Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Se. Petersburger Hof im Winter ^799/^800

Vorkommt, die kein Arg haben. Man möchte glauben, er sei früher sehr glück¬
lich gewesen. Wußte er doch, daß seine Kinder, und namentlich seine Töchter,
eine Erziehung erhielten, deren Sorgfältigkeit der Kaiserin alle Ehre machte.
Heute besteht diese Intimität nicht mehr, und zu deu Gründen, aus denen die
Großfürstin Konstantin sich nach Znrst'oje Scio hat begeben müssen, gehörte
n. a. der, daß man sie von ihrer Schwägerin, der Großfürstin Elisabeth,
trennen wollte. So oft immer der Kaiser sich öffentlich zeigt, hat er in seinem
Auftreten und seinen Manieren etwas eigentümlich Aufgeblasenes. Seiner
Meinung nach darf sich ein Kaiser niemals und in nichts wie ein andrer
Mensch betragen. Wo er öffentlich redet, zeigt er in seiner Unterhaltung eine
gewisse Würde (avxröy; er ist dann sehr höflich gegen Personell, die er zum
erstenmale sieht, und zuweilen von einer gewagt erscheinenden Vertraulichkeit.
Fremden, die nicht den geringsten Anspruch auf politische Unterhaltungen mit
ihm hatten, hat er mitunter die wichtigsten Erschließungen mitgeteilt und da¬
durch peinliche Unannehmlichkeiten angerichtet.

Bei Hofe wird eine sehr strenge Etikette beobachtet: es geht -- wie der
Kaiser das durchaus will -- majestätisch zu. Auf Bällen und Gesellschaften
mich man sorgfältig auf der Hut sein lind vor allem darauf acht geben, ihm
nicht den Rücken zu zeigen. Zwei Kammerherren des Herzogs von Württem¬
berg hat er fortgejagt, weil Prinz Ferdinand, der ihn nicht hatte eintreten
sehen und eben eine Dame zum Tanz aufforderte, ihm (dem Kaiser) den Rücken
zugewandt hatte.

Wo dergleichen Gewaltthätigkeiten, Wunderlichkeiten und mißbräuchliche
Anwendungen einer unbeschränkten Gewalt vorkommen, liegt der Gedanke an
eine Revolution in unvermeidlicher Nähe. Zu einer solchen wäre es denn auch
längst gekommen, wenn der Großfürst Alexander einen minder sanftmütigen
und gefügigen Charakter hätte. Dieser allgemein beliebte Prinz brauchte nur
ein Wort zu feigen, nnr eine Bewegung zu machen, und sein Vater wäre ver¬
loren. In seiner gesamten Umgebung ist übrigens kein einziger Mann von
geistiger Bedeutung. Sein Obcrhofmeister, Graf Tolstoi, ist ein Dummkopf,
unter den Personen aber, die ihr Glück an die Person des Kaisers geheftet
und sich als Feinde des Großfürsten gezeigt haben, sind Männer, die so mu-
ni'hängig auftreten wie Kutaissow und Rostoptschin. In einer Angelegenheit,
die seinen Freund, den Grafen Golowin, betraf, hat Rostoptschin den Großfürsten
geradezu beleidigt.

Über den letztgenannten Minister brauche ich mich nicht weiter auszulassen,
da Herr von Sulzer ihn in seiner Denkschrift über Rußland genau und zu¬
treffend charakterisiert hat. Hinzuzufügen habe ich nur, daß Graf Rostoptschin
zusamt seinen Freunden Golowin und Gurjcw entschiedne Gegner der Konlitton
"ut eines Zusammenwirkens mit Österreich ist. Politische Kenntnisse hat er
'"ehe, er behandelt die Geschäfte aber mit einer gewissen boshaften Laune und
mit einer Entschiedenheit, die dem Kaiser gefallen. Er geht davon aus, daß
Rußland sich um die europäischen Händel schlechterdings nicht zu kümmern


