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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Se. Petersburger Hof im Winter ^?9M300

brauche und sich damit zu begnügen habe, seinen Nachbarn Respekt einzu¬
flößen. Die Verträge, die er selbst unterzeichnet hat, und die Verbindlichkeiten,
die er auf sich genommen hat, stören ihn dabei so wenig, daß er sie für keines
Gedanken wert hält. Die einzigen Dinge, die für ihn in Betracht kommen,
sind die Aufrechterhaltung seines persönlichen Einflusses und die Vergrößerung
seines Vermögens.

Je länger es dauert, desto schwieriger wird es, neben einem Vulkan, wie
der Kaiser es ist, eine Stellung zu behaupten. Ich glaube darum, daß
Rostoptschin nur der Gelegenheit zu einem ehrenvollen Rückzüge harrt, um da¬
durch dem Sturm zu entgehn, der früher oder später ausbrechen müßte.*)

Im Gegensatz zu Rostoptschin ist Graf Parm ein systematischer Kopf und
dabei ein Mann von Ehr- und Zartgefühl, der hinter kühlen Formen einen
sehr liebenswürdigen Charakter verbirgt. Zu seinem Leidweisen sieht dieser
Staatsmann, daß Rußland im Begriff ist, sein Ansehen und seinen politischen
Kredit dadurch einzubüßen, daß es seine Verpflichtungen nicht einhält, seine
getreusten Verbündeten preisgiebt und inmitten von Ereignissen, die System
und Konsequenz erfordern, springend und stoßweise vorgeht. Graf Parm ist
ein Anhänger der Koalition und eines engen Verhältnisses zu Preußen. Da
er ein großer Arbeiter ist und tüchtige Kenntnisse hat, da seine Redlichkeit un¬
anfechtbar dasteht, und da er außerdem hohen persönlichen Ansehens genießt,
übt er einen sozusagen passiven Einfluß aus, der sich in den kleinen Ange¬
legenheiten seines Departements geltend macht. Mit dem Kaiser kommt er
nicht in Berührung, und alle Geschäfte gehn durch die Hände Rostoptschins.

Der neue, an die Stelle Bekleschows getretne Generalprokureur Obelja-
ninow'^) ist mir nicht bekannt. Er ist ein Emporkömmling, von dem man be¬
hauptet, daß er nicht ohne Verdienst sei. . . . Fürst Gagarin, der Schwieger¬
vater der kaiserlichen Geliebten, ist Handelsminister, hat Urteilsfähigkeit und
tüchtige Kenntnisse und hat einen neuen Zolltarif erlassen, der an die Stelle
des unzweckmäßigen und ohne jede Rücksicht auf die Interessen Rußlands er¬
lassenen alten Tarifs getreten ist. . . .

In den innern Angelegenheiten des Hoff ist der Oberhofmarschnll Narijschkin
nicht ohne Einfluß. Der Kaiser ist an ihn gewöhnt, und er kann ihn jeder¬
zeit sehen; als Mann von niedrigem Charakter ist er dabei von einer Schmieg¬
samkeit, die Anstöße bei dem Monarchen und dem Günstling ausschließt.
Neuerdings hat der Kaiser den Grafen Strogonow mehrfach ausgezeichnet,
einen Mann, der niemals mehr als Hofmann sein wird. Eines gewissen An¬
sehens erfreuen sich auch die Koschelew und die Kutusow -- zu denen noch
einige andre Familien kommen, die sich wegen der großen Zahl ihrer Mit¬
glieder und der Vielfältigkeit ihrer Beziehungen geltend machen.




') In, März 1801, wenige Tage vor Pauls gewaltsamen Ende, wurde Rostoptschin ge¬
stürzt und auf seine Güter verwiesen.
**) Obeljaninow galt in der Folge für den unwürdigsten der unter Paul beförderten hohen
Beamten,
Der Se. Petersburger Hof im Winter ^?9M300

brauche und sich damit zu begnügen habe, seinen Nachbarn Respekt einzu¬
flößen. Die Verträge, die er selbst unterzeichnet hat, und die Verbindlichkeiten,
die er auf sich genommen hat, stören ihn dabei so wenig, daß er sie für keines
Gedanken wert hält. Die einzigen Dinge, die für ihn in Betracht kommen,
sind die Aufrechterhaltung seines persönlichen Einflusses und die Vergrößerung
seines Vermögens.

Je länger es dauert, desto schwieriger wird es, neben einem Vulkan, wie
der Kaiser es ist, eine Stellung zu behaupten. Ich glaube darum, daß
Rostoptschin nur der Gelegenheit zu einem ehrenvollen Rückzüge harrt, um da¬
durch dem Sturm zu entgehn, der früher oder später ausbrechen müßte.*)

Im Gegensatz zu Rostoptschin ist Graf Parm ein systematischer Kopf und
dabei ein Mann von Ehr- und Zartgefühl, der hinter kühlen Formen einen
sehr liebenswürdigen Charakter verbirgt. Zu seinem Leidweisen sieht dieser
Staatsmann, daß Rußland im Begriff ist, sein Ansehen und seinen politischen
Kredit dadurch einzubüßen, daß es seine Verpflichtungen nicht einhält, seine
getreusten Verbündeten preisgiebt und inmitten von Ereignissen, die System
und Konsequenz erfordern, springend und stoßweise vorgeht. Graf Parm ist
ein Anhänger der Koalition und eines engen Verhältnisses zu Preußen. Da
er ein großer Arbeiter ist und tüchtige Kenntnisse hat, da seine Redlichkeit un¬
anfechtbar dasteht, und da er außerdem hohen persönlichen Ansehens genießt,
übt er einen sozusagen passiven Einfluß aus, der sich in den kleinen Ange¬
legenheiten seines Departements geltend macht. Mit dem Kaiser kommt er
nicht in Berührung, und alle Geschäfte gehn durch die Hände Rostoptschins.

Der neue, an die Stelle Bekleschows getretne Generalprokureur Obelja-
ninow'^) ist mir nicht bekannt. Er ist ein Emporkömmling, von dem man be¬
hauptet, daß er nicht ohne Verdienst sei. . . . Fürst Gagarin, der Schwieger¬
vater der kaiserlichen Geliebten, ist Handelsminister, hat Urteilsfähigkeit und
tüchtige Kenntnisse und hat einen neuen Zolltarif erlassen, der an die Stelle
des unzweckmäßigen und ohne jede Rücksicht auf die Interessen Rußlands er¬
lassenen alten Tarifs getreten ist. . . .

In den innern Angelegenheiten des Hoff ist der Oberhofmarschnll Narijschkin
nicht ohne Einfluß. Der Kaiser ist an ihn gewöhnt, und er kann ihn jeder¬
zeit sehen; als Mann von niedrigem Charakter ist er dabei von einer Schmieg¬
samkeit, die Anstöße bei dem Monarchen und dem Günstling ausschließt.
Neuerdings hat der Kaiser den Grafen Strogonow mehrfach ausgezeichnet,
einen Mann, der niemals mehr als Hofmann sein wird. Eines gewissen An¬
sehens erfreuen sich auch die Koschelew und die Kutusow — zu denen noch
einige andre Familien kommen, die sich wegen der großen Zahl ihrer Mit¬
glieder und der Vielfältigkeit ihrer Beziehungen geltend machen.




') In, März 1801, wenige Tage vor Pauls gewaltsamen Ende, wurde Rostoptschin ge¬
stürzt und auf seine Güter verwiesen.
**) Obeljaninow galt in der Folge für den unwürdigsten der unter Paul beförderten hohen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/332>, abgerufen am 22.07.2024.