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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

In dunkelm Violettblau standen die fernen Höhenzüge unter dem rot-
goldnen Abendhimmel, und über den schon in Schatten gesunknen grauen Ufer¬
linien, darüber hellblau, von einer leichten weißen Rauchwolke gekrönt, der
Ätna; dazwischen lag wie ein matter Silberspiegel die Fläche des Großen
Hafens mit den schwarzen Rümpfen der englischen Kriegsschiffe, die soeben in
elektrischem Licht zu strahlen begannen.

Wenn wir sie wirklich einmal als Feinde uns gegenüber haben sollten,
es würde doch keine leichte Arbeit sein. Andrerseits hat der Gedanke eines
deutsch-angelsächsischen Bündnisses etwas Verlockendes, denn es würde die Welt
beherrschen, nur daß sich leider die Angelsachsen den Löwenanteil nehmen und
uns Deutschen den Anteil des Fuchses mitsamt der Hauptarbeit gegen Rußland
und Frankreich lassen würden. Und darum geht es nicht!

Was haben solche Betrachtungen mit Syrakus zu thun? Nichts und doch
viel. Diese Kriegsschiffe gehörten zum Maltagcschwader, von Malta aus be¬
herrschen die Engländer das Mittelmeer und damit die kürzeste Hochstraße zur
See nach Süd- und Ostasien. Sie fühlen sich zu Hause hier wie in allen
Erdteilen. Syrakus betrachten die auf Malta angesiedelten Familien gern als
Frühlingsstation, und die Häuser der Familie Politi, die Villa Politi und die
ältere Casa Politi auf der Insel, sind nicht zum wenigsten durch sie empor¬
gekommen. Augenblicklich dominierten freilich in der Villa die Deutschen, dem,
wir waren an diesem Abend die einzigen Gäste und fühlten uns wie zu Hause
am Tische der Landsmännin in diesen schönen luftigen Räumen unter den?
Silberlichte des Mondes und dem dunkeln Himmel über der leise wogenden
Flut der "Venen See.

Auf den Rat der Signora Politi unternahmen wir am nächsten Morgen
noch eine Fahrt an der Küste der Achradina hin. Von Osten langsam heran¬
rollend hoben und senkten die Wogen des blauen 'Ionischen Meeres unser Boot,
sie sprangen gegen die Klippen und die graugelben Felswände und rauschten
in zahllosen weißen Stnrzbächen wieder herab. schroff steigen die Felsen un¬
mittelbar aus der See empor, von Luft, Wind und Wasser zerklüftet und zer¬
nagt, sodaß sie aussehen bald wie ungeheure Schwämme, bald wie bedeckt mit
dichtem, dickem, verschlungnen Wurzelwerk. Kein Baum, kein Strauch, nicht
einmal Gestrüpp haftet daran; nur hoch oben zeigt sich hier eine Telegraphen¬
stange der Eisenbahn, dort ein einsames Haus oder ein Rest der antiken Um¬
fassungsmauer, die diese unersteigliche Küste vollends unersteiglich machte. Hier
und da führt eine Grotte tief hinein, von oben hängt es in Bogen und Zacken
wie Tropfsteine herab, unten leuchtet grün die krystallne Flut, durchsichtig bis
Ma Grunde, und schäumt empor an den Wänden, die sich zackig hintereinander
schieben wie die Kulissen einer Bühne. Solche Grotten dachte sich Homer als
Wohnungen der Nymphen, so malt Böcklin die See im "Spiel der Wellen."
Ein Spiel der Wellen schaukelten wir selbst vorüber an den "Zwei Brüdern"
(<of I^le-Ili), zwei zerklüfteten zackigen Felseninselchen dicht an der Küste, bis
in die Nähe des Kaps Pmiagia, bis sich vor uns die Bucht von Megara auf-


Auf Sizilien

In dunkelm Violettblau standen die fernen Höhenzüge unter dem rot-
goldnen Abendhimmel, und über den schon in Schatten gesunknen grauen Ufer¬
linien, darüber hellblau, von einer leichten weißen Rauchwolke gekrönt, der
Ätna; dazwischen lag wie ein matter Silberspiegel die Fläche des Großen
Hafens mit den schwarzen Rümpfen der englischen Kriegsschiffe, die soeben in
elektrischem Licht zu strahlen begannen.

Wenn wir sie wirklich einmal als Feinde uns gegenüber haben sollten,
es würde doch keine leichte Arbeit sein. Andrerseits hat der Gedanke eines
deutsch-angelsächsischen Bündnisses etwas Verlockendes, denn es würde die Welt
beherrschen, nur daß sich leider die Angelsachsen den Löwenanteil nehmen und
uns Deutschen den Anteil des Fuchses mitsamt der Hauptarbeit gegen Rußland
und Frankreich lassen würden. Und darum geht es nicht!

Was haben solche Betrachtungen mit Syrakus zu thun? Nichts und doch
viel. Diese Kriegsschiffe gehörten zum Maltagcschwader, von Malta aus be¬
herrschen die Engländer das Mittelmeer und damit die kürzeste Hochstraße zur
See nach Süd- und Ostasien. Sie fühlen sich zu Hause hier wie in allen
Erdteilen. Syrakus betrachten die auf Malta angesiedelten Familien gern als
Frühlingsstation, und die Häuser der Familie Politi, die Villa Politi und die
ältere Casa Politi auf der Insel, sind nicht zum wenigsten durch sie empor¬
gekommen. Augenblicklich dominierten freilich in der Villa die Deutschen, dem,
wir waren an diesem Abend die einzigen Gäste und fühlten uns wie zu Hause
am Tische der Landsmännin in diesen schönen luftigen Räumen unter den?
Silberlichte des Mondes und dem dunkeln Himmel über der leise wogenden
Flut der »Venen See.

