Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Chamberlains Religion?- und Rassenxhilosophie

gestehn müssen, daß sich die Massen aller Zeiten, die germanischen nicht aus¬
genommen, in diesem Punkte nicht wesentlich von seinem "Völkerchaos" unter¬
scheiden. Schreibt er doch selbst mit Beziehung auf das Urchristentum, das er
als den echten Protestantismus charakterisiert hat: "Wir nordischen Männer
waren viel zu praktisch-weltlich angelegt, zu viel mit staatlichen Organisationen
und Handelsinteressen und Wissenschaften beschäftigt jund sind es heute erst
rechts, um jemals auf diesen echtesten Protestantismus der vorrömischen Zeit
zurückzugreifen," Damit ist geradezu die Behauptung zurückgenommen, die
Germanen seien -- im ganzen, als Volk oder Völkergruppe -- von Natur
das allein und echt religiöse Volk im Sinne Christi oder Buddhas, und wären
sie es je einmal gewesen, sie hätten diese ihre Natur beim Eintritt in die Welt¬
geschichte ablegen müssen, um sich nicht allein behaupten, sondern Weltbeherrscher
werden zu können. Als sie noch ungestört von den Römern und von den
Noten der Übervölkerung auf der Bärenhaut lagen, da hätten sie allenfalls
der Mystik und Metaphysik obliegen können -- wenn auch in der Winterkälte
und vom Hunger auf die Jagd getrieben nicht so ruhig und behaglich wie der
Inder in seinem Palmenhain; aber seit dem ersten Zusammenstoße mit den
Galliern und mit den Römern war es damit vorbei. Schreibt doch Chamber-
lain selbst Seite 725 von dem gewaltigen Kulturwerk der Germanen: "Es
wurde nicht durch Humanitätswahn, sondern durch gesunde, selbstsüchtige Kraft,
nicht durch Genügsamkeit, sondern durch unersättlichen Heißhunger geschaffen____
Daß die Germanen mit ihren Tugenden allein und ohne ihre Laster -- wie
da sind Gier, Grausamkeit, Verrat, Mißachtung aller Rechte außer ihres eignen
Rechts zu herrschen usw. -- den Sieg errungen hätten, wird keiner die Stirn
haben zu behaupten." Was heißt das anders, als daß den Germanen in der
Erfüllung ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe nichts hinderlicher gewesen sein
würde, als wenn sie die reine Religion Jesu erkannt, mit ihrem ganzen Innern
erfaßt und im Leben verwirklicht Hütten? Zum Überfluß gesteht dann auch
Chamberlain Seite 568 bis 569 dem Judentum noch das Verdienst zu, daß
es der griechischen Spekulation und Mythologie gegenüber das männliche
Prinzip vertreten und, als unbedingter Wille zum Leben, auch den weltver¬
achtenden Edeln des Völkerchaos den Mut zum Leben wiedergegeben habe,
den die Germanen dann glücklicherweise selbst schon in hinlänglichem Maße
mitbrachten. Um Wälder ciuszureuten, Sümpfe auszutrocknen, feindliche oder
lohnende Ausbeute verheißende Völker zu unterjochen, neue Staaten zu gründen
und ihre Herrschaft über die ganze Erdkugel auszubreiten, haben die Germanen
etwas andres gebraucht als die von Chamberlain übermäßig gepriesene indische
und schopenhauerische Philosophie, gerade die jüdische Lebensbejahung, Hab-
und Herrschsucht hat ihnen darin die größten Dienste geleistet, wobei freilich
der Unterschied bestehn bleibt, daß den Germanen auch die Kraft innewohnt,
das selbst zu schaffen, was sie zu besitzen wünschen, während die emsige Thätig¬
keit der Juden mehr darauf gerichtet ist, sich die von andern geschaffnen Güter
anzueignen; hier steckt in der That ein Rassenunterschied, und wohl der ent-


Chamberlains Religion?- und Rassenxhilosophie

gestehn müssen, daß sich die Massen aller Zeiten, die germanischen nicht aus¬
