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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Verfassers Meinung die Gegenwart mit ihren Talenten und Leistungen ver¬
hält, wird aus seinen Warten nicht deutlich. Einmal sagt er, kein andres Zeit¬
alter und mindestens kein andres Land hätte so viel Staatsmänner, die alle
sprechen könnten und mir von wenigen ans frühern Zeiten darin übertroffen
würden. Dann wieder heißt es, trotz allen Talenten gäbe es doch nur wenig
bedeutende Redner und keinen, der nach allgemeiner Meinung den Rang ein¬
nähme, den man zu ihrer Zeit Webster, Clah und Cnlhouu zugesprochen hätte.

Bon den drei historischen Gattungen wird die Prozeßrede mit Recht kurz
behandelt, weil sie heute mehr technisch als künstlerisch ist. Daß die Parlaments¬
rede bei der geschäftsmäßigen Art, wie jetzt die Politik geführt werden muß,
ihre frühere Bedeutung nicht behaupten konnte, ist in Amerika so klar wie bei
uns. Dagegen ist die Prnnkrede der Alten in allerlei neuen Anwendungen
wieder ausgelebt, die an Wichtigkeit gewinnen, je mehr jene zurückgeht; der
Redner kann hier mit seinen Gaben viel mehr ausrichten und zu einem persön¬
lichen Einfluß gelangen, den ihm keine der andern Gattungen verschafft.
DömonstrMvö orator^ ist also für einen Amerikaner, der im politischen Leben
eine Stelle einnehmen will, die Hauptsache. Gelegenheiten zu solchen Rede"
bieten die Gedächtnisfeier für einen Verstorbnen und der Jahrestag eines
großen Ereignisses, ferner wird jeder Schulanfang durch eine Rede bezeichnet,
die oft politisch und selten rein didaktisch ist, und an der weite Kreise teil¬
nehmen können setis eowmöuoöMLnt omtion). Ohne einen dieser Anlässe wirkt
und belehrt die sxvositor^ acläress, und im Anschluß an ein materielles Ber-
gnügen, das aber wahrscheinlich von dem Redner weniger genossen wird als
von seinen spätern Zuhörern, geht der in England lind Amerika immer be¬
liebter gewordne aller-ämnar spvoob vor sich. Dies ist eine scheinbar ganz
zwanglose Äußerung über dieses und jenes; man hat gewissermaßen den,
dessen Meinung über etwas mau zu hören wünscht, zu Tische geladen, und
er bleibt natürlich nicht der einzige Sprecher. Aber wehe dem, der hier
unvorbereitet kommen wollte. Ein vvllgegessenes Publikum ist ohne Nach¬
sicht und das undankbarste Auditorium, es sieht die Rede als eine Störung
an oder als eine Zumutung an die Aufmerksamkeit, die in solchem Zustande
nicht die beste sein kann. Es giebt dem Redner auch keine Anregung zu Im¬
provisationen, zeigt ihm keinen Nagel, an dem er einen Einfall aufhängen
könnte -- also rät der Verfasser, hier nichts dem Augenblick zu überlassen,
alles sorgfältig vorzubereiten bis auf die Wendung und das einzelne Wort,
bis ans die Anekdoten, die bei einem solchen icktoi'-clinnsr in gewähltester
Sprache vorzutragen sind. Ein vorzüglich gewähltes Beispiel, die Rede eines
Südstaatlers über die Beränderuugen in seiner Heimat seit der Aufhebung der
Sklaverei, gehalten vor einem Publikum von Neuengland, eindrucksvoll und
vollendet in jedem Worte, macht es uns vollends klar, daß der late-si'-elinnvr
nur vor der Kvuvenieuz als Augenblickseingebung gilt. In Wirklichkeit
entfaltet sich hier eine auf das feinste gepflegte Blüte und das Beste der mo¬
dernen amerikanischen Beredsamkeit.


