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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

Anaposmündung bis zu der sogenannten Quelle der Kyane, dein Pisma. Es ist
ein fast kreisrundes Wasserbecken, rings von Papyrus und Schilf umgeben, klar
und bis elf Meter tief; aber bis an die stille Oberfläche wuchern die Wasser¬
pflanzen vom Grunde herauf. Das war so recht ein Ort für die griechische
Mythe, nach der sich hier fern von den Menschen Pluto mit der geraubten
Proserpina den Zugang zur Unterwelt öffnete, und sich die Nymphe Kyane, da
sie ihn uicht hindern konnte, still in Thränen auflöste. Ringsum breitete" sich
ehemals Sümpfe aus, sie sind längst in Ackerland verwandelt; Herden brauner
langwolliger Schafe weideten auf den abgeernteten Feldern, und dichter, grau¬
gelber Qualm stieg an vielen Stellen zum klaren Himmel empor, denn eifrig
waren ringsum Leute beschäftigt, unnützes Wurzelwerk und Stroh in meiler¬
artig geschichteten Haufen zu verbrennen, um nach sizilianischen Branche mit
der Asche die Felder zu düngen. Aber man hörte kaum einen Laut, es war
traumhaft still.

Auf dem Rückwege begegneten wir mehreren Booten, an denen wir nur
eben vorbeikamen, und wieder im Großen Hafen angelangt ließen wir uns
noch zu den englischen Kriegsschiffen hinüberrudern, die etwa in der Mitte des
Beckens vor Anker lagen, die ersten britischen, die ich überhaupt sah. Das
waren sie also, die gefürchteten ivvn ot v"r, die Herren des Weltmeeres! Und
stattlich genng nahmen sie sich aus. Zwei mächtige Schlachtschiffe lagen neben¬
einander, die "Ramillies" mit der Admiralsflagge, in einiger Entfernung davon
nach dem Lande zu ein großer Kreuzer, alle schwarz, mit hellgestrichnen Schorn¬
steinen und Gefechtsmaften, verhältnismäßig niedrig, aber mit Panzertürmen
und langen Schnellfeuergeschützen armiert; die weißgekleideten Leute waren
eifrig mit Putzen und Scheuern beschäftigt. Auch zwei höhere Offiziere des
Geschwaders, die am Nachmittag nach der Villa Politi kamen und sich dort
beiläufig sehr zuversichtlich über den schließlichen Erfolg des südafrikanischen
Krieges aussprachen -- Engländer empfanden dieses Bedürfnis damals gerade
besonders lebhaft ---, machten einen sehr günstigen Eindruck.

Am späten Nachmittage trieb es mich nochmals nach der Jnselstadt, nach
der schönen Passeggiata Aretusa um Großen Hafen hoch über dem Wasser¬
spiegel und den schattigen Baumgüngen des Foro Vittorio Emanuele am
Strande. Behaglich plaudernd ergingen sich hier die Syratuscmer angesichts
der sinkenden Sonne und des englischen Geschwaders, Boote fuhren zwischen
den Kriegsschiffen und dem Gestade hin und her, Offiziere kamen an Land.
Und nun die wunderbare Beleuchtung! Lichteffekte dieser Art muß Lord
Byron im Auge gehabt haben, wenn er im Manfred den herbeieilenden Geist
sagen läßt:


Auf Sizilien

Anaposmündung bis zu der sogenannten Quelle der Kyane, dein Pisma. Es ist
ein fast kreisrundes Wasserbecken, rings von Papyrus und Schilf umgeben, klar
und bis elf Meter tief; aber bis an die stille Oberfläche wuchern die Wasser¬
pflanzen vom Grunde herauf. Das war so recht ein Ort für die griechische
Mythe, nach der sich hier fern von den Menschen Pluto mit der geraubten
Proserpina den Zugang zur Unterwelt öffnete, und sich die Nymphe Kyane, da
sie ihn uicht hindern konnte, still in Thränen auflöste. Ringsum breitete» sich
ehemals Sümpfe aus, sie sind längst in Ackerland verwandelt; Herden brauner
langwolliger Schafe weideten auf den abgeernteten Feldern, und dichter, grau¬
gelber Qualm stieg an vielen Stellen zum klaren Himmel empor, denn eifrig
waren ringsum Leute beschäftigt, unnützes Wurzelwerk und Stroh in meiler¬
artig geschichteten Haufen zu verbrennen, um nach sizilianischen Branche mit
der Asche die Felder zu düngen. Aber man hörte kaum einen Laut, es war
traumhaft still.

