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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Burschen heraus I

von verstimmten, nnlustigeu, widerwilligen Leuten, die überzeugt sind, daß es
so nicht gehn kann, wie es ihnen vorgeschrieben ist, will man eine "Reform"
durchführen? Würde man etwa eine grundstürzende Reform des Exerzier¬
reglements wagen, wenn man wüßte, daß die große Mehrheit des Offizier¬
korps sie für unzweckmäßig hielte? Und doch handelte es sich dabei nur um
Dinge, die den innern Menschen gar nicht berühren. Von diesen selbigen
Gymnasiallehrern aber wird auch erwartet und gefordert, daß sie aus voller
Überzeugung und mit patriotischer Wärme für Kaiser und Reich, für König
und Vaterland eintreten und die Jugend dafür begeistern. Wie können sie
das, wenn man in ihnen geradezu planmäßig eine oppositionelle Stimmung
erweckt? Dergleichen läßt sich eben nicht kommandieren. Die deutsche Monarchie
hat schon einmal zu spüren gehabt, was es für sie bedeutete, daß die wissen¬
schaftlich Gebildeten ihr gleichgiltig oder abgeneigt gegenüberstanden, in der
Zeit, wo der junge Vismarck "als normales Produkt unsers staatlichen Unter¬
richts als Pautheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Über¬
zeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei," sein Gymnasium
verließ. Ist es in unsrer Zeit rütlich, ähnliche Stimmungen hervorzurufen,
einen Stand, dessen Königs- und Vaterlandstreue über allen Zweifel erhaben
ist, geradezu mutwillig mit Mißstimmung und Gleichgiltigkeit zu erfüllen?

Uns außerpreußische Deutsche geht dabei aber noch etwas ganz andres
nahe. Wir Ältern, die wir die Zeit der Reichsgründung mit Bewußtsein er¬
lebt haben, die wir uns für die Einigung Deutschlands unter preußischer
Führung zu einer Zeit begeistert huben, wo das nicht ganz leicht war, wir
sehen mit peinlicher Empfindung, wie das Ausehen Preußens im Reiche, und
wie sogar die Sympathien für den Kaiser, den wir so gern überall und in
allen Standen mit Hellem Jubel als den Führer der Nation auf neuen Bahnen
begrüßt sehen möchten, gerade in den Kreisen wissenschaftlich Gebildeter, durch
unglückliche Experimente auf einem Gebiete, wo man überhaupt nicht experi¬
mentieren soll, erschüttert werden, und wir fragen besorgt: Wo soll das hinaus?
Entspricht es etwa der Tradition der Hohenzollern, materiellen Interessen und
der wechselnden öffentlichen Meinung zuliebe ideale Güter der Nation preis¬
zugeben? In der allcrtrübsten Zeit, der allergrößten Not hat Friedrich Wil¬
helm III. die Universität Berlin als eine Pflanzstätte reiner Wissenschaft be¬
gründet; wird sein Urenkel in einer Zeit der Machtfülle und des Glanzes das
humanistische Gymnasium, eine Erbschaft jeuer Zeit des Neuhumanismus und
unsrer klassischen Dichtung zerstören wollen? Der oivium -rräor prava iubentium
hat ihn doch niemals bekümmert.

Zum Schlüsse mag unser eignes Reformprogramm noch in zwei kurzen
Sätzen folgen: 1. Jede Verschmelzung des humanistischen Gymnasiums mit
dem Realgymnasium und jede Verkürzung des Griechischen ist abzulehnen.
2. Den Abiturienten der Realgymnasien ist der Zutritt zum medizinischen und
juristischen Studium zu eröffnen. Für eine solche "Schulreform" dürften die
Unterrichtsverwaltnngen der Mittelstaaten zu haben sein, für die jetzt in Preußen


Burschen heraus I

von verstimmten, nnlustigeu, widerwilligen Leuten, die überzeugt sind, daß es
so nicht gehn kann, wie es ihnen vorgeschrieben ist, will man eine „Reform"
durchführen? Würde man etwa eine grundstürzende Reform des Exerzier¬
reglements wagen, wenn man wüßte, daß die große Mehrheit des Offizier¬
korps sie für unzweckmäßig hielte? Und doch handelte es sich dabei nur um
Dinge, die den innern Menschen gar nicht berühren. Von diesen selbigen
Gymnasiallehrern aber wird auch erwartet und gefordert, daß sie aus voller
Überzeugung und mit patriotischer Wärme für Kaiser und Reich, für König
und Vaterland eintreten und die Jugend dafür begeistern. Wie können sie
das, wenn man in ihnen geradezu planmäßig eine oppositionelle Stimmung
erweckt? Dergleichen läßt sich eben nicht kommandieren. Die deutsche Monarchie
hat schon einmal zu spüren gehabt, was es für sie bedeutete, daß die wissen¬
schaftlich Gebildeten ihr gleichgiltig oder abgeneigt gegenüberstanden, in der
Zeit, wo der junge Vismarck „als normales Produkt unsers staatlichen Unter¬
richts als Pautheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Über¬
zeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei," sein Gymnasium
verließ. Ist es in unsrer Zeit rütlich, ähnliche Stimmungen hervorzurufen,
einen Stand, dessen Königs- und Vaterlandstreue über allen Zweifel erhaben
ist, geradezu mutwillig mit Mißstimmung und Gleichgiltigkeit zu erfüllen?