Verfassers Meinung die Gegenwart mit ihren Talenten und Leistungen ver¬
hält, wird aus seinen Warten nicht deutlich. Einmal sagt er, kein andres Zeit¬
alter und mindestens kein andres Land hätte so viel Staatsmänner, die alle
sprechen könnten und mir von wenigen ans frühern Zeiten darin übertroffen
würden. Dann wieder heißt es, trotz allen Talenten gäbe es doch nur wenig
bedeutende Redner und keinen, der nach allgemeiner Meinung den Rang ein¬
nähme, den man zu ihrer Zeit Webster, Clah und Cnlhouu zugesprochen hätte.

Bon den drei historischen Gattungen wird die Prozeßrede mit Recht kurz
behandelt, weil sie heute mehr technisch als künstlerisch ist. Daß die Parlaments¬
rede bei der geschäftsmäßigen Art, wie jetzt die Politik geführt werden muß,
ihre frühere Bedeutung nicht behaupten konnte, ist in Amerika so klar wie bei
uns. Dagegen ist die Prnnkrede der Alten in allerlei neuen Anwendungen
wieder ausgelebt, die an Wichtigkeit gewinnen, je mehr jene zurückgeht; der
Redner kann hier mit seinen Gaben viel mehr ausrichten und zu einem persön¬
lichen Einfluß gelangen, den ihm keine der andern Gattungen verschafft.
DömonstrMvö orator^ ist also für einen Amerikaner, der im politischen Leben
eine Stelle einnehmen will, die Hauptsache. Gelegenheiten zu solchen Rede»
bieten die Gedächtnisfeier für einen Verstorbnen und der Jahrestag eines
großen Ereignisses, ferner wird jeder Schulanfang durch eine Rede bezeichnet,
die oft politisch und selten rein didaktisch ist, und an der weite Kreise teil¬
nehmen können setis eowmöuoöMLnt omtion). Ohne einen dieser Anlässe wirkt
und belehrt die sxvositor^ acläress, und im Anschluß an ein materielles Ber-
gnügen, das aber wahrscheinlich von dem Redner weniger genossen wird als
von seinen spätern Zuhörern, geht der in England lind Amerika immer be¬
liebter gewordne aller-ämnar spvoob vor sich. Dies ist eine scheinbar ganz
zwanglose Äußerung über dieses und jenes; man hat gewissermaßen den,
dessen Meinung über etwas mau zu hören wünscht, zu Tische geladen, und
er bleibt natürlich nicht der einzige Sprecher. Aber wehe dem, der hier
unvorbereitet kommen wollte. Ein vvllgegessenes Publikum ist ohne Nach¬
sicht und das undankbarste Auditorium, es sieht die Rede als eine Störung
an oder als eine Zumutung an die Aufmerksamkeit, die in solchem Zustande
nicht die beste sein kann. Es giebt dem Redner auch keine Anregung zu Im¬
provisationen, zeigt ihm keinen Nagel, an dem er einen Einfall aufhängen
könnte — also rät der Verfasser, hier nichts dem Augenblick zu überlassen,
alles sorgfältig vorzubereiten bis auf die Wendung und das einzelne Wort,
bis ans die Anekdoten, die bei einem solchen icktoi'-clinnsr in gewähltester
Sprache vorzutragen sind. Ein vorzüglich gewähltes Beispiel, die Rede eines
Südstaatlers über die Beränderuugen in seiner Heimat seit der Aufhebung der
Sklaverei, gehalten vor einem Publikum von Neuengland, eindrucksvoll und
vollendet in jedem Worte, macht es uns vollends klar, daß der late-si'-elinnvr
nur vor der Kvuvenieuz als Augenblickseingebung gilt. In Wirklichkeit
entfaltet sich hier eine auf das feinste gepflegte Blüte und das Beste der mo¬
dernen amerikanischen Beredsamkeit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/400>, abgerufen am 03.07.2024.