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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Lesen, Schreiben und Sprechen

der Inhalt erlebt oder der Gegenstand gesehen sei. Albalat giebt zwei schalter¬
lich schöne Schilderungen von einem Manne, der im afrikanischen Wüstensande
schrittweise versinkt, und von einem Häuptling ans Sumatra, der von den
Feinden seines Stammes gefangen genommen und in einen Schlammteich ge¬
steckt wird, um langsam darin zu ersticken; sie geben dem Eindruck nach die
volle Wirklichkeit mit allein täuschenden Detail, und doch haben die beiden
Schriftsteller nichts ähnliches selbst wahrgenommen. Was erleben andrerseits
oft Menschen, die nicht imstande sind, den einfachsten Bericht darüber zu er¬
statten! Die Kunst des Schriftstellers besteht also darin, daß er sich eine Sache
so lebendig vorstellt, als Hütte er sie vor sich, und daß er dann den dieser
Vorstellung möglichst nahekommenden Ausdruck findet. Das wahre Gedächtnis
besteht ja auch nicht darin, daß man sich an alles erinnert, sondern daß man
weiß, wo die Dinge zu finden sind; wäre es zuverlässig, so brauchte man keine
Gelehrten mehr.

Außer seine" Grundbedingungen "lacht der gute Stil "och äußerliche
Forderungen ("zonvlsion, liA-morio). Aus den betreffenden Kapiteln interessiert
uns vielleicht folgendes. Jede Häufung, jedes Zuviel ist schlimmer als ein
scheinbares Zuwenig, eine Kunst, die einen Augenblick des Nachdenkens fordert.
Dieser Satz hat für uns ebensolche Geltung, denn jede Schreibweise läßt sich eher
ertragen als die breite Geschwätzigkeit, Mau soll ferner nicht dieselben Ausdrücke
innerhalb kurzer Zwischenräume wiederholen, abgesehen von den ma"cherlei un¬
vermeidlichen kleinen Worten, die keine Synonymen haben; Chateaubriand und
Flaubert in seiner letzten Periode waren darin so streng, daß sie nicht zweimal
dasselbe Wort ans einer Seite duldeten. Der Verfasser entscheidet nach meinem
Gefühl richtig, man solle die Wiederholung z" vermeiden suchen, wen" sie a"f-
falleild und lästig ist, weil sie dann als Nachlässigkeit empfunden wird, man
solle sie sich erlauben, wenn durch ein andres etwa schwächeres Wort der Sinn
verändert werden würde (dies ist schon Pascals Meinung); in der Antithese
hat die absichtliche Wiederholung selbstverständlich ihr besondres Recht, In
Deutschland halten manche Stilisten diese Beschränkung der Wortwahl für
pedantisch. Aber wie leicht kann man sich einen kleinen Zwang auflegen, und
wohin käme man, wenn jeder, um sich das Besinnen zu ersparen, seinen Wort¬
schatz immer "lehr einengte? In Frankreich giebt es Schriftsteller, die sich ans
die Wiederholung sogar etwas zu gute thu". Über den Lanteffekt aufeinander¬
stoßender hartklingender Koiisonante", gleichlautender Vokale, gleicher oder
ähnlich lautender Silben urteilt der Verfasser so, wie sich mich ein sorgfältiger
deutscher Schriftsteller, wen" er einmal etwas recht gutes schreiben wollte, ver¬
halten würde. Es giebt jn Verbindungen, die so scheußlich klingen, daß es
auch ein rohes Ohr empfindet. Wird aber das zugegeben, so muß der an¬
spruchsvollere Geschmack als der feinere ""d nicht als pedantisch angesehen
werden. Eine andre Bemerkung betrifft das Französische allein. Die guten
Schriftsteller des siebzehnten Jahrhunderts gebrauche" im Überfluß trotz ihres
harte" Kiangs Mi und <iuv; natürlich, den" sie habe" noch lateinische Kor-


Lesen, Schreiben und Sprechen

der Inhalt erlebt oder der Gegenstand gesehen sei. Albalat giebt zwei schalter¬
lich schöne Schilderungen von einem Manne, der im afrikanischen Wüstensande
schrittweise versinkt, und von einem Häuptling ans Sumatra, der von den
Feinden seines Stammes gefangen genommen und in einen Schlammteich ge¬
steckt wird, um langsam darin zu ersticken; sie geben dem Eindruck nach die
volle Wirklichkeit mit allein täuschenden Detail, und doch haben die beiden
Schriftsteller nichts ähnliches selbst wahrgenommen. Was erleben andrerseits
oft Menschen, die nicht imstande sind, den einfachsten Bericht darüber zu er¬
statten! Die Kunst des Schriftstellers besteht also darin, daß er sich eine Sache
so lebendig vorstellt, als Hütte er sie vor sich, und daß er dann den dieser
Vorstellung möglichst nahekommenden Ausdruck findet. Das wahre Gedächtnis
besteht ja auch nicht darin, daß man sich an alles erinnert, sondern daß man
weiß, wo die Dinge zu finden sind; wäre es zuverlässig, so brauchte man keine
Gelehrten mehr.