Uns außerpreußische Deutsche geht dabei aber noch etwas ganz andres
nahe. Wir Ältern, die wir die Zeit der Reichsgründung mit Bewußtsein er¬
lebt haben, die wir uns für die Einigung Deutschlands unter preußischer
Führung zu einer Zeit begeistert huben, wo das nicht ganz leicht war, wir
sehen mit peinlicher Empfindung, wie das Ausehen Preußens im Reiche, und
wie sogar die Sympathien für den Kaiser, den wir so gern überall und in
allen Standen mit Hellem Jubel als den Führer der Nation auf neuen Bahnen
begrüßt sehen möchten, gerade in den Kreisen wissenschaftlich Gebildeter, durch
unglückliche Experimente auf einem Gebiete, wo man überhaupt nicht experi¬
mentieren soll, erschüttert werden, und wir fragen besorgt: Wo soll das hinaus?
Entspricht es etwa der Tradition der Hohenzollern, materiellen Interessen und
der wechselnden öffentlichen Meinung zuliebe ideale Güter der Nation preis¬
zugeben? In der allcrtrübsten Zeit, der allergrößten Not hat Friedrich Wil¬
helm III. die Universität Berlin als eine Pflanzstätte reiner Wissenschaft be¬
gründet; wird sein Urenkel in einer Zeit der Machtfülle und des Glanzes das
humanistische Gymnasium, eine Erbschaft jeuer Zeit des Neuhumanismus und
unsrer klassischen Dichtung zerstören wollen? Der oivium -rräor prava iubentium
hat ihn doch niemals bekümmert.

Zum Schlüsse mag unser eignes Reformprogramm noch in zwei kurzen
Sätzen folgen: 1. Jede Verschmelzung des humanistischen Gymnasiums mit
dem Realgymnasium und jede Verkürzung des Griechischen ist abzulehnen.
2. Den Abiturienten der Realgymnasien ist der Zutritt zum medizinischen und
juristischen Studium zu eröffnen. Für eine solche „Schulreform" dürften die
Unterrichtsverwaltnngen der Mittelstaaten zu haben sein, für die jetzt in Preußen


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[0436] Burschen heraus I von verstimmten, nnlustigeu, widerwilligen Leuten, die überzeugt sind, daß es so nicht gehn kann, wie es ihnen vorgeschrieben ist, will man eine „Reform" durchführen? Würde man etwa eine grundstürzende Reform des Exerzier¬ reglements wagen, wenn man wüßte, daß die große Mehrheit des Offizier¬ korps sie für unzweckmäßig hielte? Und doch handelte es sich dabei nur um Dinge, die den innern Menschen gar nicht berühren. Von diesen selbigen Gymnasiallehrern aber wird auch erwartet und gefordert, daß sie aus voller Überzeugung und mit patriotischer Wärme für Kaiser und Reich, für König und Vaterland eintreten und die Jugend dafür begeistern. Wie können sie das, wenn man in ihnen geradezu planmäßig eine oppositionelle Stimmung erweckt? Dergleichen läßt sich eben nicht kommandieren. Die deutsche Monarchie hat schon einmal zu spüren gehabt, was es für sie bedeutete, daß die wissen¬ schaftlich Gebildeten ihr gleichgiltig oder abgeneigt gegenüberstanden, in der Zeit, wo der junge Vismarck „als normales Produkt unsers staatlichen Unter¬ richts als Pautheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Über¬ zeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei," sein Gymnasium verließ. Ist es in unsrer Zeit rütlich, ähnliche Stimmungen hervorzurufen, einen Stand, dessen Königs- und Vaterlandstreue über allen Zweifel erhaben ist, geradezu mutwillig mit Mißstimmung und Gleichgiltigkeit zu erfüllen? Uns außerpreußische Deutsche geht dabei aber noch etwas ganz andres nahe. Wir Ältern, die wir die Zeit der Reichsgründung mit Bewußtsein er¬ lebt haben, die wir uns für die Einigung Deutschlands unter preußischer Führung zu einer Zeit begeistert huben, wo das nicht ganz leicht war, wir sehen mit peinlicher Empfindung, wie das Ausehen Preußens im Reiche, und wie sogar die Sympathien für den Kaiser, den wir so gern überall und in allen Standen mit Hellem Jubel als den Führer der Nation auf neuen Bahnen begrüßt sehen möchten, gerade in den Kreisen wissenschaftlich Gebildeter, durch unglückliche Experimente auf einem Gebiete, wo man überhaupt nicht experi¬ mentieren soll, erschüttert werden, und wir fragen besorgt: Wo soll das hinaus? Entspricht es etwa der Tradition der Hohenzollern, materiellen Interessen und der wechselnden öffentlichen Meinung zuliebe ideale Güter der Nation preis¬ zugeben? In der allcrtrübsten Zeit, der allergrößten Not hat Friedrich Wil¬ helm III. die Universität Berlin als eine Pflanzstätte reiner Wissenschaft be¬ gründet; wird sein Urenkel in einer Zeit der Machtfülle und des Glanzes das humanistische Gymnasium, eine Erbschaft jeuer Zeit des Neuhumanismus und unsrer klassischen Dichtung zerstören wollen? Der oivium -rräor prava iubentium hat ihn doch niemals bekümmert. Zum Schlüsse mag unser eignes Reformprogramm noch in zwei kurzen Sätzen folgen: 1. Jede Verschmelzung des humanistischen Gymnasiums mit dem Realgymnasium und jede Verkürzung des Griechischen ist abzulehnen. 2. Den Abiturienten der Realgymnasien ist der Zutritt zum medizinischen und juristischen Studium zu eröffnen. Für eine solche „Schulreform" dürften die Unterrichtsverwaltnngen der Mittelstaaten zu haben sein, für die jetzt in Preußen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/436>, abgerufen am 01.07.2024.