genommen, in diesem Punkte nicht wesentlich von seinem „Völkerchaos" unter¬
scheiden. Schreibt er doch selbst mit Beziehung auf das Urchristentum, das er
als den echten Protestantismus charakterisiert hat: „Wir nordischen Männer
waren viel zu praktisch-weltlich angelegt, zu viel mit staatlichen Organisationen
und Handelsinteressen und Wissenschaften beschäftigt jund sind es heute erst
rechts, um jemals auf diesen echtesten Protestantismus der vorrömischen Zeit
zurückzugreifen," Damit ist geradezu die Behauptung zurückgenommen, die
Germanen seien — im ganzen, als Volk oder Völkergruppe — von Natur
das allein und echt religiöse Volk im Sinne Christi oder Buddhas, und wären
sie es je einmal gewesen, sie hätten diese ihre Natur beim Eintritt in die Welt¬
geschichte ablegen müssen, um sich nicht allein behaupten, sondern Weltbeherrscher
werden zu können. Als sie noch ungestört von den Römern und von den
Noten der Übervölkerung auf der Bärenhaut lagen, da hätten sie allenfalls
der Mystik und Metaphysik obliegen können — wenn auch in der Winterkälte
und vom Hunger auf die Jagd getrieben nicht so ruhig und behaglich wie der
Inder in seinem Palmenhain; aber seit dem ersten Zusammenstoße mit den
Galliern und mit den Römern war es damit vorbei. Schreibt doch Chamber-
lain selbst Seite 725 von dem gewaltigen Kulturwerk der Germanen: „Es
wurde nicht durch Humanitätswahn, sondern durch gesunde, selbstsüchtige Kraft,
nicht durch Genügsamkeit, sondern durch unersättlichen Heißhunger geschaffen____
Daß die Germanen mit ihren Tugenden allein und ohne ihre Laster — wie
da sind Gier, Grausamkeit, Verrat, Mißachtung aller Rechte außer ihres eignen
Rechts zu herrschen usw. — den Sieg errungen hätten, wird keiner die Stirn
haben zu behaupten." Was heißt das anders, als daß den Germanen in der
Erfüllung ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe nichts hinderlicher gewesen sein
würde, als wenn sie die reine Religion Jesu erkannt, mit ihrem ganzen Innern
erfaßt und im Leben verwirklicht Hütten? Zum Überfluß gesteht dann auch
Chamberlain Seite 568 bis 569 dem Judentum noch das Verdienst zu, daß
es der griechischen Spekulation und Mythologie gegenüber das männliche
Prinzip vertreten und, als unbedingter Wille zum Leben, auch den weltver¬
achtenden Edeln des Völkerchaos den Mut zum Leben wiedergegeben habe,
den die Germanen dann glücklicherweise selbst schon in hinlänglichem Maße
mitbrachten. Um Wälder ciuszureuten, Sümpfe auszutrocknen, feindliche oder
lohnende Ausbeute verheißende Völker zu unterjochen, neue Staaten zu gründen
und ihre Herrschaft über die ganze Erdkugel auszubreiten, haben die Germanen
etwas andres gebraucht als die von Chamberlain übermäßig gepriesene indische
und schopenhauerische Philosophie, gerade die jüdische Lebensbejahung, Hab-
und Herrschsucht hat ihnen darin die größten Dienste geleistet, wobei freilich
der Unterschied bestehn bleibt, daß den Germanen auch die Kraft innewohnt,
das selbst zu schaffen, was sie zu besitzen wünschen, während die emsige Thätig¬
keit der Juden mehr darauf gerichtet ist, sich die von andern geschaffnen Güter
anzueignen; hier steckt in der That ein Rassenunterschied, und wohl der ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290449"/>
          <fw type="header" place="top"> Chamberlains Religion?- und Rassenxhilosophie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_80" prev="#ID_79" next="#ID_81"> gestehn müssen, daß sich die Massen aller Zeiten, die germanischen nicht aus¬<lb/>
