften, aber doch völlig mit dein Hauptstamm verwachsenen Neben¬ zweige, die von einer reichen Fülle eigentümlicher Bildungsfrüchte strotzen, sicher zu schonen wissen. Wein, Hamburg und Bremen englisch wären, so würden wir uns vielleicht bemühen, ihre Sonderstellung zu beseitigen und sie mit allen Machtmitteln zu, verdeutschen, denn sie könnten sonst in einem Kriege mit England eine zweideutige Rolle spielen und würden auch ohne einen solchen als fremdartige Pfähle mitten in unserm besten Fleisch sitzen. Ähnlich, wenn mich ohne begründeten Anlaß zu Besorgnissen für die Zukunft, haben zahl¬ reiche Russen die Vesonderheitcu Rigas, Libnus und Nepals angesehen. Würde aber etwa Holland durch überseeische Verwicklungen gezwungen, in das Deutsche Reich einzutreten, so blieben ihm seine innere Unabhängigkeit, seine Sprache, seine Landeskirche, sein Recht für alle Zeiten verbürgt, und kein Deutscher würde unternehmen, daran zu rütteln. Ein solches Verhältnis würde der bisherigen Stellung Finnlands zum Zarenreiche entsprechen. Mit vollstem Recht können wir hier mit einem viel mißbrauchtem Wort Tallehrauds sagen, daß Rußlands siuuländische Politik uicht bloß ein Verbreche», souderu ein schwerer Fehler ist. Der sonst so human gesinnte junge Zur ist über die Lage in Finnland schlecht unterrichtet und wird von gewissenlosen Vertrauensmännern ans das übelste beraten. Im rein volkstümliche!! Sinne sind unzweifelhaft die Buren am stärkste», da sie eine einheitliche, in gleichem Tiegel gegossene, schlackenfreie Masse bilden. Aber auch Finnland ist durch den häuslichen Zwist zwischen Sveko- maueil und Fenvmcmen keineswegs in seiner Widerstandskraft geschwächt, denn dort wiederholt sich das seltne Schauspiel der Schweiz, daß sich grundverschiedne Nasse», die in gleichem Maße teil an den Rechten und Gutem des Vaterlands haben, auch in gleichem Maße zu seiner Verteidigung berufen fühlen. Be¬ deutend schlimmer steht es um die Ostseeprovinzen. Trotz aller Anstrengungen eifriger Landespatrioten, die dortigen nationalen Gegensätze auszugleichen, lebt kein einheitliches politisches Bewußtsein in der Brust der hochgerichteteu Halb- göttergestalteu des Giebels und der zu Boden starrende» Karhatidenvölker. Die baltischen Ritterschaften, die schon in der Schaffung eiues bäurischen Kleingrundbesitzes einen weitschauenden politischen Blick bekundet haben, hätten gewiß im Interesse der eignen Zukunft auch Bürgertum und Bauernschaften gern zur provinziellen Selbstverwaltung herangezogen, wen» die Regierung ihnen nicht jede Möglichkeit abgeschnitten hätte, die Landesverfassung ans ge¬ schichtlicher Grundlage weiter zu entwickeln. Die Regierung hat es immer verstanden, sie ins Unrecht zu setze», sie als Vertreter einer starren Ver¬ gangenheit hinzustellen, sich selbst mit allen Ehrenzeichen des Fortschritts, der zeitgemäßen Verbesserung zu schmücken. Die Letten und Esthen haben mit ihren gesunden Bauerninstinktcn schließlich wohl erkannt, wie grausam man sie um der Nase herumgeführt hat. Den untersten Schichten der Deutschen und der gemischtsprachigen Bevölkerung aber, die nie zur Ausübung öffentlicher

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/470
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/470>, abgerufen am 03.07.2024.