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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Burschen heraus!

objektive" historischen Beweis vorbereiten sollen, liegt recht nahe. Dazu hat
ganz neuerdings einer unsrer geistvollste" Universitätsphilologen einen sehr
interessanten Plan aufgestellt, wie man in vier Jahren griechischen Unterrichts
das Ziel, in die griechische Litteratur und Kultur allseitig einzuführen, er¬
reichen könne. Uns beschränkten Schulmeistern imponiert das alles nicht; Nur
sind der schlichten Meinung, daß Universitätsprofessoren, die der Schule praktisch
ganz fern stehn, über das, was sie leistet und leisten kann, was ihr taugt und
was ihr uicht taugt, kein maßgebendes Urteil haben. Aber auf Sachunkundige
wirken solche scheinbar ganz besonders "autoritativen" Kundgebunge" sehr stark,
und deshalb sind sie wichtig, wenngleich bedauerlich. Einer der einflußreichste"
Staatsmänner Pre"ße"s ""d Deutschlands, der Finanzminister Miguel, der
frühere Oberbürgermeister vou Frankfurt a, M,, gilt als ein besonders eifriger
Verfechter einer solchen moderuisiereuden Schulreform, und man traut ihm zu,
daß er am liebsten das Griechische ganz hinausweisen und selbst das Lateinische
zum wahlfreien Fache "lachen "kochte, und vom Kaiser nimmt man in Preuße"
allgemein an, daß er eine weitgehende Modernisierung der höhern Schulen
für wünschenswert und notwendig halte.

Er ist, wie bekannt, kein Gönner der "Modernen" in der Kunst, was
ihm vou i"a"cher Seite zum Vorwurf gemacht wird, er ist anch himmelweit
entfernt von jeder materiellen Lebensauffassung und voll vou vielseitigsten
geistigen Interesse", aber er ist ein moderner Mensch, er verfolgt die Ent¬
wicklung unsrer Volkswirtschaft mit regsten Anteil und ist durchdrungen von
der Notwendigkeit, Deutschland zur Weltmacht zu erhebe". Er hegt deshalb
für die Technik das lebhafteste Interesse, hat die technische" Hochschulen im
Range den Universitäten gleichgestellt und ihnen die Erlaubnis zur Doktor-
promotio" gegeben, wogegen sachlich gar nichts zu sagen ist. Leider hat er
ihnen nicht zugleich auch die Form des "me" Titels vorgeschrieben, sonst
wären die technischen Hochschulen davor bewahrt gebliebe", de" Ma"gel a"
humanistischer Bildung gleich beim Beginn der neuen Ära durch das allem
Sprachgefühl hvhusprecheude Wortscheusnl "Doktor-Ingenieur" augenfällig zu
erweisen, bei dem man nicht recht weiß, ob das ein Ingenieur für Doktoren
oder ein Doktor für Ingenieure sein soll, und mir dunkel ahnt, daß es un¬
gefähr so z" versteh" ist wie das russische "Zar-Befreier."

Bei dieser Gesinnung des Kaisers liegt die Gefahr nahe, daß er auch in der
Schulfrage von den der noter"isierende" Richtung widersprechenden Stimme"
z" wenig hört, oder daß sie ihm als Äußerungen einer zurückgebliebne" Minder¬
heit nicht beachtenswert erscheinen, und daß er einem großen Fortschritt Bahn
zu brechen glaubt, wenn er seinen starke" und mächtigen Willen für die Schul¬
reform einsetzt. Aber auch der reinste, stärkste und edelste Wille eines Einzelne"
kann hier nur Unheil anrichten, wenn er von einer einseitigen Auffassung ge¬
leitet wird, und deshalb hat er in Sache" des geistigen Lebens überhailpt
nicht das Recht der alleinigen Entscheidung, den" hier kann jede Auffassung
mir einseitig sein.


Burschen heraus!

objektive» historischen Beweis vorbereiten sollen, liegt recht nahe. Dazu hat
ganz neuerdings einer unsrer geistvollste» Universitätsphilologen einen sehr
interessanten Plan aufgestellt, wie man in vier Jahren griechischen Unterrichts
das Ziel, in die griechische Litteratur und Kultur allseitig einzuführen, er¬
reichen könne. Uns beschränkten Schulmeistern imponiert das alles nicht; Nur
sind der schlichten Meinung, daß Universitätsprofessoren, die der Schule praktisch
ganz fern stehn, über das, was sie leistet und leisten kann, was ihr taugt und
was ihr uicht taugt, kein maßgebendes Urteil haben. Aber auf Sachunkundige
wirken solche scheinbar ganz besonders „autoritativen" Kundgebunge» sehr stark,
und deshalb sind sie wichtig, wenngleich bedauerlich. Einer der einflußreichste»
Staatsmänner Pre»ße»s »»d Deutschlands, der Finanzminister Miguel, der
frühere Oberbürgermeister vou Frankfurt a, M,, gilt als ein besonders eifriger
Verfechter einer solchen moderuisiereuden Schulreform, und man traut ihm zu,
daß er am liebsten das Griechische ganz hinausweisen und selbst das Lateinische
zum wahlfreien Fache »lachen »kochte, und vom Kaiser nimmt man in Preuße»
allgemein an, daß er eine weitgehende Modernisierung der höhern Schulen
für wünschenswert und notwendig halte.

Er ist, wie bekannt, kein Gönner der „Modernen" in der Kunst, was
ihm vou i»a»cher Seite zum Vorwurf gemacht wird, er ist anch himmelweit
entfernt von jeder materiellen Lebensauffassung und voll vou vielseitigsten
geistigen Interesse», aber er ist ein moderner Mensch, er verfolgt die Ent¬
wicklung unsrer Volkswirtschaft mit regsten Anteil und ist durchdrungen von
der Notwendigkeit, Deutschland zur Weltmacht zu erhebe». Er hegt deshalb
für die Technik das lebhafteste Interesse, hat die technische» Hochschulen im
Range den Universitäten gleichgestellt und ihnen die Erlaubnis zur Doktor-
promotio» gegeben, wogegen sachlich gar nichts zu sagen ist. Leider hat er
ihnen nicht zugleich auch die Form des »me» Titels vorgeschrieben, sonst
wären die technischen Hochschulen davor bewahrt gebliebe», de» Ma»gel a»
humanistischer Bildung gleich beim Beginn der neuen Ära durch das allem
Sprachgefühl hvhusprecheude Wortscheusnl „Doktor-Ingenieur" augenfällig zu
erweisen, bei dem man nicht recht weiß, ob das ein Ingenieur für Doktoren
oder ein Doktor für Ingenieure sein soll, und mir dunkel ahnt, daß es un¬
gefähr so z» versteh» ist wie das russische „Zar-Befreier."

Bei dieser Gesinnung des Kaisers liegt die Gefahr nahe, daß er auch in der
Schulfrage von den der noter»isierende» Richtung widersprechenden Stimme»
z» wenig hört, oder daß sie ihm als Äußerungen einer zurückgebliebne» Minder¬
heit nicht beachtenswert erscheinen, und daß er einem großen Fortschritt Bahn
zu brechen glaubt, wenn er seinen starke» und mächtigen Willen für die Schul¬
reform einsetzt. Aber auch der reinste, stärkste und edelste Wille eines Einzelne»
kann hier nur Unheil anrichten, wenn er von einer einseitigen Auffassung ge¬
leitet wird, und deshalb hat er in Sache» des geistigen Lebens überhailpt
nicht das Recht der alleinigen Entscheidung, den» hier kann jede Auffassung
mir einseitig sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/434>, abgerufen am 22.07.2024.