genommen, in diesem Punkte nicht wesentlich von seinem &#x201E;Völkerchaos" unter¬<lb/>
scheiden. Schreibt er doch selbst mit Beziehung auf das Urchristentum, das er<lb/>
als den echten Protestantismus charakterisiert hat: &#x201E;Wir nordischen Männer<lb/>
waren viel zu praktisch-weltlich angelegt, zu viel mit staatlichen Organisationen<lb/>
und Handelsinteressen und Wissenschaften beschäftigt jund sind es heute erst<lb/>
rechts, um jemals auf diesen echtesten Protestantismus der vorrömischen Zeit<lb/>
zurückzugreifen," Damit ist geradezu die Behauptung zurückgenommen, die<lb/>
Germanen seien &#x2014; im ganzen, als Volk oder Völkergruppe &#x2014; von Natur<lb/>
das allein und echt religiöse Volk im Sinne Christi oder Buddhas, und wären<lb/>
sie es je einmal gewesen, sie hätten diese ihre Natur beim Eintritt in die Welt¬<lb/>
geschichte ablegen müssen, um sich nicht allein behaupten, sondern Weltbeherrscher<lb/>
werden zu können. Als sie noch ungestört von den Römern und von den<lb/>
Noten der Übervölkerung auf der Bärenhaut lagen, da hätten sie allenfalls<lb/>
der Mystik und Metaphysik obliegen können &#x2014; wenn auch in der Winterkälte<lb/>
und vom Hunger auf die Jagd getrieben nicht so ruhig und behaglich wie der<lb/>
Inder in seinem Palmenhain; aber seit dem ersten Zusammenstoße mit den<lb/>
Galliern und mit den Römern war es damit vorbei. Schreibt doch Chamber-<lb/>
lain selbst Seite 725 von dem gewaltigen Kulturwerk der Germanen: &#x201E;Es<lb/>
wurde nicht durch Humanitätswahn, sondern durch gesunde, selbstsüchtige Kraft,<lb/>
nicht durch Genügsamkeit, sondern durch unersättlichen Heißhunger geschaffen____<lb/>
Daß die Germanen mit ihren Tugenden allein und ohne ihre Laster &#x2014; wie<lb/>
da sind Gier, Grausamkeit, Verrat, Mißachtung aller Rechte außer ihres eignen<lb/>
Rechts zu herrschen usw. &#x2014; den Sieg errungen hätten, wird keiner die Stirn<lb/>
haben zu behaupten." Was heißt das anders, als daß den Germanen in der<lb/>
Erfüllung ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe nichts hinderlicher gewesen sein<lb/>
würde, als wenn sie die reine Religion Jesu erkannt, mit ihrem ganzen Innern<lb/>
erfaßt und im Leben verwirklicht Hütten? Zum Überfluß gesteht dann auch<lb/>
Chamberlain Seite 568 bis 569 dem Judentum noch das Verdienst zu, daß<lb/>
es der griechischen Spekulation und Mythologie gegenüber das männliche<lb/>
Prinzip vertreten und, als unbedingter Wille zum Leben, auch den weltver¬<lb/>
achtenden Edeln des Völkerchaos den Mut zum Leben wiedergegeben habe,<lb/>
den die Germanen dann glücklicherweise selbst schon in hinlänglichem Maße<lb/>
mitbrachten. Um Wälder ciuszureuten, Sümpfe auszutrocknen, feindliche oder<lb/>
lohnende Ausbeute verheißende Völker zu unterjochen, neue Staaten zu gründen<lb/>
und ihre Herrschaft über die ganze Erdkugel auszubreiten, haben die Germanen<lb/>
etwas andres gebraucht als die von Chamberlain übermäßig gepriesene indische<lb/>
und schopenhauerische Philosophie, gerade die jüdische Lebensbejahung, Hab-<lb/>
und Herrschsucht hat ihnen darin die größten Dienste geleistet, wobei freilich<lb/>
der Unterschied bestehn bleibt, daß den Germanen auch die Kraft innewohnt,<lb/>
das selbst zu schaffen, was sie zu besitzen wünschen, während die emsige Thätig¬<lb/>
keit der Juden mehr darauf gerichtet ist, sich die von andern geschaffnen Güter<lb/>
