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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Se. Petersburger Hof im Winter ^799/^300

Von den hiesigen Vertretern der Höfe des Auslands übt keiner einen in
Betracht kommenden Einfluß. Mit hierorts geführten Verhandlungen hat der
neapolitanische Gesandte, Herzog von Serra Capriola, das meiste Glück gehabt.
Er ist ein gewandter und gefälliger Herr, der das Terrain kennt und durch
seiue Heirat mit einer Fürstin Wjäsemski in Verbindungen getreten ist, die er
auszunutzen weiß. Dabei macht er ein angenehmes Haus -- beiläufig bemerkt
das einzige, das gegenwärtig ein Sammelplatz für die Fremden ist. -- Den
großen Kredit, den Whitworth -- der Nachfolger Fitzherberts und Lord Males-
burys -- bei dem Kaiser hatte, hat er seit der Expedition nach Holland und
durch den allgemeinen Gang der politischen Angelegenheiten wieder eingebüßt.
Hat man ihm Vertrauen einzuflößen vermocht, so ist er der liebenswürdigste
und entgegenkommendste Mann, mit dem man zu thun haben kann. Nachdem
er in eine Ungnade gefallen war, die nahezu mit der Cobenzls verglichen
werden kann, hat er Rußland verlassen, und zwar ohne daß er und Kapitän
Pophnm sich verabschiedet hätten. Seitdem hat England keinerlei diplomatische
Vertretung in Se. Petersburg. -- Der schwedische Gesandte Baron Stedingk
ist ein liebenswürdiger Mann, der trotz seiner schwierigen finanziellen Lage vor¬
trefflich Haus zu halten weiß und sich des besten Rufs aber schlechterdings
keines Einflusses erfreut. -- Der dünische Gesandte Baron Blome hat es
neuerdings verstanden, sich mit dem Kaiser ziemlich gut zu stellen; aus Ekel
an dem, was in Se. Petersburg vor sich geht, hat er aber seine Abberufung
beantragt, die nächstens erfolgen soll. Sein Neffe Otto von Blome wird ihn
als Geschäftsträger vertreten, der Gesandte selbst aber die diplomatische Lauf¬
bahn verlassen. Er ist ein vorsichtiger Herr, von wahrhaft liebenswürdigem
und gutem Charakter und als vieljähriger Gesandter in Paris von der dieser
Stadt eigentümlichen Urbanität. Sein Nachfolger wird der Gesandte in Berlin,
Baron Rosenkranz sein, der die Stellung in Se. Petersburg aber nur für
einige Zeit und auf besonders vorteilhafte Bedingungen angenommen hat,
übrigens liebenswürdig, thätig und im Besitz aller für seine Stellung erforder¬
lichen Eigenschaften sein soll.

Über den Grafen Cobenzl brauche ich nichts weiter zu sagen, und ebenso
wenig über den portugiesischen Minister Ritter Herta, mit dem der Kaiser seit
seiner Thronbesteigung noch nicht gesprochen hat. Im allgemeinen ist das diplo¬
matische Korps gut zusammengesetzt; auf die Dauer wird seinen Mitgliedern der
Aufenthalt in Se. Petersburg aber unerträglich gemacht und vielleicht gar eine
gemeinsame Entschließung aufgedrängt werden, um dadurch dem gegenwärtigen
Zustande eine Änderung oder das Ende zu bereiten. Die Art, wie die Mit¬
glieder des diplomatischen Korps behandelt werden, und die bestündige Ver¬
letzung der ersten Grundsätze des Völkerrechts gehn so weit, daß man seinen
Kurieren Pässe verweigert, den Diplomaten den Verkehr mit mißliebigen
Kollegen untersagt, oder daß man sie wie Verschwörer über die Grenze be¬
fördert. Dazu kommen die geringe Berücksichtigung, die man diesem Korps
bei Hofe zu teil werden küßt, wo man es den ganzen Winter über empfangen


