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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Fürsorge für mittellose Hmterblielme von Beamten und Arbeitern

Hier muß also zuerst und gründlich geholfen werden, und hier kann auch
am leichtesten geholfen werden. Zunächst handelt es sich doch nur um die
Verstärkung der Dispositivuöfonds um vielleicht zwei- bis dreihunderttausend
Mark. Damit ist der dringende, für den preußischen Staat geradezu be¬
schämende- Notstand aus der Welt zu schaffen. Die Ausftthruug muß dem
Ermessen der Behörden völlig freigegeben werden; neue Gesetze und Rechts¬
normen sind unnötig, wären uur schädlich. Preußen ist in glänzender finan¬
zieller Lage, und es mare unerhört, wenn der Finanzminister nicht bereitwillig
die Mittel hergeben wollte, die die Ministerien dazu verlangten. Aber sie
müssen sie eben verlangen. Wie gesagt, die Notleidenden, mit die es sich hier
handelt, "schreien" nicht, sie wissen kaum den Weg, ans dem sie um Hilfe
bitten sollen. Sollten unsre Minister wirklich nur noch für die "Schreier"
Ohren haben? Es ist klar, daß ein einziger kurzer Bortrag beim König ge¬
nügen würde, sofort Wandel zu schaffen.

Dann würde vor allein für die Gründung vou Anstalten und Stiftungen
Sorge zu tragen sein, um den hilfsbedürftigen Beamtenwitwen und Beamten¬
töchtern ein bescheidnes aber doch anständiges Unterkommen zu gewähren.
Auch dazu muß der Staat Preußen das Geld haben. Aber es wird auch,
wenn man nnr will, ein leichtes sein, Privatmittel diesem Zweck reichlich zu¬
fließen zu machen. Es werden viele Millionen jährlich zu Zwecke" der kom¬
munalen Armenpflege gestiftet, für den hier besprochnen Zweck geschieht fast
nichts. Wenn es dem Kaiser ohne weiteres gelingt, die reichen Geschäftsleute
Berlins dazu zu bringen, in wenig Tagen Hunderttausende für die Notleidenden
in Indien zu spenden, wozu er ja wohl seine Gründe haben wird, so wird es
der Regierung sicher nicht schwer sein, erfolgreich zu Stiftungen anzuregen,
wie das Berliner Notherstift, dessen Begründer freilich schon fast vor hundert
Jahren preußischer Minister war. Millionäre sind jetzt unter den verheirateten
Beamten und Offizieren keine Seltenheit mehr. Sie müßten es vor allen andern
für ein mobile oküoiuin halten, reichlich beizusteuern für solche Zwecke.

Schließlich wird man dann mit der Zeit mich vor größern staatlichen
Neuorganisationen nicht zurückschrecken müssen, durch die es dem vermögens¬
losen Beamten oder Offizier wieder ermöglicht wird, eine wirtschaftlich erzogne
junge Dame aus dem Beamten- oder Offizierstande als Hausfrau heimzuführen,
d. h. keine Geldheirat zu machen, ohne deshalb fürchten zu müssen, seine
Familie dereinst der Proletarisierung in ihrer schmerzlichsten Form verfallen zu
lassen. Vielleicht wird bei diesen größern, weniger dringlichen Maßnahmen
an eine Art von Versicherung gedacht werden können; bei den unmittelbaren
Schritten zur Abstellung der vorhandnen schweren Not der Beamtenwitwen
und Tochter kann natürlich von irgend welchem versicherungsartigen Vorgehn
gar nicht die Rede sein. Dazu sind keinerlei Projekte nötig.

Auch die sogenannte Arbeirerwitwen- und Waisenversicherung, über die
wir nur noch einige kurze Bemerkungen machen wollen, wird vielleicht nur
unter Vorbehalt wirklich den Namen einer Versicherung verdienen. Freilich


Die Fürsorge für mittellose Hmterblielme von Beamten und Arbeitern

Hier muß also zuerst und gründlich geholfen werden, und hier kann auch
am leichtesten geholfen werden. Zunächst handelt es sich doch nur um die
Verstärkung der Dispositivuöfonds um vielleicht zwei- bis dreihunderttausend
Mark. Damit ist der dringende, für den preußischen Staat geradezu be¬
schämende- Notstand aus der Welt zu schaffen. Die Ausftthruug muß dem
Ermessen der Behörden völlig freigegeben werden; neue Gesetze und Rechts¬
normen sind unnötig, wären uur schädlich. Preußen ist in glänzender finan¬
zieller Lage, und es mare unerhört, wenn der Finanzminister nicht bereitwillig
die Mittel hergeben wollte, die die Ministerien dazu verlangten. Aber sie
müssen sie eben verlangen. Wie gesagt, die Notleidenden, mit die es sich hier
handelt, „schreien" nicht, sie wissen kaum den Weg, ans dem sie um Hilfe
bitten sollen. Sollten unsre Minister wirklich nur noch für die „Schreier"
Ohren haben? Es ist klar, daß ein einziger kurzer Bortrag beim König ge¬
nügen würde, sofort Wandel zu schaffen.

