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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

keinen praktischen Zweck mehr hat. Ein solches Boot mit zwei bronzefarbigen
Ruderern nahm uns an dein kleinen Hafen auf und führte uns dnrch einen breiten
Kanal zwischen größern und kleinern Küstenfahrern hindurch in das weite Rund
des Großen Hafens hinaus. Erst wenn man auf ihm schwimmt, sieht man
recht, wie ausgedehnt er ist; ganze Flotten hat er gefaßt und könnte er heute
noch fassen, aber wie unser Salvatore resigniert sagte: "Unsre ganze Ausfuhr
besteht aus Citronen und Johannisbrot." Auch die syrakusanischeu Galeeren
sind verschwunden, und nur drei englische Kriegsschiffe, die am Morgen oder
am Abend vorher hier eingelaufen waren -- das eine hatte ich im Morgen¬
grauen vor dem Hafen gesehen -- brachten die alte Bedeutung des herrlichen
Beckens noch zur Geltung.

Eine frische Brise von Osten kräuselte die blaue Wasserfläche zu tausend
glitzernden Wellen, und am flachen Sandstrande der Anaposmündung stand eine
so starke Brandung, daß sich das Boot, auf und ub gehoben von den langen
heranrollenden Wogen, nur mühsam durcharbeiten konnte, um in den Auapos
oder vielmehr in den Anaposkcmal einzulaufen. Denn der unterste Teil des
Flusses ist jetzt kanalisiert, das alte gewundne Bett bleibt weiter nördlich.
Der schmale Kanal verläuft ziemlich gradlinig zwischen hohen Dämmen unter
einer großen Straßenbrücke durch bis zu einem gemauerten Steindämme an
der Eisenbahnbrücke, der nur zwei niedrige Durchlässe für das Wasser hat,
denn hier zweigt der Kanal vom Flusse ab, und hier mündet in diesen von
Süden her die alte Kyane (Cicmi). Rechts von uns (nördlich) breitete sich eine
weite Ebne, links erhoben sich ans flacher Anhöhe die beiden einsamen Säulen,
die von dem großen Tempel des olympischen Zeus aus dem siebenten Jahr¬
hundert v. Chr. einzig noch übrig sind, dazwischen eine mächtige Platane.

Hier mußten wir ein andres Boot besteigen, und nun ging es in die
Khane hinein. Eine wundersame, in ihrer Art einzige Fahrt auf dem schmalen,
aber tiefen und klaren Wasserarm in zahllosen Windungen aufwärts zwischen
niedrigem Schilf und den hohen dunkelgrünen Wänden der schlanken Papyrus¬
stauden, deren zierliche palmwipfelartige Wedel bald tief auf das stille Wasser
herniederhängen, bald auf dreikantigen glatten Stengeln, die unten die Stärke
eines Kinderarms erreichen, bis sechs Meter Höhe aufsteigen und leise rauschend
uns über dem Kopfe nickten. Erst durch die Ptolemäer sind sie aus Ägypten
hergekommen, und die Kyane ist die einzige Stelle in Europa, wo der Papyrus
wild wächst. Mit komischer Würde belehrte uns inzwischen Salvatore, einen
Stengel abschneidend und in dünne Schichten zerspaltend, wie die Alten aus
diesem weichen schneeweißen Mark ihr Schreibmaterial angefertigt hätten. Wo
sich zwischen den Papyruswäuden dann und wann eine Lücke öffnete, bot
sich ein weiter Blick ins Land hinaus, über die Ebne weg nach den Epipolä,
die wie eine lange, graue Felsmauer im Norden den Horizont begrenzten, in
der Mitte kahl und öde, links deu Euryalos, rechts weiße Gehöfte zwischen
grünen Bnumpflauzungen. Darüber standen die Hybläischen Berge und der
lichtblaue Kegel des Ätna. So gelangten nur in einer guten Stunde von der


Auf Sizilien

keinen praktischen Zweck mehr hat. Ein solches Boot mit zwei bronzefarbigen
Ruderern nahm uns an dein kleinen Hafen auf und führte uns dnrch einen breiten
Kanal zwischen größern und kleinern Küstenfahrern hindurch in das weite Rund
des Großen Hafens hinaus. Erst wenn man auf ihm schwimmt, sieht man
recht, wie ausgedehnt er ist; ganze Flotten hat er gefaßt und könnte er heute
noch fassen, aber wie unser Salvatore resigniert sagte: „Unsre ganze Ausfuhr
besteht aus Citronen und Johannisbrot." Auch die syrakusanischeu Galeeren
sind verschwunden, und nur drei englische Kriegsschiffe, die am Morgen oder
am Abend vorher hier eingelaufen waren — das eine hatte ich im Morgen¬
grauen vor dem Hafen gesehen — brachten die alte Bedeutung des herrlichen
Beckens noch zur Geltung.

Eine frische Brise von Osten kräuselte die blaue Wasserfläche zu tausend
glitzernden Wellen, und am flachen Sandstrande der Anaposmündung stand eine
so starke Brandung, daß sich das Boot, auf und ub gehoben von den langen
heranrollenden Wogen, nur mühsam durcharbeiten konnte, um in den Auapos
oder vielmehr in den Anaposkcmal einzulaufen. Denn der unterste Teil des
Flusses ist jetzt kanalisiert, das alte gewundne Bett bleibt weiter nördlich.
Der schmale Kanal verläuft ziemlich gradlinig zwischen hohen Dämmen unter
einer großen Straßenbrücke durch bis zu einem gemauerten Steindämme an
der Eisenbahnbrücke, der nur zwei niedrige Durchlässe für das Wasser hat,
denn hier zweigt der Kanal vom Flusse ab, und hier mündet in diesen von
Süden her die alte Kyane (Cicmi). Rechts von uns (nördlich) breitete sich eine
weite Ebne, links erhoben sich ans flacher Anhöhe die beiden einsamen Säulen,
die von dem großen Tempel des olympischen Zeus aus dem siebenten Jahr¬
hundert v. Chr. einzig noch übrig sind, dazwischen eine mächtige Platane.