Der Se. Petersburger Hof im Winter ^799/^800

Vorkommt, die kein Arg haben. Man möchte glauben, er sei früher sehr glück¬
lich gewesen. Wußte er doch, daß seine Kinder, und namentlich seine Töchter,
eine Erziehung erhielten, deren Sorgfältigkeit der Kaiserin alle Ehre machte.
Heute besteht diese Intimität nicht mehr, und zu deu Gründen, aus denen die
Großfürstin Konstantin sich nach Znrst'oje Scio hat begeben müssen, gehörte
n. a. der, daß man sie von ihrer Schwägerin, der Großfürstin Elisabeth,
trennen wollte. So oft immer der Kaiser sich öffentlich zeigt, hat er in seinem
Auftreten und seinen Manieren etwas eigentümlich Aufgeblasenes. Seiner
Meinung nach darf sich ein Kaiser niemals und in nichts wie ein andrer
Mensch betragen. Wo er öffentlich redet, zeigt er in seiner Unterhaltung eine
gewisse Würde (avxröy; er ist dann sehr höflich gegen Personell, die er zum
erstenmale sieht, und zuweilen von einer gewagt erscheinenden Vertraulichkeit.
Fremden, die nicht den geringsten Anspruch auf politische Unterhaltungen mit
ihm hatten, hat er mitunter die wichtigsten Erschließungen mitgeteilt und da¬
durch peinliche Unannehmlichkeiten angerichtet.

Bei Hofe wird eine sehr strenge Etikette beobachtet: es geht — wie der
Kaiser das durchaus will — majestätisch zu. Auf Bällen und Gesellschaften
mich man sorgfältig auf der Hut sein lind vor allem darauf acht geben, ihm
nicht den Rücken zu zeigen. Zwei Kammerherren des Herzogs von Württem¬
berg hat er fortgejagt, weil Prinz Ferdinand, der ihn nicht hatte eintreten
sehen und eben eine Dame zum Tanz aufforderte, ihm (dem Kaiser) den Rücken
zugewandt hatte.

Wo dergleichen Gewaltthätigkeiten, Wunderlichkeiten und mißbräuchliche
Anwendungen einer unbeschränkten Gewalt vorkommen, liegt der Gedanke an
eine Revolution in unvermeidlicher Nähe. Zu einer solchen wäre es denn auch
längst gekommen, wenn der Großfürst Alexander einen minder sanftmütigen
und gefügigen Charakter hätte. Dieser allgemein beliebte Prinz brauchte nur
ein Wort zu feigen, nnr eine Bewegung zu machen, und sein Vater wäre ver¬
loren. In seiner gesamten Umgebung ist übrigens kein einziger Mann von
geistiger Bedeutung. Sein Obcrhofmeister, Graf Tolstoi, ist ein Dummkopf,
unter den Personen aber, die ihr Glück an die Person des Kaisers geheftet
und sich als Feinde des Großfürsten gezeigt haben, sind Männer, die so mu-
ni'hängig auftreten wie Kutaissow und Rostoptschin. In einer Angelegenheit,
die seinen Freund, den Grafen Golowin, betraf, hat Rostoptschin den Großfürsten
geradezu beleidigt.

