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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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zur Parade und zur Erledigung der militärischen Angelegenheiten. Dann
folgen ein Spaziergang (gewöhnlich in Begleitung Kutnissows) und ein Besuch
bei der Maitresse. Unmittelbar nach der Tafel folgen ein abermaliger Spazier¬
gang und ein zweiter Besuch bei der Maitresse, um sechs Uhr ein Besuch bei
der Kaiserin, um sieben Uhr begiebt sich der Kaiser ins Theater, und um
zehn Uhr zieht er sich zurück. Unaufhörlich ist er mit den Einzelheiten des
Militärdienstes beschäftigt, und alltäglich sind die Zeitungen Se. Petersburgs
mit langen Listen abgesetzter und angestellter Offiziere angefüllt. In der ge¬
samten Armee sollen sechzehntausend derartige Veränderungen vorgenommen
worden sein. Die beständige Erregung, in der er aus den angegebnen Gründen
ist, hat ihn dazu gebracht, überall Verdächtige zu wittern, die unschuldigsten und
natürlichsten gesellschaftlichen Vereinigungen für verdächtig anzusehen und die
Teilnehmer sehr hänfig durch die Entziehung seiner Gnade zu bestrafen. Als
er eines Tags eine ungewöhnlich große Anzahl Wagen vor einem englischen
Laden halten sah, erteilte er Herrn von Pcihlen den Befehl, diese "Ansamm¬
lungen," die für die Sicherheit des Staats gefährlich werden konnten, zu über¬
wachen. Die Folge davon ist, daß das früher so glänzende und bewegte Se. Pe¬
tersburg den Eindruck einer in Schrecken erstarrten Stadt macht. Alltäglich erfahrt
man, daß der eine abgesetzt, der andre festgenommen, ein dritter verbannt
worden ist, und zwar aus unbel'anne gebliebner Ursachen. Was irgend zu
Personen in Beziehung steht, die dein Kaiser mißfällig sind, wird aus dem
Wege geräumt. So ist es z. B. der Fürstin T gegangen, die zu dem Grafen
Cobenzl in Beziehung stand: wer sich dem Botschafter nähert, kann sicher sein,
in Ungnade zu fallen. Zur Schümng dieses Haders trügt der Großfürst Kon¬
stantin durch seine Angebereien und beständigen Trat'asserieu noch sehr stark bei.
Für die kaiserliche Familie ist dieser Böses redende und Böses denkende Prinz
eine wahrhafte Plage. Der Kaiser, der zeitweilig von ihm eingenommen war,
weiß gegenwärtig, was von ihm zu halten ist, und hat ihm alles Vertrauen
entzogen.

Nach der vorstehenden, nur allzu getreuen Schilderung wird man sich eine
Vorstellung davon machen können , wie peinlich die Existenz im Innern des
Palmis ist. Brüder und Schwestern wagen kaum einander aufzusuchen und zu
sprechen -- noch weniger aber wagt irgend jemand zu schreiben. Wird in ganz
Petersburg doch kein Brief mehr geschrieben, der nicht gelesen und -- nur
allzu häufig -- falsch ausgelegt würde! Selbst die Prinzessinnen sind In¬
quisitionen solcher Art ausgesetzt. Den Brief, den die Frau Erbprinzessin von
Baden mir für ihre Tochter, die Großfürstin Elisabeth (die Gemahlin des
Großfürsten, spätern Kaisers Alexander I.), übergeben hatte, habe ich nur
mit äußerster Vorsicht an seine Adressatin gelangen lassen können, und niemals
hat sie dieses Schreibens Erwähnung zu thun gewagt.

Merkwürdigerweise und trotz aller angeführten Thatsachen hat der Kaiser
eine Art von guter Laune. Er wirft zuweilen mit Witzworten um sich und
überläßt sich unter Umständen einer Heiterkeit, wie sie sonst nur bei Leuten


zur Parade und zur Erledigung der militärischen Angelegenheiten. Dann
folgen ein Spaziergang (gewöhnlich in Begleitung Kutnissows) und ein Besuch
bei der Maitresse. Unmittelbar nach der Tafel folgen ein abermaliger Spazier¬
gang und ein zweiter Besuch bei der Maitresse, um sechs Uhr ein Besuch bei
der Kaiserin, um sieben Uhr begiebt sich der Kaiser ins Theater, und um
zehn Uhr zieht er sich zurück. Unaufhörlich ist er mit den Einzelheiten des
Militärdienstes beschäftigt, und alltäglich sind die Zeitungen Se. Petersburgs
mit langen Listen abgesetzter und angestellter Offiziere angefüllt. In der ge¬
samten Armee sollen sechzehntausend derartige Veränderungen vorgenommen
worden sein. Die beständige Erregung, in der er aus den angegebnen Gründen
ist, hat ihn dazu gebracht, überall Verdächtige zu wittern, die unschuldigsten und
natürlichsten gesellschaftlichen Vereinigungen für verdächtig anzusehen und die
Teilnehmer sehr hänfig durch die Entziehung seiner Gnade zu bestrafen. Als
er eines Tags eine ungewöhnlich große Anzahl Wagen vor einem englischen
Laden halten sah, erteilte er Herrn von Pcihlen den Befehl, diese „Ansamm¬
lungen," die für die Sicherheit des Staats gefährlich werden konnten, zu über¬
wachen. Die Folge davon ist, daß das früher so glänzende und bewegte Se. Pe¬
tersburg den Eindruck einer in Schrecken erstarrten Stadt macht. Alltäglich erfahrt
man, daß der eine abgesetzt, der andre festgenommen, ein dritter verbannt
worden ist, und zwar aus unbel'anne gebliebner Ursachen. Was irgend zu
Personen in Beziehung steht, die dein Kaiser mißfällig sind, wird aus dem
Wege geräumt. So ist es z. B. der Fürstin T gegangen, die zu dem Grafen
Cobenzl in Beziehung stand: wer sich dem Botschafter nähert, kann sicher sein,
in Ungnade zu fallen. Zur Schümng dieses Haders trügt der Großfürst Kon¬
stantin durch seine Angebereien und beständigen Trat'asserieu noch sehr stark bei.
Für die kaiserliche Familie ist dieser Böses redende und Böses denkende Prinz
eine wahrhafte Plage. Der Kaiser, der zeitweilig von ihm eingenommen war,
weiß gegenwärtig, was von ihm zu halten ist, und hat ihm alles Vertrauen
entzogen.

