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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Burschen heraus!

Kommt schon jeder wahre Fortschritt nur durch einen Kompromiß zwischen
dem Alten und dem Remer und znüschen den verschiednen Richtungen dieses
Neuen zustande, "in wie viel mehr auf dem Gebiete des Schulwesens! Die
Schule ist eben an sich etwas ganz andres als jede andre öffentliche Institution.
Ein Richter oder ein Beamter hat es immer nur mit einzelnen, nnter sich gar
nicht oder nur lose zusammenhängende" Geschäften zu thun und tritt zu denen, die
dabei beteiligt sind, in gar leine innern Beziehungen, legt anch von dem Wesen
seiner Persönlichkeit in seine Arbeit wenig hinein, ja er soll eS gar nicht thun,
seine Entscheidung soll vielmehr streng objektiv sein. Die Schule arbeitet viele
Jahre lang auf ein Ziel hin, ans die intellektuelle und sittliche Ausbildung
jedes ihrer Schüler, bei jedem arbeitet eine größere Anzahl von Lehrern zu¬
sammen, und was sie erreichen, das soll die geistige Grundlage für das Leben
der Schüler sein. Das ist nicht möglich, ohne daß der Lehrer mit seiner ganzen
Persönlichkeit eintritt; mit ihr wirkt er fördernd und hemmend ans jeden einzelnen
Schüler, nicht Wochen- und monatelang, sondern jahrelang. Also ist der innere
Anteil nu der Schularbeit für jeden einzelnen ungleich größer, als an irgend
welchem Geschäft, und der innere Zusammenhang der Persönlichkeit des Lehrers
einerseits mit den Schüler", andrerseits mit seiner Arbeit ist ganz unvergleichlich
feiner und enger als etwa der eines Verwaltungsbeamten mit dem Verwaltnngs-
gegenstande. Jede tiefergreifende Berändernng in der Organisation der Schule
wirkt demnach sofort umgestaltend ans ganze Generationen, und vollzieht sich
eine solche Berändernng im Widerspruche mit der Grundanschauung derer, die
sie vertreten und durchführen solle", der Lehrer, so wird sie zum Unsegen für
beide Teile, den" sie wird da"" selbstverständlich widerwillig, also schlecht
durchgeführt. Jahrzehntelang haben wir Gymnasiallehrer, vor allem die Philo¬
logen, die Empfindung gehabt, die Prügeljungen für andre zu sein. Die Realisten
haben, um ihren Ansprüchen Raum zu schaffen, die unschöne Taktik verfolgt,
nicht mir unsre Leistungen, sondern anch die pädagogische Bedeutung der huma¬
nistischen Fächer herabzusetzen, während es ans humanistischer Seite niemand
eingefallen ist, die Stellung der exakte" Wissenschaften im Lehrplane anzutasten.
Die Universitäten haben uns mangelhafter Vorbereitung bald für das eine,
bald für das andre Fachstudium angeklagt, als wenn die Gymnasien direkt für
alles mögliche vorbereiten sollten und die 'Aufgabe hätten, den angehenden
Mediziner oder Juristen gerade so zuzurichten, daß er in das Kolleg deS Herrn
Professors genau hineinpaßt. Die Zeitungen endlich haben uns hartnäckige,
unvernünftige Pedanten gescholten, die mir deshalb an dem alten Kram fest¬
halte,,, weil sie nichts andres gelernt haben und es einmal ihr Handwerk ist,
Latein und Griechisch zu pauken. Welche Wirkung die preußische "Schulreform"
von 1892 auf die Stimmung der dortigen Gymnasialphilologeu ausgeübt hat,
wie sehr sie ihnen alle Berufsfreudigkeit genommen hat, das hat die von uns
in der Einleitung zitierte Stimme -- eine von taufenden! -- deutlich erwiesen.
Wie sehr sich die Wirkung bei einer abermaligen Verkürzung der humanistischen
Fächer steigern würde, das ist leicht zu ermessen. Und mit diesen Tausenden


Burschen heraus!