Hier mußten wir ein andres Boot besteigen, und nun ging es in die
Khane hinein. Eine wundersame, in ihrer Art einzige Fahrt auf dem schmalen,
aber tiefen und klaren Wasserarm in zahllosen Windungen aufwärts zwischen
niedrigem Schilf und den hohen dunkelgrünen Wänden der schlanken Papyrus¬
stauden, deren zierliche palmwipfelartige Wedel bald tief auf das stille Wasser
herniederhängen, bald auf dreikantigen glatten Stengeln, die unten die Stärke
eines Kinderarms erreichen, bis sechs Meter Höhe aufsteigen und leise rauschend
uns über dem Kopfe nickten. Erst durch die Ptolemäer sind sie aus Ägypten
hergekommen, und die Kyane ist die einzige Stelle in Europa, wo der Papyrus
wild wächst. Mit komischer Würde belehrte uns inzwischen Salvatore, einen
Stengel abschneidend und in dünne Schichten zerspaltend, wie die Alten aus
diesem weichen schneeweißen Mark ihr Schreibmaterial angefertigt hätten. Wo
sich zwischen den Papyruswäuden dann und wann eine Lücke öffnete, bot
sich ein weiter Blick ins Land hinaus, über die Ebne weg nach den Epipolä,
die wie eine lange, graue Felsmauer im Norden den Horizont begrenzten, in
der Mitte kahl und öde, links deu Euryalos, rechts weiße Gehöfte zwischen
grünen Bnumpflauzungen. Darüber standen die Hybläischen Berge und der
lichtblaue Kegel des Ätna. So gelangten nur in einer guten Stunde von der


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[0405] Auf Sizilien keinen praktischen Zweck mehr hat. Ein solches Boot mit zwei bronzefarbigen Ruderern nahm uns an dein kleinen Hafen auf und führte uns dnrch einen breiten Kanal zwischen größern und kleinern Küstenfahrern hindurch in das weite Rund des Großen Hafens hinaus. Erst wenn man auf ihm schwimmt, sieht man recht, wie ausgedehnt er ist; ganze Flotten hat er gefaßt und könnte er heute noch fassen, aber wie unser Salvatore resigniert sagte: „Unsre ganze Ausfuhr besteht aus Citronen und Johannisbrot." Auch die syrakusanischeu Galeeren sind verschwunden, und nur drei englische Kriegsschiffe, die am Morgen oder am Abend vorher hier eingelaufen waren — das eine hatte ich im Morgen¬ grauen vor dem Hafen gesehen — brachten die alte Bedeutung des herrlichen Beckens noch zur Geltung. Eine frische Brise von Osten kräuselte die blaue Wasserfläche zu tausend glitzernden Wellen, und am flachen Sandstrande der Anaposmündung stand eine so starke Brandung, daß sich das Boot, auf und ub gehoben von den langen heranrollenden Wogen, nur mühsam durcharbeiten konnte, um in den Auapos oder vielmehr in den Anaposkcmal einzulaufen. Denn der unterste Teil des Flusses ist jetzt kanalisiert, das alte gewundne Bett bleibt weiter nördlich. Der schmale Kanal verläuft ziemlich gradlinig zwischen hohen Dämmen unter einer großen Straßenbrücke durch bis zu einem gemauerten Steindämme an der Eisenbahnbrücke, der nur zwei niedrige Durchlässe für das Wasser hat, denn hier zweigt der Kanal vom Flusse ab, und hier mündet in diesen von Süden her die alte Kyane (Cicmi). Rechts von uns (nördlich) breitete sich eine weite Ebne, links erhoben sich ans flacher Anhöhe die beiden einsamen Säulen, die von dem großen Tempel des olympischen Zeus aus dem siebenten Jahr¬ hundert v. Chr. einzig noch übrig sind, dazwischen eine mächtige Platane. Hier mußten wir ein andres Boot besteigen, und nun ging es in die Khane hinein. Eine wundersame, in ihrer Art einzige Fahrt auf dem schmalen, aber tiefen und klaren Wasserarm in zahllosen Windungen aufwärts zwischen niedrigem Schilf und den hohen dunkelgrünen Wänden der schlanken Papyrus¬ stauden, deren zierliche palmwipfelartige Wedel bald tief auf das stille Wasser herniederhängen, bald auf dreikantigen glatten Stengeln, die unten die Stärke eines Kinderarms erreichen, bis sechs Meter Höhe aufsteigen und leise rauschend uns über dem Kopfe nickten. Erst durch die Ptolemäer sind sie aus Ägypten hergekommen, und die Kyane ist die einzige Stelle in Europa, wo der Papyrus wild wächst. Mit komischer Würde belehrte uns inzwischen Salvatore, einen Stengel abschneidend und in dünne Schichten zerspaltend, wie die Alten aus diesem weichen schneeweißen Mark ihr Schreibmaterial angefertigt hätten. Wo sich zwischen den Papyruswäuden dann und wann eine Lücke öffnete, bot sich ein weiter Blick ins Land hinaus, über die Ebne weg nach den Epipolä, die wie eine lange, graue Felsmauer im Norden den Horizont begrenzten, in der Mitte kahl und öde, links deu Euryalos, rechts weiße Gehöfte zwischen grünen Bnumpflauzungen. Darüber standen die Hybläischen Berge und der lichtblaue Kegel des Ätna. So gelangten nur in einer guten Stunde von der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/405>, abgerufen am 09.01.2025.