Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lhamberlains Religton5- und Rassenxhilosophie

Stück seiner Charakteristik entnimmt er einem maurischen Geschichtschreiber des
vierzehnten Jahrhunderts, Mohammed Ihr Khaldun, der u. a. auch urteilt:
"Schaut euch um, betrachtet alle Länder, die seit den ältesten Zeiten von den
Einwohnern Arabiens besiegt wurden! Die Zivilisation und die Bevölkerung
schwanden aus ihnen, ja der Boden selber schien sich bei ihrer Berührung zu
verwandeln und unfruchtbar zu werden/' Dieser Ihr Khaldun nun, heißt es
Seite 387, "der behauptet, der semit habe nicht die geringste Fähigkeit, etwas
dauerhaftes zu gründen, lobt als unvergleichlich die Einfachheit seiner Bedürf¬
nisse Mangel an Phantasie), den Instinkt, der ihn eng an die Seinen bindet,
von andern ihn scheidend (verkümmertes Gemüt), die Leichtigkeit, mit der er
sich von einem Propheten in das Delirium der Begeisterung hinreißen läßt,
in tiefster Demut dem göttlichen Gebote gehorchend (schlechte Urteilsfähigkeit
infolge der Unentwickeltheit der Vernunft). Ich habe MM Chamberlain forts
in diesem Satze zu jeder Behauptung Ihr Khalduns meinen Kommentar ge¬
macht, doch nur um zu zeigen, daß eine jede der genannten Eigenschaften
-- Bedürfnislosigkeit, Familiensinn, Gottesglaube -- in diesem Falle einen
Triumph des Willens bedeutet, nicht etwa, um den Wert der Genügsamkeit,
der Treue gegen die Seinen und des Gehorsams gegen Gott herabzusetzen.
Es kommt aber darauf an, zu unterscheiden, und um recht zu verstehn, was
ein echter semit ist, muß man einsehen lernen: daß die Bedürfnislosigkeit eines
Omar, für den nichts in der Welt Interesse bietet, nicht dieselbe ist, wie die
eines Immanuel Kant, der nur darum keine äußerlichen Gaben begehrt, weil
sein allumfassender Geist die ganze Welt besitzt; daß die Treue gegen das
eigne Blut etwas durchaus andres ist, als z. B. die Treue ^des Germanenj
gegen den selbstgewühlten Herrn; das eine ist lediglich eine instinktmäßige Er¬
weiterung des egoistischen Willenskreises, das andre ist eine freie Selbstbestim¬
mung des Individuums, eine Art gelebte Dichtung ^ausführlicher und sehr
schön wird an einer spätern Stelle gezeigt, daß die germanische Treue von der
Sklaven- und Hundetreue durchaus verschieden sei, da sie nur dem frei ge¬
wählten Herrn, Gatten und Genossen geleistet werde, daher eigentlich Treue
der Person gegen sich selbst und höchste Bethätigung der Freiheit sei^j. Vor
allen muß man oder vielmehr müßte man (denn ich darf nicht hoffen, es zu
erleben) zwischen einem rasenden Gottesglauben und wahrer Religion unter¬
scheiden lernen. Das hindert durchaus nicht die spezifisch semitische Größe an¬
zuerkennen usw."

