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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Lhamberlains Religions- und Rassenphilosophie

gegen einen Gott, der sich in der Geschichte des eignen Volks bezeugt hat,
wirklich etwas so verächtliches, daß man behaupten darf: So etwas verdient
nicht den Namen Religion? Wenn die Rasse eine Sache von so ungeheurer
Wichtigkeit ist, muß sich da Gott nicht ganz besonders in ihrer Erhaltung und
Leitung offenbaren, und sind der Glaube an diese Leitung und das Vertrauen
darauf etwas Verächtliches und niedriges? Hat nicht ein solcher Glaube, eine
solche Zuversicht den Hauptinhalt der Religion der Holländer ausgemacht in
ihrem Befreiungskampfe gegen die Spanier, sowie der Religion der Puritaner
in ihren Kriegen gegen die papistischen Stuarts, bei der Gründung der Ncu-
englcmdstaaten und in deren Kriege um die Unabhängigkeit, wie eben dieses
auch heute wiederum die Religion der um ihr Dasein kämpfenden Buren ist?
Haben nicht alle diese Vorkämpfer des Protestantismus viel mehr den jüdischen
Herrn der Heerscharen und die Sprüche des Judenkönigs David als die Sprüche
der Bergpredigt und das Kreuz im Munde geführt und ihrer Feder entfließen
lassen? Und fassen die Kirchengänger unter den preußischen Protestanten samt
ihren Pastoren die Sache nicht ganz ebenso auf, da deren Predigten voll sind
der militärischen Großthaten Preußens, der Verdienste seiner Könige und des
göttlichen Wohlgefallens, das die Hohenzollern zu immer größerer Macht und
Herrlichkeit führe? Innere Erfahrung, Einheit mit Gott, Gefühl der Erlösungs-
bedürftigkeit, eine Seele, die der Welt und der die Welt gekreuzigt ist, als
Religion eines ganzen Volks -- das haben wir ja vor Augen an dem Zu¬
stand der von Chamberlain so hoch gerühmten Inder! Möchte die Religion
ihrer gelehrten Brahmcinen und ihrer buddhistischen Mönche ganz so viel wert
sein wie Chamberlain schätzt -- unsre eigne geringere Schätzung haben wir
wiederholt begründet --, was hat sie dem indischen Volke genützt, das in
wüstem Aberglauben dahin lebt, das seit mehr als tausend Jahren die Beute
ausländischer Erobrer und Plündrer, seit dem Beginn der England erHerrschaft
auch noch die von periodischen Hungersnöten ist, und das sich weder durch
Teilnahme an der englischen Verwaltung, noch durch einen Unabhängigkeits-
knmpf zu helfen Mut, Verstand und Kraft hat? Mystik ist die höchste, feinste
und echteste Blüte der Religion, das sagen wir auch, und daß bei den arischen
Völkern die Anlage zur Mystik gefunden wird, lehrt die Geschichte -- ob nicht
Chamberlain zu weit geht, wenn er den Semiten diese Anlage ganz abspricht,
mögen die Orientalisten entscheiden --; aber wenn sich ein ganzes Volk auf
die Mystik verlegt, so ist es verloren. Als Volksreligion taugt gar keine
andre als eine solche, die sich wie die jüdische und die altrömische auf äußere
Erfahrungen stützt und auf den Beistand Gottes oder der Götter in allen
Nöten und Gefahren vertrauen lehrt; und wenn sie nach alttestamentlichen
Beispiel als ein gegenseitiges Treuverhältnis aufgefaßt wird, so entspricht das doch
gerade dem germanischen Nntionalcharakter; warum sollte der Satz Chanwerlains,
daß, wer einem selbstgewühlten Herrn treu bleibt, sich selbst treu und darum
frei bleibt, auf den keine Anwendung finden, der sich Gott, und ihn allein,
zum Herrn wählt?