Über den letztgenannten Minister brauche ich mich nicht weiter auszulassen,
da Herr von Sulzer ihn in seiner Denkschrift über Rußland genau und zu¬
treffend charakterisiert hat. Hinzuzufügen habe ich nur, daß Graf Rostoptschin
zusamt seinen Freunden Golowin und Gurjcw entschiedne Gegner der Konlitton
»ut eines Zusammenwirkens mit Österreich ist. Politische Kenntnisse hat er
'"ehe, er behandelt die Geschäfte aber mit einer gewissen boshaften Laune und
mit einer Entschiedenheit, die dem Kaiser gefallen. Er geht davon aus, daß
Rußland sich um die europäischen Händel schlechterdings nicht zu kümmern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290742"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Se. Petersburger Hof im Winter ^799/^800</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1224" prev="#ID_1223"> Vorkommt, die kein Arg haben. Man möchte glauben, er sei früher sehr glück¬<lb/>
lich gewesen. Wußte er doch, daß seine Kinder, und namentlich seine Töchter,<lb/>
eine Erziehung erhielten, deren Sorgfältigkeit der Kaiserin alle Ehre machte.<lb/>
Heute besteht diese Intimität nicht mehr, und zu deu Gründen, aus denen die<lb/>
Großfürstin Konstantin sich nach Znrst'oje Scio hat begeben müssen, gehörte<lb/>
n. a. der, daß man sie von ihrer Schwägerin, der Großfürstin Elisabeth,<lb/>
trennen wollte. So oft immer der Kaiser sich öffentlich zeigt, hat er in seinem<lb/>
Auftreten und seinen Manieren etwas eigentümlich Aufgeblasenes. Seiner<lb/>
Meinung nach darf sich ein Kaiser niemals und in nichts wie ein andrer<lb/>
Mensch betragen. Wo er öffentlich redet, zeigt er in seiner Unterhaltung eine<lb/>
gewisse Würde (avxröy; er ist dann sehr höflich gegen Personell, die er zum<lb/>
erstenmale sieht, und zuweilen von einer gewagt erscheinenden Vertraulichkeit.<lb/>
Fremden, die nicht den geringsten Anspruch auf politische Unterhaltungen mit<lb/>
ihm hatten, hat er mitunter die wichtigsten Erschließungen mitgeteilt und da¬<lb/>
durch peinliche Unannehmlichkeiten angerichtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1225"> Bei Hofe wird eine sehr strenge Etikette beobachtet: es geht &#x2014; wie der<lb/>
Kaiser das durchaus will &#x2014; majestätisch zu. Auf Bällen und Gesellschaften<lb/>
mich man sorgfältig auf der Hut sein lind vor allem darauf acht geben, ihm<lb/>
nicht den Rücken zu zeigen. Zwei Kammerherren des Herzogs von Württem¬<lb/>
berg hat er fortgejagt, weil Prinz Ferdinand, der ihn nicht hatte eintreten<lb/>
sehen und eben eine Dame zum Tanz aufforderte, ihm (dem Kaiser) den Rücken<lb/>
zugewandt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1226"> Wo dergleichen Gewaltthätigkeiten, Wunderlichkeiten und mißbräuchliche<lb/>
Anwendungen einer unbeschränkten Gewalt vorkommen, liegt der Gedanke an<lb/>
eine Revolution in unvermeidlicher Nähe. Zu einer solchen wäre es denn auch<lb/>
längst gekommen, wenn der Großfürst Alexander einen minder sanftmütigen<lb/>
und gefügigen Charakter hätte. Dieser allgemein beliebte Prinz brauchte nur<lb/>
ein Wort zu feigen, nnr eine Bewegung zu machen, und sein Vater wäre ver¬<lb/>
loren. In seiner gesamten Umgebung ist übrigens kein einziger Mann von<lb/>
geistiger Bedeutung. Sein Obcrhofmeister, Graf Tolstoi, ist ein Dummkopf,<lb/>
unter den Personen aber, die ihr Glück an die Person des Kaisers geheftet<lb/>
und sich als Feinde des Großfürsten gezeigt haben, sind Männer, die so mu-<lb/>
ni'hängig auftreten wie Kutaissow und Rostoptschin. In einer Angelegenheit,<lb/>
die seinen Freund, den Grafen Golowin, betraf, hat Rostoptschin den Großfürsten<lb/>
geradezu beleidigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1227" next="#ID_1228"> Über den letztgenannten Minister brauche ich mich nicht weiter auszulassen,<lb/>