anzueignen; hier steckt in der That ein Rassenunterschied, und wohl der ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Chamberlains Religion?- und Rassenxhilosophie gestehn müssen, daß sich die Massen aller Zeiten, die germanischen nicht aus¬ genommen, in diesem Punkte nicht wesentlich von seinem „Völkerchaos" unter¬ scheiden. Schreibt er doch selbst mit Beziehung auf das Urchristentum, das er als den echten Protestantismus charakterisiert hat: „Wir nordischen Männer waren viel zu praktisch-weltlich angelegt, zu viel mit staatlichen Organisationen und Handelsinteressen und Wissenschaften beschäftigt jund sind es heute erst rechts, um jemals auf diesen echtesten Protestantismus der vorrömischen Zeit zurückzugreifen," Damit ist geradezu die Behauptung zurückgenommen, die Germanen seien — im ganzen, als Volk oder Völkergruppe — von Natur das allein und echt religiöse Volk im Sinne Christi oder Buddhas, und wären sie es je einmal gewesen, sie hätten diese ihre Natur beim Eintritt in die Welt¬ geschichte ablegen müssen, um sich nicht allein behaupten, sondern Weltbeherrscher werden zu können. Als sie noch ungestört von den Römern und von den Noten der Übervölkerung auf der Bärenhaut lagen, da hätten sie allenfalls der Mystik und Metaphysik obliegen können — wenn auch in der Winterkälte und vom Hunger auf die Jagd getrieben nicht so ruhig und behaglich wie der Inder in seinem Palmenhain; aber seit dem ersten Zusammenstoße mit den Galliern und mit den Römern war es damit vorbei. Schreibt doch Chamber- lain selbst Seite 725 von dem gewaltigen Kulturwerk der Germanen: „Es wurde nicht durch Humanitätswahn, sondern durch gesunde, selbstsüchtige Kraft, nicht durch Genügsamkeit, sondern durch unersättlichen Heißhunger geschaffen____ Daß die Germanen mit ihren Tugenden allein und ohne ihre Laster — wie da sind Gier, Grausamkeit, Verrat, Mißachtung aller Rechte außer ihres eignen Rechts zu herrschen usw. — den Sieg errungen hätten, wird keiner die Stirn haben zu behaupten." Was heißt das anders, als daß den Germanen in der Erfüllung ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe nichts hinderlicher gewesen sein würde, als wenn sie die reine Religion Jesu erkannt, mit ihrem ganzen Innern erfaßt und im Leben verwirklicht Hütten? Zum Überfluß gesteht dann auch Chamberlain Seite 568 bis 569 dem Judentum noch das Verdienst zu, daß es der griechischen Spekulation und Mythologie gegenüber das männliche Prinzip vertreten und, als unbedingter Wille zum Leben, auch den weltver¬ achtenden Edeln des Völkerchaos den Mut zum Leben wiedergegeben habe, den die Germanen dann glücklicherweise selbst schon in hinlänglichem Maße mitbrachten. Um Wälder ciuszureuten, Sümpfe auszutrocknen, feindliche oder lohnende Ausbeute verheißende Völker zu unterjochen, neue Staaten zu gründen und ihre Herrschaft über die ganze Erdkugel auszubreiten, haben die Germanen etwas andres gebraucht als die von Chamberlain übermäßig gepriesene indische und schopenhauerische Philosophie, gerade die jüdische Lebensbejahung, Hab- und Herrschsucht hat ihnen darin die größten Dienste geleistet, wobei freilich der Unterschied bestehn bleibt, daß den Germanen auch die Kraft innewohnt, das selbst zu schaffen, was sie zu besitzen wünschen, während die emsige Thätig¬ keit der Juden mehr darauf gerichtet ist, sich die von andern geschaffnen Güter anzueignen; hier steckt in der That ein Rassenunterschied, und wohl der ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/38>, abgerufen am 01.07.2024.