Außer seine» Grundbedingungen »lacht der gute Stil »och äußerliche
Forderungen («zonvlsion, liA-morio). Aus den betreffenden Kapiteln interessiert
uns vielleicht folgendes. Jede Häufung, jedes Zuviel ist schlimmer als ein
scheinbares Zuwenig, eine Kunst, die einen Augenblick des Nachdenkens fordert.
Dieser Satz hat für uns ebensolche Geltung, denn jede Schreibweise läßt sich eher
ertragen als die breite Geschwätzigkeit, Mau soll ferner nicht dieselben Ausdrücke
innerhalb kurzer Zwischenräume wiederholen, abgesehen von den ma»cherlei un¬
vermeidlichen kleinen Worten, die keine Synonymen haben; Chateaubriand und
Flaubert in seiner letzten Periode waren darin so streng, daß sie nicht zweimal
dasselbe Wort ans einer Seite duldeten. Der Verfasser entscheidet nach meinem
Gefühl richtig, man solle die Wiederholung z» vermeiden suchen, wen» sie a»f-
falleild und lästig ist, weil sie dann als Nachlässigkeit empfunden wird, man
solle sie sich erlauben, wenn durch ein andres etwa schwächeres Wort der Sinn
verändert werden würde (dies ist schon Pascals Meinung); in der Antithese
hat die absichtliche Wiederholung selbstverständlich ihr besondres Recht, In
Deutschland halten manche Stilisten diese Beschränkung der Wortwahl für
pedantisch. Aber wie leicht kann man sich einen kleinen Zwang auflegen, und
wohin käme man, wenn jeder, um sich das Besinnen zu ersparen, seinen Wort¬
schatz immer „lehr einengte? In Frankreich giebt es Schriftsteller, die sich ans
die Wiederholung sogar etwas zu gute thu». Über den Lanteffekt aufeinander¬
stoßender hartklingender Koiisonante», gleichlautender Vokale, gleicher oder
ähnlich lautender Silben urteilt der Verfasser so, wie sich mich ein sorgfältiger
deutscher Schriftsteller, wen» er einmal etwas recht gutes schreiben wollte, ver¬
halten würde. Es giebt jn Verbindungen, die so scheußlich klingen, daß es
auch ein rohes Ohr empfindet. Wird aber das zugegeben, so muß der an¬
spruchsvollere Geschmack als der feinere »»d nicht als pedantisch angesehen
werden. Eine andre Bemerkung betrifft das Französische allein. Die guten
Schriftsteller des siebzehnten Jahrhunderts gebrauche» im Überfluß trotz ihres
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[0398] Lesen, Schreiben und Sprechen der Inhalt erlebt oder der Gegenstand gesehen sei. Albalat giebt zwei schalter¬ lich schöne Schilderungen von einem Manne, der im afrikanischen Wüstensande schrittweise versinkt, und von einem Häuptling ans Sumatra, der von den Feinden seines Stammes gefangen genommen und in einen Schlammteich ge¬ steckt wird, um langsam darin zu ersticken; sie geben dem Eindruck nach die volle Wirklichkeit mit allein täuschenden Detail, und doch haben die beiden Schriftsteller nichts ähnliches selbst wahrgenommen. Was erleben andrerseits oft Menschen, die nicht imstande sind, den einfachsten Bericht darüber zu er¬ statten! Die Kunst des Schriftstellers besteht also darin, daß er sich eine Sache so lebendig vorstellt, als Hütte er sie vor sich, und daß er dann den dieser Vorstellung möglichst nahekommenden Ausdruck findet. Das wahre Gedächtnis besteht ja auch nicht darin, daß man sich an alles erinnert, sondern daß man weiß, wo die Dinge zu finden sind; wäre es zuverlässig, so brauchte man keine Gelehrten mehr. Außer seine» Grundbedingungen »lacht der gute Stil »och äußerliche Forderungen («zonvlsion, liA-morio). Aus den betreffenden Kapiteln interessiert uns vielleicht folgendes. Jede Häufung, jedes Zuviel ist schlimmer als ein scheinbares Zuwenig, eine Kunst, die einen Augenblick des Nachdenkens fordert. Dieser Satz hat für uns ebensolche Geltung, denn jede Schreibweise läßt sich eher ertragen als die breite Geschwätzigkeit, Mau soll ferner nicht dieselben Ausdrücke innerhalb kurzer Zwischenräume wiederholen, abgesehen von den ma»cherlei un¬ vermeidlichen kleinen Worten, die keine Synonymen haben; Chateaubriand und Flaubert in seiner letzten Periode waren darin so streng, daß sie nicht zweimal dasselbe Wort ans einer Seite duldeten. Der Verfasser entscheidet nach meinem Gefühl richtig, man solle die Wiederholung z» vermeiden suchen, wen» sie a»f- falleild und lästig ist, weil sie dann als Nachlässigkeit empfunden wird, man solle sie sich erlauben, wenn durch ein andres etwa schwächeres Wort der Sinn verändert werden würde (dies ist schon Pascals Meinung); in der Antithese hat die absichtliche Wiederholung selbstverständlich ihr besondres Recht, In Deutschland halten manche Stilisten diese Beschränkung der Wortwahl für pedantisch. Aber wie leicht kann man sich einen kleinen Zwang auflegen, und wohin käme man, wenn jeder, um sich das Besinnen zu ersparen, seinen Wort¬ schatz immer „lehr einengte? In Frankreich giebt es Schriftsteller, die sich ans die Wiederholung sogar etwas zu gute thu». Über den Lanteffekt aufeinander¬ stoßender hartklingender Koiisonante», gleichlautender Vokale, gleicher oder ähnlich lautender Silben urteilt der Verfasser so, wie sich mich ein sorgfältiger deutscher Schriftsteller, wen» er einmal etwas recht gutes schreiben wollte, ver¬ halten würde. Es giebt jn Verbindungen, die so scheußlich klingen, daß es auch ein rohes Ohr empfindet. Wird aber das zugegeben, so muß der an¬ spruchsvollere Geschmack als der feinere »»d nicht als pedantisch angesehen werden. Eine andre Bemerkung betrifft das Französische allein. Die guten Schriftsteller des siebzehnten Jahrhunderts gebrauche» im Überfluß trotz ihres harte» Kiangs Mi und <iuv; natürlich, den» sie habe» noch lateinische Kor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/398>, abgerufen am 22.07.2024.