Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
"Lhamberlains Religions- und Rassenphilosophie

Und so können wir denn auch Chamberlain nicht beistimmen, wenn er
die christliche Kirche als eine Mißgeburt schildert, da sie ein Bastard zweier
ganz unvereinbarer, in allem einander widersprechender Religionen, der jüdischen
und der arischen sei. Niemand widerspricht sich ärger als er selbst, wenn er
einmal den Umstand, daß die katholische Kirche gar keine Trägerin der Religion,
sondern nur eine Fortsetzung des römischen Imperiums sei, das Maß des Un¬
natürlichen und Verderblichen im Christentum voll machen läßt, dann aber
wieder meint, Staat und Religion fielen in eins zusammen, der Soldat, der
in der Schlacht falle, übe damit Religion, und die römische Staatsreligion als
stärksten Beweis für dieses Verhältnis anführt. Es kann niemand weniger als
uns einfallen, zu leugnen, daß die Religion der Kirchen niemals die reine
Religion Jesu gewesen ist, daß sich kein Mensch rühmen kann, das Wesen Jesu
und seine eigentliche Meinung ergründet zu haben, und daß uns die Geschichte
der Kirchen neben vielem Schönen und Tröstenden eine fast ununterbrochne
Reihe der abscheulichsten Greuel zeigt. Allein diese traurigen Thatsachen er¬
klären sich gleich allen andern irdischen Übeln aus den Bedingungen des
irdischen Daseins der Menschen, und wir brauchen deshalb nicht mit Chamber-
lain anzunehmen, daß sie die Wirkung einer unnatürlichen Verkopplung des
an sich schlechten Judentums mit verdorbnen Griechentum und erstarrtem
Römertum seien. Chamberlain hat uns in der Überzeugung nicht wankend
gemacht, die ja wohl heute bei den historisch gebildeten Männern die herrschende
ist, daß die durch den geheimnisvollen Gottmenschen vollendete Verschmelzung
der drei großen Kulturelemente der alten Welt ein ganz gesunder, natürlicher
und weltgeschichtlich notwendiger Vorgang gewesen ist.

Und Chamberlain selbst gesteht das zu -- so unter der Hand in dunkeln
Winkelchen seiner figurenreichen Schaubühne, während er die glänzenden Anti¬
thesen und die bestechenden Charakteristiken in den hell erleuchteten Vorder¬
grund schiebt. Jedoch, schreibt er Seite 551, "wie sehr auch das notwendig
Schwankende, Unzulängliche eines solchen Zwitterwesens einleuchten muß, man
kann sich kaum vorstellen, wie in jenem Völkerchaos eine Weltreligion ohne
das Zusammenwirken dieser beiden Elemente ^des Judentunis und des Heiden¬
tums! hätte entstehn können." Dieses Zugeständnis beeilt er sich allerdings
sofort wieder abzuschwächen: "Freilich, Hütte Christus zu Indern oder Ger¬
manen gepredigt, so hätten wir seinem Worte eine andre Wirkung zu danken
gehabt." Da ist denn doch trotz Wulfila der Zweifel berechtigt, ob die Berg¬
predigt und das Wort vom Kreuze bei den Recken, die zum Hildebrandslied
und zum Nibelungenlied den Stoff geliefert haben, Verständnis gefunden hätte,
und ob das Christentum nicht erst Gesetz eines Imperators, eines königlichen
Priesters und priesterlichen Königs werden mußte, ehe sie überhaupt in ein
Verhältnis zu ihm treten konnten. Für das Gesindel des "Völkerchaos,"
meint Chamberlain, sei dieses Gemisch von jüdischem Gesetz und römischem
Recht gerade gut gewesen, was wieder ein entscheidendes Zugeständnis an die
hergebrachte Meinung ist, aber er wird noch ein Stück weiter gehn und


«Lhamberlains Religions- und Rassenphilosophie

Und so können wir denn auch Chamberlain nicht beistimmen, wenn er