Es ist wunderbar, daß ein scharfsinniger und weitschauender Mann, der
als geborner Engländer England doch sozusagen vor der Nase liegen hat
-- oder erklärt dieses vielleicht gerade das Wunder? --, die Juden so aus¬
führlich behandeln kann, ohne zu bemerken, daß es seine Landsleute sind, die
er charakterisiert. Daß die Engländer und die Yankees im Pharisäismus und
im Geschäftssinn reine Juden sind, darin stimmt alle Welt überein, und das
wird vieltausendmal allerorten gesagt; niemand wundert sich darüber, daß der
Jude in England und in Nordamerika keine Rolle spielt; die Einheimischen


Grenzboten II 1900 4
Lhamberlains Religton5- und Rassenxhilosophie

Stück seiner Charakteristik entnimmt er einem maurischen Geschichtschreiber des
vierzehnten Jahrhunderts, Mohammed Ihr Khaldun, der u. a. auch urteilt:
„Schaut euch um, betrachtet alle Länder, die seit den ältesten Zeiten von den
Einwohnern Arabiens besiegt wurden! Die Zivilisation und die Bevölkerung
schwanden aus ihnen, ja der Boden selber schien sich bei ihrer Berührung zu
verwandeln und unfruchtbar zu werden/' Dieser Ihr Khaldun nun, heißt es
Seite 387, „der behauptet, der semit habe nicht die geringste Fähigkeit, etwas
dauerhaftes zu gründen, lobt als unvergleichlich die Einfachheit seiner Bedürf¬
nisse Mangel an Phantasie), den Instinkt, der ihn eng an die Seinen bindet,
von andern ihn scheidend (verkümmertes Gemüt), die Leichtigkeit, mit der er
sich von einem Propheten in das Delirium der Begeisterung hinreißen läßt,
in tiefster Demut dem göttlichen Gebote gehorchend (schlechte Urteilsfähigkeit
infolge der Unentwickeltheit der Vernunft). Ich habe MM Chamberlain forts
in diesem Satze zu jeder Behauptung Ihr Khalduns meinen Kommentar ge¬
macht, doch nur um zu zeigen, daß eine jede der genannten Eigenschaften
— Bedürfnislosigkeit, Familiensinn, Gottesglaube — in diesem Falle einen
Triumph des Willens bedeutet, nicht etwa, um den Wert der Genügsamkeit,
der Treue gegen die Seinen und des Gehorsams gegen Gott herabzusetzen.
Es kommt aber darauf an, zu unterscheiden, und um recht zu verstehn, was
ein echter semit ist, muß man einsehen lernen: daß die Bedürfnislosigkeit eines
Omar, für den nichts in der Welt Interesse bietet, nicht dieselbe ist, wie die
eines Immanuel Kant, der nur darum keine äußerlichen Gaben begehrt, weil
sein allumfassender Geist die ganze Welt besitzt; daß die Treue gegen das
eigne Blut etwas durchaus andres ist, als z. B. die Treue ^des Germanenj
gegen den selbstgewühlten Herrn; das eine ist lediglich eine instinktmäßige Er¬
weiterung des egoistischen Willenskreises, das andre ist eine freie Selbstbestim¬
mung des Individuums, eine Art gelebte Dichtung ^ausführlicher und sehr
schön wird an einer spätern Stelle gezeigt, daß die germanische Treue von der
Sklaven- und Hundetreue durchaus verschieden sei, da sie nur dem frei ge¬
wählten Herrn, Gatten und Genossen geleistet werde, daher eigentlich Treue
der Person gegen sich selbst und höchste Bethätigung der Freiheit sei^j. Vor
allen muß man oder vielmehr müßte man (denn ich darf nicht hoffen, es zu
erleben) zwischen einem rasenden Gottesglauben und wahrer Religion unter¬
scheiden lernen. Das hindert durchaus nicht die spezifisch semitische Größe an¬
zuerkennen usw."