Auf dem Rückwege begegneten wir mehreren Booten, an denen wir nur
eben vorbeikamen, und wieder im Großen Hafen angelangt ließen wir uns
noch zu den englischen Kriegsschiffen hinüberrudern, die etwa in der Mitte des
Beckens vor Anker lagen, die ersten britischen, die ich überhaupt sah. Das
waren sie also, die gefürchteten ivvn ot v«r, die Herren des Weltmeeres! Und
stattlich genng nahmen sie sich aus. Zwei mächtige Schlachtschiffe lagen neben¬
einander, die „Ramillies" mit der Admiralsflagge, in einiger Entfernung davon
nach dem Lande zu ein großer Kreuzer, alle schwarz, mit hellgestrichnen Schorn¬
steinen und Gefechtsmaften, verhältnismäßig niedrig, aber mit Panzertürmen
und langen Schnellfeuergeschützen armiert; die weißgekleideten Leute waren
eifrig mit Putzen und Scheuern beschäftigt. Auch zwei höhere Offiziere des
Geschwaders, die am Nachmittag nach der Villa Politi kamen und sich dort
beiläufig sehr zuversichtlich über den schließlichen Erfolg des südafrikanischen
Krieges aussprachen — Engländer empfanden dieses Bedürfnis damals gerade
besonders lebhaft —-, machten einen sehr günstigen Eindruck.

Am späten Nachmittage trieb es mich nochmals nach der Jnselstadt, nach
der schönen Passeggiata Aretusa um Großen Hafen hoch über dem Wasser¬
spiegel und den schattigen Baumgüngen des Foro Vittorio Emanuele am
Strande. Behaglich plaudernd ergingen sich hier die Syratuscmer angesichts
der sinkenden Sonne und des englischen Geschwaders, Boote fuhren zwischen
den Kriegsschiffen und dem Gestade hin und her, Offiziere kamen an Land.
Und nun die wunderbare Beleuchtung! Lichteffekte dieser Art muß Lord
Byron im Auge gehabt haben, wenn er im Manfred den herbeieilenden Geist
sagen läßt:


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[0406] Auf Sizilien Anaposmündung bis zu der sogenannten Quelle der Kyane, dein Pisma. Es ist ein fast kreisrundes Wasserbecken, rings von Papyrus und Schilf umgeben, klar und bis elf Meter tief; aber bis an die stille Oberfläche wuchern die Wasser¬ pflanzen vom Grunde herauf. Das war so recht ein Ort für die griechische Mythe, nach der sich hier fern von den Menschen Pluto mit der geraubten Proserpina den Zugang zur Unterwelt öffnete, und sich die Nymphe Kyane, da sie ihn uicht hindern konnte, still in Thränen auflöste. Ringsum breitete» sich ehemals Sümpfe aus, sie sind längst in Ackerland verwandelt; Herden brauner langwolliger Schafe weideten auf den abgeernteten Feldern, und dichter, grau¬ gelber Qualm stieg an vielen Stellen zum klaren Himmel empor, denn eifrig waren ringsum Leute beschäftigt, unnützes Wurzelwerk und Stroh in meiler¬ artig geschichteten Haufen zu verbrennen, um nach sizilianischen Branche mit der Asche die Felder zu düngen. Aber man hörte kaum einen Laut, es war traumhaft still. Auf dem Rückwege begegneten wir mehreren Booten, an denen wir nur eben vorbeikamen, und wieder im Großen Hafen angelangt ließen wir uns noch zu den englischen Kriegsschiffen hinüberrudern, die etwa in der Mitte des Beckens vor Anker lagen, die ersten britischen, die ich überhaupt sah. Das waren sie also, die gefürchteten ivvn ot v«r, die Herren des Weltmeeres! Und stattlich genng nahmen sie sich aus. Zwei mächtige Schlachtschiffe lagen neben¬ einander, die „Ramillies" mit der Admiralsflagge, in einiger Entfernung davon nach dem Lande zu ein großer Kreuzer, alle schwarz, mit hellgestrichnen Schorn¬ steinen und Gefechtsmaften, verhältnismäßig niedrig, aber mit Panzertürmen und langen Schnellfeuergeschützen armiert; die weißgekleideten Leute waren eifrig mit Putzen und Scheuern beschäftigt. Auch zwei höhere Offiziere des Geschwaders, die am Nachmittag nach der Villa Politi kamen und sich dort beiläufig sehr zuversichtlich über den schließlichen Erfolg des südafrikanischen Krieges aussprachen — Engländer empfanden dieses Bedürfnis damals gerade besonders lebhaft —-, machten einen sehr günstigen Eindruck. Am späten Nachmittage trieb es mich nochmals nach der Jnselstadt, nach der schönen Passeggiata Aretusa um Großen Hafen hoch über dem Wasser¬ spiegel und den schattigen Baumgüngen des Foro Vittorio Emanuele am Strande. Behaglich plaudernd ergingen sich hier die Syratuscmer angesichts der sinkenden Sonne und des englischen Geschwaders, Boote fuhren zwischen den Kriegsschiffen und dem Gestade hin und her, Offiziere kamen an Land. Und nun die wunderbare Beleuchtung! Lichteffekte dieser Art muß Lord Byron im Auge gehabt haben, wenn er im Manfred den herbeieilenden Geist sagen läßt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/406>, abgerufen am 03.07.2024.