die christliche Kirche als eine Mißgeburt schildert, da sie ein Bastard zweier
ganz unvereinbarer, in allem einander widersprechender Religionen, der jüdischen
und der arischen sei. Niemand widerspricht sich ärger als er selbst, wenn er
einmal den Umstand, daß die katholische Kirche gar keine Trägerin der Religion,
sondern nur eine Fortsetzung des römischen Imperiums sei, das Maß des Un¬
natürlichen und Verderblichen im Christentum voll machen läßt, dann aber
wieder meint, Staat und Religion fielen in eins zusammen, der Soldat, der
in der Schlacht falle, übe damit Religion, und die römische Staatsreligion als
stärksten Beweis für dieses Verhältnis anführt. Es kann niemand weniger als
uns einfallen, zu leugnen, daß die Religion der Kirchen niemals die reine
Religion Jesu gewesen ist, daß sich kein Mensch rühmen kann, das Wesen Jesu
und seine eigentliche Meinung ergründet zu haben, und daß uns die Geschichte
der Kirchen neben vielem Schönen und Tröstenden eine fast ununterbrochne
Reihe der abscheulichsten Greuel zeigt. Allein diese traurigen Thatsachen er¬
klären sich gleich allen andern irdischen Übeln aus den Bedingungen des
irdischen Daseins der Menschen, und wir brauchen deshalb nicht mit Chamber-
lain anzunehmen, daß sie die Wirkung einer unnatürlichen Verkopplung des
an sich schlechten Judentums mit verdorbnen Griechentum und erstarrtem
Römertum seien. Chamberlain hat uns in der Überzeugung nicht wankend
gemacht, die ja wohl heute bei den historisch gebildeten Männern die herrschende
ist, daß die durch den geheimnisvollen Gottmenschen vollendete Verschmelzung
der drei großen Kulturelemente der alten Welt ein ganz gesunder, natürlicher
und weltgeschichtlich notwendiger Vorgang gewesen ist.

Und Chamberlain selbst gesteht das zu — so unter der Hand in dunkeln
Winkelchen seiner figurenreichen Schaubühne, während er die glänzenden Anti¬
thesen und die bestechenden Charakteristiken in den hell erleuchteten Vorder¬
grund schiebt. Jedoch, schreibt er Seite 551, „wie sehr auch das notwendig
Schwankende, Unzulängliche eines solchen Zwitterwesens einleuchten muß, man
kann sich kaum vorstellen, wie in jenem Völkerchaos eine Weltreligion ohne
das Zusammenwirken dieser beiden Elemente ^des Judentunis und des Heiden¬
tums! hätte entstehn können." Dieses Zugeständnis beeilt er sich allerdings
sofort wieder abzuschwächen: „Freilich, Hütte Christus zu Indern oder Ger¬
manen gepredigt, so hätten wir seinem Worte eine andre Wirkung zu danken
gehabt." Da ist denn doch trotz Wulfila der Zweifel berechtigt, ob die Berg¬
predigt und das Wort vom Kreuze bei den Recken, die zum Hildebrandslied
und zum Nibelungenlied den Stoff geliefert haben, Verständnis gefunden hätte,
und ob das Christentum nicht erst Gesetz eines Imperators, eines königlichen
Priesters und priesterlichen Königs werden mußte, ehe sie überhaupt in ein
Verhältnis zu ihm treten konnten. Für das Gesindel des „Völkerchaos,"
meint Chamberlain, sei dieses Gemisch von jüdischem Gesetz und römischem
Recht gerade gut gewesen, was wieder ein entscheidendes Zugeständnis an die
hergebrachte Meinung ist, aber er wird noch ein Stück weiter gehn und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290448"/>
          <fw type="header" place="top"> «Lhamberlains Religions- und Rassenphilosophie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_78"> Und so können wir denn auch Chamberlain nicht beistimmen, wenn er<lb/>