Es ist wunderbar, daß ein scharfsinniger und weitschauender Mann, der
als geborner Engländer England doch sozusagen vor der Nase liegen hat
— oder erklärt dieses vielleicht gerade das Wunder? —, die Juden so aus¬
führlich behandeln kann, ohne zu bemerken, daß es seine Landsleute sind, die
er charakterisiert. Daß die Engländer und die Yankees im Pharisäismus und
im Geschäftssinn reine Juden sind, darin stimmt alle Welt überein, und das
wird vieltausendmal allerorten gesagt; niemand wundert sich darüber, daß der
Jude in England und in Nordamerika keine Rolle spielt; die Einheimischen


Grenzboten II 1900 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290444"/>
          <fw type="header" place="top"> Lhamberlains Religton5- und Rassenxhilosophie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_71" prev="#ID_70"> Stück seiner Charakteristik entnimmt er einem maurischen Geschichtschreiber des<lb/>
vierzehnten Jahrhunderts, Mohammed Ihr Khaldun, der u. a. auch urteilt:<lb/>
&#x201E;Schaut euch um, betrachtet alle Länder, die seit den ältesten Zeiten von den<lb/>
Einwohnern Arabiens besiegt wurden! Die Zivilisation und die Bevölkerung<lb/>
schwanden aus ihnen, ja der Boden selber schien sich bei ihrer Berührung zu<lb/>
verwandeln und unfruchtbar zu werden/' Dieser Ihr Khaldun nun, heißt es<lb/>
Seite 387, &#x201E;der behauptet, der semit habe nicht die geringste Fähigkeit, etwas<lb/>
dauerhaftes zu gründen, lobt als unvergleichlich die Einfachheit seiner Bedürf¬<lb/>
nisse Mangel an Phantasie), den Instinkt, der ihn eng an die Seinen bindet,<lb/>
von andern ihn scheidend (verkümmertes Gemüt), die Leichtigkeit, mit der er<lb/>
sich von einem Propheten in das Delirium der Begeisterung hinreißen läßt,<lb/>
in tiefster Demut dem göttlichen Gebote gehorchend (schlechte Urteilsfähigkeit<lb/>
infolge der Unentwickeltheit der Vernunft). Ich habe MM Chamberlain forts<lb/>
in diesem Satze zu jeder Behauptung Ihr Khalduns meinen Kommentar ge¬<lb/>
macht, doch nur um zu zeigen, daß eine jede der genannten Eigenschaften<lb/>
&#x2014; Bedürfnislosigkeit, Familiensinn, Gottesglaube &#x2014; in diesem Falle einen<lb/>
Triumph des Willens bedeutet, nicht etwa, um den Wert der Genügsamkeit,<lb/>
der Treue gegen die Seinen und des Gehorsams gegen Gott herabzusetzen.<lb/>
Es kommt aber darauf an, zu unterscheiden, und um recht zu verstehn, was<lb/>
ein echter semit ist, muß man einsehen lernen: daß die Bedürfnislosigkeit eines<lb/>
Omar, für den nichts in der Welt Interesse bietet, nicht dieselbe ist, wie die<lb/>
eines Immanuel Kant, der nur darum keine äußerlichen Gaben begehrt, weil<lb/>
sein allumfassender Geist die ganze Welt besitzt; daß die Treue gegen das<lb/>
eigne Blut etwas durchaus andres ist, als z. B. die Treue ^des Germanenj<lb/>
gegen den selbstgewühlten Herrn; das eine ist lediglich eine instinktmäßige Er¬<lb/>
weiterung des egoistischen Willenskreises, das andre ist eine freie Selbstbestim¬<lb/>
mung des Individuums, eine Art gelebte Dichtung ^ausführlicher und sehr<lb/>
schön wird an einer spätern Stelle gezeigt, daß die germanische Treue von der<lb/>
Sklaven- und Hundetreue durchaus verschieden sei, da sie nur dem frei ge¬<lb/>
wählten Herrn, Gatten und Genossen geleistet werde, daher eigentlich Treue<lb/>
der Person gegen sich selbst und höchste Bethätigung der Freiheit sei^j. Vor<lb/>
allen muß man oder vielmehr müßte man (denn ich darf nicht hoffen, es zu<lb/>
erleben) zwischen einem rasenden Gottesglauben und wahrer Religion unter¬<lb/>
scheiden lernen. Das hindert durchaus nicht die spezifisch semitische Größe an¬<lb/>
zuerkennen usw."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_72" next="#ID_73"> Es ist wunderbar, daß ein scharfsinniger und weitschauender Mann, der<lb/>
als geborner Engländer England doch sozusagen vor der Nase liegen hat<lb/>
&#x2014; oder erklärt dieses vielleicht gerade das Wunder? &#x2014;, die Juden so aus¬<lb/>