Auf den Rat der Signora Politi unternahmen wir am nächsten Morgen
noch eine Fahrt an der Küste der Achradina hin. Von Osten langsam heran¬
rollend hoben und senkten die Wogen des blauen 'Ionischen Meeres unser Boot,
sie sprangen gegen die Klippen und die graugelben Felswände und rauschten
in zahllosen weißen Stnrzbächen wieder herab. schroff steigen die Felsen un¬
mittelbar aus der See empor, von Luft, Wind und Wasser zerklüftet und zer¬
nagt, sodaß sie aussehen bald wie ungeheure Schwämme, bald wie bedeckt mit
dichtem, dickem, verschlungnen Wurzelwerk. Kein Baum, kein Strauch, nicht
einmal Gestrüpp haftet daran; nur hoch oben zeigt sich hier eine Telegraphen¬
stange der Eisenbahn, dort ein einsames Haus oder ein Rest der antiken Um¬
fassungsmauer, die diese unersteigliche Küste vollends unersteiglich machte. Hier
und da führt eine Grotte tief hinein, von oben hängt es in Bogen und Zacken
wie Tropfsteine herab, unten leuchtet grün die krystallne Flut, durchsichtig bis
Ma Grunde, und schäumt empor an den Wänden, die sich zackig hintereinander
schieben wie die Kulissen einer Bühne. Solche Grotten dachte sich Homer als
Wohnungen der Nymphen, so malt Böcklin die See im „Spiel der Wellen."
Ein Spiel der Wellen schaukelten wir selbst vorüber an den „Zwei Brüdern"
(<of I^le-Ili), zwei zerklüfteten zackigen Felseninselchen dicht an der Küste, bis
in die Nähe des Kaps Pmiagia, bis sich vor uns die Bucht von Megara auf-


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[0407] Auf Sizilien In dunkelm Violettblau standen die fernen Höhenzüge unter dem rot- goldnen Abendhimmel, und über den schon in Schatten gesunknen grauen Ufer¬ linien, darüber hellblau, von einer leichten weißen Rauchwolke gekrönt, der Ätna; dazwischen lag wie ein matter Silberspiegel die Fläche des Großen Hafens mit den schwarzen Rümpfen der englischen Kriegsschiffe, die soeben in elektrischem Licht zu strahlen begannen. Wenn wir sie wirklich einmal als Feinde uns gegenüber haben sollten, es würde doch keine leichte Arbeit sein. Andrerseits hat der Gedanke eines deutsch-angelsächsischen Bündnisses etwas Verlockendes, denn es würde die Welt beherrschen, nur daß sich leider die Angelsachsen den Löwenanteil nehmen und uns Deutschen den Anteil des Fuchses mitsamt der Hauptarbeit gegen Rußland und Frankreich lassen würden. Und darum geht es nicht! Was haben solche Betrachtungen mit Syrakus zu thun? Nichts und doch viel. Diese Kriegsschiffe gehörten zum Maltagcschwader, von Malta aus be¬ herrschen die Engländer das Mittelmeer und damit die kürzeste Hochstraße zur See nach Süd- und Ostasien. Sie fühlen sich zu Hause hier wie in allen Erdteilen. Syrakus betrachten die auf Malta angesiedelten Familien gern als Frühlingsstation, und die Häuser der Familie Politi, die Villa Politi und die ältere Casa Politi auf der Insel, sind nicht zum wenigsten durch sie empor¬ gekommen. Augenblicklich dominierten freilich in der Villa die Deutschen, dem, wir waren an diesem Abend die einzigen Gäste und fühlten uns wie zu Hause am Tische der Landsmännin in diesen schönen luftigen Räumen unter den? Silberlichte des Mondes und dem dunkeln Himmel über der leise wogenden Flut der »Venen See. Auf den Rat der Signora Politi unternahmen wir am nächsten Morgen noch eine Fahrt an der Küste der Achradina hin. Von Osten langsam heran¬ rollend hoben und senkten die Wogen des blauen 'Ionischen Meeres unser Boot, sie sprangen gegen die Klippen und die graugelben Felswände und rauschten in zahllosen weißen Stnrzbächen wieder herab. schroff steigen die Felsen un¬ mittelbar aus der See empor, von Luft, Wind und Wasser zerklüftet und zer¬ nagt, sodaß sie aussehen bald wie ungeheure Schwämme, bald wie bedeckt mit dichtem, dickem, verschlungnen Wurzelwerk. Kein Baum, kein Strauch, nicht einmal Gestrüpp haftet daran; nur hoch oben zeigt sich hier eine Telegraphen¬ stange der Eisenbahn, dort ein einsames Haus oder ein Rest der antiken Um¬ fassungsmauer, die diese unersteigliche Küste vollends unersteiglich machte. Hier und da führt eine Grotte tief hinein, von oben hängt es in Bogen und Zacken wie Tropfsteine herab, unten leuchtet grün die krystallne Flut, durchsichtig bis Ma Grunde, und schäumt empor an den Wänden, die sich zackig hintereinander schieben wie die Kulissen einer Bühne. Solche Grotten dachte sich Homer als Wohnungen der Nymphen, so malt Böcklin die See im „Spiel der Wellen." Ein Spiel der Wellen schaukelten wir selbst vorüber an den „Zwei Brüdern" (<of I^le-Ili), zwei zerklüfteten zackigen Felseninselchen dicht an der Küste, bis in die Nähe des Kaps Pmiagia, bis sich vor uns die Bucht von Megara auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/407>, abgerufen am 01.07.2024.