die christliche Kirche als eine Mißgeburt schildert, da sie ein Bastard zweier<lb/>
ganz unvereinbarer, in allem einander widersprechender Religionen, der jüdischen<lb/>
und der arischen sei. Niemand widerspricht sich ärger als er selbst, wenn er<lb/>
einmal den Umstand, daß die katholische Kirche gar keine Trägerin der Religion,<lb/>
sondern nur eine Fortsetzung des römischen Imperiums sei, das Maß des Un¬<lb/>
natürlichen und Verderblichen im Christentum voll machen läßt, dann aber<lb/>
wieder meint, Staat und Religion fielen in eins zusammen, der Soldat, der<lb/>
in der Schlacht falle, übe damit Religion, und die römische Staatsreligion als<lb/>
stärksten Beweis für dieses Verhältnis anführt. Es kann niemand weniger als<lb/>
uns einfallen, zu leugnen, daß die Religion der Kirchen niemals die reine<lb/>
Religion Jesu gewesen ist, daß sich kein Mensch rühmen kann, das Wesen Jesu<lb/>
und seine eigentliche Meinung ergründet zu haben, und daß uns die Geschichte<lb/>
der Kirchen neben vielem Schönen und Tröstenden eine fast ununterbrochne<lb/>
Reihe der abscheulichsten Greuel zeigt. Allein diese traurigen Thatsachen er¬<lb/>
klären sich gleich allen andern irdischen Übeln aus den Bedingungen des<lb/>
irdischen Daseins der Menschen, und wir brauchen deshalb nicht mit Chamber-<lb/>
lain anzunehmen, daß sie die Wirkung einer unnatürlichen Verkopplung des<lb/>
an sich schlechten Judentums mit verdorbnen Griechentum und erstarrtem<lb/>
Römertum seien. Chamberlain hat uns in der Überzeugung nicht wankend<lb/>
gemacht, die ja wohl heute bei den historisch gebildeten Männern die herrschende<lb/>
ist, daß die durch den geheimnisvollen Gottmenschen vollendete Verschmelzung<lb/>
der drei großen Kulturelemente der alten Welt ein ganz gesunder, natürlicher<lb/>
und weltgeschichtlich notwendiger Vorgang gewesen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_79" next="#ID_80"> Und Chamberlain selbst gesteht das zu &#x2014; so unter der Hand in dunkeln<lb/>
Winkelchen seiner figurenreichen Schaubühne, während er die glänzenden Anti¬<lb/>
thesen und die bestechenden Charakteristiken in den hell erleuchteten Vorder¬<lb/>
grund schiebt. Jedoch, schreibt er Seite 551, &#x201E;wie sehr auch das notwendig<lb/>
Schwankende, Unzulängliche eines solchen Zwitterwesens einleuchten muß, man<lb/>
kann sich kaum vorstellen, wie in jenem Völkerchaos eine Weltreligion ohne<lb/>
das Zusammenwirken dieser beiden Elemente ^des Judentunis und des Heiden¬<lb/>
tums! hätte entstehn können." Dieses Zugeständnis beeilt er sich allerdings<lb/>
sofort wieder abzuschwächen: &#x201E;Freilich, Hütte Christus zu Indern oder Ger¬<lb/>
manen gepredigt, so hätten wir seinem Worte eine andre Wirkung zu danken<lb/>
gehabt." Da ist denn doch trotz Wulfila der Zweifel berechtigt, ob die Berg¬<lb/>
predigt und das Wort vom Kreuze bei den Recken, die zum Hildebrandslied<lb/>
und zum Nibelungenlied den Stoff geliefert haben, Verständnis gefunden hätte,<lb/>
und ob das Christentum nicht erst Gesetz eines Imperators, eines königlichen<lb/>
Priesters und priesterlichen Königs werden mußte, ehe sie überhaupt in ein<lb/>
Verhältnis zu ihm treten konnten. Für das Gesindel des &#x201E;Völkerchaos,"<lb/>
meint Chamberlain, sei dieses Gemisch von jüdischem Gesetz und römischem<lb/>
Recht gerade gut gewesen, was wieder ein entscheidendes Zugeständnis an die<lb/>