führlich behandeln kann, ohne zu bemerken, daß es seine Landsleute sind, die<lb/>
er charakterisiert. Daß die Engländer und die Yankees im Pharisäismus und<lb/>
im Geschäftssinn reine Juden sind, darin stimmt alle Welt überein, und das<lb/>
wird vieltausendmal allerorten gesagt; niemand wundert sich darüber, daß der<lb/>
Jude in England und in Nordamerika keine Rolle spielt; die Einheimischen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1900 4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] Lhamberlains Religton5- und Rassenxhilosophie Stück seiner Charakteristik entnimmt er einem maurischen Geschichtschreiber des vierzehnten Jahrhunderts, Mohammed Ihr Khaldun, der u. a. auch urteilt: „Schaut euch um, betrachtet alle Länder, die seit den ältesten Zeiten von den Einwohnern Arabiens besiegt wurden! Die Zivilisation und die Bevölkerung schwanden aus ihnen, ja der Boden selber schien sich bei ihrer Berührung zu verwandeln und unfruchtbar zu werden/' Dieser Ihr Khaldun nun, heißt es Seite 387, „der behauptet, der semit habe nicht die geringste Fähigkeit, etwas dauerhaftes zu gründen, lobt als unvergleichlich die Einfachheit seiner Bedürf¬ nisse Mangel an Phantasie), den Instinkt, der ihn eng an die Seinen bindet, von andern ihn scheidend (verkümmertes Gemüt), die Leichtigkeit, mit der er sich von einem Propheten in das Delirium der Begeisterung hinreißen läßt, in tiefster Demut dem göttlichen Gebote gehorchend (schlechte Urteilsfähigkeit infolge der Unentwickeltheit der Vernunft). Ich habe MM Chamberlain forts in diesem Satze zu jeder Behauptung Ihr Khalduns meinen Kommentar ge¬ macht, doch nur um zu zeigen, daß eine jede der genannten Eigenschaften — Bedürfnislosigkeit, Familiensinn, Gottesglaube — in diesem Falle einen Triumph des Willens bedeutet, nicht etwa, um den Wert der Genügsamkeit, der Treue gegen die Seinen und des Gehorsams gegen Gott herabzusetzen. Es kommt aber darauf an, zu unterscheiden, und um recht zu verstehn, was ein echter semit ist, muß man einsehen lernen: daß die Bedürfnislosigkeit eines Omar, für den nichts in der Welt Interesse bietet, nicht dieselbe ist, wie die eines Immanuel Kant, der nur darum keine äußerlichen Gaben begehrt, weil sein allumfassender Geist die ganze Welt besitzt; daß die Treue gegen das eigne Blut etwas durchaus andres ist, als z. B. die Treue ^des Germanenj gegen den selbstgewühlten Herrn; das eine ist lediglich eine instinktmäßige Er¬ weiterung des egoistischen Willenskreises, das andre ist eine freie Selbstbestim¬ mung des Individuums, eine Art gelebte Dichtung ^ausführlicher und sehr schön wird an einer spätern Stelle gezeigt, daß die germanische Treue von der Sklaven- und Hundetreue durchaus verschieden sei, da sie nur dem frei ge¬ wählten Herrn, Gatten und Genossen geleistet werde, daher eigentlich Treue der Person gegen sich selbst und höchste Bethätigung der Freiheit sei^j. Vor allen muß man oder vielmehr müßte man (denn ich darf nicht hoffen, es zu erleben) zwischen einem rasenden Gottesglauben und wahrer Religion unter¬ scheiden lernen. Das hindert durchaus nicht die spezifisch semitische Größe an¬ zuerkennen usw." Es ist wunderbar, daß ein scharfsinniger und weitschauender Mann, der als geborner Engländer England doch sozusagen vor der Nase liegen hat — oder erklärt dieses vielleicht gerade das Wunder? —, die Juden so aus¬ führlich behandeln kann, ohne zu bemerken, daß es seine Landsleute sind, die er charakterisiert. Daß die Engländer und die Yankees im Pharisäismus und im Geschäftssinn reine Juden sind, darin stimmt alle Welt überein, und das wird vieltausendmal allerorten gesagt; niemand wundert sich darüber, daß der Jude in England und in Nordamerika keine Rolle spielt; die Einheimischen Grenzboten II 1900 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/33
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/33>, abgerufen am 01.07.2024.