Der Se. Petersburger Hof im Winter ^799/^300

Von den hiesigen Vertretern der Höfe des Auslands übt keiner einen in
Betracht kommenden Einfluß. Mit hierorts geführten Verhandlungen hat der
neapolitanische Gesandte, Herzog von Serra Capriola, das meiste Glück gehabt.
Er ist ein gewandter und gefälliger Herr, der das Terrain kennt und durch
seiue Heirat mit einer Fürstin Wjäsemski in Verbindungen getreten ist, die er
auszunutzen weiß. Dabei macht er ein angenehmes Haus — beiläufig bemerkt
das einzige, das gegenwärtig ein Sammelplatz für die Fremden ist. — Den
großen Kredit, den Whitworth — der Nachfolger Fitzherberts und Lord Males-
burys — bei dem Kaiser hatte, hat er seit der Expedition nach Holland und
durch den allgemeinen Gang der politischen Angelegenheiten wieder eingebüßt.
Hat man ihm Vertrauen einzuflößen vermocht, so ist er der liebenswürdigste
und entgegenkommendste Mann, mit dem man zu thun haben kann. Nachdem
er in eine Ungnade gefallen war, die nahezu mit der Cobenzls verglichen
werden kann, hat er Rußland verlassen, und zwar ohne daß er und Kapitän
Pophnm sich verabschiedet hätten. Seitdem hat England keinerlei diplomatische
Vertretung in Se. Petersburg. — Der schwedische Gesandte Baron Stedingk
ist ein liebenswürdiger Mann, der trotz seiner schwierigen finanziellen Lage vor¬
trefflich Haus zu halten weiß und sich des besten Rufs aber schlechterdings
keines Einflusses erfreut. — Der dünische Gesandte Baron Blome hat es
neuerdings verstanden, sich mit dem Kaiser ziemlich gut zu stellen; aus Ekel
an dem, was in Se. Petersburg vor sich geht, hat er aber seine Abberufung
beantragt, die nächstens erfolgen soll. Sein Neffe Otto von Blome wird ihn
als Geschäftsträger vertreten, der Gesandte selbst aber die diplomatische Lauf¬
bahn verlassen. Er ist ein vorsichtiger Herr, von wahrhaft liebenswürdigem
und gutem Charakter und als vieljähriger Gesandter in Paris von der dieser
Stadt eigentümlichen Urbanität. Sein Nachfolger wird der Gesandte in Berlin,
Baron Rosenkranz sein, der die Stellung in Se. Petersburg aber nur für
einige Zeit und auf besonders vorteilhafte Bedingungen angenommen hat,
übrigens liebenswürdig, thätig und im Besitz aller für seine Stellung erforder¬
lichen Eigenschaften sein soll.

Über den Grafen Cobenzl brauche ich nichts weiter zu sagen, und ebenso
wenig über den portugiesischen Minister Ritter Herta, mit dem der Kaiser seit
seiner Thronbesteigung noch nicht gesprochen hat. Im allgemeinen ist das diplo¬
matische Korps gut zusammengesetzt; auf die Dauer wird seinen Mitgliedern der
Aufenthalt in Se. Petersburg aber unerträglich gemacht und vielleicht gar eine
gemeinsame Entschließung aufgedrängt werden, um dadurch dem gegenwärtigen
Zustande eine Änderung oder das Ende zu bereiten. Die Art, wie die Mit¬
glieder des diplomatischen Korps behandelt werden, und die bestündige Ver¬
letzung der ersten Grundsätze des Völkerrechts gehn so weit, daß man seinen
Kurieren Pässe verweigert, den Diplomaten den Verkehr mit mißliebigen
Kollegen untersagt, oder daß man sie wie Verschwörer über die Grenze be¬
fördert. Dazu kommen die geringe Berücksichtigung, die man diesem Korps
bei Hofe zu teil werden küßt, wo man es den ganzen Winter über empfangen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/333>, abgerufen am 22.07.2024.