Kommt schon jeder wahre Fortschritt nur durch einen Kompromiß zwischen
dem Alten und dem Remer und znüschen den verschiednen Richtungen dieses
Neuen zustande, »in wie viel mehr auf dem Gebiete des Schulwesens! Die
Schule ist eben an sich etwas ganz andres als jede andre öffentliche Institution.
Ein Richter oder ein Beamter hat es immer nur mit einzelnen, nnter sich gar
nicht oder nur lose zusammenhängende» Geschäften zu thun und tritt zu denen, die
dabei beteiligt sind, in gar leine innern Beziehungen, legt anch von dem Wesen
seiner Persönlichkeit in seine Arbeit wenig hinein, ja er soll eS gar nicht thun,
seine Entscheidung soll vielmehr streng objektiv sein. Die Schule arbeitet viele
Jahre lang auf ein Ziel hin, ans die intellektuelle und sittliche Ausbildung
jedes ihrer Schüler, bei jedem arbeitet eine größere Anzahl von Lehrern zu¬
sammen, und was sie erreichen, das soll die geistige Grundlage für das Leben
der Schüler sein. Das ist nicht möglich, ohne daß der Lehrer mit seiner ganzen
Persönlichkeit eintritt; mit ihr wirkt er fördernd und hemmend ans jeden einzelnen
Schüler, nicht Wochen- und monatelang, sondern jahrelang. Also ist der innere
Anteil nu der Schularbeit für jeden einzelnen ungleich größer, als an irgend
welchem Geschäft, und der innere Zusammenhang der Persönlichkeit des Lehrers
einerseits mit den Schüler», andrerseits mit seiner Arbeit ist ganz unvergleichlich
feiner und enger als etwa der eines Verwaltungsbeamten mit dem Verwaltnngs-
gegenstande. Jede tiefergreifende Berändernng in der Organisation der Schule
wirkt demnach sofort umgestaltend ans ganze Generationen, und vollzieht sich
eine solche Berändernng im Widerspruche mit der Grundanschauung derer, die
sie vertreten und durchführen solle», der Lehrer, so wird sie zum Unsegen für
beide Teile, den» sie wird da»» selbstverständlich widerwillig, also schlecht
durchgeführt. Jahrzehntelang haben wir Gymnasiallehrer, vor allem die Philo¬
logen, die Empfindung gehabt, die Prügeljungen für andre zu sein. Die Realisten
haben, um ihren Ansprüchen Raum zu schaffen, die unschöne Taktik verfolgt,
nicht mir unsre Leistungen, sondern anch die pädagogische Bedeutung der huma¬
nistischen Fächer herabzusetzen, während es ans humanistischer Seite niemand
eingefallen ist, die Stellung der exakte» Wissenschaften im Lehrplane anzutasten.
Die Universitäten haben uns mangelhafter Vorbereitung bald für das eine,
bald für das andre Fachstudium angeklagt, als wenn die Gymnasien direkt für
alles mögliche vorbereiten sollten und die 'Aufgabe hätten, den angehenden
Mediziner oder Juristen gerade so zuzurichten, daß er in das Kolleg deS Herrn
Professors genau hineinpaßt. Die Zeitungen endlich haben uns hartnäckige,
unvernünftige Pedanten gescholten, die mir deshalb an dem alten Kram fest¬
halte,,, weil sie nichts andres gelernt haben und es einmal ihr Handwerk ist,
Latein und Griechisch zu pauken. Welche Wirkung die preußische „Schulreform"
von 1892 auf die Stimmung der dortigen Gymnasialphilologeu ausgeübt hat,
wie sehr sie ihnen alle Berufsfreudigkeit genommen hat, das hat die von uns
in der Einleitung zitierte Stimme — eine von taufenden! — deutlich erwiesen.
Wie sehr sich die Wirkung bei einer abermaligen Verkürzung der humanistischen
Fächer steigern würde, das ist leicht zu ermessen. Und mit diesen Tausenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/435>, abgerufen am 01.10.2024.