da Herr von Sulzer ihn in seiner Denkschrift über Rußland genau und zu¬<lb/>
treffend charakterisiert hat. Hinzuzufügen habe ich nur, daß Graf Rostoptschin<lb/>
zusamt seinen Freunden Golowin und Gurjcw entschiedne Gegner der Konlitton<lb/>
»ut eines Zusammenwirkens mit Österreich ist. Politische Kenntnisse hat er<lb/>
'"ehe, er behandelt die Geschäfte aber mit einer gewissen boshaften Laune und<lb/>
mit einer Entschiedenheit, die dem Kaiser gefallen. Er geht davon aus, daß<lb/>
Rußland sich um die europäischen Händel schlechterdings nicht zu kümmern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] Der Se. Petersburger Hof im Winter ^799/^800 Vorkommt, die kein Arg haben. Man möchte glauben, er sei früher sehr glück¬ lich gewesen. Wußte er doch, daß seine Kinder, und namentlich seine Töchter, eine Erziehung erhielten, deren Sorgfältigkeit der Kaiserin alle Ehre machte. Heute besteht diese Intimität nicht mehr, und zu deu Gründen, aus denen die Großfürstin Konstantin sich nach Znrst'oje Scio hat begeben müssen, gehörte n. a. der, daß man sie von ihrer Schwägerin, der Großfürstin Elisabeth, trennen wollte. So oft immer der Kaiser sich öffentlich zeigt, hat er in seinem Auftreten und seinen Manieren etwas eigentümlich Aufgeblasenes. Seiner Meinung nach darf sich ein Kaiser niemals und in nichts wie ein andrer Mensch betragen. Wo er öffentlich redet, zeigt er in seiner Unterhaltung eine gewisse Würde (avxröy; er ist dann sehr höflich gegen Personell, die er zum erstenmale sieht, und zuweilen von einer gewagt erscheinenden Vertraulichkeit. Fremden, die nicht den geringsten Anspruch auf politische Unterhaltungen mit ihm hatten, hat er mitunter die wichtigsten Erschließungen mitgeteilt und da¬ durch peinliche Unannehmlichkeiten angerichtet. Bei Hofe wird eine sehr strenge Etikette beobachtet: es geht — wie der Kaiser das durchaus will — majestätisch zu. Auf Bällen und Gesellschaften mich man sorgfältig auf der Hut sein lind vor allem darauf acht geben, ihm nicht den Rücken zu zeigen. Zwei Kammerherren des Herzogs von Württem¬ berg hat er fortgejagt, weil Prinz Ferdinand, der ihn nicht hatte eintreten sehen und eben eine Dame zum Tanz aufforderte, ihm (dem Kaiser) den Rücken zugewandt hatte. Wo dergleichen Gewaltthätigkeiten, Wunderlichkeiten und mißbräuchliche Anwendungen einer unbeschränkten Gewalt vorkommen, liegt der Gedanke an eine Revolution in unvermeidlicher Nähe. Zu einer solchen wäre es denn auch längst gekommen, wenn der Großfürst Alexander einen minder sanftmütigen und gefügigen Charakter hätte. Dieser allgemein beliebte Prinz brauchte nur ein Wort zu feigen, nnr eine Bewegung zu machen, und sein Vater wäre ver¬ loren. In seiner gesamten Umgebung ist übrigens kein einziger Mann von geistiger Bedeutung. Sein Obcrhofmeister, Graf Tolstoi, ist ein Dummkopf, unter den Personen aber, die ihr Glück an die Person des Kaisers geheftet und sich als Feinde des Großfürsten gezeigt haben, sind Männer, die so mu- ni'hängig auftreten wie Kutaissow und Rostoptschin. In einer Angelegenheit, die seinen Freund, den Grafen Golowin, betraf, hat Rostoptschin den Großfürsten geradezu beleidigt. Über den letztgenannten Minister brauche ich mich nicht weiter auszulassen, da Herr von Sulzer ihn in seiner Denkschrift über Rußland genau und zu¬ treffend charakterisiert hat. Hinzuzufügen habe ich nur, daß Graf Rostoptschin zusamt seinen Freunden Golowin und Gurjcw entschiedne Gegner der Konlitton »ut eines Zusammenwirkens mit Österreich ist. Politische Kenntnisse hat er '"ehe, er behandelt die Geschäfte aber mit einer gewissen boshaften Laune und mit einer Entschiedenheit, die dem Kaiser gefallen. Er geht davon aus, daß Rußland sich um die europäischen Händel schlechterdings nicht zu kümmern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/331>, abgerufen am 03.07.2024.