Lhamberlains Religions- und Rassenphilosophie

gegen einen Gott, der sich in der Geschichte des eignen Volks bezeugt hat,
wirklich etwas so verächtliches, daß man behaupten darf: So etwas verdient
nicht den Namen Religion? Wenn die Rasse eine Sache von so ungeheurer
Wichtigkeit ist, muß sich da Gott nicht ganz besonders in ihrer Erhaltung und
Leitung offenbaren, und sind der Glaube an diese Leitung und das Vertrauen
darauf etwas Verächtliches und niedriges? Hat nicht ein solcher Glaube, eine
solche Zuversicht den Hauptinhalt der Religion der Holländer ausgemacht in
ihrem Befreiungskampfe gegen die Spanier, sowie der Religion der Puritaner
in ihren Kriegen gegen die papistischen Stuarts, bei der Gründung der Ncu-
englcmdstaaten und in deren Kriege um die Unabhängigkeit, wie eben dieses
auch heute wiederum die Religion der um ihr Dasein kämpfenden Buren ist?
Haben nicht alle diese Vorkämpfer des Protestantismus viel mehr den jüdischen
Herrn der Heerscharen und die Sprüche des Judenkönigs David als die Sprüche
der Bergpredigt und das Kreuz im Munde geführt und ihrer Feder entfließen
lassen? Und fassen die Kirchengänger unter den preußischen Protestanten samt
ihren Pastoren die Sache nicht ganz ebenso auf, da deren Predigten voll sind
der militärischen Großthaten Preußens, der Verdienste seiner Könige und des
göttlichen Wohlgefallens, das die Hohenzollern zu immer größerer Macht und
Herrlichkeit führe? Innere Erfahrung, Einheit mit Gott, Gefühl der Erlösungs-
bedürftigkeit, eine Seele, die der Welt und der die Welt gekreuzigt ist, als
Religion eines ganzen Volks — das haben wir ja vor Augen an dem Zu¬
stand der von Chamberlain so hoch gerühmten Inder! Möchte die Religion
ihrer gelehrten Brahmcinen und ihrer buddhistischen Mönche ganz so viel wert
sein wie Chamberlain schätzt — unsre eigne geringere Schätzung haben wir
wiederholt begründet —, was hat sie dem indischen Volke genützt, das in
wüstem Aberglauben dahin lebt, das seit mehr als tausend Jahren die Beute
ausländischer Erobrer und Plündrer, seit dem Beginn der England erHerrschaft
auch noch die von periodischen Hungersnöten ist, und das sich weder durch
Teilnahme an der englischen Verwaltung, noch durch einen Unabhängigkeits-
knmpf zu helfen Mut, Verstand und Kraft hat? Mystik ist die höchste, feinste
und echteste Blüte der Religion, das sagen wir auch, und daß bei den arischen
Völkern die Anlage zur Mystik gefunden wird, lehrt die Geschichte — ob nicht
Chamberlain zu weit geht, wenn er den Semiten diese Anlage ganz abspricht,
mögen die Orientalisten entscheiden —; aber wenn sich ein ganzes Volk auf
die Mystik verlegt, so ist es verloren. Als Volksreligion taugt gar keine
andre als eine solche, die sich wie die jüdische und die altrömische auf äußere
Erfahrungen stützt und auf den Beistand Gottes oder der Götter in allen
Nöten und Gefahren vertrauen lehrt; und wenn sie nach alttestamentlichen
Beispiel als ein gegenseitiges Treuverhältnis aufgefaßt wird, so entspricht das doch
gerade dem germanischen Nntionalcharakter; warum sollte der Satz Chanwerlains,
daß, wer einem selbstgewühlten Herrn treu bleibt, sich selbst treu und darum
frei bleibt, auf den keine Anwendung finden, der sich Gott, und ihn allein,
zum Herrn wählt?


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[0036] Lhamberlains Religions- und Rassenphilosophie gegen einen Gott, der sich in der Geschichte des eignen Volks bezeugt hat, wirklich etwas so verächtliches, daß man behaupten darf: So etwas verdient nicht den Namen Religion? Wenn die Rasse eine Sache von so ungeheurer Wichtigkeit ist, muß sich da Gott nicht ganz besonders in ihrer Erhaltung und Leitung offenbaren, und sind der Glaube an diese Leitung und das Vertrauen darauf etwas Verächtliches und niedriges? Hat nicht ein solcher Glaube, eine solche Zuversicht den Hauptinhalt der Religion der Holländer ausgemacht in ihrem Befreiungskampfe gegen die Spanier, sowie der Religion der Puritaner in ihren Kriegen gegen die papistischen Stuarts, bei der Gründung der Ncu- englcmdstaaten und in deren Kriege um die Unabhängigkeit, wie eben dieses auch heute wiederum die Religion der um ihr Dasein kämpfenden Buren ist? Haben nicht alle diese Vorkämpfer des Protestantismus viel mehr den jüdischen Herrn der Heerscharen und die Sprüche des Judenkönigs David als die Sprüche der Bergpredigt und das Kreuz im Munde geführt und ihrer Feder entfließen lassen? Und fassen die Kirchengänger unter den preußischen Protestanten samt ihren Pastoren die Sache nicht ganz ebenso auf, da deren Predigten voll sind der militärischen Großthaten Preußens, der Verdienste seiner Könige und des göttlichen Wohlgefallens, das die Hohenzollern zu immer größerer Macht und Herrlichkeit führe? Innere Erfahrung, Einheit mit Gott, Gefühl der Erlösungs- bedürftigkeit, eine Seele, die der Welt und der die Welt gekreuzigt ist, als Religion eines ganzen Volks — das haben wir ja vor Augen an dem Zu¬ stand der von Chamberlain so hoch gerühmten Inder! Möchte die Religion ihrer gelehrten Brahmcinen und ihrer buddhistischen Mönche ganz so viel wert sein wie Chamberlain schätzt — unsre eigne geringere Schätzung haben wir wiederholt begründet —, was hat sie dem indischen Volke genützt, das in wüstem Aberglauben dahin lebt, das seit mehr als tausend Jahren die Beute ausländischer Erobrer und Plündrer, seit dem Beginn der England erHerrschaft auch noch die von periodischen Hungersnöten ist, und das sich weder durch Teilnahme an der englischen Verwaltung, noch durch einen Unabhängigkeits- knmpf zu helfen Mut, Verstand und Kraft hat? Mystik ist die höchste, feinste und echteste Blüte der Religion, das sagen wir auch, und daß bei den arischen Völkern die Anlage zur Mystik gefunden wird, lehrt die Geschichte — ob nicht Chamberlain zu weit geht, wenn er den Semiten diese Anlage ganz abspricht, mögen die Orientalisten entscheiden —; aber wenn sich ein ganzes Volk auf die Mystik verlegt, so ist es verloren. Als Volksreligion taugt gar keine andre als eine solche, die sich wie die jüdische und die altrömische auf äußere Erfahrungen stützt und auf den Beistand Gottes oder der Götter in allen Nöten und Gefahren vertrauen lehrt; und wenn sie nach alttestamentlichen Beispiel als ein gegenseitiges Treuverhältnis aufgefaßt wird, so entspricht das doch gerade dem germanischen Nntionalcharakter; warum sollte der Satz Chanwerlains, daß, wer einem selbstgewühlten Herrn treu bleibt, sich selbst treu und darum frei bleibt, auf den keine Anwendung finden, der sich Gott, und ihn allein, zum Herrn wählt?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/36>, abgerufen am 01.07.2024.