Nach der vorstehenden, nur allzu getreuen Schilderung wird man sich eine
Vorstellung davon machen können , wie peinlich die Existenz im Innern des
Palmis ist. Brüder und Schwestern wagen kaum einander aufzusuchen und zu
sprechen — noch weniger aber wagt irgend jemand zu schreiben. Wird in ganz
Petersburg doch kein Brief mehr geschrieben, der nicht gelesen und — nur
allzu häufig — falsch ausgelegt würde! Selbst die Prinzessinnen sind In¬
quisitionen solcher Art ausgesetzt. Den Brief, den die Frau Erbprinzessin von
Baden mir für ihre Tochter, die Großfürstin Elisabeth (die Gemahlin des
Großfürsten, spätern Kaisers Alexander I.), übergeben hatte, habe ich nur
mit äußerster Vorsicht an seine Adressatin gelangen lassen können, und niemals
hat sie dieses Schreibens Erwähnung zu thun gewagt.

Merkwürdigerweise und trotz aller angeführten Thatsachen hat der Kaiser
eine Art von guter Laune. Er wirft zuweilen mit Witzworten um sich und
überläßt sich unter Umständen einer Heiterkeit, wie sie sonst nur bei Leuten


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[0330] zur Parade und zur Erledigung der militärischen Angelegenheiten. Dann folgen ein Spaziergang (gewöhnlich in Begleitung Kutnissows) und ein Besuch bei der Maitresse. Unmittelbar nach der Tafel folgen ein abermaliger Spazier¬ gang und ein zweiter Besuch bei der Maitresse, um sechs Uhr ein Besuch bei der Kaiserin, um sieben Uhr begiebt sich der Kaiser ins Theater, und um zehn Uhr zieht er sich zurück. Unaufhörlich ist er mit den Einzelheiten des Militärdienstes beschäftigt, und alltäglich sind die Zeitungen Se. Petersburgs mit langen Listen abgesetzter und angestellter Offiziere angefüllt. In der ge¬ samten Armee sollen sechzehntausend derartige Veränderungen vorgenommen worden sein. Die beständige Erregung, in der er aus den angegebnen Gründen ist, hat ihn dazu gebracht, überall Verdächtige zu wittern, die unschuldigsten und natürlichsten gesellschaftlichen Vereinigungen für verdächtig anzusehen und die Teilnehmer sehr hänfig durch die Entziehung seiner Gnade zu bestrafen. Als er eines Tags eine ungewöhnlich große Anzahl Wagen vor einem englischen Laden halten sah, erteilte er Herrn von Pcihlen den Befehl, diese „Ansamm¬ lungen," die für die Sicherheit des Staats gefährlich werden konnten, zu über¬ wachen. Die Folge davon ist, daß das früher so glänzende und bewegte Se. Pe¬ tersburg den Eindruck einer in Schrecken erstarrten Stadt macht. Alltäglich erfahrt man, daß der eine abgesetzt, der andre festgenommen, ein dritter verbannt worden ist, und zwar aus unbel'anne gebliebner Ursachen. Was irgend zu Personen in Beziehung steht, die dein Kaiser mißfällig sind, wird aus dem Wege geräumt. So ist es z. B. der Fürstin T gegangen, die zu dem Grafen Cobenzl in Beziehung stand: wer sich dem Botschafter nähert, kann sicher sein, in Ungnade zu fallen. Zur Schümng dieses Haders trügt der Großfürst Kon¬ stantin durch seine Angebereien und beständigen Trat'asserieu noch sehr stark bei. Für die kaiserliche Familie ist dieser Böses redende und Böses denkende Prinz eine wahrhafte Plage. Der Kaiser, der zeitweilig von ihm eingenommen war, weiß gegenwärtig, was von ihm zu halten ist, und hat ihm alles Vertrauen entzogen. Nach der vorstehenden, nur allzu getreuen Schilderung wird man sich eine Vorstellung davon machen können , wie peinlich die Existenz im Innern des Palmis ist. Brüder und Schwestern wagen kaum einander aufzusuchen und zu sprechen — noch weniger aber wagt irgend jemand zu schreiben. Wird in ganz Petersburg doch kein Brief mehr geschrieben, der nicht gelesen und — nur allzu häufig — falsch ausgelegt würde! Selbst die Prinzessinnen sind In¬ quisitionen solcher Art ausgesetzt. Den Brief, den die Frau Erbprinzessin von Baden mir für ihre Tochter, die Großfürstin Elisabeth (die Gemahlin des Großfürsten, spätern Kaisers Alexander I.), übergeben hatte, habe ich nur mit äußerster Vorsicht an seine Adressatin gelangen lassen können, und niemals hat sie dieses Schreibens Erwähnung zu thun gewagt. Merkwürdigerweise und trotz aller angeführten Thatsachen hat der Kaiser eine Art von guter Laune. Er wirft zuweilen mit Witzworten um sich und überläßt sich unter Umständen einer Heiterkeit, wie sie sonst nur bei Leuten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/330>, abgerufen am 01.10.2024.