hergebrachte Meinung ist, aber er wird noch ein Stück weiter gehn und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] «Lhamberlains Religions- und Rassenphilosophie Und so können wir denn auch Chamberlain nicht beistimmen, wenn er die christliche Kirche als eine Mißgeburt schildert, da sie ein Bastard zweier ganz unvereinbarer, in allem einander widersprechender Religionen, der jüdischen und der arischen sei. Niemand widerspricht sich ärger als er selbst, wenn er einmal den Umstand, daß die katholische Kirche gar keine Trägerin der Religion, sondern nur eine Fortsetzung des römischen Imperiums sei, das Maß des Un¬ natürlichen und Verderblichen im Christentum voll machen läßt, dann aber wieder meint, Staat und Religion fielen in eins zusammen, der Soldat, der in der Schlacht falle, übe damit Religion, und die römische Staatsreligion als stärksten Beweis für dieses Verhältnis anführt. Es kann niemand weniger als uns einfallen, zu leugnen, daß die Religion der Kirchen niemals die reine Religion Jesu gewesen ist, daß sich kein Mensch rühmen kann, das Wesen Jesu und seine eigentliche Meinung ergründet zu haben, und daß uns die Geschichte der Kirchen neben vielem Schönen und Tröstenden eine fast ununterbrochne Reihe der abscheulichsten Greuel zeigt. Allein diese traurigen Thatsachen er¬ klären sich gleich allen andern irdischen Übeln aus den Bedingungen des irdischen Daseins der Menschen, und wir brauchen deshalb nicht mit Chamber- lain anzunehmen, daß sie die Wirkung einer unnatürlichen Verkopplung des an sich schlechten Judentums mit verdorbnen Griechentum und erstarrtem Römertum seien. Chamberlain hat uns in der Überzeugung nicht wankend gemacht, die ja wohl heute bei den historisch gebildeten Männern die herrschende ist, daß die durch den geheimnisvollen Gottmenschen vollendete Verschmelzung der drei großen Kulturelemente der alten Welt ein ganz gesunder, natürlicher und weltgeschichtlich notwendiger Vorgang gewesen ist. Und Chamberlain selbst gesteht das zu — so unter der Hand in dunkeln Winkelchen seiner figurenreichen Schaubühne, während er die glänzenden Anti¬ thesen und die bestechenden Charakteristiken in den hell erleuchteten Vorder¬ grund schiebt. Jedoch, schreibt er Seite 551, „wie sehr auch das notwendig Schwankende, Unzulängliche eines solchen Zwitterwesens einleuchten muß, man kann sich kaum vorstellen, wie in jenem Völkerchaos eine Weltreligion ohne das Zusammenwirken dieser beiden Elemente ^des Judentunis und des Heiden¬ tums! hätte entstehn können." Dieses Zugeständnis beeilt er sich allerdings sofort wieder abzuschwächen: „Freilich, Hütte Christus zu Indern oder Ger¬ manen gepredigt, so hätten wir seinem Worte eine andre Wirkung zu danken gehabt." Da ist denn doch trotz Wulfila der Zweifel berechtigt, ob die Berg¬ predigt und das Wort vom Kreuze bei den Recken, die zum Hildebrandslied und zum Nibelungenlied den Stoff geliefert haben, Verständnis gefunden hätte, und ob das Christentum nicht erst Gesetz eines Imperators, eines königlichen Priesters und priesterlichen Königs werden mußte, ehe sie überhaupt in ein Verhältnis zu ihm treten konnten. Für das Gesindel des „Völkerchaos," meint Chamberlain, sei dieses Gemisch von jüdischem Gesetz und römischem Recht gerade gut gewesen, was wieder ein entscheidendes Zugeständnis an die hergebrachte Meinung ist, aber er wird noch ein Stück weiter gehn und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/37>, abgerufen am 01.07.2024.