Dann würde vor allein für die Gründung vou Anstalten und Stiftungen
Sorge zu tragen sein, um den hilfsbedürftigen Beamtenwitwen und Beamten¬
töchtern ein bescheidnes aber doch anständiges Unterkommen zu gewähren.
Auch dazu muß der Staat Preußen das Geld haben. Aber es wird auch,
wenn man nnr will, ein leichtes sein, Privatmittel diesem Zweck reichlich zu¬
fließen zu machen. Es werden viele Millionen jährlich zu Zwecke» der kom¬
munalen Armenpflege gestiftet, für den hier besprochnen Zweck geschieht fast
nichts. Wenn es dem Kaiser ohne weiteres gelingt, die reichen Geschäftsleute
Berlins dazu zu bringen, in wenig Tagen Hunderttausende für die Notleidenden
in Indien zu spenden, wozu er ja wohl seine Gründe haben wird, so wird es
der Regierung sicher nicht schwer sein, erfolgreich zu Stiftungen anzuregen,
wie das Berliner Notherstift, dessen Begründer freilich schon fast vor hundert
Jahren preußischer Minister war. Millionäre sind jetzt unter den verheirateten
Beamten und Offizieren keine Seltenheit mehr. Sie müßten es vor allen andern
für ein mobile oküoiuin halten, reichlich beizusteuern für solche Zwecke.

Schließlich wird man dann mit der Zeit mich vor größern staatlichen
Neuorganisationen nicht zurückschrecken müssen, durch die es dem vermögens¬
losen Beamten oder Offizier wieder ermöglicht wird, eine wirtschaftlich erzogne
junge Dame aus dem Beamten- oder Offizierstande als Hausfrau heimzuführen,
d. h. keine Geldheirat zu machen, ohne deshalb fürchten zu müssen, seine
Familie dereinst der Proletarisierung in ihrer schmerzlichsten Form verfallen zu
lassen. Vielleicht wird bei diesen größern, weniger dringlichen Maßnahmen
an eine Art von Versicherung gedacht werden können; bei den unmittelbaren
Schritten zur Abstellung der vorhandnen schweren Not der Beamtenwitwen
und Tochter kann natürlich von irgend welchem versicherungsartigen Vorgehn
gar nicht die Rede sein. Dazu sind keinerlei Projekte nötig.

Auch die sogenannte Arbeirerwitwen- und Waisenversicherung, über die
wir nur noch einige kurze Bemerkungen machen wollen, wird vielleicht nur
unter Vorbehalt wirklich den Namen einer Versicherung verdienen. Freilich


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[0374] Die Fürsorge für mittellose Hmterblielme von Beamten und Arbeitern Hier muß also zuerst und gründlich geholfen werden, und hier kann auch am leichtesten geholfen werden. Zunächst handelt es sich doch nur um die Verstärkung der Dispositivuöfonds um vielleicht zwei- bis dreihunderttausend Mark. Damit ist der dringende, für den preußischen Staat geradezu be¬ schämende- Notstand aus der Welt zu schaffen. Die Ausftthruug muß dem Ermessen der Behörden völlig freigegeben werden; neue Gesetze und Rechts¬ normen sind unnötig, wären uur schädlich. Preußen ist in glänzender finan¬ zieller Lage, und es mare unerhört, wenn der Finanzminister nicht bereitwillig die Mittel hergeben wollte, die die Ministerien dazu verlangten. Aber sie müssen sie eben verlangen. Wie gesagt, die Notleidenden, mit die es sich hier handelt, „schreien" nicht, sie wissen kaum den Weg, ans dem sie um Hilfe bitten sollen. Sollten unsre Minister wirklich nur noch für die „Schreier" Ohren haben? Es ist klar, daß ein einziger kurzer Bortrag beim König ge¬ nügen würde, sofort Wandel zu schaffen. Dann würde vor allein für die Gründung vou Anstalten und Stiftungen Sorge zu tragen sein, um den hilfsbedürftigen Beamtenwitwen und Beamten¬ töchtern ein bescheidnes aber doch anständiges Unterkommen zu gewähren. Auch dazu muß der Staat Preußen das Geld haben. Aber es wird auch, wenn man nnr will, ein leichtes sein, Privatmittel diesem Zweck reichlich zu¬ fließen zu machen. Es werden viele Millionen jährlich zu Zwecke» der kom¬ munalen Armenpflege gestiftet, für den hier besprochnen Zweck geschieht fast nichts. Wenn es dem Kaiser ohne weiteres gelingt, die reichen Geschäftsleute Berlins dazu zu bringen, in wenig Tagen Hunderttausende für die Notleidenden in Indien zu spenden, wozu er ja wohl seine Gründe haben wird, so wird es der Regierung sicher nicht schwer sein, erfolgreich zu Stiftungen anzuregen, wie das Berliner Notherstift, dessen Begründer freilich schon fast vor hundert Jahren preußischer Minister war. Millionäre sind jetzt unter den verheirateten Beamten und Offizieren keine Seltenheit mehr. Sie müßten es vor allen andern für ein mobile oküoiuin halten, reichlich beizusteuern für solche Zwecke. Schließlich wird man dann mit der Zeit mich vor größern staatlichen Neuorganisationen nicht zurückschrecken müssen, durch die es dem vermögens¬ losen Beamten oder Offizier wieder ermöglicht wird, eine wirtschaftlich erzogne junge Dame aus dem Beamten- oder Offizierstande als Hausfrau heimzuführen, d. h. keine Geldheirat zu machen, ohne deshalb fürchten zu müssen, seine Familie dereinst der Proletarisierung in ihrer schmerzlichsten Form verfallen zu lassen. Vielleicht wird bei diesen größern, weniger dringlichen Maßnahmen an eine Art von Versicherung gedacht werden können; bei den unmittelbaren Schritten zur Abstellung der vorhandnen schweren Not der Beamtenwitwen und Tochter kann natürlich von irgend welchem versicherungsartigen Vorgehn gar nicht die Rede sein. Dazu sind keinerlei Projekte nötig. Auch die sogenannte Arbeirerwitwen- und Waisenversicherung, über die wir nur noch einige kurze Bemerkungen machen wollen, wird vielleicht nur unter Vorbehalt wirklich den Namen einer Versicherung verdienen. Freilich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/374>, abgerufen am 24.08.2024.